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XIII.

Der Alarmpfiff tat seine Wirkung. Es meldeten sich kurz nacheinander noch drei uniformierte Beamte. Feurig verteilte sie auf verschiedenen Stellen im Garten, so daß das Haus abgeriegelt war.

»Lassen Sie vor allem niemand auf das Grundstück«, befahl er den Leuten, »und gehen Sie selbst nicht zuviel spazieren, damit keine Spuren zerstört werden. Wenn später die Beamten von der Mordkommission kommen, werden Sie abgelöst.«

Kurz darauf ertönte das Signal eines Polizeiwagens. Die Mordkommission konnte das doch noch nicht sein? Feurig stand in der kleinen Diele und durfte nicht unten nachsehen, da er immer fürchten mußte, daß Marianne Körber ins Arbeitszimmer eindringen würde. Das mußte er unter allen Umständen verhüten, denn dann würden sämtliche Anhaltspunkte verlorengehen.

Während er noch überlegte, öffnete sich die Haustür und Kommissar Eisler stieg die breite Treppe herauf, gefolgt von Banzer. Er begrüßte Feurig ernst.

»Es war doch gut, daß wir uns gleich um die Sache gekümmert haben«, sagte der Oberwachtmeister.

»Ja. Der Polizist hier sagte mir eben, daß Perqueda ermordet worden ist?«

Feurig erzählte kurz, was er vorgefunden hatte.

»Die Mordkommission ist sofort benachrichtigt worden, und als ich eben Ihre Hupe hörte, dachte ich schon, daß die Beamten gekommen wären.«

»Das wird wohl noch eine Weile dauern. Gerade als Sie fortgingen, wurde die Mordkommission vom Alex zum Schlesischen Bahnhof alarmiert. Man hat einen Toten in einem Eisenbahnwagen gefunden, und sie wurde telegraphisch angefordert, ehe der Zug einlief. Die Leute haben alle Hände voll zu tun.«

»Ich bin froh, daß Sie gekommen sind, Herr Kommissar, denn ich allein komme hier nicht vorwärts.« Er dämpfte die Stimme. »Drüben im Wohnzimmer« – er zeigte auf die Tür – »ist Marianne Körber. Die Sache hat sie natürlich furchtbar mitgenommen.«

»Das kann ich mir denken. Aber wir wollen uns gleich an die Arbeit machen. Bevor ich meine jetzige Abteilung übernahm, leitete ich ja das Morddezernat. Wo liegt denn der Tote?« fragte Eisler leise.

Feurig öffnete die Tür und ließ ihn ins Arbeitszimmer eintreten. Dann winkte er Banzer.

»Bleiben Sie hier in der Diele und passen Sie auf, daß niemand hereinkommt und uns stört.«

Der Kommissar betrachtete den Mann am Boden, dann kniete er neben ihm nieder und leuchtete ihm mit der Taschenlampe ins Gesicht. Auch er stellte fest, daß Perquedas Züge wachsbleich waren. Er betastete Perquedas Hand – sie fühlte sich kalt an.

»Wir wollen ihn nicht anrühren, bis der Arzt ihn untersucht hat. Fragen Sie doch einmal beim Präsidium an, wann wir mit dem Eintreffen der Mordkommission rechnen können. Wenn es zu lange dauert, müssen wir einen anderen Arzt rufen.«

Er trat zum Schreibtisch.

»Hallo, was ist denn das?«

»Ich habe es auch sofort bemerkt«, erwiderte Feurig. »Die Telephonschnur ist entzwei. Der Schnitt muß mit einer Schere ausgeführt worden sein. Die Schneiden haben von beiden Seiten gepackt – man sieht es deutlich an dem Kupferdraht. Das kann nur eine Bedeutung haben: Der Täter wollte einen gewissen Vorsprung gewinnen. Er fürchtete wahrscheinlich, daß man den Mord sofort entdecken und ihn verfolgen würde. Dafür spricht vor allem auch, daß Marianne Körber im Wohnzimmer eingeschlossen wurde.«

»Das mag stimmen – es ist sogar wahrscheinlich. Leider müssen wir den Hörer unangerührt lassen, weil vielleicht Fingerabdrücke daran sind.«

»Wir können auch telephonieren, ohne sie zu zerstören. Man braucht den Hörer ja nicht am Griff zu packen, man kann ihn auch an der Muschel aufnehmen. Wenn es Ihnen recht ist, bringe ich den Apparat gleich wieder in Ordnung.«

Eisler nickte, und während er im Zimmer umherging und alles genau betrachtete, kniete Feurig nieder, zog sein Taschenmesser heraus und verband die beiden Kupferdrähte, die er vorher blank schabte. Dann nahm er eine Rolle Leukoplast aus der Tasche und wickelte ein Stück um die Bruchstelle.

»Der Apparat ist wieder in Ordnung«, meldete er schließlich dem Vorgesetzten.

»Gut. Rufen Sie das Präsidium an und erkundigen Sie sich, ob die Mordkommission schon abgefahren ist.«

Mit größter Vorsicht hob Feurig den Hörer ab, und bald darauf hatte er Verbindung mit dem Alexanderplatz. Eisler bewunderte inzwischen die Marmorstatue und den Springbrunnen.

Der Fußboden des Zimmers war mit Linoleum ausgelegt. Darüber lag ein dicker Smyrna, der aber den Boden nicht ganz bedeckte. Am Rand bemerkte Eisler Abdrücke von Gummiabsätzen eines bestimmten Musters. Er bückte sich und verglich sie mit den Schuhen Perquedas, dann nahm er eine Zeitung, die auf einem Stuhl neben dem Schreibtisch lag, deckte sie über die Stelle und befestigte sie mit einigen Reißnägeln, so daß die Spuren nicht beschädigt werden konnten.

»Kommissar Mansfeld ist mit seinen Leuten unterwegs«, meldete Feurig. »Spätestens in einer Viertelstunde müssen sie hier sein. Landgerichtsarzt Dr. Berger kommt auch. Die anderen Herren sind alle zum Schlesischen Bahnhof gefahren. Bei den vielen Passagieren scheint es großen Betrieb zu geben, und sie werden nicht so bald dort fertig.«

»Nehmen Sie inzwischen ein Protokoll auf. Ich will Ihnen schnell diktieren, was wir hier gefunden haben. Auf dem Schreibtisch liegt zunächst ein Fahrscheinheft zweiter und erster Klasse über Köln – Lüttich nach Paris bis Le Havre.«

Behutsam legte er den Fahrtausweis wieder zurück.

»Dann zwei Passageanweisungen für Hin- und Rückfahrt für je eine Luxuskabine auf der Normandie – ausgestellt auf die Namen Juan Perqueda und Marianne Körber. Das widerspräche allerdings den Angaben von Peters, daß Perqueda Fräulein Körber ins Ausland verkaufen wollte. – Dann haben wir hier zwei Pässe.«

Er schlug sie auf.

»Ja, wie ich mir dachte – der eine für ihn, der andere für sie. Weiter: Eine Brieftasche von stark genarbtem, braunem Leder.«

Vorsichtig nahm er sie in die Hand und öffnete sie.

»Steckt soviel Geld darin wie in einer kleinen Kriegskasse.« Er zog die Scheine einzeln heraus und zählte sie. »Donnerwetter, da machen wir ja einen guten Fang! Das sind Devisen! Wie kommt der Mann nur dazu? Notieren Sie: Fünfhundert Pfund in Hundertpfundnoten, dann noch zweihundertundfünfzig Mark in deutschen Scheinen.«

Er diktierte dann noch Angaben über den Mann am Boden.

»Sie haben doch alle Aussagen von Fräulein Körber aufgezeichnet?« fragte er, als alles notiert war.

»Alle gerade nicht, aber die wichtigsten.«

»Es wäre vielleicht gut, wenn ich gleich mit ihr spräche.«

»Ich weiß nicht, Herr Kommissar, ob es ratsam ist, sie jetzt schon zu vernehmen. Sie ist noch sehr mitgenommen. Wir lassen sie besser noch eine Weile in Ruhe und sehen uns inzwischen im Haus um. Ich hatte bis jetzt noch keine Zeit dazu.«

»Sehen Sie her, Feurig, betrachten Sie einmal die Fußspuren – ich habe einige davon mit der Zeitung zugedeckt.«

Der Oberwachtmeister kam der Aufforderung nach.

»Das ist aber ein sonderbares Muster – acht runde Kreise, das sind sicher die Vertiefungen in dem Gummiabsatz – und hier ist auch ein Markenzeichen.«

Er nahm einen Spiegel aus der Tasche.

»Mercedes«, las er vom Boden ab.

»Sonst ist mir nichts im Zimmer aufgefallen außer dem Safe – den können unsere Leute später öffnen. Auch im Schreibtisch finden wir wahrscheinlich noch Material.«

Eisler trat durch die offene Tür ins Schlafzimmer, wo das Licht brannte. Feurig sah sich noch einmal im Arbeitszimmer um und folgte dann seinem Vorgesetzten.

Der Kommissar stand vor dem Bett und betrachtete erstaunt ein großes, prachtvolles Gemälde, das über dem Kopfende hing und einen Frauenkörper in leuchtenden Farben darstellte.

»Die Andromeda von Rubens«, sagte er. »Eine sehr gute Kopie. Geschmack hat der Mann schon gehabt, wenn auch einen sehr eindeutigen.«

Im Zimmer herrschte größte Unordnung. Sie sahen, daß Perqueda in aller Eile gepackt hatte. Der Kleiderschrank stand offen, und verschiedene Anzüge und Wäschestücke lagen auf dem Bett und den Stühlen umher.

Eisler musterte die Wände genau, dann ging er in die rechte Ecke, wo sich in der Nähe des Fensters eine Tür befand, und betrachtete die Klinke.

»Hier sind Fingerspuren. Feurig, kommen Sie einmal her. Vielleicht können Sie die Tür aufklinken, ohne die Spuren zu zerstören.«

»Sehr einfach.«

Feurig zog sein Taschenmesser heraus und drückte mit dem Rücken die Klinke herunter. Aber die Tür öffnete sich nicht.

»Ich habe meinen Schlüsselbund mit«, sagte er, nahm ihn heraus und versuchte einen nach dem anderen.

»Daran könnten wir lange herumarbeiten – die Tür ist ja gar nicht zugeschlossen!« Er hatte einen passenden Schlüssel gefunden und schnappte das Schloß zu und wieder auf. »Sie ist von innen verriegelt.«

»Wohin führt sie nur?«

»Sicher ist es eine Verbindung zu den anderen Räumen. Wir wollen einmal nachsehen.«

Die beiden traten in die Diele hinaus.

»Hier sind wieder die Spuren, die wir drinnen im Arbeitszimmer gefunden haben. Sie scheinen die Treppe hinaufzuführen. Waren Sie schon oben?«

»Nein.«

Die Treppe, die hinaufführte, war hellerleuchtet, und die beiden stiegen zum zweiten Stock hinauf. Oben sahen sie sich auf dem weiten Flur um. Zwei Türen standen offen, und Eisler leuchtete mit seiner elektrischen Lampe in den ersten Raum.

»Hier oben scheint alles leer zu sein. Wenn unsere Leute kommen, soll einer gleich einen genauen Plan von der Lage der Zimmer oben und unten machen.«

Sie traten wieder auf den Flur hinaus und gingen durch die gegenüberliegende Tür. Aber auch dieses Zimmer war nicht eingerichtet.

»Hier können wir nicht viel entdecken, wir wollen wieder nach unten gehen.«

Feurig öffnete die Tür zum Wohnzimmer, als sie wieder in der Diele angekommen waren.

»Bleiben Sie ruhig liegen, Fräulein Körber. Dies ist Kommissar Eisler vom Polizeipräsidium. Wir wollen uns nur einmal über die Lage der Zimmer orientieren.«

Marianne sah auf. Sie hatte die ganze Zeit still vor sich hingeweint.

»Hier war Fräulein Körber eingeschlossen«, erklärte Feurig. »Später ist sie aus dem Fenster geklettert und dabei heruntergefallen.«

»Es tut mir leid, daß Sie soviel Schweres durchmachen müssen«, sagte Eisler freundlich und schaute nachdenklich auf sie nieder. Er hatte viel Erfahrung und besaß große Menschenkenntnis. Ein Blick sagte ihm, daß Marianne einen aufrichtigen, guten Charakter haben mußte und sich nur von diesem Verführer hatte blenden lassen. »Geht es mit Ihrem Fuß schon ein wenig besser?« fragte er schnell, als sich ihre Augen wieder mit Tränen füllten.

»Wenn ich liege, spüre ich keinen Schmerz«, erwiderte sie leise.

»Nachher möchte ich mich gern ein wenig mit Ihnen unterhalten.«

Eisler nickte ihr zu, dann ging er mit Feurig in den Salon.

Sie schlossen die Tür, so daß Marianne nicht hören konnte, was sie miteinander sprachen.

»Der Raum, der durch die Tür von drüben aus zugänglich ist, muß unter der Treppe liegen und kann nicht groß sein. Er müßte eigentlich hier angrenzen«, meinte der Kommissar.

Sie traten dicht an die Fensterwand, und wieder zog Eisler seine Taschenlampe heraus und leuchtete damit das Paneel ab.

»Ich habe es«, sagte er gleich darauf. »Man kann auch von hier in die kleine Kammer kommen.«

Feurig fand ein Schlüsselloch und versuchte, mit einem Dietrich zu öffnen. Aber wieder machte er dieselbe Feststellung. Auch diese Tür war nicht zugeschlossen, sondern von innen verriegelt.

»Sonderbar! Nun, damit müssen wir uns später beschäftigen. Wir wollen jetzt mit den Verhören anfangen. Ich glaube, Fräulein Körber hat sich so weit erholt, und wenn wir sie fragen, wird sie abgelenkt. Natürlich wollen wir möglichst schonend mit ihr umgehen. Wir setzen uns hierher, nebenan können die Leute, die wir vernehmen müssen, warten.«

Als sie wieder in die Diele kamen, trat Banzer auf sie zu.

»Herr Kommissar, unten ist eine Frau. Sie sagt, daß sie sich nach Fräulein Körber umsehen wollte.«

»Wer ist es denn?«

»Nüßlein heißt sie. Sie sagt, Fräulein Körber hätte bei ihr gewohnt.«

»Bringen Sie die Frau einmal nach oben.«

Wenige Sekunden später stieg sie atemlos die Treppe herauf. Der Kommissar war freundlich zu ihr und stellte sich ihr vor.

»Wir sind dienstlich hier – Herr Perqueda ist ermordet worden«, sagte er dann.

»Ach, das ist ja entsetzlich! Wie schrecklich! Ich fürchtete aber schon, daß es so kommen würde!«

Eisler sah sie fragend an.

»Wissen Sie denn etwas von der Sache?«

»Ach ja, Herr Kommissar. Ich habe das Unglück kommen sehen.«

»Dann können Sie uns wahrscheinlich auch helfen, den Mord aufzuklären. Fräulein Körber ist nebenan, Sie können zu ihr hineingehen. Aber im Interesse der Untersuchung wäre es besser, wenn Sie vorläufig möglichst wenig über den Fall mit ihr sprächen.«

Er machte die Tür zum Wohnzimmer auf und ließ sie eintreten.

»Banzer«, wandte er sich dann leise an den Polizisten, »gehen Sie mit und passen Sie auf, daß sie sich nicht über wichtige Dinge verständigen.«

Wieder ertönte draußen die Hupe eines Polizeiwagens.

»Gott sei Dank, Mansfeld kommt. Feurig, gehen Sie hinunter und bringen Sie die Leute gleich herauf.«

Eisler trat inzwischen ins Wohnzimmer. Frau Nüßlein hatte sich neben die Couch gesetzt und versuchte, Marianne zu trösten.

»Ich muß zuerst Fräulein Körber vernehmen«, sagte er, »dann sollen Sie gleich darankommen. Ich hoffe, daß Sie bald wieder gehen können.«

»War denn Herr Peters nicht hier?« fragte Frau Nüßlein ängstlich.

»Darüber können wir uns nachher unterhalten.«

Kurze Zeit später wurde die Tür geöffnet, und Kommissar Mansfeld trat herein. Vor einigen Jahren hatte er unter Eisler gearbeitet, und er verehrte seinen früheren Vorgesetzten. Er war jünger als dieser, etwa Mitte der Dreißig, und machte einen frischen, lebhaften Eindruck. Seine Bewegungen zeugten von Energie und Tatkraft. Er war von leidenschaftlicher Liebe zu seinem Beruf erfüllt, urteilte aber manchmal etwas zu subjektiv.

»Wir wollen in diesem Zimmer kurz beraten«, schlug Eisler vor und ging in den Salon voraus. »Ein sonderbarer Fall, Mansfeld. Es handelt sich um einen Mord, aber die Sache liegt nicht so einfach. Entführung und Mädchenhandel spielen bestimmt eine große Rolle dabei. Die Geschichte geht uns also beide an. Es ist wohl am besten, wenn wir hier verhandeln.«

»Ich bin selbstverständlich mit all Ihren Anordnungen einverstanden und freue mich, daß wir wieder einmal zusammenarbeiten können«, erwiderte Mansfeld herzlich.

»Zunächst muß einer Ihrer Leute eine genaue Skizze von dem Grundstück und den einzelnen Geschossen machen. Wo ist übrigens Dr. Berger?«

»Wir mußten ihn erst in seiner Wohnung anrufen. Der Polizeiarzt der Mordkommission ist auf dem Schlesischen Bahnhof. Dr. Berger muß aber auch jeden Augenblick eintreffen. Er kommt mit seinem Privatwagen.«

Mansfeld gab die nötigen Anweisungen und ließ die Polizisten vom Revier 171, die den Garten bewacht hatten, durch einen seiner Beamten ablösen. Einen anderen beauftragte er, die Haustür zu bewachen, während die Spezialisten vom Erkennungsdienst mit ihrer Arbeit im Mordzimmer begannen.

Eisler ging mit Mansfeld ebenfalls dorthin, zeigte ihm die Protokolle und machte ihn mit den bis jetzt bekannten Tatsachen vertraut.


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