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XX.

Mansfeld war enttäuscht. Wenn er auch Peters für stark belastet hielt, mußte er doch Eisler recht geben. Schließlich richtete er sich auf und unterdrückte ein Gähnen.

»Meinen Sie nicht, daß wir für heute genug gearbeitet haben? Morgen ist auch noch ein Tag. Der Geldschrank muß geöffnet werden, die chiffrierten Schriftstücke können wir auch erst morgen entziffern lassen. Außerdem hat sich bis dahin sicher Verschiedenes geklärt.«

»Nein, wir haben noch allerhand zu tun.« Eisler sah nach der Uhr. »Es ist zwar schon halb zwölf, aber das hilft alles nichts. Frau Janowski wartet in ihrer Wohnung über der Garage noch darauf, daß wir sie vernehmen. Wahrscheinlich ist ihr Mann inzwischen auch längst nach Hause gekommen.«

»Aber die arme Marianne Körber dürfen wir doch heute unmöglich noch weiter ausfragen. Sie ist so erschüttert –«

»Das wollen wir auch nicht tun. Frau Janowski können wir aber noch kommen lassen.«

Eisler ging ins Arbeitszimmer, und auf einen Wink schloß der anwesende Kriminalbeamte die Tür zum Schlafzimmer. Der Kommissar nahm den Hörer vom Haustelephon und wartete.

Es dauerte eine Weile, bis sich jemand meldete.

»Hier Janowski.«

»Ist Ihr Mann zu Hause?«

»Ja.«

»Dann kommen Sie beide zum Haupthaus.«

»Mein Mann hat sich aber schon gelegt.«

»Dann muß er eben wieder aufstehen«, erwiderte Eisler kurz und legte den Hörer zurück.

»Was wollen wir denn mit Rohmer machen?« fragte Mansfeld, der seinem Kollegen ins Arbeitszimmer gefolgt war.

»Wir behalten ihn noch hier, bis wir die Janowskis verhört haben. Es wäre möglich, daß wir dann noch weitere Fragen an ihn stellen müssen.«

»Wollen wir ihn nicht festnehmen?«

»Das würde ich nicht tun. Es ist besser, wir lassen ihn frei, wenn die Verhöre zu Ende sind. Zwei unserer Leute können ihn unauffällig beobachten. Ist er schuldig, dann wird er wahrscheinlich einen Fluchtversuch machen und sich dadurch verraten. Außerdem können wir sehen, mit welchen Leuten er zusammenkommt, und seine Telephongespräche überwachen lassen.«

»Sie haben recht«, stimmte Mansfeld zu.

»Ich mache mir nur Sorge um Marianne Körber«, sagte Eisler nachdenklich.

»Vielleicht rufen Sie Frau Nüßlein an und bitten sie, das Mädchen abzuholen. Bei der ist sie im Augenblick am besten aufgehoben.«

Unten öffnete sich die Haustür, und das Ehepaar Janowski kam die Treppe herauf.

»Wir wollen zuerst den Mann vernehmen«, sagte Eisler zu Feurig und ging mit Mansfeld in den Salon.

»Wenn Perqueda tatsächlich ein Verbrecher ist, wird wahrscheinlich auch der Chauffeur mit ihm unter einer Decke stecken«, vermutete Mansfeld. »Wir wollen sehr vorsichtig sein.«

Eisler nickte.

Gleich darauf erschien Oberwachtmeister Feurig mit dem Chauffeur.

Janowski mochte etwa zweiunddreißig Jahre alt sein und hatte eine untersetzte Gestalt. Schlichtes, schwarzes Haar, offene, blaue Augen und eine gesunde Gesichtsfarbe ließen ihn vertrauenswürdig erscheinen.

»Wie lange sind Sie schon in Ihrer Stellung?« fragte Eisler nach Feststellung der Personalien.

»Anderthalb Jahre, solange Herr Perqueda die Villa hier hat.«

Eisler und Mansfeld stellten noch eine Reihe von Fragen an ihn, aber er konnte nicht viel aussagen, denn er war während der fraglichen Zeit in der Stadt gewesen. Auch fand sich kein Anzeichen dafür, daß er in die unlauteren Geschäfte Perquedas eingeweiht war.

Sie schickten ihn wieder fort und ließen seine Frau kommen.

Anscheinend war sie mit ihrem Mann gleichalterig, aber etwas größer als er.

»Von wann ab sind Sie heute nachmittag zu Hause gewesen?«

»Ich war den ganzen Tag zu Hause, nur am Vormittag war ich auf dem Markt zum Einkaufen.«

»Was machten Sie von sechs Uhr ab?«

»Ich war in der Wohnküche.«

»Gewiß, aber was haben Sie denn dort gemacht?«

»Ich saß am Tisch und stopfte Strümpfe.«

»Ist Ihnen später etwas aufgefallen?«

»Ja.«

»Was war das?«

»Als ich zum Fenster hinaussah, ob mein Mann noch nicht käme, schaute ich auch zur Villa hinüber. Es fiel mir auf, daß im Salon und im Schlafzimmer Licht brannte, denn das war außergewöhnlich. Gleich darauf stieg jemand aus dem Fenster und kletterte an der Wand herunter.«

»Wissen wir ja«, wandte sich Mansfeld an Eisler. »Das ist weiter nichts als eine Bestätigung, daß Fräulein Körber aus dem Fenster stieg.«

Eisler suchte den Grundriß des Obergeschosses und den Lageplan des Grundstücks heraus und legte beides vor Frau Janowski auf den Tisch.

»Können Sie einen solchen Plan lesen? Sehen Sie, dies ist der Salon, in dem wir jetzt sitzen, und hier ist das Schlafzimmer.«

»Ja, ich verstehe.«

»Dann zeigen Sie mir einmal, aus welchem Fenster die Person hinausgeklettert ist.«

»Hier – aus dem mittleren Fenster in dem Verbindungsgang.«

Frau Janowski deutete auf die Stelle.

Die beiden Beamten sahen sich verwundert an, dann schüttelte Mansfeld den Kopf.

»Irren Sie sich nicht – war es nicht dieses hier?«

Er zeigte auf das Fenster, aus dem Marianne abgestürzt war.

»Nein, der Verbindungsgang war dunkel. Ich weiß bestimmt, daß es dieses Fenster hier in der Mitte war.«

»Ist ein Mann oder eine Frau herausgeklettert?«

»Eine Frau. Ich habe deutlich sehen können, daß sie einen Rock trug.«

»Aber es war draußen doch dunkel?«

»Ich hatte gerade die große Lampe vor der Garage von innen angedreht, denn ich wollte sehen, ob mein Mann käme.«

»Wann war das?«

»Zehn Minuten vor sieben.«

»Dann muß es doch Fräulein Körber gewesen sein!« sagte Eisler erstaunt. »Die Zeit stimmt. Wie war die Frau denn gekleidet?«

»Dunkel – sie mag auch schwarze Kleider getragen haben.«

»Zu sonderbar. Fräulein Körber hat doch ein hellgraues Reisekostüm mit gleichfarbigem Pelzbesatz. Haben Sie sich wirklich nicht getäuscht, Frau Janowski?«

»Nein.«

Mansfeld blätterte in den Papieren und Protokollen.

»Warum haben Sie denn nicht sofort im Haus selbst angerufen? Die Frau konnte doch einen Einbruch verübt haben!«

»Ich würde mich schwer hüten, so etwas zu tun.«

»Warum denn?«

»Ach, bei dem Betrieb, den Herr Perqueda im Haus hatte – das war immer eine Jagd! Alle Augenblicke hat er eine Neue gehabt. Manchmal waren auch drei oder vier zu gleicher Zeit da. Einmal hatte mein Mann noch einen Auftrag zu erledigen und war spät noch fort, als ich ein furchtbares Geschrei hörte. Dann rief jemand um Hilfe. Ich dachte, daß etwas los wäre, ging zum Haus und klingelte. Aber da hat mir der Herr einen Krach gemacht! Er sagte, ich sollte mich um meine Sachen kümmern und nur kommen, wenn er mich riefe.«

»Das läßt ja tief blicken«, meinte Mansfeld. »Aber nun erzählen Sie einmal weiter. Was hat die Frau denn gemacht? Hat sie sich auf eine Bank gesetzt?« Er hatte inzwischen den Bericht über Mariannes Vernehmung herausgesucht.

»Nein – sie ist weggelaufen. Nachher habe ich sie nicht mehr gesehen, sie verschwand in den Bäumen. Und dann habe ich das Licht ausgedreht.«

»Haben Sie nicht beobachtet, daß die Frau am Efeu herunterkletterte und abstürzte? Hat sie nicht gehinkt?«

»Nein.«

»Hier stehen wir vor einem Rätsel«, sagte Mansfeld. »Aber vielleicht läßt sich die Sache anders erklären.«

Mansfeld sah ihn fragend an.

»Noch eins, Frau Janowski. Das Grundstück ist durch einen eisernen Gartenzaun von der Straße getrennt. Darin befinden sich zwei Tore, ein kleineres der Haustür gegenüber und ein größeres, das als Wageneinfahrt benutzt wird. Hat das Grundstück noch andere Ausgänge? Zum Beispiel nach hinten oder zum Nachbargrundstück?«

»Nein.«

»Wann werden die beiden Zauntore geschlossen?«

»Tagsüber sind sie offen, und mein Mann macht sie meistens erst spät abends zu, weil Herr Perqueda gewöhnlich spät mit dem Auto nach Hause kam. Manchmal standen sie auch die ganze Nacht offen.«

»Nun, das wäre alles, Frau Janowski. Sie können jetzt wieder gehen.«

»Was meinten Sie denn eben?« fragte Mansfeld, als sie sich entfernt hatte.

»Wir wissen doch, daß Madame Perault hier war. Könnte es nicht sein, daß sie es war, die Frau Janowski gesehen hat? Marianne Körber kann es nicht gewesen sein, und Madame Perault war die andere Frau, die ins Haus kam. Sehen Sie einmal, ich habe hier eine Zeittafel aufgestellt. Sechs Uhr fünfzig ist ungefähr die Zeit, zu der Carola Schöller Madame Perault aus der Gartentür herauskommen sah.«

»Aber warum sollte denn Madame Perault aus dem Fenster klettern?« fragte Mansfeld ungläubig.

»Ich weiß keinen Grund dafür, aber es hat sich schon soviel Sonderbares während dieser Untersuchung ergeben, daß ich die Annahme nicht von vornherein ablehnen würde.«

»Dann müßten wir vor allem feststellen, ob sie ein dunkles Kleid getragen hat.«

»Marianne Körber kann uns das sagen. Sie hat sie ja die Treppe heraufkommen sehen. Wir müssen uns sowieso einmal umsehen, wie es geht und was Dr. Berger macht. Freimann wird inzwischen auch Perquedas Taschen durchsucht haben.«

Vorsichtig öffnete Eisler die Tür zum Arbeitszimmer. Marianne lag auf der Couch, und als sie die beiden Beamten sah, richtete sie langsam den Kopf auf.

Eisler trat näher und rückte einen Stuhl heran.

»Nun, wie geht es Ihnen jetzt?« fragte er besorgt.

»Ach, es ist alles so trostlos – so schrecklich! Aber Dr. Berger hat mir ein Beruhigungsmittel gegeben. Ich bin so müde.«

»Ich rufe nachher Frau Nüßlein an. Am besten bleiben Sie die Nacht bei ihr.«

Sie nickte.

»Wir haben nur noch eine Frage an Sie, dann ist es für heute genug. Sie sahen doch Madame Perault, als sie zur Haustür hereinkam und die Treppe heraufging?«

»Ja.«

»Wie war sie gekleidet?«

Marianne besann sich einen Augenblick und stützte den Ellbogen auf.

»Sie trug ein leuchtendgrünes Kostüm, eine gleichfarbige Kappe vom selben Stoff und einen wundervollen Rotfuchs.«

Diese Antwort hatte er nicht erwartet, denn sie warf seine bisherige Vermutung über den Haufen. Aber er wollte sich nicht wie Mansfeld auf eine Theorie festlegen.

Er ging zum Telephon und läutete Frau Nüßlein an, die sich verhältnismäßig schnell meldete. Sie versprach auch, Marianne sofort abzuholen.

Inzwischen war Mansfeld ins Schlafzimmer gegangen und unterhielt sich mit Dr. Berger. Als Eisler zu ihnen trat, kam der Leichenwagen der Polizei an, um den Toten abzuholen.

»Morgen in aller Frühe werde ich die Obduktion vornehmen«, sagte der Arzt.

»Wann können wir wohl mit Ihrem Bericht rechnen?« fragte Eisler.

»Gegen elf Uhr«, entgegnete Dr. Berger und verabschiedete sich.

»Madame Perault war es also nicht, die von Frau Janowski gesehen wurde«, meinte Mansfeld. »Oder die müßte geradezu farbenblind sein.«

»Das wäre auch nicht ausgeschlossen.«

»Es könnte doch aber auch noch eine dritte gewesen sein, wenn sie andere Kleider trug als Marianne Körber und Madame Perault.«

»Frau Janowski hat das sicher nicht aus der Luft gegriffen«, entgegnete Eisler. »Wir wollen selbst einmal an Ort und Stelle gehen. Feurig, sehen Sie doch einmal nach, was Freimann in Perquedas Taschen gefunden hat.«

Eisler und Mansfeld gingen in den Garten hinunter und ließen sich von dem Chauffeur des Polizeiautos starke Handlampen geben. Außerdem nahmen sie einige Beamte vom Erkennungsdienst mit.

Der Boden hinter dem Haus war durch das Herbeischaffen der Leiter ziemlich aufgewühlt worden, glücklicherweise nicht in der Nähe des mittleren Fensters. Zunächst sahen sie deutlich die Stelle, an der Marianne heruntergefallen war.

Hinter dem Gebäude lief ein breiter, kiesbestreuter Weg entlang, aber zwischen dem Haus und dem Wegrand zog sich ein Rasenstreifen hin, und in dem verhältnismäßig weichen Boden zeigten sich unverkennbar Mariannes Fußspuren, die zu der Bank führten.

»Das sind die Abdrücke von Fräulein Körbers Schuhen – sie trägt halbhohe Absätze«, bemerkte Mansfeld.

Gespannt suchten sie die Stelle unter dem Mittelfenster ab, das zu dem Verbindungsgang gehörte.

»Frau Janowski hat doch richtig gesehen – hier haben wir den Beweis dafür«, erklärte Mansfeld plötzlich.

Ein Beamter vom Erkennungsdienst leuchtete mit der Handlampe auf frische Abdrücke, die von einem Damenschuh mit hohem Absatz herrührten.

Alle betrachteten die Spuren genau, die zum Kiesweg führten und dann nicht mehr zu sehen waren.

»Wahrscheinlich werden sie sich auch noch anderswo finden. Marwitz, die beiden Spuren müssen aufgenommen und vermessen werden. Suchen Sie den Garten genau ab und tragen Sie die Spuren dann in den Lageplan ein.«

»Die Form der Schuhe könnte auch zu Madame Perault passen«, meinte Eisler. »Aber wir haben ganz vergessen, daß noch keine Meldung aus der Wohnung von Peters gekommen ist. Wir müssen einmal nachfragen, wie es dort steht.«

Oben telephonierte Mansfeld, und kurz darauf meldete sich Tramm.

»Herr Peters ist noch nicht nach Hause gekommen.«

Der Kommissar sah nach der Uhr. Es war zwölf.

»Gut. Warten Sie weiter.«

Mansfeld legte den Hörer auf den Apparat.

»Es ist doch zu verdächtig, daß er nicht nach Hause kommt. Wollen wir ihn nicht suchen lassen?«

Eisler runzelte die Stirn. Aber es blieb nichts anderes übrig.

»Ja. Das neue Fahndungsblatt geht morgen früh heraus – sehen Sie zu, daß die Sache mit Peters noch in den Nachtrag aufgenommen wird.«


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