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4. Kapitel.

In der zweiten Etage jenes Hauses in der Spandauer Straße, das dem Büro Egons gegenüberlag, waren die Fenster strahlend erleuchtet.

Egon Kleinthal wunderte sich im stillen über die vornehme, mit Läufern belegte Treppe, welche man sonst in diesen alten Häusern kaum zu finden pflegte. Ein in schwarze Livree gekleideter Diener führte ihn in ein salonartiges Vorzimmer, das eine antike Ampel erleuchtete. Nachdem er ihm in tadellos korrekter Weise den Mantel abgenommen hatte, hob er eine Portiere, um den Besuch in einen großen, kuppelförmig überwölbten Salon zu führen. Es waren schon ziemlich viel Gäste im Salon. Einige sehr schöne Frauen, sämtlich in Balltoilette – nur wenige in geschlossenen Kleidern, die Herren in Frack oder Smoking. Man saß oder stand in zwanglosen Gruppen und die Herren gingen von einer zur anderen, bald da, bald dort ein liebenswürdiges Wort wechselnd.

Sobald Egon eingetreten war, erhob sich eine ziemlich stark dekolletierte Dame aus einem tiefen Fauteuil am Kamin, in der er sofort seine Klientin von heute morgen wieder erkannte. Sie eilte ihm geräuschvoll entgegen und begrüßte ihn wie einen alten Freund.

»Sie sind doch ein Mann von Wort!« rief sie, ihm die Hand entgegenstreckend, »ich danke Ihnen. Gestatten Sie, daß ich Sie vorstelle.«

Sie nahm seinen Arm und machte mit ihm die Runde durch den Salon, vor jeder einzelnen Dame stehenbleibend, um ihm deren Namen zu nennen, den sie dann mit einem Wust gänzlich überflüssiger Details begleitete.

Egon suchte sich von jedem einzelnen eine persönliche Meinung zu bilden. Er beobachtete jeden genau und versuchte, die undurchdringliche Maske zu durchleuchten, um zu wissen, was dahinter steckte, was jeder sein und woher er kommen könnte. Namentlich zwei von ihnen erregten sein Interesse; der eine, Graf von Straußberg, konnte beiläufig 50 Jahre alt sein; er war ziemlich klein, mager, ausgetrocknet, jedoch tadellos angezogen. Er schien etwas vor der Zeit gealtert, jedoch seine nervösen Züge verliehen ihm sogar etwas Jugendliches.

Der zweite, ein Herr von Amadini, etwas jünger als der erste, sah immer noch groß und kräftig aus, wenn auch seine blonden Haare bereits anfingen, grau zu werden, und sein farbloser Blick ihm einen müden Ausdruck verlieh. Er ging von einer Frau zur anderen, um sich mit jeder auf eine etwas eigentümliche Art und Weise zu unterhalten, was Frau Stasia höchlichst zu mißfallen schien; sie machte ihm diesbezüglich eine Bemerkung, die er sich anscheinend nicht zu Gemüte nahm. Egon kam es vor, als ob die Hausfrau zu diesem Herrn in ganz besonders intimem Verhältnis stünde.

Anastasia überhäufte ihren neuen Gast mit tausend Aufmerksamkeiten und Liebenswürdigkeiten. Sie reichte ihm eine Tasse Tee nach der anderen, drang ihm förmlich Kuchen und Teegebäck auf und verließ ihn kaum eine Sekunde.

»Nun, wie finden Sie unseren kleinen intimen Kreis? Sie sehen, ich habe Ihnen nicht zu viel gesagt. Sie begegnen hier nur der feinsten Welt und den entzückendsten Frauen. Ich sehe jedoch immer noch nicht mein Juwel, die kostbarste Perle meiner Galerie schöner Frauen. – Ach, da ist sie ja!«

Eine tatsächlich wunderschöne Frau trat soeben in den Salon. Sie war ziemlich groß, von tadelloser, schlanker Gestalt, – ihr Gang hatte etwas hingebend weiches und wiegendes. Ihr Gesicht war durchaus regelmäßig, nur ihre tiefen, blauen Augen schienen trotz eines ungemein liebenswürdigen Lächelns außerordentlich traurig. In ihrem schwarzen Haar funkelte ein großer Solitär, der herrliche Strahlen warf. An den Armen, über den weit hinaufreichenden, anliegenden Handschuhen trug sie einige wertvolle Armbänder.

Langsam, fast schleifenden Ganges und müden Blickes ging sie durch den Salon, ohne auf die ihr von den Herren unterwegs zugeflüsterten Schmeicheleien zu achten, um Frau Stasia zu begrüßen, die sich sofort an ihr Ohr beugte, um ihr leise zuzuflüstern.

Nach einer Stunde schon waren bereits einige Gäste, ohne sich formell zu verabschieden, gegangen. Nur einige Herren hatten sich noch um einen Spieltisch gruppiert, an dem eine Partie ganz hausbackenen Skats geklopft wurde. Alle diese Kleinigkeiten wirkten ganz sonderbar auf Egon und verwirrten ihn.

Er grübelte eben darüber nach, als er Anastasias Stimme an seinem Ohr flüstern hörte:

»Wie finden Sie unsere Judith?«

»Ach, sie heißt Judith?« Er sah, wie verschiedene Paare in einem Nebensalon verschwanden, durch dessen herabgelassene Portieren die Klänge weicher Walzermelodien an sein Ohr drangen.

»Ja, Judith von Rastori, von der ich Ihnen schon heute morgen gesprochen habe. Jüdin von mütterlicher Seite, Katholikin und Italienerin von väterlicher.«

»Und sie ist verheiratet – haben Sie mir gesagt?«

»Ein wenig, ohne darunter allzuviel zu leiden. Tanzen Sie nicht?«

»Furchtbar schlecht.«

»Ach, das ist gewiß nicht wahr. Sie sind zu bescheiden. Frau von Rastori tanzt entzückend. Sie wird Ihnen eine Lektion erteilen. Fordern Sie sie doch auf!«

Egon folgte gern der Aufforderung der Hausfrau, obwohl er sich innerlich über eine gewisse Schüchternheit und Verwirrung ärgerte, die ihn jedesmal überfiel, wenn sich seine Blicke mit denen der schönen Jüdin trafen. Denn jene sonderbare Frau übte auf ihn einen eigentümlichen Zauber aus und schüchterte ihn unwillkürlich ein. Sie nahm seine Aufforderung lächelnd entgegen, als ob sie sie erwartet hätte, und erhob sich gleich aus ihrem Stuhl. Ihren Arm leicht auf seine Schultern legend, entschwebte das Paar inmitten der Tanzenden im Nebensalon. Sobald der Walzer zu Ende war, führte er sie auf ihren Platz zurück. Obwohl sie nichts zueinander gesprochen hatten, fühlte Egon ein gewisses Bedauern, sie verlassen zu müssen. Frau von Rastori schien auch ihn nicht als vollkommen gleichgültigen Tänzer zu betrachten, denn es kam ihm vor, als er sich von ihr verabschiedete, als ob er auf ihren Zügen eine gewisse Bewegtheit entdeckte.

Die Soiree war zu Ende. Mit Ausnahme des Grafen von Straußberg, des Herrn von Amadini und Judith verabschiedeten sich die letzten Gäste von der Hausfrau. Deshalb hielt es auch Kleinthal für angemessen, nachdem er mit seiner Tänzerin einen letzten Blick gewechselt hatte, das gastfreie, sonderbare Haus zu verlassen.

Nachdem sich nun auch Egon entfernt hatte, veränderte sich mit einemmal der Ausdruck in den Gesichtern der zurückbleibenden Personen, als ob jeder von ihnen um einige Jahrzehnte älter würde. Harte, verbissene Züge gruben sich um die Mundwinkel ein, die kurz vorher noch gelächelt hatten.

»Sie können die Kerzen abdrehen,« rief die Arolstein mit schriller Stimme dem Diener zu. »Lassen Sie bloß die Lampe brennen. Sie können auch schlafen gehen, ich brauche Sie nicht mehr.«

Nachdem der Befehl ausgeführt war, verschloß Anastasia vorsichtig sämtliche Türen, da ihre Dienstleute nicht in ihrer Wohnung, sondern vier Treppen hoch wohnten. Sie hing vor die Haustüre die Kette vor und kehrte darauf auf ihren Platz am Kamin zurück, vor dem immer noch ihre Freunde saßen.

»Jetzt sind wir allein,« sprach sie, »kein Mensch wird uns stören und wir können nach Belieben miteinander reden.«

»Wird diese Unterredung lange dauern?« fragte Judith mit unendlich müdem und schmerzlichem Ausdruck.

Da ihr keine Antwort zuteil ward, schickte sie sich an, den Salon zu verlassen, als ihr plötzlich der Graf mit seiner schneidenden, harten, kalten Stimme nachrief: »Gedulde dich noch einen Augenblick, mein Kind, ehe du weggehst.«

Sie blieb kurz stehen und wartete, eine Kerze in der Hand, den Kopf über die Schulter legend und den Grafen mit unsäglicher Verachtung fixierend.

»Wie denkst du über den jungen Mann, der heute zum ersten Mal hier gewesen ist und mit dir getanzt hat?« fragte der Graf.

»Er unterscheidet sich nicht viel von allen übrigen. Er wird wohl nicht viel besser und auch nicht schlechter sein als sie, höchstens, daß er naiver aussieht und sich unbeholfener benimmt.«

»Ganz richtig. Doch diese Unbeholfenheit scheint Ihnen nicht zu mißfallen,« bemerkte Amadini. »Sie haben ihn manchmal mit recht wohlgefälligen Blicken betrachtet, Sie, die Sphinx, die sonst niemand zu bemerken scheint.«

»Dann werde ich ihn eben nicht mehr betrachten, wenn es Ihnen mißfällt. War das alles, was Sie mir zu sagen hatten?«

Als sie sich nun zum zweiten Mal entfernen wollte, war es abermals der Graf, der sie zurückhielt.

»So bleibe doch noch einen Augenblick; du hast es ja heute furchtbar eilig. Wenn du Lust hast, kannst du ja morgen den ganzen Tag schlafen. In deinem Alter kann man noch ganz gut mal eine Nacht opfern. Ich wache seit beinahe 40 Jahren fast jede Nacht und kann nicht behaupten, daß es mir schlecht dabei geht.«

Ohne ihm eine Antwort zu geben, gehorsam wie eine Sklavin, stellte sie den Leuchter auf den Kaminsims und nahm ihren vorigen Platz auf dem Sofa wieder ein.

»Du erklärst uns soeben,« begann der Graf von neuem, »daß du künftighin diesen jungen Mann nicht mehr ansehen wirst. Sage mal, willst du uns uzen? Oder solltest du wirklich so geistesverloren sein, nicht zu verstehen, daß du im Gegenteil an ihn deine zärtlichsten Blicke zu verschwenden hast, daß du ihn so rasch wie möglich in dich verliebt machen und ihn vollkommen in deine Gewalt bringen sollst, so daß er dein willenloses Werkzeug wird?«

»Ihr Werkzeug, wollten Sie wohl sagen.«

»Das kann schon sein, meine Kleine,« kreischte Anastasia dazwischen, die bis dahin geschwiegen hatte. »Unsere Sachen sind unsere Sachen, und du hast dich nicht darein zu mischen.«

»Sie aber mischen sich in die meinen, und dies seit langem schon – vielleicht für immer,« sagte Judith dumpfen Tones und warf mit gequältem Seufzer und geschlossenen Augen den Kopf nach rückwärts.

»Oho? Eine Revolte?« höhnte Straußberg verächtlichen Tones. »Du vergißt anscheinend etwas zu sehr deine Stellung uns gegenüber, und ich will sie dir doch etwas ins Gedächtnis zurückrufen.«

»So sprecht nur ruhig zu,« sagte Judith mit eigentümlichem Ausdruck in der Stimme, ihre schönen großen blauen Augen scharf und stechend auf den Grafen heftend, indes ihr Blick Amadini und Anastasia nur verächtlich streifte.

»Du erinnerst dich wohl,« begann der Graf, »unter welchen Umständen ich dir vor drei Jahren begegnet bin? Du kamst gerade aus Italien, du hattest Vater und Mutter verloren, du warst arm. Was sage ich, arm? Bettlerin. Du wärst auf der Straße verkommen. Du hast niemand in Berlin gehabt, den du kanntest, und bist trotzdem hierher gekommen, um dein Glück zu machen!«

»Jawohl, ich wollte meinen Lebensunterhalt durch ehrliche Arbeit verdienen,« unterbrach ihn Judith mit zuckenden Lippen, da ihr die Tränen in die Augen kamen.

»Schön, aber bei deiner indolenten, trägen Natur, bei deiner Verschwendungssucht hattest du bereits unterwegs die paar tausend Mark verbraucht, die du aus Italien mitgebracht hattest. Derart von allen Mitteln entblößt, ohne jede Empfehlung oder Verbindung, wärst du niemals imstande gewesen, eine passende Stellung zu finden. Ich habe dir eine der schönsten Stellungen verschafft, bei der Herzogin von Wendringham, bei der fast ganz Berlin verkehrt, eine Stellung, die dich unter Umständen bis in die Ehe hätte führen können. Aber kaum, daß du bei ihr eingetreten warst, dank unseren Empfehlungen, in der Eigenschaft als Vorleserin und Lehrerin der italienischen Sprache, stiehlst du ihr die Diamanten.«

»Das ist nicht wahr! Das ist erlogen!« schrie Judith, voll Empörung aufspringend. »Ich wollte sie nicht bestehlen. Ich wollte ihr ihren ganzen Schmuck wiedergeben. Aber der Anblick dieser Brillanten hatte mich verblendet, fasziniert. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, diesen Schmuck für eine einzige Nacht anzulegen, um mich, mit einem so reichen Schmuck bekleidet, auf jenem Ball zu zeigen, zu dem Sie mich hatten einladen lassen – ich weiß heute noch nicht, zu welchem Zweck. Es war nicht recht von mir – ich weiß es –, es war schlecht. Aber immer noch kein Diebstahl.«

»Recht schön und gut, mein Kind,« unterbrach sie Anastasia kalt. »Zum Unglück kam die Herzogin etwas früher von ihrer Reise zurück, früher, als du sie erwartet hattest. Sie hatte den törichten Einfall, ihre Schmucksachen nachzusehen, bemerkte sofort, daß ihre Juwelen fehlten, und hat die Sache sofort der Kriminalpolizei gemeldet, die dich glücklicherweise nicht in deiner Wohnung traf. Du hattest die gute Idee, uns deinen Fehler einzugestehen und dich uns anzuvertrauen, und bloß, weil du manchmal an Gedächtnisschwäche leidest, will ich dich daran erinnern, daß du ohne uns – ohne deine Wohltäter – vermutlich schon im Zuchthause säßest.«

»Jedenfalls hättest du dort ein anderes Leben geführt wie jetzt. Seit der Anzeige der Herzogin hast du nicht einmal mehr von der Polizei reden hören. Wir haben uns nur einige Ratschläge erlaubt. Du hast deinen Familiennamen ändern müssen, der der Herzogin und auf dem Polizeipräsidium nur zu sehr bekannt war, und den Namen einer Frau von Rastori angenommen. Du hast dich für eine verheiratete Ausländerin ausgeben müssen, deren Gatte fortwährend auf diplomatischen Reisen sich befindet. Du hast dich in eine etwas besser ausgestattete Wohnung zurückziehen müssen, eine Wohnung, die viel nobler und eleganter ist als deine frühere, die aber für deine jetzige Stellung besser paßt. Endlich hast du deine Toiletten bei einer unserer ersten Schneiderinnen anfertigen lassen müssen, die imstande war, dich mit einer ganz anderen Hülle zu umkleiden, als du ehedem trugst, und die aus einer kleinen Vorleserin eine große, elegante und exotische Weltdame gemacht hat.«

»Offen gestanden, bist du für diesen Tausch gar nicht zu bemitleiden,« bemerkte Anastasia.

»Somit hast du also weder mir noch Amadini etwas vorzuwerfen,« setzte der Graf seine Rede fort. »Oder hast du dich etwa über deine mütterliche Freundin Anastasia zu beklagen? Hat sie dich je in der Wahl deiner Freundschaften beeinflußt? Daß du für Freundschaften nicht inklinierst, dafür kann doch Anastasia nichts. Wir ließen dir sogar die Freiheit, dir einen Geliebten aus dem Kreise der hier verkehrenden Herren auszusuchen und mit ihm zu tun, was du willst, – zu empfangen, wen du willst.«

»Mit Ausnahme unseres Freundes Amadini, den sie nicht bei sich zu empfangen hat,« fügte Anastasia spitz hinzu. »Ihr braucht gar nicht so zu lächeln. In meinem Alter ist es ganz natürlich, daß man gegen ein so junges Ding wie Judith seine Vorsichtsmaßregeln ergreift, und daß ich das zu behalten wünsche, was ich seit zwanzig Jahren mein Eigen nenne: meinen Gatten. Nicht wahr, Ernst?«

»Aber natürlich, Liebling,« erwiderte Amadini, dessen Züge sich jedesmal etwas verdüsterten, wenn ihm seine zwanzigjährige Ehe mit Anastasia vorgehalten wurde.

Der Graf ergriff neuerdings das Wort, sich abermals an Judith wendend:

»Was haben wir als Gegendienst von dir verlangt? Als du damals die Stellung bei der Herzogin angenommen hast, solltest du uns nur ein bißchen erzählen, wie sie zu leben pflegt, – und genau aufpassen, wann und wohin sie ging, wann sie ausging, mit wem sie verkehrte, mit einem Wort, uns die ganzen großen und kleinen Geheimnisse ihres Lebens mitteilen. Es hat uns interessiert, zu wissen, wie sie mit ihrem Manne stand, wen sie empfing, und ob unter denen, die sie besuchten, vielleicht einer war, den sie häufiger empfing als die anderen.«

»Ganz recht, ihr habt aus mir eben einen Spürhund gemacht,« schrie Judith wie in wildem, verzweifelten Weh auf, »um auf Grund meiner Erfahrungen schamlose Erpressungen –«

»Deine Worte und deine ganze Haltung beweisen wieder einmal zur Genüge, daß du dir eigentlich über die ganze Sachlage nicht ganz klar bist. Hat man einmal eine Anzeige offiziell gemacht, so kann man sie nicht wieder nach Belieben zurückziehen und muß die ganze Sache ihren Lauf nehmen. Die Herzogin hat bloß, dank ihrem großen Einfluß, bewirkt, daß die Behörden bei den Nachforschungen nicht zu viel Eifer an den Tag legten, und daß man die Sache nach und nach hat einschlafen lassen. Es bedarf aber bloß eines Wortes, um sie wieder aufzufrischen und zu bewirken, daß man sich oben von neuem mit dieser Sache beschäftigt. Und du kannst sicher sein, daß dich die Geheimpolizei trotz deiner Namensänderung, trotz deiner veränderten Toiletten und Lebensgewohnheiten in ganz kurzer Zeit erkennen und – dann natürlich – verhaften würde. Und wenn wir die Herzogin nicht selber in Händen hätten, so würde sie das bewußte Stichwort sicher aussprechen. Sie würde sich gewiß herzlich freuen, sich für den zweifachen Verrat, den man an ihr begangen, zu rächen, und ihren Diamantschmuck wiederzusehen, den du immer noch in Händen hast.«

»Ich habe ihn zurückgeben wollen,« rief Judith, »ihr aber habt mich daran gehindert.«

»Natürlich! Hättest du ihn gleich wieder zurückgegeben, so würde man doch deine Spur gefunden haben, und du wärst jedenfalls nicht die, die du heute bist. Du siehst, wir spielen jetzt mit offenen Karten. Du hast dich aber schließlich in den Glauben hineingeredet, daß die Diamanten wirklich dir gehörten. Du legst sie bei jeder Gelegenheit an, – eben heute wieder die Agraffe, die in deinem Haar funkelt, und die Armbänder hier an deinen tadellosen Handschuhen; beide gehören zu der Kollektion der gestohlenen Wertobjekte; wenn du vielleicht in einer Anwandlung von Gewissensbissen oder in einer vagen Hoffnung, uns zu entgehen, auf den Gedanken kommen solltest, ihr den Schmuck zurückzuerstatten, so wäre dies heute schon etwas zu spät, denn die Herzogin würde es sich nicht einen Augenblick überlegen, dich verhaften zu lassen. Du hast mich doch gut verstanden? Also reden wir nicht mehr davon. Nun kannst du schlafen gehen. Verzeihung, daß ich dich so lange aufgehalten habe.« Mit einer tadellosen Verbeugung entließ er sie.


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