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XXII.

Fritz Rohmer lag in seinem luxuriös ausgestatteten Wohnzimmer auf einer Couch, während sein Diener damit beschäftigt war, den Verband an der Hand zu erneuern. Der liebenswürdige, sonst immer zu Scherzen aufgelegte Mann war wütend und schimpfte über die ganze Welt.

»Dafür zahlt man nun Steuern, daß man sich von niederträchtigen Polizeibeamten derart behandeln lassen muß!«

»Sie müssen aber ruhig halten, Herr Rohmer, sonst sitzt der Verband nachher schlecht.«

»Zum Teufel, Stefan, machen Sie endlich fertig! Ich will noch ins Granada.«

»Aber, Herr Rohmer, ich würde mich an Ihrer Stelle hinlegen. Sie müssen sich doch nach der Aufregung erholen«, sagte Stefan, der seinem Herrn treu ergeben war.

Aber der Personalchef wollte nichts davon wissen. So freundlich er sonst war, so ausgiebig ließ er jetzt seiner bösen Laune die Zügel.

Endlich war der Verband angelegt. Gewandt und flink erhob sich Rohmer von der Couch und ließ sich von Stefan beim Ankleiden helfen.

»Wenn noch etwas sein sollte, Stefan – man kann ja nie wissen – dann können Sie mich im Granada erreichen.«

Mit einer Taxe fuhr er zur Fasanenstraße. Kommissar Eisler hatte ihn unter der Bedingung freigelassen, vorläufig über alles zu schweigen, und Rohmer hatte das versprochen.

Als er im Tanzpalast erschien, wurde er mit großem Hallo begrüßt. Bald hatte er eine lustige Gesellschaft um sich versammelt, und an seinem Tisch ging es am ausgelassensten und lebhaftesten zu.

»Der alte Fritz ist im Krieg gewesen«, erklärte eine hübsche Blondine und stieß vergnügt mit ihm an.

Aber heute nahm er das übel. Er wollte nicht der »alte«, sondern der »junge« Fritz sein.

Philipp, der Oberkellner, trat nach einer Weile leise hinter seinen Stuhl.

»Herr Rohmer, Sie werden am Apparat verlangt.«

Rasch erhob sich Rohmer und ging in die Telephonzelle.

»Ein Bote mit einem dringenden Nachttelegramm ist hier«, meldete Stefan. »Soll ich es aufmachen und Ihnen vorlesen?«

»Nein. Der Mann soll es herbringen. Sagen Sie ihm, daß er den Extragang bezahlt erhält. Aber ich möchte noch wissen, ob er herkommt – ich warte so lange.«

Er überlegte. Wer mochte ihm jetzt eine Nachricht schicken?

Als er an den Tisch zurückkehrte, war die lustige Stimmung plötzlich geschwunden.

»Was gibt es denn?« wandte er sich erstaunt an die Blondine.

Sie zeigte mit dem Kopf fast unmerklich zur Seite.

Er folgte ihrem Blick und sah den Geschäftsführer Colin mit Kommissar Eisler in ernstem Gespräch. Mansfeld stand daneben.

Auf einen Wink Colins brach die Kapelle plötzlich mit dem Spiel ab. Dann zog der Geschäftsführer einen Stuhl herbei und stieg darauf.

»Weiter!« riefen einige Tänzer, aber es gelang ihm, sich Gehör zu verschaffen. Die Leute strömten zusammen und bildeten einen großen Kreis um ihn.

»Es ist ein Verbrechen begangen worden, und die Polizei will das Lokal durchsuchen, weil begründete Annahme besteht, daß sich tatverdächtige Personen hier aufhalten.«

»Polizeirazzia!« rief einer aus der Menge.

»Nein, das ist es nicht. Ich möchte alle Anwesenden bitten, sich ruhig zu verhalten, dann ist die Kontrolle bald vorüber. Inzwischen kann niemand die Räume verlassen.«

»Alle treten in den hinteren Teil des Saals!« rief Mansfeld mit vernehmbarer Stimme.

Die Gäste aus den anderen Räumen, die von den Worten des Geschäftsführers nichts gehört hatten, strömten herein, und zuerst herrschten Durcheinander und Unruhe, aber bald fügten sie sich den Anordnungen des Kommissars. Schnell wurden einige Tische zusammengeschoben, und man sperrte den einen Teil des Saales, in dem die Anwesenden warten mußten, durch Tische ab.

Ein paar uniformierte Polizisten sorgten für Ordnung, und mehrere Kriminalbeamte prüften die Ausweise.

Unter den ersten, die angehalten wurden, befand sich Flora.

*

Eisler hatte schon vorher zu seinem größten Erstaunen Fritz Rohmer bemerkt, ließ ihn rufen und nahm ihn beiseite.

»Ich hätte nicht gedacht, daß ich Sie schon so bald wiedersehen würde?«

»Aber Sie werden doch verstehen, Herr Kommissar, daß ich mich nach einem solchen Schrecken noch ein wenig erholen mußte.«

»Na ja, jeder, wie er kann. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß Sie nicht länger zu warten brauchen. Aber kommen Sie bitte morgen um halb zwei zur Vernehmung ins Polizeipräsidium – Zimmer 247.«

Eisler hatte sich bereits davon überzeugt, daß kein direkter Zugang vom Granada-Palast zu den Räumen von Madame Perault bestand, und nachdem er sich von Rohmer verabschiedet hatte, ging er in ihre Privatwohnung.

»Nun, Margold, wie weit sind Sie?« fragte er den Beamten.

»Wir sind eben mit der Durchsuchung fertig, Herr Kommissar. Einen wichtigen Fund haben wir gemacht.«

»Das hat Zeit bis nachher. Gehen Sie erst ins Granada hinüber und holen Sie Fräulein Hirt her. Ich will sie sofort vernehmen. Melden Sie auch Kommissar Mansfeld, daß ich hier bin.«

Als Margold in den Granada-Palast kam, war die Kontrolle schon weit fortgeschritten, und es warteten nur noch wenige Gäste auf ihre Abfertigung. Die Sistierten standen an einer Wand.

Margold meldete sich zunächst bei Mansfeld.

»Ich bin gleich fertig«, erwiderte der Kommissar, »und komme dann mit Oberwachtmeister Feurig und Fräulein Hirt. In ein paar Minuten sind wir drüben.«

Eisler sah sich inzwischen in der Wohnung von Madame Perault um.

»Nun, wie steht die Sache?« fragte er seinen Kollegen, als dieser mit Feurig und Flora erschien.

»Wir haben nicht ganz zwanzig Personen als verdächtig zurückbehalten. Sie sind auf einem Lastauto zum Alex unterwegs.«

»Wollen wir hoffen, daß ein guter Fang dabei ist.«

Sie setzten sich im Wohnzimmer nieder.

»Fräulein Hirt«, begann Eisler dann, »Herr Peters war heute nachmittag bei mir und hat mir vertraulich Mitteilung von allem gemacht, was Sie ihm gesagt haben. Ihre Freundin Fanny Schmidthals wurde also von Perqueda nach Südamerika verschleppt?«

»Das trifft es nicht genau, aber –«

»Und sie ist heute unvermutet zurückgekommen?«

»Ja. Heute mittag kam sie plötzlich in meiner Wohnung an. Ein Glück, daß ich zu Hause war!«

»Erzählen Sie ruhig einmal mit Ihren eigenen Worten, wie alles gekommen ist.«

»Wir hatten schon immer Perqueda in Verdacht, daß er Frauen indirekt nach Südamerika bringt, aber niemals haben wir einen Beweis dafür gefunden. Auch fürchten sich alle zu sehr, und ich möchte Sie bitten, Herr Kommissar, daß Sie meine Mitteilungen wirklich als vertraulich betrachten.«

»Vor Perqueda brauchen Sie sich nicht mehr zu fürchten – er ist heute abend ermordet worden.«

Flora schrak zusammen.

»Haben Sie den Tanzpalast deshalb durchsucht?«

»Ja. Außerdem haben wir es getan, um Sie unauffällig vernehmen zu können. Aber erzählen Sie weiter.«

»Früher wohnte ich mit Fanny Schmidthals zusammen, und wir verstanden uns ausgezeichnet. Als dann aber Perqueda Einfluß auf sie gewann, richtete er ihr eine eigene Wohnung ein.

Sie berichtete nun alles, was sie auch Peters schon mitgeteilt hatte.

»Ich sah die Katastrophe voraus und warnte Fanny dauernd. Deshalb standen wir nicht mehr sehr gut miteinander, als sie abreiste. Monatelang hörte ich nichts, dann erhielt ich vor einigen Wochen den ersten Brief von ihr aus Rio de Janeiro. Aber ich konnte nichts für sie tun und hatte auch nicht den Mut, mich jemand anzuvertrauen, bis Herr Peters sagte, daß er mir helfen würde. Heute wollten wir das Rückreisegeld absenden, aber am Mittag tauchte Fanny plötzlich bei mir auf.

Deutsche Seeleute hatten das Varieté-Theater besucht, in dem sie fast wie eine Gefangene gehalten wurde, und mit ihrer Hilfe ist es ihr gelungen, auf einem deutschen Dampfer zu entkommen. Vorgestern ist er im Hafen von Hamburg eingelaufen. Der Kapitän hat ihr dann noch das Reisegeld nach Berlin geschenkt. Aber die furchtbaren Erlebnisse haben sie ganz gebrochen. Ich habe für sie gesorgt und sie zu Bett gebracht. Sie hat kaum zusammenhängend erzählen können, und manchmal hat sie wie im Fieber gesprochen. Aber soviel habe ich herausbekommen, daß Perqueda sie nach Paris mitnahm und sie dort einem Agenten in die Hände spielte, der sie dann nach Südamerika brachte.«

»Haben Sie nichts Genaueres darüber erfahren, wie Perqueda das angestellt hat?«

»Hier hatte er ihr vorgespiegelt, daß er sie später heiraten wollte, daß das aber augenblicklich unmöglich wäre, da er mit seiner Frau in Scheidung lebte und der Prozeß erst durchgeführt werden müßte. In Paris stellte er sie dann einem Bekannten vor. Zuerst war Fanny glücklich, aber schon nach einigen Tagen änderte sich Perquedas Benehmen ihr gegenüber. Er sagte, daß er schwere, pekuniäre Verluste gehabt hätte, war mißmutig und erklärte, daß er sich um seine Unternehmen kümmern müßte. Er blieb lange fort und ließ Fanny viel allein. Um so eifriger bemühte sich der Theateragent Antonio Olivarez, Perquedes Bekannter, um sie, führte sie aus, zeigte ihr Paris und machte Ausflüge mit ihr.

Mehrmals kam es zwischen Fanny und Perqueda zu Streitigkeiten, zuletzt dann zu dem endgültigen Bruch. Als er ihr mitteilte, sie müßten nach Berlin zurückkehren, da er bei seinen finanziellen Verlusten das Leben in Paris in diesem Stil nicht fortsetzen könnte, weigerte sie sich natürlich, mit ihm zu gehen, denn sie schämte sich vor ihren Bekannten. Nun hatte Olivarez leichtes Spiel. Er schmeichelte ihr, sprach von ihrer großen Kunst und erwähnte dann, daß er gerade ein glänzendes Angebot für sie nach Südamerika hätte. Fanny griff sofort zu, besonders da Olivarez sich immer sehr zuvorkommend und ritterlich ihr gegenüber benommen hatte. Nach dem Vertrag erhielt sie die Überfahrt nach Rio erster Klasse, und Olivarez erbot sich sogar, sie zu begleiten. Unter diesen Umständen hatte sie die Trennung von Perqueda bald überwunden.

Aber dann kam die furchtbare Enttäuschung. Der Direktor des Theaters holte sie von Bord des Dampfers ab. Olivarez versprach, sie später zu besuchen, um ihrem ersten Auftreten beizuwohnen, ließ sich aber nicht mehr sehen. Es zeigte sich, daß der Vertrag, den sie geschlossen hatte, arglistig abgefaßt war. Sämtliche Paragraphen hatten plötzlich eine ganz andere Bedeutung. Die Fahrkarte erster Klasse für die Seereise war ihr zwar in Paris ausgehändigt worden, aber nun hieß es, die Theaterleitung hätte ihr den Fahrpreis nur vorgestreckt, und sie müßte das Geld jetzt dadurch abverdienen, daß sie die Gäste des Lokals unterhielt. Von einem Auftreten auf der Bühne war überhaupt nicht mehr die Rede, und noch am selben Abend entdeckte sie, daß sie an ein Bordell verhandelt worden war.«

»Die alte Sache! Nur mit einigen neuen Variationen. Wirklich gerissen ausgeklügelt!« sagte Eisler bitter. »Perqueda verschleppt die Mädchen nicht, sondern fordert sie sogar noch rechtzeitig auf, in die Heimat zurückzukehren! – Ihre Freundin befindet sich jetzt also in Ihrer Wohnung? Es wäre sehr wichtig, wenn ich sie morgen im Laufe des Vormittags sprechen könnte.«

»Ja. Aber ich bin sehr besorgt um sie. Ein Glück, daß Marianne Körber vor einem solchen Schicksal bewahrt geblieben ist.«

Plötzlich sah sie den Kommissar mit entsetzten Augen an.

»Wo ist eigentlich Herr Peters?«

»Das wissen wir leider nicht.«

»Hat er – Perqueda – ermordet?«

»Das können wir noch nicht sagen«, erwiderte Mansfeld schnell. »Aber wie kommen Sie darauf?«

»Ich weiß es selbst nicht.«

»Hat er Ihnen gegenüber geäußert, daß er Perqueda etwas antun wollte?«

»Nein, direkt hat er es nicht gesagt, aber sein Wesen war so merkwürdig –«

»Sie haben also den Eindruck, daß er die Tat begangen haben könnte?«

Flora sah zu ihrem Schrecken, daß ihre Aussagen Peters schwer belasteten. Nervös schaute sie Mansfeld an.

»Nein – ich halte es für ausgeschlossen!«

»Sie wollten uns noch etwas von Ihrer Freundin Fanny erzählen«, lenkte Eisler ab, und Flora warf ihm einen dankbaren Blick zu.

»Ich habe sie zuletzt kurz nach drei Uhr gesehen. Sie wollte fort, aber ich habe sie dringend gebeten, zu Hause zu bleiben, und bin nicht eher gegangen, als bis sie es mir versprach. Aber als ich dann um sieben heimkam, war sie verschwunden.«

»Hatte sie keine Nachricht zurückgelassen?«

»Nein. Ich ängstigte mich sehr um sie, weil sie so sonderbar war. Als ich fortging, hatte sie Fieber.«

»Haben Sie eine Ahnung, wohin sie sich gewandt haben könnte? Vielleicht ist sie zu Verwandten gegangen?«

»Nein, Verwandte hat sie nicht. Perqueda hat doch nur solche Mädchen ausgesucht. Ich habe bei der Portiersfrau nachgefragt, und die hat sie gesehen, als sie um Viertel vor vier das Haus verließ.«

»Hat Ihre Wirtin Telephon?«

»Ich habe eine eigene Zweizimmerwohnung, aber ein Telephon kann ich mir nicht leisten.«

»Haben Sie denn einen Arzt gerufen?«

»Das wollte ich tun, ich mußte doch aber sofort Herrn Peters benachrichtigen. Das erschien mir im Augenblick am wichtigsten.«

»Hat Ihre Freundin Ihnen erklärt, warum sie fort wollte?«

»Das möchte ich lieber nicht sagen.«

»Warum? Es ist doch das beste für Sie und alle Beteiligten, wenn Sie uns erzählen, was Sie wissen.«

»Ach, es ist so furchtbar!« rief Flora und brach in Tränen aus. Sie schluchzte heftig, so daß sie nicht sprechen konnte.

Eisler beruhigte sie.

»Liebes Fräulein Hirt, Sie sind durch all diese Erlebnisse natürlich seelisch stark erschüttert, aber ich möchte Sie bitten, uns noch weiter zu helfen. Ihre Angaben sind äußerst wertvoll für uns und erleichtern uns die Arbeit.«

Er ließ ihr Zeit, sich zu fassen.

»Warum wollte Fanny Schmidthals denn wieder fort von Ihnen?« fragte er dann freundlich.

»Sie wollte – zu Perqueda«, erwiderte Flora kaum hörbar.


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