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Die überseeischen Nachbarn

Auch die Länder, die jenseits der deutschen Meere liegen, sind unsre Nachbarn; wie oft haben sie sich mit ihren Kriegs- und Kaperschiffen und Landungstruppen viel unbequemer gezeigt als die Landnachbarn, deren Kräfte von schwerfälligerer Bewegung sind. Man spricht gewöhnlich nicht von Nordseemächten, weil die Nordsee zu wenig geschlossen, mehr nur Durchgangsmeer ist. Aber Englands Beziehungen zu Deutschland suchen den Weg über die Nordsee. Die Nordsee kreuzten einst die Angeln und Sachsen, die nach England übersetzten, und die Hansekaufleute, die jahrhundertelang den englischen Handel beherrschten. Als England selbständiger geworden war, erschien ihm das durch die Nordsee von ihm getrennte Deutschland weit hinter dem näher gelegnen Frankreich und den einst seemächtigen Niederlanden. Schwer gewöhnte es sich seit 1870 an die Vorstellung eines zweiten mächtigen Nachbars. Seitdem ist aber Deutschland immer größer am Nordseehorizont emporgestiegen; es nimmt heute auch mehr als jedes andre europäische Land von der englischen Ausfuhr auf. Die Niederlande dagegen, an demselben Südufer der Nordsee gelegen, standen stets näher bei Deutschland; in friedlicher Wechselwirkung und in scharfem Wettbewerb knüpfte sich ein Band tieferer Gemeinschaft. Es liegt auch darin begründet, daß Deutschland von dem Augenblick an, wo es die in seiner Nordseelage gegebnen Machtmittel kräftiger nützt, in die Stelle einrückt, die der Niederlande Niedergang offen gelassen hat.

Immer bleibt die Nordsee für Deutschland der Weg zum Ozean, und insofern hat die Nordsee für Deutschland eine größere Bedeutung als für irgendeine andre Macht der Welt.

Die Ostseemächte sind eine viel geschlossnere Gesellschaft. Man hat die Ostsee mit dem Mittelmeer verglichen. Das ist zu viel; denn an die Ostsee grenzen nicht Kontinente, und durch die Ostsee führt keine Weltstraße wie die, die den Isthmus von Suez schneidet. Die Ostsee ist auch siebenmal kleiner als das Mittelmeer. Daher ist sie ein dänisches, ein hansisches, ein schwedisches Meer gewesen. Deutschland und Rußland sind heute durch die Ausdehnung der Küste und des Hinterlands und die Stärke ihrer Flotten die ausschlaggebenden Ostseemächte. Dänemark ist noch immer durch den Besitz der Straße nach der Nordsee wichtig. Aber der Nordostseekanal hat Deutschlands Stellung an der Nordsee mit seiner Ostseestellung in Verbindung gesetzt und macht es möglich, daß Deutschland nun ein weitaus größeres Gewicht in die Wagschale der Ostseeinteressen legen kann als irgendeine andre Macht. Längst sind die Zeiten vorbei, wo England oder die Niederlande im Seeverkehr der Ostsee die ersten waren. Schweden pflegt vom Norden her, wohin es durch die kräftige Entfaltung Preußens aus seinen Pommern und Mecklenburg beherrschenden Südstellungen zurückgedrängt worden ist, heute mit Deutschland einen weit lebhaftern Verkehr als mit allen andern Ostseeländern.

Nord- und Ostsee sind Ausläufer des Ozeans. Deutschland ist also auch eine atlantische Macht. Aber da es nicht an den offnen Ozean grenzt, führen die Wege seiner Häfen zum Ozean alle an den Küsten der Niederlande, Belgiens, Frankreichs, Englands oder Schottlands und Norwegens vorbei. Unsre Bremer und Hamburger Ozeandampfer haben bei der Fahrt aus der Elbe und aus der Weser nach den atlantischen Häfen Nordamerikas ein volles Zehntel ihres Wegs in der Nordsee und im Kanal zurückzulegen. Das bedeutet bei der Natur dieser Meeresteile nicht bloß Zeitverlust, sondern auch vermehrte Gefahr.

Diese Lage hinter den eigentlichen atlantischen Mächten ist in der Natur gegeben; dagegen wurzelt in der traurigen Geschichte Norddeutschlands seit dem Niedergang der Hanse die Zurückdrängung Deutschlands nach dem Festlande. Weder in der Nordsee noch in der Ostsee hat Deutschland vorgeschobne Besitzungen. Die Zeiten sind lange vorbei, wo die Hanse auf Bornholm und Gotland saß. Darum haben wir in der Erwerbung Helgolands eine große Tat gesehen; denn es war der erste Schritt aus dieser Zurückdrängung heraus. Vergessen wir nicht der Zeiten, wo Dänen, Engländer, Schweden und Polen die Inseln, Flußmündungen und Küstenstrecken der deutschen Meere uns entfremdet, das Reich verstümmelt hatten, wo die Nation verkümmerte.


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