Maurice Renard
Ein Mensch unter den Mikroben
Maurice Renard

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechtes Kapitel

Paskal würde sich etwa so ausgedrückt haben: »Daß man ja nicht sage, er habe nichts Neues gesagt!«

Ehe sich Agathos an die Arbeit setzte, beharrte er darauf, mich dem Ersten Minister vorzustellen und auf einen Besuch der Anstalt für »Undounnisten« und das Museum.

»Was?« entsetzte ich mich, »Ich soll das Museum besuchen, dessen Direktor Kakos, mein größter Feind, ist?«

»Es muß sein. Wir werden schon unsere Vorsichtsmaßnahmen treffen. Aber wenn Sie nicht unser Museum kennenlernen, werden Sie so gut wie nichts von unserer Welt kennengelernt haben. Und jemand, der eine Reise tat, der muß doch was erzählen, womöglich wahrheitsgetreue Dinge berichten können.«

»Ach, teurer Agathos! Ist es denn möglich, daß ich jemals wieder den irdischen Himmel wiedersehe? Einen saftigen Rindsbraten essen werde und Olga heiraten ...?«

»Ich will's jedenfalls versuchen!« erwiderte Agathos.


Der Erste Minister empfing uns auf das liebenswürdigste. Er schien mir ein Mandarin zu sein, wie alle andern, nur war sein Pompon dreifarbig (allerdings mit künstlicher Nachhilfe). Die Audienz währte nur ein paar Minuten. Man konnte sich kaum etwas Offizielleres und Hohleres vorstellen. Se. Exzellenz bezeigte nur für das, was direkt mit seinem Planeten zusammenhing, Interesse, vor allem für die Politik und die Wahlen. Was den Himmel und das unendlich Große anbetraf, ließ ihn völlig kalt. Mehrere Minister und Abgeordnete der gesetzgebenden Kammer befanden sich bei ihm. Ihre Pompons waren rot, nur zwei oder drei zeigten eine mehr rosa Färbung. Diese hielten sich jedoch bescheiden im Hintergrunde.

»Welch entzückender Plauderer!« bemerkte Agathos. »Es ist ein alter Freund von mir. Wenn Sie verstanden hätten, was er mir alles mitteilte, wären Sie von ihm berauscht. Er gehört einer Mandarinenrasse an, die ehedem am Äquator saß. Ihre Angehörigen sind geradezu Meister des Pompons. Ich versichere Ihnen, Fléchambeau, sich mit diesen Leuten geistig zu unterhalten, ist geradezu eine Wollust. Auch die gesetzgebende Kammer setzte sich fast durchwegs aus Angehörigen der Äquatorrasse zusammen, deren Musik die Wähler faszinierte. Das hindert nicht, daß manche von ihnen sogar Geist und Verstand offenbaren, denen man dann um so lieber Beifall spendet, als solches bei Leuten, die das Rednerpult erklimmen, um diesen oder jenen Speech loszulassen und sich dem erstaunten Publikum zu zeigen, sehr selten ist.«

»Lassen Sie uns jetzt die Taubstummenanstalt, Ihre ›Undounnisten‹ besuchen,« meinte ich, »nämlich das Institut, wo Ihre Mandarinen, die der ›Dounn‹ beraubt sind, jenes Wahrnehmungsorganes, das ich entbehre, erzogen werden. Wollen Sie?«

»Bitte!«


Die Anstalt beherbergte zwei- bis dreihundert Angehörige aller drei Geschlechter – nicht mehr, lauter junge Leute.

»Finden Sie nicht, daß sie Ihnen ähnlich sehen?« fragte Agathos. »Damit rechnete ich, um Kakos hinters Licht zu führen.«

Tatsächlich befanden sich unter den von Geburt aus adounnistischen Mandarinen, deren Pompons verkümmert oder nicht vorhanden waren, Individuen mit großen Augen und Ohren und einem Munde, der mich an meine irdischen Mitbrüder erinnerte. Da sie aber große Nasen hatten, beurteilte ich sie nicht so günstig, wie Agathos es tat.

Man bestrebte sich, ihre Sehkraft zu vervollkommnen und sie eine – scheußlich klingende – Sprache zu lehren. Ihr Geruchssinn hatte sich so wunderbar entwickelt, daß sie als Parfumkomponisten sehr gesucht waren. Man zeigte mir ein junges Mädchen, das zu den schönsten Hoffnungen seines Professors berechtigte, eines Parfumorganisten der Nationalkapelle.

Als wir das Haus besichtigten, wurde gerade in einem Sanitäts-Kugelautomobil ein Mandarin eingeliefert, dem in einer Fabrik der Pompon glatt vom Kopfe getrennt worden war. Obwohl die Wunde verbunden war, wankte der Unglückliche wie ein Trunkener hin und her.

Er konnte nicht mehr gerade gehen, tastete wie ein Blinder mit den Armen herum, riß entsetzt die Augen auf und heulte gotteserbärmlich.

Einer der Institutsinsassen war am selben Morgen infolge übermäßigen Schnupfens mit Tod abgegangen. In einem fürchterlichen Anfalle von Niesen hatte er seinen Geist aufgegeben. Einer der Anstaltsärzte schickte sich an, eine Autopsie des Schädels vorzunehmen, um festzustellen, weshalb der Betreffende adounnistisch gewesen war. Ich benützte die herrliche Gelegenheit, um mich über die Anatomie der Mandarinen, namentlich über deren Pompon, zu unterrichten und bat, der Sektion beiwohnen zu dürfen.

Stelle dir mein Erstaunen vor, als ich feststellte, das jenes Organ, das ich »Pompon« nenne, nichts anderes war, als die entwickelte Zirbeldrüse, die jeder Erdenmensch im Innern seines Gehirnes besitzt und deren geheimnisvolle Struktur ein verkümmertes Sehwerkzeug verrät.

Du wirst nun schon begriffen haben, lieber Pons, daß dieses Organ, um sich ausbreiten und entfalten zu können, aus dem Schädel der Mandarinen heraustreten mußte, und zwar aus der Fontanelle, die sich beim heranwachsenden Menschen schließt und verknöchert, zuweilen aber nicht völlig verhärtet.

Ich teilte Agathos meine Entdeckung mit und gestand ihm, wie mich diese Verwandtschaft zwischen den irdischen Riesen und den mikroskopischen Mandarinenwesen verwirre. Es entzückte und erschreckte mich zugleich und löste in meinem Innern Begeisterung aus. Die merkwürdigsten Perspektiven eröffneten sich aus dem Nebelmeere der Hypothesen über die Vergangenheit der menschlichen Rasse, deren Geschlecht sicherlich Millionen von Jahren alt war. Da unsere Zirbeldrüse für ein rückgebildetes Organ gilt, die Fontanelle ein Überbleibsel der Urzeit darstellt, verfügten vielleicht unsere vorgeschichtlichen Vorfahren über den sechsten Sinn der Mandarinen, kannten dessen Wohltaten und die Wirkungen des Pompons. Wie und wodurch hatten sie ihn verloren? Waren im dunklen Schoße der Zeiten die Mandarinen einst groß gewesen? Die Menschen aber mikroskopisch klein? Diese Frage beschäftigte mich lebhaft. Ich forschte in meinem Unterbewußtsein, ob nicht irgendeine vage Erinnerung in mir auftauche an etwas Atavistisches, das sich durch die Billionen Zeitalter hindurch bis auf meine Tage herübergerettet habe.

Agathos, der anfangs begeistert schien, ward plötzlich ernst.

»Ich schaudere, wenn ich daran denke, Kakos könnte hiervon eine Ahnung haben. Nun zögere ich selbst, Ihnen das Museum zu zeigen.«

»Nein, nein, Agathos! Ehe ich abreise, will ich alles sehen.«

»Nun gut, aber die Stunde schlug, wo es mir notwendig erscheint, Ihnen ein Geheimnis zu enthüllen, von dem man niemals redet.«

»Die Pilze?«

Agathos nickte. Später, als seine arme kleine verkümmerte und vertrocknete Zunge sich auskegelte, um ein paar Brocken meiner Sprache zu stammeln, vermochte er dennoch niemals den Namen »Champignon« auszusprechen, sondern sagte immer nur »Hons« und dieser Ausdruck fügt sich so trefflich in die Bezeichnungen ein, deren er sich im Gespräche mit mir bediente, daß ich dich um die Erlaubnis bitte, lieber Pons, dies Wort beibehalten zu dürfen.

Nun denn, der alte Mandarin erzählte mir:

»Als vor undenklichen Zeiten die Mandarinen noch nicht die Herren der ›Ourrh‹ waren, hatten sie gegen andere Geschöpfe, welche die Oberherrschaft anstrebten, schwer zu kämpfen. Unter diesen ihren Widersachern waren die Hons die hartnäckigsten und gefährlichsten. Scheußliche, riesige Pilze waren es, die alles überschwemmten und sich mit unheimlicher Schnelligkeit ausbreiteten. Sie wurden besiegt. Aber der entsetzliche Kampf, in welchem fast das ganze Geschlecht der Mandarinen unterzugehen drohte, legte unseren Vorfahren den Gedanken nahe, den Boden von allem zu reinigen, was derartigen Feinden Vorschub leisten könnte. Man beschloß, die ›Ourrh‹ zu entkeimen. Heute werden Sie auf unserm Planeten keinem einzigen Tiere begegnen, das sich etwa durch Weiterentwicklung vervollkommnen könnte, auch keinem einzigen verbotenen Gewächse. Nur Staatsforste haben wir für die Chemie, von der unsere Existenz abhängt, erhalten. Diese Waldungen sind aber derart beaufsichtigt, daß nichts darin keimen und wachsen kann, was wir nicht wünschen.

Die Erinnerung an die ›Hons‹ blieb lebendig. Sie bildet das Schreckgespenst aller nachfolgenden Generationen. Jeder von uns trägt diese Angst mit sich herum in seinem Herzen und sie begleitet ihn als Erbteil durchs ganze Leben. Denn seit unserm biologischen Siege, seit unserm vieltausendjährigen Triumphe, schmolz leider die Bevölkerung der ›Ourrh‹ auf eine Handvoll Mandarinen zusammen. Die Volksmassen der ersten Zeiten lösten sich in Nationen auf, die Nationen selbst zogen sich zusammen, und eines Tages gab es nur mehr einen einzigen Staat. Die Geburtenziffer ging dann ohne moralisches, fiskalisches oder anderes Zutun rapid zurück. Heute existiert, lieber Fléchambeau, nur mehr eine einzige unserer ehemals so zahlreichen, herrlichen Städte. Alle andern starben aus und verschwanden. Von den Dörfern wollen wir gar nicht reden, denn sie wurden aus sozialen Gesundheitsrücksichten schon vor Jahrhunderten eliminiert, denn der Bauer ist ein fahrlässiges Individuum, und es könnte auf seinem Misthaufen der Keim unserer Todfeinde sich ansiedeln und groß werden.

Dennoch verehren wir die Natur und das Lebensprinzip. Und so werden Sie denn bald Gelegenheit haben, in einem riesigen Parkgarten und Museum Vertreter der Tier- und Pflanzenwelt, die wir einst vernichten mußten, zu erblicken, über deren Arterhaltung wir pietätvoll wachen.«

»Lebend oder ausgestopft?«

»Lebend, ausgenommen solche, die in unserem Zeitalter nicht mehr zu existieren vermögen.«

»Aber was ist es mit den ›Hons‹, Agathos? Ich kann wohl nicht annehmen, daß Ihr auch sie weiterzüchtet?«

»Niemals!« rief Agathos mit antiker Geste. »Niemals, ... allein ...«

»Allein ... was? Sie machen mich neugierig.« Stolz erhobenen Hauptes erwiderte er:

»Wir Mandarinen sind vornehme Wesen. Verstehen Sie mich, Fléchambeau, wenn ich Ihnen erkläre, daß wir uns nur das Recht der Selbstverteidigung zuerkennen, nicht aber das Recht des Vernichtens.«

»Genau so denkt man in meiner Heimat.«

»Nun, dann werden Sie sich nicht weiter darüber wundern, daß wir in unserem Museum eine kleine Menge Samen der ›Hons‹ aufbewahren, auf daß unsere Götter uns nicht vorwerfen können, etwas vernichtet zu haben, was sie schufen.«

»Verflucht gefährliches Beginnen!« meinte ich.

»Doch nicht, denn Kakos wacht peinlichst über alle Schätze des Museums, und der Mann ist ein treu ergebener Diener des Mandarinengeschlechtes ... Für wissenschaftliche oder fortschrittliche Zwecke der Nation ist er zu allem fähig, selbst Ihnen den Schädel zu öffnen, um mit neuen Erkenntnissen das heilige Erbe der Väter zu bereichern.«

»Sie reden ja wie ein Mitglied des gesetzgebenden Körpers, Agathos! Dieser Kakos ist also eigentlich sympathisch? ...«

»Er ist ein übler Vogel, dabei grausam und rechthaberisch, aber das eine muß man anerkennen: er ist Mandarin von reinstem Wasser. Für den Ruhm unserer bald dahinsterbenden Rasse, wenn es die Ehre der Nation gilt, scheut er vor keinem Verbrechen, keinem Sakrileg zurück.

Nun, Sie werden ihn ja kennenlernen. Die Höflichkeit erfordert es, denn ich kann das Museum nicht besichtigen, ohne ihn zu bitten, uns zu begleiten. Ihm aus dem Wege zu gehen, wäre viel gefährlicher, denn er könnte sich sofort allerhand Gedanken machen.«


Als Agathos glaubte, daß ich nach meiner Rückkehr auf die Erde meinen Mitmenschen alles erzählen könnte, was ich auf der »Ourrh« und namentlich im Museum gesehen, ahnte er natürlich nicht, daß er 65 Jahre brauchen würde, um die Formel meines Wiedergroßwerdens zu finden und daß ich bei meiner Ankunft unter Meinesgleichen nur mehr über ein kurzes Restchen Lebenszeit verfügen würde. Auf detaillierte Beschreibung alles Einzelnen kann ich mich leider nicht einlassen, da ich vielleicht sonst das Wesentliche nicht mehr berichten könnte, denn ich fühle, daß meine tödliche Schwäche unheimliche Fortschritte macht und ich muß mich beeilen, das Wichtigste niederzuschreiben.

Im großen und ganzen stellte das Museum einen riesigen Nationalpark dar, mit großen und weitläufigen Bauten, in denen die Mandarinen nach Möglichkeit alle Reliquien der verschwundenen Fauna und Flora ihres Planeten aufbewahrten. Es war eine Welt der Gegenwart und Vergangenheit, eine ganze Natur in Musterexemplaren.

Stelle dir vor, daß die Menschen die ganze Erde gerodet und sterilisiert hätten, so daß kein Tier, keine Pflanze mehr vorhanden wäre, außer – im zoologischen und botanischen Garten.

Namen- und Sachregister lasse ich fort. Ich will nur bemerken, daß ich tausend Sorten von Vögeln, Fischen und anderen Tierwesen sah, von denen manche nur phosphoreszierende, körperlose Erscheinungen bildeten, während sich andere nur durch Murmellaute, ohne wahrnehmbare Formen, manifestierten. Aquarien, Vogelhäuser und Gehege boten ihren Insassen alle natürlichen Lebensbedingungen. Die Tiere waren klein. Es gab auch reißende Tiere darunter. Die höheren Arten paarten sich zu Dritt und wiesen Pompons auf.

Eine hohe Mauer umfriedete das Ganze. Überall waren Wachposten aufgestellt. Da und dort erhoben sich Sterilisier-Fontänen mit aufgerollten Schläuchen und Spritzenmundstück. Beim geringsten Alarm, das heißt, wenn sich nur der winzigste, verdächtige Pilz irgendwo zeigte, wurde die Stelle sofort reichlich mit einer entkeimenden, vernichtenden Flüssigkeit übergossen.

Auf einem kleinen Fuhrwerke, das Agathos selbst lenkte, bewegten wir uns langsam durch die Baumreihen und gelangten zu den Gebäuden, wo uns Kakos, nachdem wir mehrere Vorzimmer durchschritten hatten, empfing. Wir sahen auf unserem Wege Dutzende von Aufsehern, von denen einer mißtrauischer war als der andere.

»Bleiben Sie immer an meiner Seite!« legte Agathos mir nahe.

»Und ob!« erwiderte ich ihm, denn alle Hindernisse, die man überwinden mußte, um zu Kakos zu gelangen und auch von ihm wieder loszukommen, machten mir einen tiefen Eindruck.

Als der Museumsdirektor mich erblickte, konnte er seine wissenschaftliche Begehrlichkeit nur schlecht verhüllen, aber er bemühte sich, liebenswürdig zu sein und erschöpfte sich in Höflichkeit. Bereitwilligst begleitete er uns durch alle Hallen, wo die wundervollsten Sammlungen ausgestellt waren. Ich machte mit der phantastischen Flora und Fauna der Urzeit Bekanntschaft, konnte sogar einige lebende Veteranen jener Epoche bewundern, die man künstlich erhalten hatte und fütterte. Dann folgte ich meinen Führern durch eine Flucht von Galerien, welche die fabelhaftesten photographischen Abbildungen jeder einzelnen Tierspezies und Pflanzenart enthielten, sowie phonographische Platten, auf denen die Schreie, Rufe, das Gebrumm und der Gesang verewigt waren, und Parfumaufnahmsscheiben, die den Geruch, angefangen von den Blumen bis zum Büffel, wiedergaben. Andere Apparate lösten in einem das Gefühl aus, als berühre man Schuppen, Pelz, Federn oder Früchte. Die kostbarsten Einrichtungen aber waren jene, die nur dem Pompon-Organe die Erinnerungen an ehedem überlieferten.

Wir stiegen auch in die Keller hinab, welche Muster alles dessen beherbergten, was als schädlich vernichtet worden war. Diese Keller stellten geradezu bombensichere Unterstände dar und waren mit Panzertüren versehen. Nur mit einem gewissen Schaudern betrat ich sie. Aber Agathos hielt mich bei der Hand und versicherte mir ein ums anderemal, daß ich mich nicht zu fürchten brauche.

Rezipienten enthielten da verdächtige Nährbouillons. Besiegt, eingesperrt befanden sich hier die Erreger der fürchterlichsten Krankheiten und Epidemien, die einst das Mandarinenvolk dezimiert hatten.

Agathos erzählte mir bei dieser Gelegenheit, daß bei der bis aufs Äußerste durchgeführten Entkeimung fast das ganze Mandarinengeschlecht zugrunde gegangen wäre, weil hierbei auch die zur Lebenserhaltung notwendigen, die nützlichen Bakterien – die vielleicht das Leben selbst sind – Gefahr liefen, umzukommen. Man hatte also schon Jahrhunderte früher gegen die allzu rigorose Hygiene Front machen müssen.

Ich weiß nicht, worüber ich mehr erstaunte, ob darüber, daß diese Mikrobe von Mikroben sprach, oder über die mysteriöse und seltsame Noblesse, die das Mandarinenvolk davon abhielt, die Feinde seiner Rasse bis auf den letzten zu vernichten.

Endlich erklärte uns Kakos, daß wir alles besichtigt hätten, und mit einem Seufzer der Erleichterung überschritt ich die Ausgangsschwelle dieser finstern Höhle, welche die »dounnistischen« Lampen zwar den Mandarinen erhellten, in denen aber ich mich nur dank einer Art von Photophoren, die für den Gebrauch der »Undounnisten« bestimmt waren, zurechtfand.

»Er hat uns die Samen der ›Hons‹ nicht gezeigt,« übermittelte mir Agathos durch den Gedankenübertrager. »Wo, zum Teufel, hebt er sie auf? Ich werde ihn fragen.«

Sie wechselten ein paar stumme Worte. Dann teilte Agathos mir mit, daß Kakos sich entschlossen habe, niemandem je den Ort zu verraten, wo er die entsetzlichen Keime der todbringenden Pilzsamen verwahre.

Ich vernahm dies mit aufrichtigem Bedauern, denn ich hätte gern meine Blicke an diesen historischen Dingen geweidet, die noch heute die Bewohner der »Ourrh« wie eine Gottesgeißel fürchten.

Agathos aber hatte den sakrosankten Aufbewahrungsort des teuflischen Schatzes erspäht, und zwar ganz im Hintergrunde des Kellers, wo unter Kakos Führung nur Bevorzugte sich dem Nervenkitzel des Betrachtens jener Kapsel, die den Samen enthielt, hingeben durften. Seiner Beschreibung nach mußten sie in einer Art schwarzer Bonbonniere verschlossen sein, die einen roten und einen weißen Kreis auf ihrem Deckel aufwies.

»Immerhin hätte ich die ›Hons‹, als ihr sie in eurer Gewalt hattet, restlos ausgerottet. Nicht eine einzige Keimspore hätte ich übrig gelassen,« sagte ich kopfschüttelnd zu Agathos.

»Dazu haben wir zu viel Herz!« entgegnete Agathos, ebenfalls den Kopf schüttelnd. »Wir glauben zu fest an die Wunder der Welt in all ihrer Mannigfaltigkeit.«

Kakos ging hinter uns drein.

Er begleitete uns bis zum Haupteingange des Museums. Es schien mir seinerseits nicht nur Höflichkeit zu sein, denn sein Pompon wandte sich von meinem keinen Augenblick ab. Der ekelhafte Mensch verschlang mich förmlich mit seinem Pompon und seinen Augen. Er zitterte vor fieberhafter Neugierde.

Nur mit Gewalt vermochte er sich von mir loszureißen. Seine knochigen Finger krampften sich zusammen, als packte er irgendeine Beute, und als wir uns zum Abschiede auf mandarinisch grüßten, schleuderte er seinen Pantoffel derart impulsiv in die Luft, daß der Schuh in den Zweigen eines steinernen Baumes verschwand.

Während der Hausmeister eine Leiter holte, um den Pantoffel des Herrn Direktors wieder herabzuholen, zwang sich dieser zu einem verlegenen Lächeln, dessen teuflischen Klang ich heute noch im Ohr habe.


 << zurück weiter >>