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XXV.

»Ich hatte es mir ja gleich gedacht«, sagte Mansfeld auf der Rückfahrt zum Alexanderplatz. »Nehmen Sie einmal die Photos – ich habe die zusammengehörigen auf ein Blatt geklebt. Sehen Sie her. Dies sind die Spuren am Telephon, dies die Abdrücke an den Türen zum Wohn- und Arbeitszimmer.«

Vorsichtig zog er die Lacktafel aus der Tasche.

»Die Abdrücke kommen darauf wunderbar scharf heraus«, bemerkte Eisler. »Die neue Methode bewährt sich glänzend.«

»Darauf kommt es jetzt aber nicht an. Vergleichen Sie doch nur – es ist sonnenklar, daß diese Spuren von Peters herrühren.«

»Ja, Sie haben recht. Die Frage ist jetzt geklärt.«

»Dann müssen wir aber auch die Konsequenzen daraus ziehen!«

»Aber Peters ist doch nicht geflohen«, protestierte Eisler. »Wir haben uns eine falsche Auffassung über ihn gebildet. Kein Mensch konnte ahnen, daß er einen schweren Unfall hatte.«

»Wie wollen Sie denn beweisen, daß er nicht auf der Flucht war? Es macht doch ganz den Eindruck, daß er in größter Aufregung und vollständig verwirrt über die Straße gelaufen ist. Ein vernünftiger Mensch, der bei klarem Verstand ist, rennt doch nicht blindlings in ein Auto hinein! Der Unfall ist ihm eben passiert, weil er sich Hals über Kopf aus dem Staub machte und fliehen wollte.«

»Das ist eine Ansicht, die sich hören läßt, wenn ich sie auch vorläufig nicht teile«, entgegnete Eisler sachlich.

»Aber nehmen Sie doch einmal alles zusammen. Gleich zu Anfang habe ich Ihnen schon gesagt, wie ich mir den Verlauf der Tat vorstelle.

Zunächst ist klar, daß Peters durch seine gestrigen Erlebnisse in immer größere Aufregung geriet. Nach dem Zeugnis von Marianne Körber, Fräulein Hirt und Frau Nüßlein und nach Ihren eigenen Wahrnehmungen können wir das stufenweise verfolgen. Er hat ein starkes Motiv zur Tat: Seine fast bis zum Wahnsinn gesteigerte Eifersucht gegen Perqueda. Er hat gedroht, daß er ihn ermorden wollte – Zeugnis Rohmer. Am Tatort werden Fußspuren und Fingerabdrücke von ihm gefunden. Ich betone: am Telephon und an der Wohnzimmertür. Über die besondere Bedeutung haben wir ja schon gesprochen. Außerdem haben wir noch festgestellt, daß die Spuren auf dem Linoleumfußboden im Arbeitszimmer von seinen Gummiabsätzen herrühren. Er selbst hat eingestanden, daß er in einer Taxe den Kurfürstendamm hinunterfuhr, in Richtung auf Perquedas Haus. Nach unseren Ermittlungen muß der Mord kurz vor sieben stattgefunden haben. Marianne Körber sieht, daß er zur Haustür hinausstürzt; gleich darauf schlägt es sieben, und ein paar Minuten später wird er bei der Eisenbahnbrücke am Bahnhof Halensee, also in der Nähe von Perquedas Villa, von einem Auto überfahren.«

»Stimmt alles vorzüglich. Sie würden einen glänzenden Staatsanwalt abgeben«, sagte Eisler lächelnd.

»Aber das Wichtigste habe ich noch gar nicht erwähnt: Als Perqueda noch einmal zum Bewußtsein kommt und nach dem Täter gefragt wird, schreibt er ›Pe‹ nieder. Den Aufstrich zum ›t‹ will ich vorläufig noch nicht zu Peters Ungunsten deuten. Aber es spricht ja für sich, daß der Mann tot spielt und sich auf nichts besinnen kann, wenn genaue Auskunft von ihm verlangt wird.«

»Mein lieber Mansfeld, haben Sie denn so wenig medizinische Kenntnisse? Was uns der Assistenzarzt sagte, war mir schon bekannt. Und es hat doch wirklich wenig Zweck, jetzt schon ein endgültiges Urteil zu fällen. Wir wollen erst einmal abwarten, was uns Madame Perault zu sagen hat. Ich habe auch Rohmer und andere Leute zum Alexanderplatz bestellt – einige werden wahrscheinlich schon auf uns warten.«

»Dieser Rohmer ist ein zu sonderbarer Mensch«, meinte Mansfeld,, der sich im stillen darüber ärgerte, daß Eisler nicht auf seine Anschauung einging. Aber er wollte es sich nicht merken lassen.

»Ja, er ist sicher die merkwürdigste Gestalt in dieser Tragödie. Irgendwie spielt er eine große Rolle, und er ist bestimmt ein ausgezeichneter Schauspieler.«

Die beiden schwiegen kurze Zeit.

»Besinnen Sie sich übrigens darauf, daß in dem Geheimfach von Perquedas Koffer ein Notizbuch gefunden wurde?« begann Eisler wieder. »Seit heute morgen wird an der Entzifferung gearbeitet. Unter gewöhnlichen Umständen würde das viele Tage in Anspruch nehmen, aber wir haben Glück gehabt. Das muß ich Ihnen noch erzählen. Unter den beschlagnahmten Papieren aus der Wohnung von Madame Perault befinden sich auch ein Code und ein Schlüssel für diese Geheimschrift. Ich lasse jetzt das ganze Notizbuch übertragen, und ich bin überzeugt, daß wir allerhand Aufschlüsse dadurch bekommen.«

»Ist eigentlich Perquedas Auto genau durchsucht worden?«

»Ja. Aber darin hat sich nichts Besonderes gefunden.«

Der Wagen hielt im Hof des Polizeipräsidiums, und die beiden Beamten gingen ins Zimmer Nr. 247. Als sie sich gesetzt hatten, klingelte Eisler.

Ein Bürodiener erschien.

»Ist Fräulein Körber gekommen?«

»Ja. Außerdem sind ein Fräulein Schöller und ein Herr Bachwitz im Warteraum, die zu Ihnen bestellt sind. Und aus Aachen ist ein Telegramm eingetroffen. Ich habe es auf Ihren Schreibtisch gelegt, Herr Kommissar.«

Eisler sah sich um und bemerkte es. Nachdem er es gelesen hatte, reichte er es Mansfeld.

»Die Sache hat im Augenblick noch keine Bedeutung. Darauf können wir erst zurückkommen, wenn Madame Perault heute nachmittag zur Vernehmung eintrifft. Die wird ja Augen machen! – Sagen Sie Fräulein Körber, daß ich gleich so weit bin, und rufen Sie Herrn Margold.«

Eisler unterdrückte ein Gähnen.

»Warten Sie noch einen Augenblick«, rief er dem Bürodiener nach, der schon an der Tür stand.

»Ja, bitte?«

»Gehen Sie zur Kantine und holen Sie eine Portion Kaffee mit zwei Tassen. Aber er muß stark sein.«

»Ein glänzender Gedanke. Manchmal sind Sie wirklich genial«, erklärte Mansfeld befriedigt.

»Dann sind wir wenigstens in diesem Punkt einig«, entgegnete Eisler lächelnd.

Es klopfte an der Tür, und gleich darauf trat Tramm ein.

»Nun, wie ist es? Was haben Sie ausgerichtet?« fragte Eisler den Kriminalbeamten. »Tramm sollte nämlich eine Spezialfrage lösen, nachdem er in Peters' Wohnung überflüssig geworden war«, wandte er sich an seinen Kollegen. »Ich vermutete, daß Perqueda gestern seine Depots bei verschiedenen Banken abgeholt hat, denn wo sollte er sonst plötzlich so viele englische Pfund herhaben?«

»Wir haben das Notizbuch auseinandergeschnitten«, berichtete Tramm, »damit mehrere Leute zu gleicher Zeit daran arbeiten können. An der einen Stelle fand sich eine Zusammenstellung von Geldern. Wenn man die Gesamtsumme zieht, sind es dreitausend Pfund und fünfzigtausend Franken. Die ausländischen Devisen waren auf verschiedene Banken verteilt. Ich habe angerufen und bei den einzelnen Depositenkassen, die im Notizbuch angegeben sind, festgestellt, daß Perqueda im Lauf des gestrigen Nachmittags dort seine Stahlfächer öffnete und Papiere herausnahm. Hier ist eine Übertragung der betreffenden Seiten des Notizbuchs und ein Verzeichnis der Depositenkassen.«

»Es ist gut, Tramm. Wie weit ist denn die Übertragung des Notizbuchs gediehen?«

»Der Inhalt ist nicht sehr umfangreich, und es wird wohl nicht mehr allzu lange dauern.«

»Bringen Sie mir doch bitte den Text, so weit er bis jetzt ins Reine geschrieben ist.«

Tramm entfernte sich, kam bald darauf wieder und legte verschiedene Blätter vor Eisler auf den Schreibtisch.

»Es handelt sich um Tabellen, die keinen rechten Zusammenhang ergeben. Wenigstens läßt sich bis jetzt noch nichts von Mädchenhandel oder dergleichen daraus beweisen. Wir sind eben bei einer Stelle, an der ein Depot bei der Dresdner Bank, Depositenkasse Kurfürstendamm, erwähnt wird. Er hat auch noch zwei weitere Safes bei anderen Banken.«

»Lassen Sie sich Vollmachten geben und fahren Sie zu den drei Stellen. Bitten Sie die Leute, die Safes zu öffnen, und bringen Sie den Inhalt hierher.«

»Ist der Safe in der Hubertusallee eigentlich schon geöffnet worden?« fragte Mansfeld.

»Ja. Das war eine sehr schwierige Arbeit«, erwiderte Eisler, »und schließlich fand sich nichts darin. Nur ein paar Scheck- und einige Bankabrechnungsbücher. Es war einer der modernsten Safes. Unsere Leute meinten, sie hätten noch nie soviel Mühe gehabt, einen Geldschrank aufzuknacken.«

Er wandte sich wieder an Tramm.

»Also sehen Sie zu, was in den einzelnen Bankdepots vorhanden ist, und arbeiten Sie den Inhalt durch.«

»Ich möchte Sie noch auf eins hinweisen, Herr Kommissar. Unter den Papieren der Madame Perault tauchen öfter Schriftstücke auf, die von einem gewissen José geschrieben sind. Der Name kehrt auch im Notizbuch wieder – Sie können sich selbst davon überzeugen.«

Tramm trat näher und zeigte auf verschiedene Stellen.

»Hier steht zum Beispiel: ›José hat neue Lieferung in Sicht. Verlangt aber höhere Kommission‹.«

»Na, das kann man aber sehr gut auf Mädchenhandel beziehen!«

»Aber beweisen kann man es nicht.«

»Gut, daß Sie mich darauf aufmerksam gemacht haben. Wir werden der Sache nachgehen. Bitte, veranlassen Sie jetzt, daß Fräulein Körber zu uns kommt.«

Mansfeld betrachtete Marianne scharf, als sie in einem einfachen, dunkelblauen Kostüm eintrat. Sie war bleich, aber gefaßt und ruhig. Eisler bot ihr einen Sessel neben dem Schreibtisch an, der so stand, daß der Betreffende, der darin saß, intensiv beleuchtet war.

»Fräulein Körber, wir müssen noch eine Reihe von Einzelfragen klären«, begann er nach ein paar freundlichen Einleitungsworten. Hat Perqueda mit Ihnen darüber gesprochen, wieviel Geld er auf die Reise mitnehmen wollte?«

»Ja. Er zeigte mir seine Brieftasche und sagte, es wären dreitausend englische Pfund und fünfzigtausend Franken darin. Von dem französischen Geld wollte er Madame Perault geben.«

»Es sind aber später nur fünfhundert englische Pfund und einige deutsche Banknoten gefunden worden«, bemerkte Mansfeld.

»Darüber kann ich leider nichts sagen. Ich war ja nachher im Wohnzimmer eingeschlossen.«

»Sie haben uns bereits gesagt, daß Perqueda mehrfach einen gewissen José erwähnte. Können Sie sich besinnen, in welchem Zusammenhang von ihm die Rede war?«

»Ich weiß nichts anderes, als daß er geschäftlich mit Perqueda zu tun hatte.«

»Erinnern Sie sich vielleicht an Einzelheiten?«

»Als Perqueda mich gestern –« Sie brach plötzlich ab, und Tränen traten in ihre Augen. Bis dahin hatte sie sich tapfer gehalten, aber nun wurde sie wieder vom Schmerz übermannt.

»Fräulein Körber, denken Sie daran, daß Sie zur Aufklärung des Mordes beitragen«, sagte Eisler teilnahmsvoll. »Wir müssen den Täter zur Rechenschaft ziehen – konzentrieren Sie Ihre Gedanken darauf, dann wird es Ihnen leichter. Die Beantwortung der Frage ist sehr wichtig für uns.«

Es dauerte einige Zeit, bis Marianne sich wieder gefaßt hatte. Sie trocknete die Tränen und richtete sich entschlossen auf.

»Als er mich nach Hause gebracht hatte, damit ich meine Sachen packen sollte, verabschiedete er sich schnell von mir und sagte, er müßte sich beeilen, weil er um vier Uhr José auf dem Bahnhof Zoo treffen wollte.«

Mansfeld notierte Mariannes Aussagen.

»Können Sie uns sonst noch Näheres über das Verhältnis von Perqueda zu José mitteilen?«

»Nein, darüber weiß ich nichts, aber José hat noch ganz zuletzt angerufen, während Perqueda im Nebenzimmer packte.«

»Haben Sie das Gespräch verfolgen können?«

»Ja. Er hat um Geld gedrängt, und Perqueda bestellte ihn zu zwanzig Uhr siebenundvierzig auf den Bahnhof Friedrichstraße zum Nordexpreß.«

»Aber Sie wollten doch um neunzehn Uhr einundzwanzig vom Bahnhof Zoo abfahren?«

»Ja. Ich habe ihm auch deshalb Vorwürfe machen wollen, aber er sagte, José wäre ein zudringlicher Mensch. Er wollte Madame Perault beauftragen, ihm eine größere Summe auszuzahlen. Er hätte keine Zeit dazu.«

»Persönlich haben Sie diesen José nicht kennengelernt?«

»Nein.«

»Haben Sie ihn auch nicht gesehen, wenn er mit Perqueda sprach? Sie sind doch häufig im Granada gewesen, und sicher war er auch dort.«

»Wahrscheinlich habe ich ihn gesehen, aber nicht mit Bewußtsein. Vorgestellt ist er mir nicht worden, und es hat ihn mir auch niemand gezeigt.«

Kommissar Eisler richtete noch eine Reihe von Fragen an sie, um festzustellen, ob Perqueda sich wegen Mädchenhandels verdächtig gemacht hätte, aber Marianne konnte darüber nichts aussagen.

»Damit wäre Ihre Vernehmung heute vormittag zu Ende, Fräulein Körber«, sagte er schließlich. »Heute nachmittag um fünf wird Madame Perault eingeliefert, die an der Grenze in Herbesthal festgenommen worden ist. Kommen Sie zu dieser Zeit bitte wieder hierher, da sich vielleicht Rückfragen und Widersprüche ergeben, die Sie klären können.«

»Es ist doch merkwürdig, daß wir noch nichts über den Mädchenhandel herausbekommen haben«, meinte Mansfeld, als Marianne gegangen war.

»Die Razzia im Granada hat uns in der Beziehung auch keinen Schritt weitergebracht. Allerdings haben wir einen langgesuchten Hochstapler festgenommen. Es scheint, daß die Polizei bei jeder Razzia etwas anderes erreicht, als sie eigentlich will.«

»Wir wollen einmal den Inhalt des Notizbuchs durchstudieren«, sagte Mansfeld. »Geben Sie mir einige Blätter herüber. Es ist besser, daß jeder für sich liest.«

Einige Zeit herrschte Schweigen. Aber plötzlich schob Eisler den Stuhl zurück.

»Mansfeld, mir kommt ein Gedanke. Hier steht unvermittelt eine Telephonnummer: Barbarossa 2087. Ich will doch einmal nachfragen, wer der Teilnehmer ist.«

Er nahm den Hörer ab und ließ sich die Auskunft des Amtes Barbarossa geben.

»Können Sie bitte einmal nachsehen, wer den Anschluß 2087 hat?«

Es dauerte eine Weile, bis er Antwort erhielt.

»Die Auskunft kann ich Ihnen leider nicht geben, mein Herr. Das ist eine Geheimnummer.«

Er ließ sich mit der Aufsicht verbinden, erklärte, worum es sich handelte, und nannte das geheime Kennwort.

»Sie werden sofort Bescheid erhalten«, entgegnete die Dame liebenswürdig.

Wieder vergingen einige Minuten, dann hörte er dieselbe Stimme.

»Den Anschluß Barbarossa 2087 hat Herr Fritz Rohmer, Motzstraße zwoundvierzig.«


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