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Mauslottel.

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Lottel hot se gehissen. Ȧ alts Mȧȧdel, ball nah de Fufzig, is se geweesen. Se hot fer de Leit gestrickt und geflickt und mühselig ihr weng Leem hiegebracht. Wenn ihr net gute Leit hie und do amol wos zugesteckt hätten, hätt se wȧßterhole oft Nut leiden müssen. Se war ȧȧ mit der Zeit ȧ weng artlich wur'n, und Leit, die ihr net gut warn, ham se geradezu olber gehissen. Dös war sche ober net, ner ȧ weng ȧ mȧrkwerdigs Geteet hot se siech ahgewähnt gehatten. Zwanzigmol is se ne Tog, und noch öftersch, nah's Fenster geloffen, hot nausgeschaut und oft ganz leise, oft ȧȧ su laut, aßs de Leit gehärt ham, gepröpelt: »Immer naht! Ach, wenn werds nu amol wer'n!« Noochert hot se betrübbt mit ne Kopf geschüttelt und siech wieder hiegesetzt und fortgestrickt oder -geflickt, je noochdeem wu se gerod drüber war. Af ne Dorfweeg sei ihr de klȧn'n Kinner enooch geloffen, die se ohgetätschelt und gestreichelt und mit dene se, wenn se gerod Zeit hatt, gedahlt und Blumme gezupft und aus Maiblummestengeln Ketten geflochten und annere sötte Kinnerei getriem hot. Mit grässern Kinnern und gar mit grässern Buhmen hot se siech nix ze schaffen gemacht, dene is se, suweit se kunnt, aus ne Weeg gange. Die warn ihr ze laut, die hȧm se geneckt und wuhl gar geschimpft. De letzte Zeit warsch wuhl kȧȧm mehr vürkumme, wies der Lehrer amol gehärt und ihne ȧ orntliche Refermande derfür geem hatt, ober zevur, ach, do war sche oft ganz uglücklich geweesen. »Mauslottel, Mauslottel!« hatten se hinner ihr hergerieft. Und dös Wort hatt ihr nei de Uhrn gegellt, schlimmer als wenn ihr ȧ Trumpeter ȧ Feierwehrsingnal neigeblosen hätt. Alles kunnt se härn, ner dös Wort net, dös hot ihr wieh geta durch und durch. Mauslottel – und doch war sche's, jo. Und doch net, nȧȧ, doch net, se hatt net gemaust, nȧȧ, nȧȧ! wenn se ȧȧ derfür hatt büßen müssen vur ȧȧning dreißig Gahrne.

Ach, wie sehsüchtig hatt se de vieln lange Gahr drauf gewart', aß er endlich kam und es kund tot, wie de Sach geweesen war dorte. Dereweeng hot se ne Tog su oft zen Fenster nausgeschaut. Es war ihr zer fixen Idee wur'n: er mußt siech doch endlich amol sehe loßen, mußt kumme, aß de Schand vun ihr genumme wur endlich.

Ach, war dös ȧ Aufsehes geweesen dozemol, wie der Name Mauslottel aufkumme war. Wies gehissen hatt: »Denkt eich ner, 's Lottel hot lange Finger gemacht! Vurte hot se der Schandarm mietgenumme und eigesteckt!«

»Wos? 's Lottel? Du bist doch net gescheit! Dös is doch net wahr! Wenn iech alles glȧȧb, ober 's Lottel gemaust! Geh, verolber miech net!«

»Wȧßterhole, 's is ȧsu. Vur 'er halm Stunn ham se se fortgeführt. Iech ho ne Schandarm selber lȧȧfen sehe mit ihr. Hot eich dös Weiberschvolk gegrinne!«

»I nu üm Gottswilln, sog m'r ner: Wu denn? Wos denn? Wen denn?«

»Nu, Geld; benah zwȧȧhunnert Mark warns, die se genumme hot.«

»Und wen söll ses denn gemaust ham?«

»Nu ben Bergbauer, wu se gedient hot, und vun ne Tisch weg in der öbern Stum. Der Flȧȧscher war dogeweesen und hatt ȧ fette Sau gehult. Und der Bauer war miet noh und miet zen Huf nausgange, wie der Flȧȧscher fortgefahrn war. 's aufgezehlte Geld ober hatt er derweile af ne Tisch lieng loßen. Und wie er wieder nauf kumme war, do warsch weg geweesen. Kȧȧ Mensch war nei's Haus kumme. Alles war draußen af der Wies' geweesen bis afs Lottel, die ne Kochen weeng ehser hȧmgange war.«

»Und dös Mȧȧdel söll nu dös Geld weggenumme ham? Dös glȧȧb iech derweile nahntig. Su ȧ aparts Mȧȧdel!«

»'s is ober kȧȧ Mensch sinst neis Haus kumme; wer sötts sinst geweest sei! Fortgefluhng is 's net.«

»Hot ses denn eigestanne?«

»Geh, kȧȧ Gedank.«

»Unds Geld! Hot ses gehatten? Ham ses be ihr gefunne?«

»Geh, eem net. Dös is eem su wunnerbar, 's Geld is spurlus weg. Se ham alle ihre Sachen durchgestibitzt, ober net's geringste gefunne, wu se siech net hätt drüber ausweisen könne. Der Schandarm hot siech alle Müh geem, aß ersch rausbränge wott, ober se hot nix verroten. Se hot gottsderbärmlich gegrinne und behaupt', se wärsch net geweesen, wȧtter war sche net ze bränge. Nu hot se der Schandarm ost mietgenumme. Drinne'n Amt wer'n se se scha suweit bränge, aß se 's Maul auftut.«

»Wȧßte, dös is derweeng noch su ȧ Sach, dös will m'r derweeng naht nei ne Kopf, 's Lottel Geld mausen! Unds Geld lichtelanz weg sei! Wer wȧß, wos dös fer Mengkenke is! Iech glȧȧb derweile naht drah.«

»Nu, 's werd siech scha rausstelln.« Su ham de Leit unner enanner über de Sach geplauscht.

Jo, 's hot siech ober eem nix rausgestellt. Wie se se ne annern Tog drinne'n Amt verhärt ham, do hot ses eemsu wieder verlaungt und gesogt, se wärsch net geweesen. Und wie se se gefregt ham, aß ȧ annerer Mensch epper in' Haus geweesen wär! Se müßts doch wissen, müßts doch weiskriegt ham, wu alles meiselstiller in' Haus war! Do is se wie ȧ weng verleeng wur'n und hot verneh kȧȧne Antwort drauf geem. Erst wie se se wieder und wieder gefregt und üm Antwort gedrängelt ham, do hot se gesogt, se hätt nix geseh' se wüßt partuh vun nix. Doderbei is se gebliem, ȧȧ wie der Bergbauer und sei Frȧȧ, die ne Mȧȧdel sinst alles Lub geem ham, in se gedrunge ham, se sötts doch soong, wenn ȧȧns in' Haus geweesen wär, denn aß sie selber 's Geld gemaust hätt, dös könnten se kȧȧm glȧȧm. Ȧȧ do is se derbei gebliem, se hätt nix geseh und nix gehärt. Se hot gegrinne und ihre Uschuld beteiert und wott nix wȧtter wissen, su oft se se ȧȧ vürgenumme ham.

Endlich war öffentliche Hauptverhannling drüber. 's halbe Dorf hot miet zugehorcht, 's Lottel blieb ȧȧ itze derbei, aß se uschullig wär, und af de Frog, wersch sinst wuhl geweesen sei könnt, soget se wieder und blieb af wiederhults Freeng derbei, aß se von nix wos wüßt. Und nu war 'sch End von Lied: 's wur ahgenumme, aß ses doch geweesen wär, und se ham ihr trotz ihrn Greine und Verlaunge ȧ halbs Gahr Zwicke naufgebrennt, ham se ȧȧ zer Verbüßing der Strof ost ohgeführt.

Ȧȧns vun ne Leiten in' Dorf hot se fer schullig gehalten, ȧ annersch wieder kunnts immer naht glȧȧm. Doch wos mußt scha drah sei. Wenn ses net selber geweesen war, do wußt se zewengsten dervah. Dös war zeletzt de allgemȧȧne Mȧȧning.

Se hot ihre Zeit ohgesessen und nooch ȧn'n halm Gahr is se wieder kumme. Kȧȧ Mensch hot wos vun ihr wissen wölln und kȧȧ Bauer hot se genumme, wie se siech wieder hot verdiene wölln. Ahgehörige hot se net gehatten, de Gemȧȧ hot se net fortweisen könne, weil se hȧȧmetsberechtigt do war, und do hot siech der Vurstand ins Mittel gelegt, und ȧ arme Wittfrȧȧ, be dere ’s nix ze mausen gob, hot ihr endlich ȧ Kämmerle, wu ȧ klȧȧns Hundüfel neigesetzt wur, ohgetreeten fer Geld und gute Wort. Und dorte hot se nu die vielen Gahr gewahnt und siech mit Stricken und Flicken kümmerlich hiegebracht. Ihrn Name Mauslottel ober hot se behalten, wenn ihrsch ȧȧ de letzte Zeit kȧȧ Mensch, hächstens amol ȧ ganz bieser Buh, mehr unner de Nos' geriem hot.


Charlotte Bölke, su stund ihr Name drinne 'n Kerngbuch, hatt scha als Mȧȧdel vun zeh Gahrne bȧȧde Eltern verlurn und war scha dozemol in ne Dienst vun' Bergbauer kumme, verneh als Kinnermȧȧdel und speeter, wie se aus der Schul raus war, als orntliche Mȧȧd. Se war meitog ȧ bravs, fleißigs, gewilligs Dingel geweesen, dös alle Leit in' Dorf, net ner Bergbauersch, gern hatten. Scha in der Schul war sche, wenn se ȧȧ ner ȧ arms Waisenkind war, doch de Erschte geweesen, wos freilich manning grußen Bauer, der ȧȧ Kinner nei de Schul ze schicken hatt, net su recht nei ne Strȧȧfen gepaßt hatt. Ober in der Schul sitzen de Kinner eem zen Glück net nooch der Grüß vun' Geldbeitel, und unner Lottel war de Erschte gebliem und hatt ȧȧ ber Kumfermatiah 's Glaumsbekenntnis herbeeten dürfen. Und ȧȧ speeter hatt se siech allezeit ustreeflich gehalten, aß s ganze Dorf Stück af se gehalten hatt.

Kȧȧm achtze Gahr war sche alt, do kam se nah den Dinkerts, der ihr Uglück wer'n sott. 's war ȧ Bauerschgung, der ben Nachber als Knecht gedient hot, ȧ vigelanter, geweckter Kerl, den m'r ben erschten Ahschaue gut sei mußt, ober derbei ȧ leichter, liederlicher, ausgefȧȧmter Lumpes, der meitog net gut geta hatt. Dereweeng hatt er ȧȧ vun derhȧm fortgemüßt, weil seine Leit gedacht hatten, er wür draußen in der Welt, wenn er seine Bȧȧ unner fremme Tisch strecken müsset, emende noch annerschter wer'n. Alle Leit ham se gewarnt vur den Menschen. Ober er war allezeit su voller Liebeteet geeng se und hot su uschullig und rechtschaffen ze ta und ze reden geweßt, aß se afs Reden vun ne Leiten nix geem und ihn afs Wort geglȧbbt hot und ihn ner immer merner zugeta wur. Ihr rȧȧns uschulligs Kinnergemüt kunnt siechs net vürstelln, aß ȧ Mensch, der su ustreeflich tot, werklich schlecht und verdorm sei könnt. Wos de Leit ȧȧ soong und ihr vun ihn derziehln mochten, 's alte gute Scheefel hot an ihn geglȧbbt und siech durch nix irre machen loßen. Und er hot sie net aus ne Garn geloßen. Jeden Omd kam er noonge' Essen und hot ȧ Ständerle mit ihr gehalten, und wenns af fünf Minuten war. Oft zer nutwennigsten Ȧrwet kam er hinten zer Hinnertür raus, wenn se in' Garten ze ta hatt, und hot ȧ weng schie mit ihr geta. Und wenns vun' Scheiloden roh war, er hot ihr ȧn'n freindling »Guten Morng« oder »Guten Tag« zugerieft, wenn se zen Fenster nausgeschaut hot oder über ne Huf geloffen is.

Den Tog, wie ihrn Bauer dös Geld wegkumme war, hatt ersch ȧȧ beabsolviert, aß kȧȧ Mensch wȧtter derhȧm war, als wie sie, und hatt fix ȧn'n Sprung nüber ze ihr ta wölln. Ober do warn der Bauer und der Flȧȧscher gerod zen öbern Tur reikumme und er hatt siech derweile fix nei de Holzschupf versteckt. Wie ober de zwȧȧ Mannsen wieder rauskumme warn, der Flȧȧscher mit 'er Sau fortgefahrn und der Bauer wieder naus der Wies' gange war, do hatt er siech sachte nei- und de Trepp naufgeschlichen, weil er gedacht hatt, itze könnt wos ze fischen sei. Der Bauer wür 'sch Geld net su fix weggeschlossen ham. Er wußt gu, aß ersch gern der Frȧȧ erscht gewiessen hot. Er war su behutsam geschlichen, aß 's Lottel ȧȧ nix dervah weiskriegt hatt. Erscht ben Rohsteing hatt ȧ Treppenstuf ȧ weng geknautscht, do hatt se zer Tür nausgeschaut und hatt ne geseh.

»Iech wott m'r ner mei Messer wieder huln«, hatt er gesogt, »dös iech gestern eiern Kahrl« – dös war der Knecht – »geborgt ho. Er is ober net druhm. Er is wuhl ȧȧ af der Wies'? Muß iech halt noochert noch amol noochfreeng.« Dermiet hatt er sche ümhalst und ihr ȧ Schmätzel geem und gesogt: »Sog fei nix, aß iech druhm in seiner Kammer war, er is gleich su übelnemmisch.« Noochert war er eilig fortgeloffen, und glücklich war sie ihrer Ȧrwet wȧtter noochgange. Gleich drauf warn der Bauer und seine Leit hȧmkumme und es hatt siech rausgestellt, aß 's Geld aus der Öberstum weg war.

's Lottel hatt siech miet drüber gewunnert, ober in ihrer Uschuld mit kȧn'n Oten drahgedacht, aß der Dinkerts, ihr Libbster, der Spitzbuh geweesen sei könnt. Dodrah hot se erscht speeter gedacht, wie de rechte Zeit verbei war. »Sog fei nix«, hatt er gesogt, und nu sogt se eem ȧȧ nix. Wos hȧtten ȧȧ de Leit denken müssen, wenn ses derfahrn hätten, aß er be helln lichten Tog und zer nutwennigsten Zeit be ihr af ne Frei geweesen war! Do hätt se siech doch ze Tud schäme müssen! Mit kȧn'n Oten hot se ȧȧ drah gedacht, aß nu af sie selber der Verdacht falln könnt. Drüm sogt se nix, ȧȧ ne Schandarm net, wie der gehult wur'n war. Erscht wie se eigesteckt wer'n sott, do wur sche zweifelhaft. Ober sie war doch uschullig, ihr kunnts doch kȧȧmol nix ta, und weil se siech su geschämt hätt, drum hot se siech immer noch nix verlȧȧfen loßen.

Wie se ober vun' Gericht ze ȧn'n halm Gahr Gefängnis verdunnert wur'n war, do war sche derschrocken drüber, dös war ihr net nei ne Sinn kumme, und itze hätt ses gesogt, wenn se noch amol dernooch gefrogt wur'n wär. Ober nu hot se kȧȧ Mensch mehr dernooch gefregt und aus falscher Scham hots ses Maul gehalten und siech, wenn ȧȧ zen Tud uglücklich, ohführn loßen und ihre Strof verbüßt. Wos se ober gelietten hot in dere Zeit, dös is kȧȧm auszedenken. Halbolber hot se siech de Haar zerrȧȧft und gedacht, se mußs ganz wer'n dervah. Wenn se'n Wachmȧȧster mit ne Schlüsseln rasseln gehärt hot, dös is ihr durch und durch gange. Eigesperrt, eigeschlossen wie ȧ wills Tier! Wenn se de annern Weiberschvölker ahsohg, die mit ihr z'sammstoken, su ȧȧne sott se sei! Br! es graut ihr orntlich ver siech selber. Sunntigs in der Gefängniskerch, wenn der Pfarrner gepredigt und ihne eidringlich ans Herz gelegt hot, aß se ümkehrn, aß se siech bessern, aß se, wenn se wieder in de Freihȧȧt käme, ȧn'n annern Leemswannel führen sötten – ach, sie hatt gu nix urechts begange! Freilich, Sünder sei alle Menschen, wie de Bibel sogt, ober su ȧ exterer wie de annern do in ne Zuchthaus, der war sie doch net. Und doch mußt ses sei, war sches – ȧ Spitzbuh, ȧ ganz ordenärer. Ȧ Spitzbuh sie, die kȧn'n Menschen ȧ Steecknodel genumme hatt! Sie, die wochenlang ȧ schlechts Gewissen gehatten und es hunnertmol ne liem Gott ohgebeeten hatt, wie se amol als klȧȧns Mȧȧdel durch ȧn'n Stacketenzau nei in ȧn’n fremme Garten gelangt und zwȧȧ Äpfele rausgehult hatt! Sie als Spitzbuh in' Zuchthaus! Oft war sche in Gedanken geweesen, aßs net besser wär, wenn se selber ȧ End machet! Ober immer wieder hatt se gedacht: »Nȧȧ, dös wär ȧ werkliche Sünd, und noochert müßten de Leit erscht recht denken, aß iech ner aus Schand miech weggerȧȧmt hätt!« Nȧȧ, es mußt siech doch endlich rausstelln, aß sies net geweesen war. Und wenn ersch war, do mußt ihn doch 's Gewissen schloong, aß er sie net uschullig sitzen ließ! Und wenns doderzu ze speet war, do mußt er doch speeter wos ta, aß ihre Uschuld ans Togslicht kam!

Heiern? Nȧȧ, ȧn'n Spitzbuhm mocht se net. Ober emende war ersch ȧȧ net geweesen! Su gut wie er siech hatt de Trepp naufschleing könne, su gut kunnts ȧȧ ȧn'n annern geglückt sei, den sie net gehärt hatt af ne Rückweeg. Ach, oft is se noch in' Wichtel, aß se siech vurführn loßen und doch noch soong söll, wos se wȧß! Doch emende kam er noochert eem asu uschullig nei, als wie sie itze! Su tiftelt se Tog fer Tog und Nacht fer Nacht, bis ihre Zeit aus is.

Noochert freilich derfährt ses gewieß, aß er der schlechte Kerl war, wie ihr ihn de Leit früher ausgemolt hatten. Er hatt nooch der Zeit wieder wu annerscht gemaust. Und wie sen hatten eistecken wölln, do war er ausgekratzt geweesen be Nacht und Neebel. Se hatten ne Kerl net derwischt, und sieter dere Zeit wußt kȧȧ Mensch, wu er war, oder aß er überhaupt noch leebet.


Kalt pfeift der Novemberwind üm de Fenster. Es reengt derzu und hie und do sei scha ȧ paar weiße Schniepflocken drunner. De Leit af ne Weengen und Stroßen lȧȧfen in' kurzen Hundstrapp, de Mannsen ham de Händ in de Husentaschen gesteckt, de Weiberschvölker se nei de Schörz gewickelt. Unner alts Lottel schnitzt mit ȧn'n stumpfen Messer ȧn'n Spreißel zerecht, den se be 'er Fenstertafel unten neikliezen will, wu der Gloser 's Glos ze sehr geschant hot und wu ȧ offene Klunsch gebliem is, durch die der kalte Wind su ludermännisch reibleest. Und wie nooch langer Müh der Holzspah festhält, ober der Wind immer noch durchweht, sucht se siech ȧ Papierstrȧȧfel und klebbts mit ȧ weng Mehl und Wasser gar drüber. Itze hots geholfen. Noochert legt se noch ȧ Köhle nei ihr Hundüfel, rückt de Knie afs knappste nah und fängt, wie se siech erscht de Händ noch ȧ weng geriem, ah ze stricken. Derbei hot se eechahl ȧ Ȧȧg drah ne Fenster, wie ses seit dreißig Gahrne in der Mode hot. Se sucht immer noch den, der ihre Ehr wieder herstelln söll und der sche ner allȧȧ wieder herstelln kah, der ȧȧnzig und allȧȧ soong kah, aß sie kȧȧ Spitzbuh is, kȧȧ Mauslottel. Ach, gestern erscht hots wieder amol su ȧ bieser Buh hinner ihr her gerieft, wie se amol durchs Dorf giehe mußt. Ach, wenn ihr doch der liebe Gott die ȧȧnzge Frȧȧd noch machen teet, eh er sche ze siech rieft: aßs rauskäm, wie uschullig se dozemol derzukumme war! Die Sach dorte hatt se üm ihr ganz bissel Leemsglück und Leemsfrȧȧd gebracht. Veracht' und gemieden, ȧȧsam und verloßen, doch immer in Hoffning, aß se der liebe Gott net su ohstȧrm loßen wür, aß se zewengsten als ehrlicher Mensch amol nei's Grob gelegt wür, hatt se de lange Gahr hiegelebbt. Ach, 's wur ball Zeit, se war su müh und jeden Tog zen Tud bereit, wenn ner – ach! Und derbei wendt se immer ne alten grooe Kopf mit ne hunnert Runzeln und Falten in ne müden Gesicht afs Fenster zu.

Do gieht wos draußen den Fenster verbei, se hots net recht derkenne könne, weil de Fensterscheim ȧ weng ahgeloffen sei, aß 's ȧ Mannsen war oder ȧ Weiberschvolk. Doch itze vischperiert wos drah der Haustür rüm. Nu kimmts de Hausflur hinner, blȧbbt vur ihrer Tür ȧ Weile stiehe und pocht noochert schüchpern ah. Wer kunnt dös sei?

»H'rein!« rieft se voller Derwarting. Und ȧ alter Stromer, zerrissen und drecket, krank und elenn und ohgezehrt zen rȧn'n Knochengeripp, mit uruhig flackreten Ȧȧngen reckt verneh ne Kopf zer Tür rei und kimmt noochert schwerfällig, wie wenn er betrunken wär, zer Tür neigetorkelt, sogt net ȧȧns und net kȧȧns und blȧbbt steif drah der Tür stiehe.

»Wos wölln se'n?« fregt 's Lottel.

Er ober schaut se ner ah uverwandt, sogt kȧȧ Wort. Ihr werds ganz uhaamlich derbei und in voller Furcht fregt se noch amol: »Wos wölln se denn?«

»Lottel!« rieft er itze und fällt af de Knie nieder. »Lottel, vergib mir!«

Ihr werds immer ändrischer be sȧn'n olbern Geta und nu fregt se: »Wer sei sie denn?«

»Lottel, vergib den alten Lumpes, der ne Tud in ne Knochen trägt und net ehser stȧrm kah. Kennste miech net?«

»Nu, wer sei se denn?« fregt se noch amol ganz derhost und gespannt. Kȧȧ ȧȧnzger Zug in ne ganzen verwillerten und verkummene, vun Leidenschaften und vun Elenn verzerrten Gesicht kimmt ihr bekannt vür. »Was ho iech ihne denn ze vergeem?« fregt se wȧtter.

»O, viel, viel, Lottel!«

»Jo, wos denn? Wer sei se denn?« fregt se zen dritten Mol.

»Lottel, der Spitzbuh, fer den de gelietten host!«

»Der – der – der Lumpes?« fregt se ahne Oten, und ihre Ȧȧng, die sinst su müh und ohgestumpft dreischaue, wer'n wȧtter und grässer mehr und mehr und fünkeln ihn ah und heiliger Zorn ludert ihn draus entgeeg: »Also du warschts werklich? Pfui!« Dermiet speit se aus und dreht ihn ne Buckel zu.

»Lottel, Lottel!« bettelt er wȧtter, »Lottel, vergim' m'r, iech kah net ehser stȧrm. Schau miech ah, ball is 's alle. Ach, iech armer, verworfener Mensch! Lottel! Lottel!«

Se dreht siech net rüm, se schaut 'n net ah. »Allmächtiger Gott«, denkt se, »gieht mei sehnlichster Wunsch, mei Trȧȧme doch noch aus, aß iech rȧȧ und uschullig dostieh und mit Ruh stȧrm und in Ehrn begroom wer'n kah!«

»Lottel, Lottel, Dermarmes!« bettelt er wieder.

»Wenn iech itze ne Vurstand oder ne Pfarrner huln loß«, denkt se wȧtter, ahne sich nüm ze drehe und ahne af ne Kerl ze horng, »do mog ersch dene gestieh und iech bie nimmer 's Mauslottel, bie wieder ȧ ehrlicher Mensch.«

»Söll iech ne Pfarrner huln oder ne Vurstand? Wist'es dene ȧȧ soong?« fregt se und schaut nu ne Lumpes mit strenge Ȧȧngen ah.

»Alles, Lottel, alles will iech, mit mir is's ȧȧmol aus. Alles will iech, ober vergim' m'r, wos iech d'r ahgeta!«

Do reißt se de Tür auf und rieft laut naus: »Ännel! Ännel!« noong'e Mȧȧdel drühm der Nachberstum. Und wie die fix geloffen kimmt und fregt, wos se söll, do sogt se, derweile se de Tür ȧ weng zudrückt, aßs der Lumpes drinne net su genau härn söll: »Lȧȧf ner amol fix nüber zen Vurstand, er sött su gut sei und ost gleich amol rüber kumme. 's wär ȧ alter Lumpes do, der nimmer fort könnt und der ihn wos ze soong hätt. Er sött ober gu gleich kumme, sött su gut sei.«

Noochert gieht se wieder nei der Stum, wu der Kerl noch af ne Knien leit und sogt zu ne: »Stieh ner auf und setz diech her ne Stuhl!«

»Lottel, vergibbste m'r?« fregt er wieder.

»Jo, noochert, itze stieh ner auf!«

Und er stieht auf und setzt siech: »Lottel, ho tausend Dank fer dös Wort. Nu kah iech zewengsten stȧrm.«

»Hoste Hunger?« fregt sen, wie er of ȧȧmol schniekreidenweiß werd und siech halb ahmächtig hintenüber lȧhnt.

Er sogt nix, schaut ober su sehsüchtig noong'e Lȧȧbel Brut, dös se aus ne Wandschränkel rausnimmt, aß ses wȧß, ahne aß ersch ze soong braucht. Se schnȧdt ȧn'n Runkes roh und langt'n ȧ Köppel Kaffee derzu hie, der noch vun früh dorte af ne Üfel stieht, und sogt: »Da hoste! Butter kah iech d'r net naufschmiern, die ho iech net.«

Und gierig langt er zu. Sie ober is fruh, aß er wos ze ta hot, brauchet se doch net mit ihn zu sproong bis der Vurstand kam.

Ball is der denn ȧȧ do und fregt ne Loriam aus. »Ah, der schiene Vetter biste!« sogt er, wie der Dinkerts gesagt hatt, wer er wär. »Schämste diech denn net? Ȧ Bauerschgung und su verkumme und verlumpert!«

»Ach, immer machen se miech orntlich schlecht, iech ho's net beßer verdient, iech alter Lumpes, der iech bie! Ach, iech wȧß ȧȧ net, wie iech su neikumme bie! Doch 's is nu ȧȧ alles eechahl, 's is ball alle, iech spürsch. Wenn iech ner net ne guten Lottel do ihr ganz bissel Leem miet verdorm und versaut hätt! Ach, iech bie orntlich derschrocken, wie m'r'sch itze de Leit derziehlt ham, wie traurig ihrsch dergange is mantweeng! Iech bie in aller Welt rümgestromert und ho m'r in mȧn'n gottstreefling Leichtsinn net überlegt, wos fer schwere Sünd iech dohierte af miech geloden ho.« Und nu derziehlt er, wies mit der Geldmauserei war dozemol. Und der Vurstand schlägt de Händ übern Kopf z'samm, wie er'n Z'sammhang derfährt, und schaut ȧȧmol üms annere mit Bedauerns 's arme Lottel ah. Dös ober stieht dorte kȧrzegerod und ihre Ȧȧng strahln orntlich ver Frȧȧd, wie ihre Uschuld itze an ne Tog kimmt.

Af ȧȧmol verfärbt siech der Kerl wieder und rafft noong'e Oten und kriegt de Hust, und af ȧȧmol quellt ihn ȧ Blutstrom zen Maul raus, aßs Lottel ganz entsetzt nauslȧȧft und de Nachberschfrȧȧ zehilf hult. Der Vurstand hält derweile ne Dinkerts fest, aß er net vun’ Stuhl rohfällt, und fregt’n, aß er epper noong'e Pfarrner schicken sött. Der Lumpes nappt mit ne Kopf und der Vurstand sogt zen Lottel, wie die mit der Nachberschfrȧȧ wieder nei der Stum kimmt, se sött doch recht fix ne Paster huln. Und derweile die nu lȧȧft, bett' der Vurstand mit der Nachbere ne Kerl hie ’s alte wacklete Kannepee. Wie tut leit er dorte, wie der Pfarrner kimmt. Er kimmt ober noch amol zer Besinning und beicht’ und wiederhult ȧȧ geeng ne Pfarrner sei Geständnis vun ne Diebstohl und kriegt's heilige Omdmohl und haucht mit ȧn'n letzten Blick voller Dank und zegleich voller Mitlaad afs arme Lottel sei sündige Seel aus, noch eh der Pfarrner und der Vurstand wieder fortgenne.

Der Vurstand sorgt nu fersch Begreebnis, de Leich kimmt derweile nei de Leinghall und werd ne dritten Tog begroom.

Der Vurstand macht vun der ganzen Sach Ahzeig drinne'n Amt, und in ’er dodraufhie ahgesetzten Gerichtsverhannling werd unner Lottel amtlich vun den ihr vur dreißig Gahrne aufgebündelten Diebstohl freigesprochen.

Vun dere Zeit ah is unner Lottel mit huhchgehuhme Kopf und mit strahleten Ȧȧngen in’ Dorf rümgange. Net lang mehr, denn de letzten Aufreginge hatten ihre scha schwache, zermürbte Natur doch recht sehr mietgenumme. Mit friedling, benah lacheten Gesicht hot se nooch ȧȧning Wochen amol früh de Nachberschfrȧȧ tut in ihrn Bett gefunne, wie se nüber gange war und ihr wos neis fix halt derziehln wölln. 's ganze Dorf is miet ze Grob gange und der Pfarrner hot ȧ Red gehalten – ach! wür sche gestrahlt ham, wenn se se hätt miet ahhärn könne!

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