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XXX.

»Madame Perault, wir haben eben Fritz Rohmer vernommen. Er hat ein ziemlich weitgehendes Geständnis abgelegt, durch das auch Sie schwer belastet sind«, begann Eisler, als die Frau wieder hereingebracht worden war.

»Dann hat er eben die Unwahrheit gesagt, um sich selbst zu schützen. Anders kann ich mir das nicht erklären«, erwiderte sie und richtete sich etwas auf.

»Das wird ja die weitere Verhandlung ergeben«, entgegnete Eisler kühl. »Ich möchte jetzt noch einmal auf die Devisen zu sprechen kommen.«

»Ich habe Ihnen doch bereits bewiesen, daß ich eine schriftliche Erlaubnis besitze, dreihundert Pfund über die Grenze mitzunehmen.«

»Sie haben behauptet, daß Sie nur zweihundert Pfund bei sich gehabt hätten – wenigstens mußte ich das aus Ihren Angaben schließen. Nach anderen Feststellungen, die wir nachprüfen konnten, hatte Perqueda dreitausend Pfund und fünfzigtausend Franken in seiner Brieftasche. Die englischen Scheine waren zu je fünfhundert Pfund gebündelt. Wieviel Geld haben Sie über die Grenze mitgenommen?«

»Zunächst die zweihundert, die ich in das eine Polsterkissen einnähte.«

»Und außerdem?«

»Hatte ich noch weitere hundert Pfund –«

»Wollen Sie nicht etwas mehr zugeben?«

Sie schwieg und sah Eisler forschend an. Was mochte der Mann wissen?

»Ich will mich nicht länger mit der Sache aufhalten«, fuhr er fort. »Hier ist ein Telegramm, das heute vormittag von der Zollfahndungsstelle hier ankam. Der Wagen erster und zweiter Klasse, in dem Sie fuhren, wurde vom Zug abgehängt und genau untersucht. Man hat darin im ganzen eintausendfünfhundert Pfund und fünfzigtausend Franken gefunden, und zwar an den unglaublichsten Stellen. Die Hälfte des französischen Geldes war im Ventilator des Waschraums untergebracht – verschiedene Plakate im Wagen waren losgeschraubt und die Geldscheine dahintergesteckt. Sogar in den Aschbechern fanden sich Banknoten. Außerdem hat man in Ihrem Koffer Nähzeug und einen kleinen Schraubenzieher entdeckt. Geben Sie zu, daß Sie das Geld versteckt haben?«

»Nein. Das müssen Sie erst beweisen.«

»Das können wir. Es handelt sich um dieselben Scheine, die Perqueda bei verschiedenen Banken in Berlin in Stahlfächern deponiert hatte. In seinem Geheimnotizbuch haben wir die Nummern der englischen Hundertpfundnoten gefunden. Sie stimmen genau mit denen im Eisenbahnwagen überein. Wenn Sie das Geld nicht versteckt haben, wie hätte es denn plötzlich aus Perquedas Geldtasche in den Eisenbahnwagen kommen sollen, in dem Sie über die Grenze fahren wollten? Nehmen Sie an, daß die Banknoten von selbst dorthin geflogen sind und sich diese hübschen Verstecke ausgesucht haben?«

Sie überlegte kurz.

»Gut, ich will zugeben, daß ich das Geld in dem Wagen versteckt habe.«

»Schön. Nun finde ich es aber doch ungewöhnlich, daß Perqueda Ihnen soviel Geld mitgegeben haben soll. Dem widersprechen vor allem die Angaben von Fräulein Körber. Er hatte ihr kurz vorher das Geld gezeigt und gesagt, daß das die nötigen Mittel wären, um nach den Vereinigten Staaten zu reisen.«

Mansfeld sah, daß es um Madame Peraults Mundwinkel zuckte. Die letzte Bemerkung schien sie besonders getroffen zu haben.

»Ich bin doch seine Teilhaberin. Wenn er dreitausend Pfund in Banknoten hatte, warum sollte er mir nicht die Hälfte davon anvertrauen? Was er diesem Mädchen erzählt hat, ist doch gleichgültig. Außerdem konnte er mir als seiner Frau ruhig soviel Geld geben«, erwiderte sie und warf den Kopf zurück.

Die beiden Kommissare sahen sich verblüfft an.

»Waren Sie denn mit ihm verheiratet?« fragte Eisler schließlich.

»Ja.«

»Und das sagen Sie uns jetzt erst? Aber dann müßten Sie doch Brasilianerin sein und könnten nicht einen französischen Paß führen!«

»Warum nicht? Ich bin ein sujet mixte, das heißt, ich besitze mehrere Staatsangehörigkeiten!«

»Wie wollen Sie das beweisen?«

»Durch meinen Trauschein und durch meinen brasilianischen Paß. Beide befinden sich in meinem Banksafe beim Crédit Lyonnais in Paris.«

»Das können wir ja nachprüfen.«

»Haben Sie gestern von Essen aus ein dringendes Telegramm abgeschickt?«

»Nein«, erwiderte sie kurz.

»Ich würde mir an Ihrer Stelle dieses ›Nein‹ noch einmal überlegen. Das Telegramm ist von Essen um dreiundzwanzig Uhr dreißig abgesandt, also kurz nachdem Sie in Ihrem Schnelltriebwagen dort gehalten hatten. Es ist an Herrn Fritz Rohmer adressiert, aber auf eine sonderbare Weise zunächst uns in die Hände gefallen. Sie haben das Telegramm dem Schaffner übergeben – das ist aus dem Buchstabenzeichen zu Anfang des Textes ersichtlich.«

Er klappte einen Aktendeckel auf, nahm das Formular heraus und reichte es ihr.

»Ach ja, das habe ich dem Schaffner gegeben.«

»Dann standen Sie also auch mit Fritz Rohmer in enger Verbindung?«

»Ich hatte geschäftlich mit ihm zu tun.«

»Was besagt denn der Inhalt des Telegramms?«

»Er wußte nicht, daß ich so plötzlich verreisen mußte. Ich hatte Ihnen doch früher schon gesagt, daß Perqueda mich beauftragt hatte, Rohmer Geld zu zahlen. Ich konnte mir denken, daß der Mann in Verlegenheit war, deshalb wollte ich ihn möglichst bald benachrichtigen, daß ich ihm einen Scheck auf Berlin schicken würde.«

Eisler wußte, daß sie diese Ausrede im Augenblick erfunden hatte, konnte aber nichts dagegen vorbringen.

»Wie lange sind Sie mit Perqueda verheiratet gewesen?«

»Sechzehn Jahre.«

»Dann sind Sie auch in alle seine Geschäfte eingeweiht?«

Sie wurde vorsichtig.

»Das kann ich nicht genau beurteilen.«

»Sie haben es bei Ihrer ersten Vernehmung weit von sich geworfen, daß Perqueda Mädchenhandel trieb. Inzwischen haben wir aber die Beweise dafür in die Hand bekommen. Und wenn Sie mit ihm verheiratet waren, müssen Sie davon gewußt haben.«

»Ich habe nichts davon wissen wollen«, erwiderte sie, aber im selben Augenblick erkannte sie, daß sie einen Fehler gemacht hatte.

»Dann wußten Sie also doch, daß er ein Mädchenhändler war?«

Sie schwieg und dachte heftig nach, was sie antworten könnte, aber es fiel ihr nichts ein.

»Warum haben Sie denn als Perquedas Frau nicht Ihren richtigen Namen geführt? – Warum haben Sie nicht bei ihm gewohnt?«

Wieder blieb sie die Antwort schuldig.

»Warum haben Sie es zugelassen, daß Perqueda mit Marianne Körber nach Paris fahren wollte?«

Sie biß sich auf die Unterlippe und senkte den Kopf.

»Ich werde es Ihnen sagen. Das alles taten Sie nur, um den Mädchenhandel zu ermöglichen! Rohmer hat ein endgültiges Geständnis abgelegt, und hier auf dem Tisch liegen die Beweise. Wir haben das Notizbuch Ihres Mannes entziffert, und wir haben seine Geheimakten aus den Safes der verschiedenen Banken geholt.

Es ist erstaunlich, mit welch kaufmännischer Gründlichkeit er über jede Zahlung und jeden Geschäftsvorgang Buch geführt hat. Hier ist eine genaue Liste aller Agenten in Berlin, Paris, Rio de Janeiro, Warschau und anderen Plätzen. Und hier stehen genaue Buchungen über alle Zahlungen, die er gemacht hat. Daraus geht hervor, daß Sie einen fast ebenso großen Verdienst bei der Sache hatten wie er selbst.

Dieser abscheuliche Mädchenhandel war nach streng kaufmännischen Grundsätzen geregelt. Hier ist eine Kartothek aller bisher verschleppten Mädchen mit Photos und sämtlichen Daten und hier eine andere über junge Mädchen, die noch in Arbeit waren – Kandidatinnen für die Karriere, die Sie ihnen zugedacht hatten! Eine besondere Bedeutung scheint Ihre Warschauer Zentrale gehabt zu haben. Und Sie hätten Ihr schändliches Treiben auch noch wer weiß wie lange fortgesetzt, wenn nicht Fanny Schmidthals wie durch ein Wunder den Weg nach Berlin zurückgefunden hätte. Von den anderen ist ja keine mehr in die Heimat zurückgekehrt.«

Madame Perault zuckte unter der Wucht dieser Anklagen zusammen. Immer tiefer waren ihr Kopf und ihre Schultern gesunken. Aber plötzlich sprang sie leidenschaftlich erregt auf, und ihre Augen glühten in wildem Zorn.

»Das ist alles nicht wahr! All diese Schriftstücke hier sind von der Polizei gefälscht, nur damit sie vor der Öffentlichkeit wieder einmal groß dasteht und ein kapitales Verbrechen entdeckt und aufgeklärt hat! Halten Sie sich lieber an die Tatsachen – mein Mann ist ermordet worden – aber anstatt den Mörder zu fassen, machen Sie solche gemeinen Schiebungen!«


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