Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zigeunerpferde.

(1896)

Die Herren hatten alle so schöne Flinten gehabt – und ich, ich hatte keine. Wenn wir ein feines Gewehr hätten, sagte Schweinehirts Stefan, könnten wirs im Heu verstecken und des Nachts im Jungschnee Hasen schießen – ganz wie der Schaffner Eßlinger.

Zwei Tage überlegten wir, wie wirs anstellen sollten, so viel Geld herzuschaffen – am dritten Morgen wußte ich Rat.

»Wir müssen Pferde eintreiben.«

Wenn fremde Pferde auf Papas Grund weideten und man fing sie ein, so bekam der Eintreiber die Hälfte des Strafgeldes.

»Pferde eintreiben?« rief Schweinehirts Stefan wegwerfend. »Du? Da gehören andre Kerle dazu. Glaubst du, die Leute lassen sich ihre Pferde gutwillig fangen, und die Pferde laufen einem nach wie die hungrigen Hunde? Ich – ja – ich könnte Pferde einfangen. Aber du hast kein Herz.«

Er meinte es aber mit dem Vorwurf nicht ernst, denn eine Woche später kam er zu mir und sagte:

»Junker, auf der bestockten Weide von Dugamedja lagern so an die fünfzehn Zelte Zigeuner – Kesselflicker und Bärenführer. Die Pferde stehen den ganzen Tag angepflockt im Schnee. Aber sie können doch nicht Schnee fressen?«

»Warst du dort?«

»Ja. Ich habe getan, als ginge ich nach Gradina, bei der Ulme aber bin ich nach rechts hinein in die Büsche und hab gezählt. Es sind dreißig alte Pferde und sechs Fohlen.«

»Und sie weiden bei Nacht auf der Winterweizentafel?«

»Ja. Weißt du den Graben bei Dugamedja, Junker? Wenn du hineinblickst, siehst du nichts als Hufspuren. Da führen die Zigeuner die Pferde abends durch, immer eins hinter dem andern, und dann hinauf in den Weizen.«

»Haben sie viel Schaden gemacht?«

»Wer weiß es? Ich kann nicht hingehen – sonst spüren sie gleich, daß wir ihre Pferde eintreiben wollen.«

»Wollen wir ...?«

»Gewiß,« sagte er und lachte mich an. In diesem Blick lag aller Spott und alle Hoheit vereinigt, die er, der Energische, mir, der Schwachen, gegenüber fühlte.

»Junker, du mußt heute abend deines Vaters, des gnädigen Herrn, Revolver nehmen und für mich die große Pistole.«

Die große Pistole – fast wars schon eine kleine Kanone – Papas Reiterwaffe von anno 1849 – stand bei Stefan in besondrer Achtung.

»Ein scharfes Messer werde ich selbst mitbringen,« fuhr er fort. »Wenns zum Aufsitzen kommt, führ dir das Pferd in einen Graben – denn ich kann dir diesmal nicht hinaufhelfen. Und dann: halt dich zu mir, folg mir und sprich kein Wort!«

Um zehn Uhr abend machten wir uns auf. Stefan hatte mir schon vorher seine Sonntagskleider gebracht, und ich hatte sie angelegt. Überdies trug ich Papas Weidtasche, darin Papas Revolver, in der Hand eine Reitpeitsche, um den Hals geschlungen Papas neuen Wischzaum. Stefan hatte die Pistole, ein Messer und ein Beil, wie es die Schweinehirten tragen.

Er gab mir nun noch Verhaltungsmaßregeln. Zuerst müsse ich ihm helfen, die Fußfesseln der ältesten Stute durchschneiden, auf die wolle er aufspringen. Ich müsse ihr dabei leise die Glocke abnehmen und damit ein wenig bimmeln – so wie ein weidendes Pferd. Wenn er an die fünfzig Schritte weit wäre, sollte ich rasch ein beliebiges Pferd besteigen und im Galopp folgen. Die andern Pferde würden dann der Stute und der Glocke selber nachrennen, denn sie sind nicht gefesselt.

»Aber das sag ich dir, Junker,« mahnte er, »daß du es geschickt machst! Denn wenn sie dich nachher erwischen und ich bin schon fort, erschlagen sie dich gewiß.«

»Dann nimm aber du den Revolver, und ich will die Pistole haben,« sagte ich. Denn auch ich hatte mehr Vertrauen zu der großen Pistole – sie sah aus wie die Großmutter des kleinen Revolvers. – Davon wollte Stefan aber nichts wissen.

Je näher wir Dugamedja kamen – wir gingen auf den Linien und nicht die Straße entlang – desto banger wurde uns. Jeden Augenblick blieben wir stehen, um zu horchen. Als wir zu der Ulme kamen, lag nur noch ein kleiner, flacher Hügel zwischen uns und der Weizentafel. Wir stutzten beide wie die Häschen, hielten uns an den Händen und fürchteten uns. Fast wären wir umgekehrt.

Da schlugs an unsre Ohren: klapp, klapp – die Weideglocke der alten Stute. Stefan hob einen Finger hoch und sah mich mit einem unsichern Blick an – so, als wollt er sagen:

»Ich möchte wohl gern, aber ich habe Angst.«

Ich antwortete ihm mit einem andern Blick:

»Ich schäme mich aber, Angst zu haben.«

Das empfand auch Stefan und kroch in den Graben. Ich ihm nach.

Im Graben rieselte eiskaltes Tauwasser. Wir schlängelten uns an den Weizen heran.

Aber wahrhaftig, wir hättens immer noch nicht gewagt, wenn uns nicht ein Zufall zu Hilfe gekommen wäre: wir hatten die Pferde unten im freien Feld vermutet – sie weideten seelenruhig oben beim Busch, keine zehn Schritte von uns – weideten die Halmspitzen ab, die über die fingerdicke Schneedecke ragten.

Scheu blickten wir um und um. Es war nicht sehr hell, ein wenig bewölkt. Die Pferde scharrten mit den Hufen, schnoben und drängten sich. Plötzlich kam ein kleiner Braun dicht zu mir und schnupperte mir ins Gesicht. Ich zupfte ein wenig Weizen ab und reichte ihm ein Büschel. Dann erhob ich mich langsam, schob ihm langsam den Zügel des Wischzaums über den Hals, das Gebiß ins Maul ...

Stefan saß neben mir und sah mir zaghaft zu. Dann schlich er längs der Außenseite des Busches auf allen Vieren fort. Zur alten Stute, dachte ich mir.

In mir fieberte es vor Aufregung. Wenn mich die Zigeuner erwischen, erschlagen sie mich oder hetzen mir gar die Bären nach. – Und Stefan? Wo ist Stefan? Stefan ist davon, hat mich allein gelassen.

Bebend führe ich meinen Braun durchs Dickicht und klettere von einer Scholle aus auf seinen Rücken. Er geht willig im Schritt den Weg, den ich nehmen will.

Die Flocken fallen leise, es wird finstrer.

Da höre ich einen Hund anschlagen – noch einen – viele Hunde – in meinem Rücken Geschrei.

Mein Braun stutzt. Ich schnalze mit der Zunge, mit der Peitsche – er steht.

Schwarze Nacht und der Lärm.

Ich haue ihm einen Jagdhieb in die Rippen. Er steckt den Kopf zwischen die Beine und rennt zur Herde zurück.

Ein Reiter rast an mir vorüber: Stefan.

Zigeuner heulend ihm nach, und ich ihnen entgegen, mitten durch sie hindurch.

Die Hunde umbellen mich, alle Pferde traben hocherhobenen Kopfes mit mir.

Da ist Stefan abermals.

Mein Pferd steht wieder einen Augenblick.

Er haut seins wie toll mit dem Beilstiel und schreit dazu:

»Na! Pille! Na!«

Ich schlage jetzt auch drauf los ...

Was dann geschehen ist, weiß ich nicht mehr. Es ist ja alles schneller gegangen, als mans denken kann. Eine wilde Jagd bei Nacht. Ich halte mich an der Mähne meines Braunen und lasse ihn laufen. Laufen immerzu – immerzu – so weit er mag.

Ich komme wieder zu Bewußtsein und bin auf einer fremden Pußta. Ich sehe näher hin und weiß jetzt: es ist die Pußta Magodinowatz – eine Stunde weit von uns in gutem Trab.

Die Hunde heulen, der Oberknecht läutet eben zum Wecken und ruft mich scharf an.

»Ach, lieber Onkel Joschka, hilf mir – ich bins.«

»Teufel, was machen Sie hier?« fragt er verwundert, als er mich an der Stimme erkennt.

»Die Zigeuner jagen mir nach,« keuche ich. »Hilf mir, hilf!«

»Was, die Zigeuner? Leute! He! Burschen!« schreit er. »Auf! Auf! Räuber sind da.«

Ich sitze ab, weine herzbrechend und halte das Pferd am Zügel.

Allmählich kommen die Leute, und ich muß erzählen.

Da lachen mich alle aus.

Unterdes hat einer, der von Räubern hörte, den Verwalter gerufen.

Der Verwalter kommt im Schlafgewand heran, in einen Mantel gewickelt, und nimmt mich ins Gebet. Er zankt mich aus und heißt seinen Kutscher anspannen. Ich soll nach Hause fahren und das Pferd laufen lassen.

Davon will ich aber nichts wissen. Ich binde es hinten an den Wagen.

Der Magodinowatzer Paradekutscher kann gar nicht genug den Kopf schütteln und lachen. Den ganzen Weg über fragt er mich aus.

So komme ich heim. Alle sind schon wach, überall brennen die Lämpchen in den Dienerschaftswohnungen, nur unser Haus ist still und finster. Ich übergebe den Braun dem Schaffner Eßlinger und empfehle ihm, ja zu wachen, damit ihn die Zigeuner nicht stehlen.

Dann will ich mich in mein Zimmer schleichen.

Da sitzt auf der Verandastufe Stefan.

»Hast du das Pferd, Junker?«

»Ja.«

»Eh, Gott sei Dank! Ich hab keins.«

»Wie kommt denn das?«

»So. Die alte Pferdegroßmutter wollte nicht vorwärts – ich sprang ab und lief – die Hunde, die Zigeuner mir nach – sie warfen mit Äxten nach mir. Eine traf mich – sieh!«

Er zeigte mir eine große Wunde voll schwarzen Blutes oben auf dem Scheitel.

»Da stolperte ich – ein Zigeuner kam daher – ich zog die große Pistole, hielt grade auf seine Brust – drückte – und sie ging nicht los, die große alte Pistole. – Dann lief ich weiter bis zur Brücke. Da fuhr eben ein schöner Wagen. Ich sprang auf den Tritt – der Kutscher warf mich hinunter und hieb auf die Pferde ein. Ich setzte mich geschwind auf die Achse und hörte, wie der Herr den Kutscher anschrie: ›Fahr zu, um Himmelswillen, daß uns der Räuber nicht einholt!‹ – So sehr fürchteten sie sich vor mir. – Ich ließ sie fahren. Bei Bare sprang ich ab und kam her. – Du hast also ein Pferd, Junker? Nun, dann ist alles gut.«

Papa hörte es von der Köchin, Tante Barbara von Papa, und alle schalten, die Köchin am meisten.

Zu Mittag kam der Herr Graf zu uns und ließ sich die Sache erzählen. Er lachte sehr und lobte mich, so daß ich wieder lustig wurde.

Die Zigeuner bekamen ihr Pferd, mußten aber für den Schaden am Weizen hundertzwanzig Gulden Strafe zahlen. Sonntag bei der Auszahlung erhielt Stefan sechzig Gulden und sein Vater die Kündigung. Ich bekam gar nichts.

Später, an meinem Geburtstag, kam ein Paket aus Gradina. Es enthielt ein wunderschönes Gewehr, das hatte mir der Herr Graf geschenkt. In dem Paket lag auch ein versiegelter Umschlag, an Papa adressiert. Er enthielt Geld und einen Brief: Papa sollte mich in ein Pensionat tun, es wär die höchste Zeit.


 << zurück weiter >>