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8. Kapitel.

In zwei bequemen Lehnstühlen vor dem Kamin sitzend, plauderten Rudolf Melmström und Egon Kleinthal, nachdem sie eben vom Mittagstisch aufgestanden waren.

»Ach, reiche mir doch eine Zigarre.«

»Da hast du die Schachtel.«

Egon nickte. »Ja. Meinst du nicht, du hast nun lange genug geschwiegen und gewartet und ich möchte endlich mal beiläufig wissen, was ich tue, was ich zu tun gedenke und wie ich über die ganze Sachlage augenblicklich urteile.«

»Sehr richtig.«

»Also, offen gestanden, mein guter Rudolf,« gestand Egon, den Duft seiner Zigarre sich zufächelnd, »ich habe bis jetzt beinahe noch gar nichts getan. Um so mehr habe ich darüber nachgedacht, wie ich mir die Geschichte zurechtlegen will. Je öfter ich also zu jener Megäre gehe, die sich Anastasia von Keßler-Arolstein nennt, um so mehr bin ich der Ueberzeugung, daß ich mich endlich in dem richtigen Milieu befinde, in dem du mich sehen willst – inmitten von kompromittierenden und kompromittierten Frauen.«

»Studierst du aber auch die dort verkehrenden Männer?« lachte Rudolf, mit dem Finger drohend.

»Das versteht sich von selbst. Und am meisten problematisch erscheint mir allerdings ein gewisser Graf von Straußberg, dessen Leben mir nicht sehr reinlich erscheint, ohne daß ich mich auf irgendeine Tatsache stützen könnte, die ein schlechtes Licht auf ihn würfe.«

»Warum also zweifelst du an ihm?«

»Weil er, trotzdem er sich Mühe gibt, nichts zu verraten, mir mit dieser Anastasia zu intim zu sein scheint. Genau so wenig sympathisch ist mir der Herr von Amadini, bei dem mir in seinem farblosen Blick etwas nicht recht gefällt. Aber wie gesagt, die Frau beschäftigt mich – in Hinsicht auf deine Angelegenheit – mehr als alle ihre Gäste. Ich habe das instinktive Detektiv-Gefühl, noch etwas durch sie zu entdecken. Auch die ganze Art und Weise, mich einzuladen, mir bei ihr alle möglichen Avancen zu machen.«

»Du gefällst ihr vielleicht.«

»Gräßlich! Um Gottes willen, laß solche Scherze. Da kann einem ja dabei übel werden. Außerdem hat sie für den einen dieser bewußten beiden Herren eine ganz schwärmerische Anhänglichkeit, und dieser Beglückte ist ausnahmsweise ihr Gatte, Herr von Amadini. Und wenn ich ihr irgendeine tiefere Neigung eingeflößt hätte, so hätte sie mich nicht so eifrig mit einer sehr schönen Person bekannt gemacht, anscheinend mit der Absicht, daß wir uns einander näher treten sollten.«

»Und wie heißt diese schöne Person, von der du sprichst?«

»Judith von Rastori, eine bildhübsche Jüdin, halb Italienerin, halb Berlinerin. Unwillkürlich hatten seine Augen einen glänzenderen Ausdruck angenommen und zeigte seine Stirne ein leises Erröten.

»Teufel, Junge, wie du das sagst! Solltest du vielleicht Feuer gefangen haben?«

»Nein, nein; anfangs war mir selber so, als ob – Aber das ist schon vorbei.«

»Du fühlst dich also ganz sicher vor ihr?«

»Vollkommen, lieber Rudolf. Ich bin wohl imstande, sie hübsch zu finden, ihr auch, wenn es darauf ankommt, den Hof zu machen, jedoch unfähig, eine ernsthafte Neigung für sie zu fassen.«

»Und was ist denn eigentlich diese Judith?«

»Ja, wer das wüßte!«

»Du hast also keine Ahnung?«

»Doch!«

»Na, und?«

»Ich vermute, daß diese Anastasia ihre Kassiererin und ihr Bankier ist. Vielleicht ist Judith ihr Mündel oder so was.«

»Was läßt dich das vermuten?«

»Ein kleines Paket mit Banknoten, das eines Abends aus dem enormen Mieder Anastasias in das schlanke Mieder der schönen Judith wanderte, im Augenblick des Verabschiedens.«

»Sollte Anastasia nicht einfach die Schönheit dieser Jüdin ausbeuten?«

»Nein, ich habe es auch anfangs geglaubt und dann einige Besucher so nebenbei nach den Gewohnheiten dieses Hauses gefragt. Anastasia ist nicht das, was du denkst. Mit derlei Sachen gibt sie sich nicht ab. Judith scheint ihr ernstere Dienste geleistet zu haben.«

»Fürchtest du nicht, dich in einen zu engen Zirkel zu verrennen, wenn du herauszubekommen suchst, welcher Natur die Beziehungen jener Anastasia zu Judith sein könnten?«

»Nein, lieber Freund, das fürchte ich nicht. Wenn auch der Zirkel für den Augenblick, wie ich dir gern zugebe, etwas begrenzt ist, wird er sich ganz entschieden vergrößern und vielleicht dermaleinst jene Persönlichkeiten in sich schließen, die wir suchen.«

»Du glaubst also?«

»Jawohl, wir sind inmitten ihrer Welt, in ihrem Quartier, inmitten ihrer geheimnisvollen Lebensweise. Auf alle Fälle werde ich nichts unterlassen, um zum Ziele zu gelangen.«

»Davon bin ich fest überzeugt, mein guter, lieber Junge.«

»Ich verlasse dich jetzt und gehe zu ihr.«

»Ich werde anspannen und dich hinfahren lassen.«

»Wirst du wohl! Was denkst du, wenn man mich aus deinem Wagen steigen sehen würde? Man muß dort vollkommen in Unwissenheit bleiben, daß ich dich kenne. In dieser Beziehung sehe ich mich kolossal vor. Klugerweise haben wir immer nur im engen Familienkreise miteinander verkehrt und uns im großen und ganzen wenig gemeinsam in der Oeffentlichkeit gezeigt. Also addio für heute. Dank für die Einladung. Ich gehe lieber zu Fuß.«

»Wieviel Mühe du dir gibst! Du bist doch ein goldiger Mensch!«

»Aber durchaus nicht! Judith ist bildschön, und schon der Mühe wert, daß man einmal zu Fuß hinläuft.«


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