Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXIII.

Am nächsten Morgen um dreiviertel neun trat Kommissar Mansfeld in das Büro seines Kollegen, der bereits seit einer halben Stunde an seinem Schreibtisch saß.

»Nun? Tauchen Sie auch endlich auf?« fragte Eisler lächelnd, als er aufschaute.

»Bei dem Hochbetrieb kann man ja überhaupt nicht mehr schlafen! Gestern bin ich glücklich um halb vier nach Hause gekommen – aber Sie mußten ja unbedingt diese Razzia noch durchführen.«

»Mir ist es nicht anders ergangen. Dienst ist eben Dienst.«

»Haben Sie neue Nachrichten von Fanny Schmidthals? Gestern sind wir ja noch umsonst zu der Wohnung von Fräulein Hirt gefahren. Ist noch keine Meldung eingegangen, daß sie gefunden worden ist?«

»Nein.«

»Und was hat sich sonst ereignet? Ich hörte, daß alle Mitteilungen an Sie gegangen sind.«

»Diesmal können wir uns wirklich nicht über Mangel an Nachrichten beklagen. Setzen Sie sich und rauchen Sie eine Zigarre.«

Eisler bot Mansfeld sein Etui an.

»Danke, ich nehme lieber eine Zigarette.«

»Zunächst einmal haben wir interessante Nachrichten von Madame Perault«, berichtete Eisler. »Sie ist in der Nacht wegen Devisenschiebung an der Grenze verhaftet worden. Unser Telegramm kam wohl gerade noch zur rechten Zeit an. Sie befindet sich jetzt auf dem Weg nach Berlin und kommt heute nachmittag um vier Uhr sechs an. Gegen fünf können wir sie dann vernehmen. Zweihundert englische Pfund hat sie über die Grenze schmuggeln wollen!

»Die muß ihr Perqueda bei der letzten Unterredung gegeben haben«, bemerkte Mansfeld.

»Das ist anzunehmen – er hatte ja englisches Geld in seiner Brieftasche. Margold ist gerade dabei, alle Briefe durchzulesen, die in ihrer Wohnung gefunden worden sind. Wenn wir den Inhalt festgestellt haben, werden wie wahrscheinlich auch einen Schritt weiter sein.«

Das Telephon klingelte, und auf einen Wink Eislers führte Mansfeld das Gespräch. Sein Kollege griff nach dem zweiten Hörer.

Feurig meldete sich aus Hubertusallee.

»Es ist eben eine wichtige Entdeckung gemacht worden. Im Gebälk des Dachbodens hat Freimann englische Banknoten versteckt gefunden.«

»Haben Sie die Scheine gezählt?«

»Ja – tausend Pfund sind es!«

»Donnerwetter! Wo sind sie denn gefunden worden?«

»Dicht bei der Dachluke, aus der Rohmer zum Fenster hinauskletterte. Sie waren ausgezeichnet versteckt, und wir haben es nur einem günstigen Zufall zu verdanken, daß Freimann sie überhaupt gesehen hat.«

»Hoffentlich haben Sie sich damit in acht genommen? Sind Fingerabdrücke darauf?«

»Ja. Wir haben sie sofort photographiert, und in kurzer Zeit werden die Aufnahmen entwickelt sein.«

»Gut, schicken Sie die Abzüge sofort mit Motorradfahrer her. Und dann kümmern Sie sich einmal persönlich um das Vorleben von Fritz Rohmer. Zunächst stellen Sie fest, seit wann er in der Motzstraße wohnt und wo er früher gewohnt hat. Alle Angaben über ihn sind wertvoll. Sehen Sie zu, daß Sie zwischen eins und zwei einen vorläufigen Bericht machen können.«

»Jawohl. Ich werde Freimann die Aufsicht hier übergeben und die Sache sofort erledigen.«

Mansfeld hängte ein.

»Vielleicht ist es ein Raubmord?« sagte Eisler. »In dem Fall hätten wir ein neues Motiv entdeckt.«

»Mag sein. Jedenfalls haben wir jetzt schon eine ganze Reihe von eventuellen Tätern«, erwiderte Mansfeld trocken. »Zunächst Madame Perault, dann Fanny Schmidthals, nicht zu vergessen diesen Fritz Rohmer – und vor allem Hans Peters. Wie steht es eigentlich mit dem?«

»Es ist noch keine Nachricht aus seiner Wohnung eingetroffen. Aber fragen Sie einmal an.«

Mansfeld ließ sich mit Wormser Straße verbinden.

Tramm meldete sich sofort.

»Haben Sie etwas von Peters gehört?«

»Nein. Er ist nicht zurückgekehrt, und ich habe auch sonst nichts von ihm erfahren. Seine Wirtin ist ganz ratlos. Soll ich noch hierbleiben?«

»Ja, natürlich«, entgegnete Mansfeld und hängte ein.

»Es besteht die schwache Möglichkeit, daß er ins Büro gegangen ist«, meinte Eisler, der mitgehört hatte.

»Das glaube ich nicht. Ich kann mich ja einmal erkundigen, aber ich halte es für zwecklos.«

Er nahm eine Karte, auf der sämtliche Adressen und Telephonnummer standen, die im Fall Perqueda wichtig waren, und wählte die betreffende Nummer.

Carola Schöller antwortete, und Eisler und Mansfeld lächelten, als sie den Namen hörten.

»Hier Polizeikommissar Mansfeld. Ist Herr Peters heute ins Büro gekommen?«

»Nein, bis jetzt noch nicht.«

»Ist es möglich, daß er noch kommt?«

»Ja – aber es ist nicht sehr wahrscheinlich. Gewöhnlich ist er spätestens Viertel nach acht hier.«

»Danke.«

»Wissen Sie schon, wer Perqueda ermordet hat?«

»Nein, die Untersuchung ist noch in vollem Gange«, erwiderte Mansfeld und hängte ein. »Na, glauben Sie jetzt endlich, daß Peters geflohen ist?« wandte er sich dann an seinen Kollegen.

Er suchte unter den Papieren und fand das Blatt, auf dem er alle Punkte notiert hatte, die für die Schuld des jungen Mannes sprachen. Rasch griff er nach dem Füllfederhalter, und während er schrieb, sagte er laut:

»Achtens: Sucht sich durch Flucht der Verhaftung zu entziehen.«

»Soviel Material haben Sie schon gegen ihn zusammengetragen?« fragte Eisler und lächelte leicht.

»Aber Sie müssen doch zugeben, daß er sich am meisten verdächtig gemacht hat.«

»Ich gebe wohl zu, daß viel gegen ihn spricht, aber ich möchte mich nicht festlegen.«

»Aber mit Ihrer ewigen Objektivität kommen Sie doch auch nicht weiter!«

»Lieber Mansfeld, wir wollen uns nicht über Theorien streiten, sondern lieber versuchen, die schwebenden Fragen zu klären.«

Eisler ließ sich mit dem Erkennungsdienst verbinden.

»Wie steht es mit den Fingerabdrücken und Aufnahmen aus Hubertusallee? – Es ist schon alles fertig? Dann kommen Sie bitte zu mir und legen Sie mir die Ergebnisse vor.«

Kurz darauf erschien Kriminalbeamter Schwechten.

»Nun, was haben Sie herausgebracht?«

»In der Wohnung haben wir eine Menge von Fingerabdrücken gefunden. Zur Kontrolle sind alle mit den Abdrücken Perquedas verglichen worden, und dadurch sind die meisten ausgeschieden. Die Abdrücke von Fräulein Körber haben einen weiteren Ausfall ergeben. Wichtig erscheinen Spuren am Telephonhörer – hier sind die Abzüge. Dieselben Abdrücke haben wir auch an der Tür zum Wohn- und zum Arbeitszimmer entdeckt. Der Größe nach scheint es sich um einen Mann zu handeln. Wir haben die ganze Verbrecherkartothek durchgesucht, aber nichts gefunden.

Interessant sind ferner der Handabdruck und die Spuren an dem Fenstergriff im Verbindungsgang. Wir haben den Abdruck der gleichen Hand am großen Gartentor wieder nachweisen können.«

»Mir kommt ein Gedanke«, unterbrach ihn Mansfeld. »Wir suchen doch noch eine dritte Frau, die im Haus gewesen ist. Sollte das Fanny Schmidthals gewesen sein? Dann müßten die beiden letzten Abdrücke, die eben erwähnt wurden, von ihr stammen.«

Eisler nickte.

»Ich habe noch von einem anderen wichtigen Fund zu berichten«, fuhr Schwechten fort. »Es ist gestern abend spät unter dem Schreibtisch eine Papierschere mit breitem Flansch am Griff gefunden worden. Wir haben einen scharf ausgeprägten Daumen- und Zeigefingerabdruck davon abnehmen können.«

»Wo ist die Schere? Das hätte doch gleich gemeldet werden müssen.«

»Sie liegt bei uns im Büro. Ich kann sie sofort herschicken. Die Aufnahmen der Abdrücke sind vorzüglich gelungen – hier sind sie.«

Eisler betrachtete die Abzüge eine Weile interessiert, dann wandte er sich wieder an Schwechten.

»Heute morgen wurde gemeldet, daß Geldscheine auf dem Dachboden in der Hubertusallee gefunden worden sind. Haben Sie die schon zur Untersuchung und Bearbeitung erhalten? Auf Banknoten sind doch Fingerabdrücke sehr gut zu erkennen.«

»Die Scheine sind angekündigt worden, und ich denke, der Bote wird jeden Augenblick kommen.«

»Gut, das wäre alles.«

»Ich bin eigentlich davon überzeugt, daß die Fingerabdrücke am Fenstergriff von Fanny Schmidthals stammen«, sagte Mansfeld bestimmt, als Schwechten gegangen war. »Ich kann mir allerdings nicht denken, daß die schwache Frau einen so heftigen Dolchstoß geführt haben sollte.«

»Es ist schon mehrfach beobachtet worden, daß verhältnismäßig schwache Personen im Affekt unheimliche Kräfte entwickelten. Aber es bleiben ja auch noch die anderen Fingerabdrücke am Telephonhörer und an den Türen zum Arbeits- und zum Wohnzimmer. Wir sind doch gestern zu der Annahme gekommen, daß der Täter Fräulein Körber im Wohnzimmer eingeschlossen und die Zuleitung zum Telephon durchschnitten hat.«

»Schade, daß wir sie noch nicht identifizieren können. Ich habe eine Vermutung, aber ich möchte sie im Augenblick noch nicht aussprechen.«

»Mir können Sie es ruhig sagen – ich weiß es ja sowieso. Sie glauben, daß die Spuren am Telephon und an den Türen von Peters stammen?«

»Ja.«


 << zurück weiter >>