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18. Kapitel.

Den nächsten Tag, mit dem Glockenschlage sechs Uhr, fand sich Amadini bei Judith ein. Das Kammermädchen öffnete ihm. Nachdem sie erst ihre Herrin verleugnet hatte, fragte sie:

»Ist der Herr vielleicht Herr Baron, den die gnädige Frau erwartet?«

»Gewiß. Um sechs Uhr. Der bin ich.«

»Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Ich wußte es nicht … Ich bitte den Herrn Baron, nur näher zu treten. Die gnädige Frau wird sofort erscheinen. Es ist momentan jemand bei ihr.«

Ueber eine halbe Stunde verweilte er allein im Salon, in dem er ruhelos auf und ab ging. Manchmal stellte er sich vor die eine Tür, die ins Nebenzimmer ging und mit zwei Portieren verhängt war, als wollte er mit seinem Blick die Vorhänge und das Getäfel durchbohren, um zu sehen, was sie tat und wer bei ihr war.

Inzwischen saß Judith nebenan – vollkommen allein, vor sich ein Tischchen, auf dem eine Unmenge von Schachteln, Fläschchen und verschiedenen Scheren standen und lagen, damit beschäftigt, ihre Nägel zu polieren und ihre Haut zu pflegen.

Sie ließ Amadini absichtlich warten; er sollte nervös und erregt, seine Eifersucht gesteigert werden, um so rasch wie möglich das ersehnte Ziel zu erreichen.

Als er schon gute Lust hatte, die Tür einzurennen, hörte er das Geräusch einer sich öffnenden und wieder schließenden Türe; die Portieren wurden hochgehoben und Judith erschien.

»Ich bitte Sie tausendmal um Verzeihung, liebster Baron, daß ich Sie so lange warten ließ. Aber ich konnte den Besuch nicht los werden. Auch müssen Sie verzeihen, daß ich in diesem Negligee erscheine; ich hatte aber seit heute in der Frühe keinen Augenblick Zeit, mich umzuziehen. Ich muß mich wirklich schämen, zu dieser späten Stunde in einer solchen Toilette zu erscheinen.«

»Entzückend sehen Sie aus,« seufzte Amadini und verschlang Judith ordentlich mit seinen Augen. Nun war er doch wenigstens in ihrer Nähe.

»Kommen Sie, machen Sie es sich hier erst recht gemütlich,« forderte sie ihn auf und ging in das Toilettenzimmer nebenan.

Er folgte ihren Schritten und konnte sich nicht sattsehen an ihrer entzückenden Gestalt und den wundervollen Formen ihres Körpers. Im Toilettenzimmer, das sie absichtlich in einer geschickten Unordnung gelassen, packte ihn von neuem die Eifersucht.

»Sie sind also mit ihm hier gewesen, indes ich wie ein Narr gewartet habe?« fragte er.

»Wen meinen Sie unter ihm?«

»Egon Kleinthal.«

»Natürlich. Mit wem sollte ich sonst hier gewesen sein? Ich kenne ja nicht so viele Menschen. Und gerade Sie werden es mir wohl nicht zum Vorwurf machen, daß ich ihn empfange, denke ich, da Sie es ja selbst gewollt und mich dazu gezwungen haben.«

»Oh, ich gewiß nicht.«

»Verzeihung: der Graf und Ihre Frau – das ist soviel wie Sie,« bemerkte sie mit einem entzückenden Lächeln, um eine Gelegenheit zu haben, ihre üppigen Lippen zu öffnen und ihre herrlichen Zähne zu zeigen.

»Na, gestehen Sie es nur ehrlich, daß Sie nicht gerade unglücklich über die Besuche dieses Kleinthal sind,« warf er ihr fast bitter vor.

Sie lachte und zuckte die Achseln, wobei ihr der dünne Seidenstoff von den Schultern glitt. »Gott, wie schlecht kennen Sie doch uns Frauen! Was mich so junge Leute interessieren! Diese Egoisten! Männer, die ein gewisses Alter erreicht haben, sind ganz anders, viel selbstloser. Sie geben sich Mühe, uns zu gefallen. Sie denken mehr an uns, als an sich selbst. Sie haben auch weit mehr Erfahrung.«

»Oh, wie recht haben Sie, Judith!« rief Amadini erhitzt, seinen Stuhl näher an den ihrigen rückend. »Wenn Sie aber so denken, weshalb haben Sie mich seit so langer Zeit leiden lassen? Ihre Befürchtungen wegen Anastasia können doch wirklich keine ernsthaften sein. Wenn man seine Vorsichtsmaßregeln trifft …«

»Das stimmt ja; das heißt, wenn Sie fest entschlossen wären, mir treu zu sein – –«

»Ich würde eine kleine, geheime Wohnung mieten, von der niemand etwas weiß,« fuhr er fort, indem ihm bei diesem Gedanken alles Blut zu Kopfe stieg.

»Aber weshalb diese Unkosten? Wir haben es hier ja so gemütlich. Wenn wir die nötigen Vorsichtsmaßregeln treffen, dann fürchte ich Anastasia nicht mehr.«

»Nun, und dann?«

»Ach, ich habe schon lange an dies alles gedacht, liebster Baron! Und es hat mir wirklich weh getan, Sie so leiden zu sehen. Denn zum größten Teil verdanke ich doch Ihnen mein jetziges Wohlleben, so schwere Bedingungen auch oft daran geknüpft sind. Sie waren immer zartfühlend mir gegenüber. Und endlich … eigentlich sollte ich es Ihnen nicht sagen … gefielen Sie mir … Sie haben eben für mich etwas Sympathisches an sich … ich würde mich vielleicht schon früher dazu entschlossen haben, wenn …«

»Wenn?«

»Nun ja. Sie haben mir da einen Streich gespielt, den eine Frau nicht so leicht vergibt.«

»Was habe ich denn getan?« fragte Amadini atemlos, der immer dichter an ihre Seite rückte.

»Wie,« rief sie, »begreifen Sie denn wirklich nicht, daß Sie mir gegenüber unrecht gehandelt haben?«

»Aber ich weiß wirklich nicht … ich schwöre es Ihnen.«

»Ich rede von meinen Diamanten. Ich denke, ich habe mich bereits genug kompromittiert und mich der Gefahr gerade genug ausgesetzt, als daß ich nicht das Recht hätte, dieselben zu tragen. Bereits seit einem Jahre trug ich diesen wundervollen Schmuck. Ich war schon so sehr daran gewöhnt. Sie werden doch nicht etwa behaupten wollen, daß sie meinen Hals, meine Schultern und meine Arme nicht gut kleideten?«

»Oh, Juwelen haben Sie wahrhaftig nicht nötig …«

»Ja, ja, ich weiß. Ich habe diese banale Schmeichelei von Ihnen erwartet. Nichtsdestoweniger erhöhen schöne Diamanten das Leuchten der Haut und verleihen ihr einen eigentümlichen Schimmer. Diese Garnitur hatte ja bereits mir gehört; ich durfte sie doch unbeanstandet tragen. Da bekomme ich eines Tages den Auftrag, Egon Kleinthal zu bewegen, den Schmuck ins Leihamt zu tragen. Ich gehorche natürlich, allerdings in der festen Ueberzeugung, daß ich in Kürze meine Garnitur wieder zurückerhalten würde und bin meiner Sache um so gewisser, als Ihre Gemahlin den Pfandschein mit sich nahm, in der Absicht, ihn einzulösen … Doch statt dessen verschließt sie den Schmuck in Ihrer Kassette. – Wenn Sie dies etwa nett finden?«

Sie glitt so nahe wie möglich an ihn heran und wiederholte mit einem entzückenden Lächeln:

»Sagen Sie selbst, war das nett von Ihnen?«

Sie war in diesem Augenblicke so verführerisch und hinreißend, daß er sie am liebsten sofort in seine Arme geschlossen hätte. Sie erriet aber seine Absichten und entschlüpfte ihm mit einer geschmeidigen Bewegung.

»Nein, nein! Wir haben nichts Gemeinsames miteinander,« sagte sie kokett schmollend, sich weich in die Kissen des Diwans lehnend. »Sie erhalten kein gutes Wort mehr von mir, ehe ich nicht meine Diamanten wiederhabe. Es handelt sich für mich wirklich viel weniger um den Schmuck selbst. Aber Euer Vorgehen ärgert mich. Ich will nicht, daß man mir gegenüber so jede und alle Rücksicht beiseite läßt. Und wenn Sie mich wirklich so lieben, wie Sie sagen, dann müssen Sie mich bei Ihren Freunden ein wenig in Schutz nehmen … Nur der Gedanke daran macht mich schon wütend. Und Sie? Sie sind nicht um ein Haar besser als die andern. Und ich weiß wirklich nicht, warum ich Sie empfange. Nun bitte ich Sie gehen Sie. Ihre Nähe macht mich nervös. Ich mag Sie heute nicht länger um mich haben. Ich mag nicht.«

Sie erhob sich – wie ein launisches Kind – und ging in das Nebenzimmer.

»Judith, hören Sie doch!« rief er und folgte ihr auf dem Fuße.

Sie tat aber so, als wollte sie vor ihm fliehen. Schließlich ließ sie sich aber doch bei den Händen nehmen und festhalten. Da sie versuchte, ihn von sich abzuwehren, und dabei den Kopf und den Oberkörper zurückwarf, brachte sie ihre Formen nur noch mehr zur Geltung, was ihn gänzlich um die Besinnung brachte.

»Judith – Weib, flieh' mich nicht, ich flehe dich an! Du hast ja wegen der Diamanten ganz recht. Ich werde die Geschichte mit Anastasia wieder in Ordnung bringen.«

»Mit Anastasia! Sind Sie wahnsinnig geworden? Wenn Sie das tun, bin ich schon sicher, daß ich den Schmuck niemals wiedersehen werde. Sobald sie merkt, daß Sie sich auch nur irgendwie mit meiner Person beschäftigen oder mir gar eine Gefälligkeit erweisen wollen, dann wird sie uns nur noch mehr überwachen und jede weitere Zusammenkunft unmöglich machen.«

»Ja, was soll ich denn tun? Anastasia hat nun doch einmal in dieser Sache etwas mitzureden. Ich setze den Fall: Ich gebe Ihnen den Schmuck zurück und Sie tragen ihn dann – dann wird sie ja sofort sehen –«

»Darüber brauchen Sie sich nicht zu sorgen; ich gebe Ihnen das Versprechen, den Schmuck nicht zu tragen. Kein Mensch soll etwas davon erfahren …« Sie unterbrach sich plötzlich und dachte nach: »Nein, das kann ich nicht versprechen. Dazu bin ich doch zu sehr Weib. Dieser Versuchung könnte keine Frau widerstehen.«

»Sehen Sie?«

»Nein, nein. Sie verstehen mich nicht.«

Sie ging auf ihn zu, tauchte ihre Augen tief in die seinigen und flüsterte in vortrefflich gespielter Komödie ihm heiß und innig zu:

»Ich werde sie anlegen; aber nur für Sie allein! Hier in diesem Boudoir. Ich werde, um Sie zu erwarten, meine glänzendste Balltoilette anziehen. Die, die Sie lieben. Die schwarze, Sie kennen Sie ja. Und dann bringen Sie mir den Schmuck und werden ihn mir selbst anlegen. Die Armbänder meinen Armen, das Kollier meinem Nacken … Würden Sie das tun? Und gerne tun?«

»Und wann? Wann? Wann?« fragte er, gänzlich außer sich.

»Wann Sie wollen. Morgen.«

»Warum nicht schon heute abend?«

»Heute? Unmöglich. Ich habe Ihretwegen Egon Kleinthal weggeschickt – Sie verstehen –, aber ich habe ihm dafür versprechen müssen, mit ihm zusammen den Abend zu verbringen.«

»Immer dieser verfluchte Kleinthal!«

»Befreien Sie mich doch von diesem Gimpel. Ich verlange ja nichts Besseres. Aber vor allem müssen Sie Ihren Fehler wieder gut machen. Es hängt bloß von Ihnen ab, wann die Garnitur wieder in meinem Besitz ist.«

»Von mir, sagst du? Sage lieber, daß ich dich bis zum Wahnsinn liebe, und daß ich nicht imstande bin, dir etwas abzuschlagen.«

»Und zu um so größerem Dank werden Sie mich verpflichten. Jetzt aber gehen Sie. Morgen um zehn Uhr abends erwarte ich Sie. Ich werde trachten, mich für Sie so schön, als ich es nur kann, zu machen.«

Da sie bereits die Tür geöffnet hatte, und nun eine große Intimität seinerseits nicht mehr zu befürchten brauchte, legte sie ihren Arm in den seinigen und geleitete ihn zur Entreetür.

Inzwischen hatte sich Egon nach Potsdam begeben, um von Laura Pernel Näheres über die Beziehungen zu Anastasia zu erfahren. Aus verschiedenen Korrespondenzen mit Laura, die er in Judiths Schreibtisch gefunden hatte, hatte er ersehen, daß sie jedenfalls etwas über Anastasia wissen mußte, da sie sonst von dieser nicht in so kategorischem, beinahe drohendem Tone hätte Geld verlangen können. Aus den Briefen hatte er auch erfahren, daß Rudolf im vorigen Sommer bei ihr gewohnt hatte.

Es wurde ihm nicht schwer, die kleine Villa der inzwischen verheirateten Laura zu finden. Er traf sie im Garten an und wurde von ihr, die glaubte, es mit einem, der die Villa mieten wollte, zu tun zu haben, äußerst liebenswürdig empfangen.

»Verzeihen Sie, gnädige Frau, ich weiß nicht, ob Sie mich wiedererkennen. Ich hatte im vorigen Jahre meinen Freund Melmström hier öfters besucht.«

»Ja, ja, mein Herr, ganz recht, ich erinnere mich,« erwiderte Laura, die nicht so unhöflich sein wollte, zu gestehen, daß ihr Egon vollkommen fremd war.

»Also folgender Grund führt mich heute zu Ihnen. Mein Freund hat sich vor ganz kurzer Zeit verheiratet. Sie wissen es vielleicht.«

»Jawohl, ich habe es in der Zeitung gelesen.«

»Gleich nach der Hochzeit ist er mit seiner jungen Frau verreist. Sie hatten ursprünglich die Absicht, den ganzen Sommer wegzubleiben, aber plötzlich kam ihnen wieder die Sehnsucht, dahin zurückzukehren, wo sie sich erst genauer kennen und lieben gelernt haben.«

Laura fand diese Idee ganz reizend, namentlich, weil sie die Aussicht hatte, ihr Landhäuschen zu einem guten Preise zu vermieten. Sie bot ihm mit großem Entgegenkommen an, die Zimmer ganz neu tapezieren zu lassen, wenn man ihr so viel Zeit ließe.

»Sie haben hier doch noch andere Villen?« fragte Egon.

»Jawohl; die Villa nebenan gehört auch uns.«

»Nun schön. Ihre Häuser sind ja die reinen Miniaturvillen. Aber entzückend! Mein Freund wird sie beide mieten: die eine für sich und seine Frau, die andere für seine Gäste. Denn er erwartet ziemlich viel Besuch. Er hat mir den Auftrag gegeben, auf jeden Preis einzugehen, den Sie dafür verlangen. Ich hätte dies alles schon auf schriftlichem Wege erledigt, wenn mir gestern nicht etwas recht Peinliches begegnet wäre.«

»Und das wäre?« Laura sah ihn gespannt und verwundert an.

»Versprechen Sie mir, offen und ehrlich zu antworten?«

»Gewiß. Warum sollte ich nicht?«

»Es ist nur, weil die Fragen, die ich Ihnen zu stellen habe, etwas indiskret, vielleicht sogar etwas verletzend erscheinen könnten. Aber Sie werden mir trotzdem vielleicht Dank wissen, daß ich sie Ihnen unterbreite. Das bleibt dann unter uns, unter vier Augen. Außerdem müssen Sie auch bedenken, daß es sich um meinen intimsten Freund handelt. Wäre er Junggeselle, Gott, dann würde ich darauf keinen solchen Wert legen. Er ist aber jetzt verheiratet und …«

»Ich verstehe Sie wirklich nicht. – Bitte, reden Sie ganz offen.«

»Nun denn: es wird behauptet, daß Sie vor Ihrer Verheiratung, vor vielen Jahren allerdings, ein etwas sehr – bewegtes Leben geführt haben, und zwar so bewegt, daß sich sogar die Polizei hineinmengen mußte.«

»Ich? Wer hat das gesagt?« Die junge Frau wurde dunkelrot vor Empörung und atmete heftig.

»Waren Sie nicht eine Zeitlang Verkäuferin?«

»Jawohl. Aber nur ganz kurze Zeit. Wer aber kann Ihnen das gesagt haben? Nur eine einzige Person weiß davon, und die würde es nicht wagen … Schließlich, die ist zu allem fähig. Sie glaubt sich jetzt in Sicherheit … und dann wird Sie Ihnen wohl das Versprechen abgenommen haben, nicht darüber zu sprechen.«

»Allerdings, denn ohne dieses Versprechen hätte ich Ihnen bereits ihren Namen genannt.«

»Und Sie werden ihn mir doch noch nennen! Es ist mein gutes Recht, die Person zu kennen, die mich verleumdet. Ich appelliere deshalb an Ihr Rechtsgefühl – – –« stieß Laura immer erregter hervor.

»Es tut mir unendlich leid, aber ich habe nun einmal das Versprechen gegeben.«

»Nun dann will ich Ihnen jene Person nennen. Sie heißt, oder vielmehr, sie läßt sich nennen: Anastasia von Keßler-Arolstein!«

Da sie aus Egons Schweigen eine Zustimmung zu erkennen glaubte, ließ sie ihrer Empörung und ihrem Haß freien Lauf: »Also sie! … Ah! Sie hat es gewagt! Aber, verzeihen Sie, mein Herr, woher kennen Sie diese Frau? Sie verkehren wohl bei ihr? Sie besuchen ihre Gesellschaften?«

»Ich habe vielleicht meine Gründe dazu,« erwiderte Egon, und sah ihr bedeutungsvoll in die Augen.

»Ihre Gründe? … Ach so! … Die Angelegenheit Ihres intimsten Freundes?! Allerdings interessieren die uns. Jetzt verstehe ich und begreife ich auch, warum mich Anastasia bei Ihnen schlecht machen wollte,« lachte sie voll Haß. »Was also hat sie Ihnen über mich gesagt?«

»Sehr einfach: Als ich letzthin von meiner Absicht sprach, einen Teil des Sommers bei meinem Freunde in Potsdam zu verbringen, begann sie, über die Gegend loszuziehen und behauptete, daß ich auch nicht eine anständig eingerichtete Villa finden würde. Ich antwortete ihr, daß ich im Gegenteil sehr nette Villen kenne, die äußerst sauber instand sind und einer gewissen Laura Pernel gehörten. »Oh,« rief sie aus, »hüten Sie sich vor dieser Person, die soll nicht viel taugen. Sie können ihre ganze Biographie auf dem Polizeipräsidium lesen.«

»Meine Biographie? Ah, die Canaille!« rief Laura in heller Wut. »Was! Aus Angst, daß Sie hierher kommen und mich kennen lernen könnten, – aus Angst, daß ich Ihnen die Wahrheit über sie sagen könnte, versucht sie es. Sie dadurch abzuschrecken, daß sie Ihnen die gemeinsten Sachen über mich vorerzählt! Nun gut! Wie du mir, so ich dir! Nun fühle ich mich auch zu nichts mehr verpflichtet! … Redet sie, brauche ich auch nicht mehr zu schweigen … Und wie wird Ihr Freund, Herr Melmström, triumphieren, wenn er das von mir erfährt! Mag er dann die Villa mieten oder nicht, das ist mir egal, jedenfalls werde ich mich gerächt haben! …«

Und sie enthüllte nun Egon das von Anastasia so teuer erkaufte Geheimnis bis ins kleinste Detail, ohne daß sie sich selbst geschont hätte.

Als Egon mit dem Nachtzuge nach Berlin fuhr, wußte er alles; nun hatte er die Beweise, die Herr von Wesenthal von ihm verlangt hatte. Es erschien ihm zu spät, noch in dieser Nacht Rudolfs Schwiegervater aus dem Schlafe zu wecken. Auch trieb ihn die Sehnsucht zu Judith zurück, von der er erfahren mußte, was sie bei Amadini erreicht hatte.

Jubelnd flog sie in seine Arme und berichtete ihm, was inzwischen vorgefallen war und welchen unsagbaren Ekel sie überwinden mußte, die Komödie mit Amadini durchzuführen. So gerne sie auch den Abend allein verbracht hätten, hielten sie es doch für geraten, bei Anastasia zu erscheinen, um bei ihr kein Mißtrauen wachzurufen.

Amadini wollten diese vierundzwanzig Stunden, in denen er sich zwang, zu seiner Frau besonders liebenswürdig zu sein, nicht vergehen. Er zählte die Viertelstunden – die Minuten. Endlich – endlich schlug die Uhr die ersehnte Stunde!

Eben waren Judith und Egon mit ihren Vorbereitungen, den Verbrecher zu entlarven, fertig geworden, als Amadini klingelte.

Egon versteckte sich rasch in einem kleinen Durchgangszimmer, das das Toilettenzimmer von dem Schlafzimmer trennte, und aus welchem dunklen, türenlosen Versteck er alles sehen und hören konnte, ohne selbst gesehen zu werden.

Als Amadini das hellerleuchtete Boudoir betrat, wurde er daselbst von Judith in großer Toilette, wie sie es ihm versprochen hatte, empfangen. Weder Hals, noch Schultern, noch Arme wiesen auch nur den geringsten Schmuck auf. Als wartete ihre Alabasterhaut, durch ihn und von seiner Hand geschmückt zu werden.

Er verstand ihre Absicht, zog die Etuis aus der Tasche, öffnete jedes einzelne und schickte sich eben an, ihr den Haarpfeil in das schwarze Haar zu stecken, als sie ihm hochverwundert zurief:

»Das ist ja gar nicht meine Garnitur!«

»Allerdings nicht,« erwiderte Amadini, »aber Sie werden selbst sehen, daß sie ebenso schön ist, wie die andere, wenn nicht noch schöner.«

»Ach, ich verstehe,« lächelte Judith ironisch. »Sie fürchten sich vor Anastasia, und anstatt mir meine Diamanten wiederzugeben, haben Sie einen anderen Schmuck gekauft. Das kann man ja kaum mehr Liebe nennen, Baron, das ist schon Leidenschaft.«

»Jawohl, Leidenschaft!« Dabei – gerade im Begriff, das Kollier um Judiths Nacken zu legen – beugte er sich rasch vor, um ihre Lippen oder bloß ihre Haut mit den seinigen zu berühren, sie jedoch entschlüpfte ihm und rief mit kokettem Lächeln:

»Sie gehen zu weit, lieber Freund! So rasch gewinnt man nicht eine Frau wie mich.« Der Blick, der diese Worte begleitete, war jedoch so vielversprechend, daß sich Amadini den Zwang auferlegte, artig zu sein und zu warten. Er stand vor ihr in so andachtsvoller Verzückung, jede ihrer Bewegungen verfolgend, als ob er vor dem größten Kunstwerk stünde, das man bloß stumm, aber nicht mit Worten bewundert.

Nachdem sie den Schmuck angelegt hatte, zeigte sie sich ihm, sich um ihre eigene Achse graziös drehend. Und lächelnd sprach sie:

»So! nun seh'n Sie mich an! – Nur noch einige Sekunden. Sonst verfliegt der Eindruck. Und nun will ich alles wieder ablegen.«

»Warum wollen Sie mich schon verlassen? Warum gehen Sie?«

»Um mich nebenan, in meinem Schlafzimmer, umzukleiden. Wagen Sie aber ja nicht, mir zu folgen.«

An der Tür angelangt, kehrte sie noch einmal um, um die Strenge ihrer Worte wieder zu verwischen und flüsterte ihm, sich weich und hingebend an ihn schmiegend, leise ins Ohr:

»Glauben Sie denn wirklich, daß ich Ihnen entfliehen will? – Ich lasse die Tür offen, damit Sie mich sehen und hören können!«

»Judith!« Außer sich – wollte er sie an sich reißen. Doch wie ein lichtes Zauberbild entschwebte sie ihm, den finsteren Zwischenraum durcheilend, um in dem taghell erleuchteten Schlafzimmer in eine Flut von Licht zu tauchen.

Zehn Minuten vergingen, ohne daß sie wieder erschien, – ohne daß er sie sah, oder irgendein Geräusch von ihr vernahm. Er rief dreimal ihren Namen in das Nebenzimmer, ohne eine Antwort zu erhalten. Sollte sie ihm etwa entwischt sein, jetzt, da sie den Schmuck von ihm wieder hatte? Sinnlos vor Angst und Leidenschaft stürzte er in das finstere Zwischenzimmer, in dem Egon mit zurückhaltendem Atem lauerte; eben als er die Schlafzimmerschwelle betreten wollte, flog von innen die Tür zu. Amadini stand im Dunkeln, halb rasend an der verschlossenen Tür rüttelnd, während er Judiths glockenhelles Lachen drüben vernahm.

»Judith! Judith!«


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