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12. Kapitel.

Als die Pernel, von Amadini in das schon halbdunkle Rauchzimmer geführt, Anastasia und den Grafen Straußberg erblickte, trat sie impulsiv einen Schritt zurück. Doch sie faßte sich augenblicklich wieder, schritt rasch durch das Zimmer und eilte an das auf die Straße führende Fenster, neben dem sie in ziemlich stolzer Haltung stehenblieb.

Laura Pernel machte mit ihren intelligenten Zügen, ihrer schlanken Gestalt und einfachen, aber vornehmen Kleidung einen ganz angenehmen Eindruck.

Straußberg, dem das Manöver Lauras, das Fenster zu erreichen, nicht entgangen war, redete sie in möglichst liebenswürdigem Tone an:

»Wundern Sie sich nicht über meine Gegenwart, mein liebes Fräulein. Ich bin ein langjähriger Freund von Herrn von Amadini. Er hat mich ersucht –«

Laura Pernel blickte einige Sekunden auf den Sprecher und sagte dann mit eigentümlichem Lächeln: »Bemühen Sie sich nicht mit Ausflüchten. Ich kann mir sowohl Ihre Gegenwart als diejenige jener Dame sehr wohl erklären. Sie sind jedenfalls beide viel zu unmittelbar in die ganze Sache verwickelt, als daß Sie dieser Unterredung hätten fernbleiben wollen.« Die Hand auf den Fenstergriff gelegt, wandte sie sich an Straußberg, den sie scharf fixierte. »Ihren Namen freilich kenne ich nicht. Vor vielen Jahren wurde von drei Personen ein Verbrechen begangen. Ich habe bloß den einen der Schuldigen wiedergefunden. Sie müssen einer der beiden anderen sein.«

Vermutlich getäuscht durch eine Bewegung, die der Graf plötzlich und unwillkürlich in seinem ohnmächtigen Aerger machte, rief sie ihm rasch und drohend zu:

»Wenn sich einer von Ihnen mir nähert, wenn ich auch nur die geringste schlechte Absicht ihrerseits vermute, so öffne ich das Fenster und rufe. Einer meiner Freunde steht draußen und läßt die Fenster dieser Wohnung nicht außer acht.«

»Mir scheint, die Person droht uns,« kreischte Anastasia.

»Ganz und gar nicht,« erwiderte Laura mit kühlem Lächeln. »Aber bei Ihnen muß man auf seiner Hut sein. Sie hatten doch auch vor Jahren die Dreistigkeit, mich als Diebin verhaften zu lassen, ohne daß ich Ihnen das Geringste genommen hatte, nur weil mich der anwesende Herr Amadini hübscher gefunden als Sie, und deshalb haben Sie mich, um sich an mir zu rächen, fälschlich denunziert.«

»Ist das Verfahren denn nicht gleich wieder eingestellt worden gegen Sie?«

»Weil mich die Polizei gebraucht hat. Und jetzt, um mich auch meinerseits an Ihnen zu rächen, verlange ich diese fünfzigtausend Mark. Lange Zeit hatte ich alle meine Rachegefühle wieder vergessen gehabt. Ich war in meine Heimat zurückgekehrt.«

Straußberg sah ein, daß er über kurz oder lang Anastasia nicht mehr würde bändigen können. Deshalb schnitt er Lauras gehässigen Ausbruch kurz ab mit der Frage:

»Wollen Sie uns gefälligst mitteilen, liebes Fräulein, ob Sie bei Ihrer Forderung beharren?«

»Gewiß beharre ich dabei. Sie könnten eines Tages von der Bildfläche verschwinden oder ganz einfach sterben und ich finde in diesem Falle das Kapital sicherer als die Rente.«

»Aber wenn Ihnen nun mein Freund Amadini das Kapital auszahlt, – wer garantiert uns für die Zukunft Ihre Diskretion?«

»Ah so!« rief Laura höhnend aus. »Sie taxieren mich wohl ziemlich nach sich selbst! Nein. Ich bin in meiner Art noch eine ziemlich anständige Person. Obwohl die Tat an und für sich, von jemand Geld zu erpressen, das Gemeinste ist, was der Mensch tun kann, mache ich mir doch bei euch kein Gewissen daraus, euch um fünfzigtausend Mark zu erleichtern – denn ihr seid das Elendste und Gemeinste, das es auf der Welt gibt.«

»Wie aber, wenn Amadini augenblicklich nicht über die Summe disponierte, die Sie von ihm verlangen?« warf Straußberg ein.

»Um so schlimmer für Sie, denn ich habe keine Zeit und will in meine Heimat zurückkehren. Ich warte nicht mehr länger. Sie denken vielleicht, daß Herr Melmström auf meine Aussagen nichts geben dürfte? Aber da sind Sie vollkommen im Irrtum. Denn Herr Melmström wird mich anhören. Er kennt mich sogar sehr gut. Ich besitze nämlich in der Nähe von Potsdam ein kleines Landhaus, das ich den Sommer über zu vermieten pflege. Mein letzter Sommermieter nannte sich Dr. Paul Neumann, der kein anderer war als der bekannte Millionär Rudolf Melmström aus Berlin.«

»Sollte er gerade in Potsdam eine Spur gefunden haben?« spottete Straußberg.

»Nein, nicht deshalb hatte er sich – auf einige Monate in Potsdam niedergelassen,« fuhr Laura in ihren Enthüllungen weiter fort. »Er blieb bloß deshalb dort, weil er sich in ein junges Mädchen verliebt hat. Melmström hat gar keinen schlechten Geschmack entwickelt. Denn Käthe von Wesenthal ist wirklich ein ganz allerliebstes, sympathisches Mädchen.«

Man kann sich denken, welche Wirkung der Name Wesenthal bei den dreien hervorrief. Nur Amadini saß da, mit der Hand die Augen beschattend, ohne es jedoch verhindern zu können, daß zwischen den einzelnen Fingern das fahle Leuchten eines Lichtes – wie ein Glühwürmchen – hindurchschimmerte. Laura kannte bereits von früher her das eigentümliche Leuchten der Augen Amadinis.

Straußberg mußte um jeden Preis mehr von Wesenthal und dessen Verhältnis zu Melmström wissen. »Wenn Herr Melmström so verliebt ist, dann dürften Sie Ihre Zeit ja recht schlecht gewählt haben, ihm diese Aufklärungen zu unterbreiten. Vielleicht auch hat er jetzt – in seinem Liebesglück – gänzlich auf die Rachegedanken verzichtet –«

»Nein. Herr Melmström hat nicht verzichtet. Wenigstens nicht auf seine Rachepläne. Anstatt dessen hat er aber die Heiratsgedanken aufgegeben.«

Straußberg lachte gezwungen. »Ihre Informationen dürften recht mangelhaft sein.«

»Und doch ist es so,« ereiferte sich Laura. »Der Vater will durchaus nicht einwilligen. Ich kenne zwar nicht seine Gründe, aber jedenfalls müssen sie gewichtig sein. Zwischen beiden jungen Leuten selbst besteht auch nicht mehr die geringste Verbindung. Alles ist zu Ende. Der Moment für meine Enthüllungen ist im Gegenteil sehr gut gewählt, und er würde mich mit offenen Armen empfangen.«

Voll Sanftmut, sich gewaltsam beherrschend, erwiderte Straußberg:

»Herr Melmström würde von Ihnen jedenfalls, ehe er Ihnen glaubt, und ehe er seine Rache ausführt, Beweise verlangen. Und diese fehlen Ihnen.«

»Gegen Sie allerdings.«

»Ich möchte doch wissen, was für Beweise Sie gegen mich hätten!« forderte sie Amadini auch heraus.

»Gegen Sie?« rief sie aufflammend. »Und Ihre Augen? Oh, wie rasch Sie sie geschlossen haben!« hohnlachte Laura, ohne ihrer Leidenschaft weitere Zügel anzulegen. »Bedanken Sie sich bei Ihrer einstigen Angebeteten und jetzigen Frau, die Ihnen den Steckbrief der Glühwürmchenaugen gegeben hat. Schon das Kind – der jetzt erwachsene Melmström – hat von den sonderbar leuchtenden Augen des Mörders gesprochen. Alle Zeitungen haben über den Mann mit den Katzenaugen geschrieben. Des können Sie versichert sein, verehrtester Herr Amadini, an dem Tage, da er Sie erkennen oder bloß im Verdacht haben würde, wird er Sie zwingen, die Augen aufzumachen. Sie müßten sich denn vorher erst die Augen ausstechen lassen. – So! – Und nun sagen Sie noch einmal, ich hätte keine Beweise!«

Straußberg, der befürchtete, daß auch Amadini die Herrschaft über sich selbst verlieren könnte, unterbrach sie barsch mit dem Anruf:

»Genug! – Hier ist das Geld!«

»Fünfzigtausend Mark?«

»Jawohl, fünfzigtausend Mark.«

»Stecken Sie das Licht an, daß ich das Geld zähle!« befahl sie gebieterischen Tones.

Trotz ihrer Unerschrockenheit versäumte sie kein Vorsichtsmittel. Leise öffnete sie das Fenster, als sich ihr der Graf näherte und ihr das Päckchen Banknoten in die Hand drückte. Sie nahm es und prüfte annähernd sein Gewicht, ohne die Banknoten zu zählen.

In diesem Augenblick hörte man klingeln.

»Sie sehen, es hat nicht lange gedauert. Leuchten Sie mir bloß.«

Rasch durch das Zimmer eilend, öffnete Laura Pernel die Entreetür und rief ihrem draußen wartenden Bräutigam zu: »Beruhige dich, es ist mir nichts geschehen.« Noch einen letzten Blick voll Haß und Verachtung warf sie auf Anastasia, dann fiel die Tür ins Schloß.

Nachdem Amadinis voluminöse Gattin in das Zimmer zurückgekehrt war, machte sie endlich ihrer Wut Luft:

»Diese Canaille! Diese infame Person! Nein. Ich, ich hätte ihr niemals nachgegeben!«

»Da hätten Sie sehr unrecht getan,« entgegnete ihr der Graf in seiner gewohnten Ruhe, indem er die Zuggardinen vorzog. »Sie hatte uns so ziemlich in Händen und – resolut und energisch wie sie ist – hätte sie keine Minute gezögert, uns auszuliefern. – Jetzt aber, nach dieser glücklich überstandenen Gefahr, wollen wir uns recht von Herzen über die ausgezeichnete Nachricht freuen, die uns die edle Donna Laura gebracht hat!«

»Sie meinen über Wesenthal?«

»Aber natürlich.« Er rieb sich frohlockend die Hände.

»Ist das aber auch bestimmt unser Wesenthal?«

»Aber todsicher. Das ist kein anderer als er!«

Er begann von neuem sein ruheloses Auf- und Abgehen durch das Zimmer. Weder Amadini noch Anastasia unterbrachen ihn in solchen Momenten, denn sie wußten, daß er dann irgend etwas ausdachte, das für sie alle von Wichtigkeit war. Endlich sagte er:

»Die Nachricht kam gerade zu rechter Zeit. Unsere Kasse ist leer – Laura hat das letzte mitgenommen. Den Schmuck zu versetzen, wäre gefährlich.«

»Ja, so sind wir denn ganz ruiniert?« winselte Anastasia.

»Dem Anschein nach – vielleicht ja. Aber nicht in facto.«

»Haben wir denn gar nichts mehr?« fragte Amadini kleinlaut.

»Vielleicht zehntausend Mark noch. Das rechnet nicht. – Aber – laßt den Kopf nicht hängen,« sang Straußberg aus der ›Frau Luna‹. Ihn hatte eine beinahe ausgelassene Heiterkeit gepackt. »Wahrlich, Kinder, ich sage euch – eh' noch drei Monate abgelaufen sind, wird unsere Kasse gefüllter und glänzender dastehen als je und – – – wir werden nichts mehr von Melmström zu fürchten haben.«

»Wieso denn? Was haben Sie denn vor?« fragten die beiden Gatten gleichzeitig.

»Geht jetzt hübsch nach Haus, meine Lieben und laßt das übrige meine Sorge sein. – Und nun – addio.«


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