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Die Landschaften der Nord- und Ostsee

Die Landschaften der Nordsee haben einen heroischen, die der Ostsee einen idyllischen Charakter. Das liegt zum Teil an der Farbe und Bewegung des Wassers, zum Teil aber auch an den Gestadeformen. Die Uferbildung der Ostsee stellt Felsen, Schutt oder Dünensand dem Meere gegenüber, und der Abfall des Landes ist in der Regel ziemlich steil. Da die Ostsee außerdem weniger stürmisch ist als die Nordsee, liegt sie klarer und abgeschlossener vor dem Beschauer, der besonders in tiefen Buchten manchmal den Eindruck eines stillen blauen Landsees gewinnen mag. Das ist aber eine lichtere Farbe als das dem salzreichen Wasser des Mittelmeers oder des Golfstroms eigne glänzende tiefe Blau, und sie ist einer reichen Abstufung der Töne fähig. Die Nordsee ist grün mit den gelblichen und grauen Beimischungen eines stürmischen, unaufhörlich den Grund aufwühlenden und die Ufer benagenden Meeres. Die Watten sehen wie ein Niederschlag der Stoffe aus, die das Meergrün der Nordseewellen graulich färben. Sie sind grau, und silbergrau schimmern die Fluttümpel hervor. Noch bezeichnender ist für die Nordseelandschaft die frischgrüne Marsch, die dem Meer keinen Felsen und keine Schuttbank entgegenstellt, sondern fast in gleicher Höhe mit dem Meeresspiegel Flächen eines ungemein saftigen Pflanzenwuchses ausbreitet, Wiesen, Getreidefelder, gelbe Rapsfelder, von zahllosen Kanälen durchschnitten, die fast bis zum Rande gefüllt sind. Von dem dunkelbraunen Schlamm- oder Moorboden dieser Kanäle leuchtet kein einziger Kieselstein herauf, ihr Wasser bewegt sich unmerklich, und oft breiten Seerosen eine dichte Decke drüber hin. Nur die aus roten Backsteinen auf künstlichen Hügeln, Werften oder Wurten erbauten Wohnstätten der Menschen ragen über die tiefe Horizontlinie hervor, und der Anschein eines Waldsaumes erzeugt sich nur dort, wo die alten Bäume um diese Höfe im Fernblick zu einer dunkeln Reihe verschmelzen. Es sind sehr friedliche Bilder, die sich dem Beschauer hier darbieten; aber ein Blick auf die geraden, einander schneidenden Linien der Deiche und Kanäle erinnert ihn immer daran, daß nur die unablässige Arbeit und Wachsamkeit der Bewohner die Brandung abhält, diesen Frieden zu ertränken.

Das innige Ineinandergreifen von Land und Meer macht in einem vorwiegend flachen Lande das überall große, weite Meer zur Herrin. Zum Meere kommen noch die breiten Wasserflächen der Ströme, Seen, Buchten und Haffe. Die Städte scheinen aus dem Wasser hervorzutauchen. Stralsund schwimmt auf dem Meere wie Venedig, die Marienburg spiegelt sich in der Nogat, die Häuser friesischer Städte sind direkt ins Wasser gebaut wie die Amsterdams. So steigert sich am Ufer des Meeres die Eigentümlichkeit der Städtebilder des Tieflandes, sich als Silhouetten vom Himmel abzuheben. Die Städtebilder wirken einheitlich und groß. Denn um die Buchten und Flußmündungen drängen sich die Städte zusammen, umgeben sich mit Mauern und Dämmen und stellen den weiten Flächen hohe Türme gegenüber. Um so lebhafter wirken die Dörfer und die zerstreuten Einzelhöfe. Der Ton ihrer hohen, bräunlichroten Ziegelbauten paßt hier wie in der friesischen und holländischen Landschaft besser zu Nebel und Meergrün als zu Blau und Sonne. Vor einer braunen türmereichen Silhouette, wie der von Stralsund, wie lebendig und heiter liegt da das fröhliche Gelb und Grün der welligen Ufer von Rügen mit der milden Röte seiner Ziegelhäuser, die wie zufällig in behaglicher Regellosigkeit am Strande hingewürfelt sind.


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