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Das norddeutsche Tiefland

Indem die deutschen Mittelgebirge von den Karpaten bis zum Teutoburger Walde nordwestwärts hinausziehen, bleibt ein Raum zwischen ihnen und dem Meere frei, der im Osten breit ist und sich im Westen am Ärmelkanal auskeilt: das norddeutsche Tiefland. Das ist ein Teil des vom Jenissei bis zur Nordsee gleichartigen asiatisch-europäischen Tieflandes: weites Land, weiter Horizont, über weite Strecken armer Boden. Es ist als Tiefland meerverwandt nach Lage wie Geschichte: überall sinkt es langsam zum Meeresspiegel hinab, und die Einflüsse des Meeres machen sich bis in die letzten Tieflandbuchten am Gebirgsrand geltend. An den freien Horizont des Meeres erinnert das Tiefland, wo es am ebensten ist und die Wolkenberge, der Feuerball der untergehenden Sonne und die unerschöpflichen Feinheiten der Luftperspektive die hervorragendsten Züge der Landschaft sind. Aber es ist doch keine einförmig schiefe Ebene. Flach liegt es vor dem Gebirge, langsam taucht es in die Nordsee, aber der Ostsee legt es sich in unabsehbaren Hügelwellen gegenüber, und seine Ströme dämmt es mit 100 Meter hohen Steilufern ein. Wenn es auch Tiefland ist, birgt es noch so viel Höhen- und Formunterschiede, daß es weder Flachland noch Tiefebene genannt werden sollte. Wenn der Kreuzberg bei Berlin, der nur 25 Meter hoch ist, seine Umgebung schon merklich überragt, so ist der Turmberg bei Danzig mit 330 Metern eine bedeutende Erhebung. Man muß die Bäche an seinen walddunkeln Flanken herabbrausen sehen und hören, um zu verstehn, daß die Tieflandbewohner in diesen Höhen schon etwas Gebirgshaftes sehen. Ist doch dieser Berg die höchste Erhebung überhaupt zwischen der Nordsee und dem Ural! Gerade die Natur dieses Tieflands läßt sich nicht aus den gewöhnlichen Karten erkennen, die solchen Höhenunterschieden mit ein paar dünnen Gebirgsraupen oder im besten Fall mit einem Farbenton gerecht werden wollen. Den Eindruck der zwischen Kulm und Marienwerder 100 bis 150 Meter hohe Hügelufer durchbrechenden Weichsel oder der Tausende in den tiefen Trichtersenkungen der in von großen und kleinen Seebecken gleichsam durchlöcherten baltischen Höhenrücken liegenden Waldseen gibt keine Karte wieder. Die Höhenunterschiede des Tieflands sind nur am Menschen selbst zu messen. Außerdem gehört aber die massige Breite des Hingelagertseins zu ihrem Wesen, samt den ebenso breiten und zahlreichen Wasserflächen. Wo die Höhenunterschiede zusammenschwinden, bleiben doch die Verschiedenheiten in der Art und Lagerung der Gesteine übrig, die sich von einer dichten »Steinpackung« erratischer Granitblöcke bis zum Flugsand und der weichen schwarzen Marscherde abstufen mit einer Fülle von Wirkungen auf Pflanzendecke, menschliche Daseinsformen und Landschaft. Daß sich aber über Wald und Meer, Moor und Heide überall ein hoher Himmel wölbt, und daß, je niedriger das Land, desto höher der Himmel ist, desto mehr Licht, Blau und mächtigere, freiere Wolkengebilde im Gesichtskreis sind, darf man am wenigsten vergessen, wenn man die deutschen Tieflandschaften würdigen will.

Die Felsengrundlage

Das norddeutsche Tiefland ist mit dem Schutt der Eiszeit bestreut, den man geologisch jung nennen kann, und aus den Alpen und Mittelgebirgen führen seit Jahrtausenden die Flüsse Sand und Schlamm heraus, den sie im Tiefland ablagern. Aber darum ist dieses Land doch kein junges Erzeugnis der dahinterliegenden Gebirge. Man kann nicht sagen wie von Ägypten: es ist ein Geschenk seines Stromes. Das angeschwemmte Land ist an der Ostsee, wo es überhaupt vorkommt, ein schmaler Streifen und breitet sich nur im Weichsel- und Memeldelta aus. An der Nordsee wird es größer und nimmt am meisten Raum im Rheindelta ein. Unter seiner einförmigen Schuttdecke verbirgt das norddeutsche Tiefland einen gebirgshaft unregelmäßigen Bau voll Spuren und Resten von Falten, Spalten und Verwerfungen. Man kann hoffen, daß eines Tags die Gebirge dieser Zone vor unserm geistigen Auge wiedererstehn werden, wie die uralten Alpen des Mittelgebirgs wieder aufgebaut worden sind. Man ahnt schon jetzt Gesetzmäßigkeiten dieser begrabnen Gebirgsbildung, wenn man Reste anstehender Kreidefelsen in Mecklenburg zwischen Südosten und Nordwesten ziehen sieht, oder wenn in dieser oder einer rechtwinklig daraufstehenden Richtung Täler und Seebecken fast parallel aufeinander folgen oder sich nebeneinander wiederholen. Wie mächtig auch der Gesteinsschutt an manchen Stellen anschwillt, die großen Formen des norddeutschen Tieflands gehören diesem alten Untergrund an. Sehr vereinzelt, aber an nicht wenigen Stellen tritt er felsenhaft zutage. Helgoland und Rügen (Kreide von Stubbenkammer 133 Meter) sind die klassischen Beispiele. Gipsberge der permischen Formation zeigen bei Segeberg in Holstein, Lübtheen im Mecklenburgischen, Sperenberg bei Berlin, Inowrazlaw in Posen darunterliegende Salzstöcke von einer Mächtigkeit an, die zum Teil gewaltig ist. Wo nicht Gipsberge hervortreten, zeugen Höhlen und Erdfälle für das Dasein des leichtlöslichen, bald ausgewaschnen Gesteins in der Tiefe. In Muschelkalkhügeln bei Kalbe an der Milde und Rüdersdorf bei Berlin sind wichtige Steinbrüche aufgeschlossen. An den Küsten und auf den Küsteninseln von Mecklenburg und Pommern, bei Fritzow, Kammin, Soltin, Bartin tritt Jurakalk hervor, bei Dobbertin blauer Liaston in einem 80 Meter hohen Rücken. Besonders verbreitet sind aber Kreidegesteine, die von der Gegend von Itzehoe, wo sie eine Geestinsel bilden, über Heiligenhafen, Schmölln, Usedom (Lübbiner Berg 54 Meter), Wollin bis Kalwe bei Marienburg ziehen. Noch viel weiter verbreitet sind Ablagerungen eines Meeres der mittlern Tertiärzeit, das sich allmählich nach Nordwesten zurückzog, nachdem es an seichten Gestaden und in den Deltas der aus dem Gebirge herabsteigenden Flüsse organische Massen begraben hatte, aus denen dann mächtige Braunkohlenflöze entstanden.

Die Schuttdecke

Der Boden Norddeutschlands trägt die Spuren einer großen Bedeckung mit festem und flüssigem Wasser. Reste gewaltiger Stromtäler und Seen und vor allem einer von West bis Ost reichenden Eisbedeckung geben ihm seine größten und wirksamsten Formen. So allgemein verbreitet diese Reste sind, so ungleichmäßig, ja verworren ist ihre Lagerung. Die Trümmer, die das Wasser in diesen verschiednen Formen hinterließ, sind ausgelaugt, großenteils der Fruchtbarkeit beraubt und höchst ungleich verteilt. Es fehlen die erzreichen Gesteine der deutschen Mittelgebirge, die großen Kohlenlager älterer Formationen. Tertiäre Braunkohlen treten in den Landrücken auf. Solquellen verraten da und dort den Reichtum an Salz in der Tiefe. Vereinzelte Lager von Raseneisenstein, Gips, Kreide werden sorgsam ausgebeutet. Der Ackerbau beklagt die Kalkarmut des Bodens, besonders des Sandes. Fruchtbar sind die Marschländer an der Nordsee und im Weichseldelta, günstig ist die starke Vertretung des Geschiebelehms auf der Seenplatte, des Bodens der herrlichen Buchenwälder und schweren Weizenähren Mecklenburgs. Am ungünstigsten sind die Höhensande des südlichen Landrückens und der alten Talungen sowie die Moore. Diesen unfruchtbaren Strecken gewann nur die ausdauerndste und genügsamste Arbeit Kulturboden ab.

Wo Schutt der Eiszeit den Boden bedeckt, haben sich besonders zwei Bodenformen gebildet, die zugleich zwei Landschaftstypen sind. Wir haben flachgewölbte, gleichmäßige Hochflächen bei Teltow und Barnim, zwischen Posen und Gnesen, zwischen Königsberg und Eydtkuhnen: leichtwelliger Boden, von den schmalen Rinnen des Schmelzwassers der Eiszeit zerschnitten, die bald träge Bäche, bald Torfmoore enthalten, bald auch von Flugsand verschüttet sind, den aus den flachen Höhen das Wasser aus dem Ton und Mergel herausgewaschen hat. Tone und Mergelsande sind als die feinsten Erzeugnisse der Schlämmung des Gletscherschnitts in Vertiefungen abgesetzt, wo einst Eisseen gestanden haben mögen; der fruchtbare, bis zu drei Meter mächtige Deckton gehört zu ihnen. Runde Vertiefungen, Sölle oder Pfuhle, wasser- oder torfgefüllt, sind oft sehr zahlreich, wahrscheinlich bezeichnen sie die Stellen langsamen Abschmelzens verschütteter Eisblöcke, über denen der Schutt trichterförmig einsank. Eine andre Landschaft ist die der Grundmoräne, die am deutlichsten auf dem baltischen Höhenrücken ausgebildet ist: verhältnismäßig starke Höhenunterschiede auf geringe Entfernungen, zahllose, ganz unregelmäßig angeordnete Kuppen, Wellen, Hügel, zwischen ihnen entsprechend zahlreiche und willkürlich zerstreute Seen, Tümpel, Sümpfe, Moore, die häufig keinen oberirdischen Abfluß haben. Auch hier hat die Auswaschung manches verändert, und ein Anfang der Sichtung der Felsblöcke, Tone und Sande ist manchmal sichtbar; aber der Grundzug bleibt die Verworrenheit des Gletscherbodens. Die einst größern Wassermassen haben auch weitere Täler gegraben, in denen sich heute Bächlein so verlieren, daß ein norddeutscher Geologe sie der Maus im Käfig des Löwen vergleicht, und mächtige Seen sind zu Torfmooren geworden. Vor allem gehören aber in diese Landschaft die erratischen Blöcke, zum Teil mächtige Felsen, die aus mancher purpurbraunen Heide wie gewachsne Klippen hervortauchen. In das Grau ihrer Verwitterungskrusten sind dunklere Flecken und Ringe gezeichnet, Flechten und Moose von nordischer Verwandtschaft, die wahrscheinlich zu derselben Zeit einwanderten, wo Eis jenen Block südwestwärts trug. In der Altmark gibt es Striche, wo große und kleine Geschiebe fast pflasterartig dicht nebeneinander den Boden bedecken. In dem ganzen steinarmen Tiefland haben sie als Bausteine für Kirchen, Burgen und Dorfmauern eine große Bedeutung gewonnen, und das holprige Pflaster so mancher nord- und mitteldeutschen Stadt erzählt von der unverwüstlichen Härte der nordischen Granitgeschiebe.

Die Landhöhen

Durchwandern wir das Tiefland vom Meer zum Gebirge, so steigen wir aus dem dunkeln Waldhügelland Preußens, Pommerns, Mecklenburgs an langgestreckten Seen hin in ein sandiges, sumpfiges, mooriges, stellenweis auch mit Felsen bestreutes, aber mit gewaltigem Fleiß entwässertes, kanalisiertes und angebautes Flachland hinab und erheben uns wieder nach Süden zu auf schiefen, sandigen Ebenen oder in Waldtälern zu einem neuen waldreichen Hügelland. Das sind die Landrücken des norddeutschen Tieflandes und die breite Senke zwischen ihnen. Die Eisenbahnen, die die Flächen und die Einsenkungen aufsuchen, zeigen uns freilich nicht viel davon. Es durchziehen ja im norddeutschen Tieflande die ältesten und verkehrsreichsten Linien, wie Berlin-Breslau und Berlin-Thorn, die einförmigsten Gegenden. Das hat dazu beigetragen, daß viele sich das norddeutsche Tiefland flacher dachten, als es ist. Aber man sehe sich auf der erstern Linie um, wie rechts und links die Lausitzer Vorberge und das Katzengebirge auftauchen, flache Höhen, die hier den ernsten Schmuck des Waldes und dort die nördlichsten Weingärten Deutschlands tragen. Die bescheidne Einfachheit ihrer Wellenlinien umweht an manchem grüngrauen Sandhügel ein Hauch von weitabgeschiedner Ruhe. Von den Wellenhügeln der Lüneburger Heide schauen wie von Miniaturgebirgen dunkle Tannen herab. Als Waldrücken tauchen auch der Elm bei Braunschweig, der Deister, die Göhrde an der Weser auf. Der Fläming ragt mit seinem 200 Meter hohen Hagelsberg bei Belzig auf, den Beinamen des »hohen« scheinbar wenig verdienend, den ihm der Volksmund gibt. Wer aber an einem der wenigen, sandreichen Bäche hin in den Fläming hineinwandert, der steht plötzlich vor einer in Sand und Lehm tief eingerissenen Schlucht, einer »Rummel«, in deren Boden das Wasser im aufgeschwemmten Schutt versinkt: ein unerwartet kräftiger Zug, der mächtige Wirkungen von Schneeschmelzen oder Wolkenbrüchen im engen Raum verdeutlicht.

Die Landhöhen des südlichen Norddeutschlands erkennt man wohl auf der Karte an ihrer von Polen bis zur Nordsee festgehaltnen südöstlich-nordwestlichen Richtung. Es ist die Richtung des herzynischen Systems. In Wirklichkeit bilden sie keinen so zusammenhängenden Zug wie die nördlichen. Wir finden hier eine längere und dort eine kürzere Bodenanschwellung und dazwischen breite Lücken. Die Abnahme der Höhe nach Nordwesten zu ist ausgesprochen. Die Verhüllung mit Gletscherschutt aus der Eiszeit verleiht ihnen eine übereinstimmende Bodenbeschaffenheit. Sehr oft sind diese flachen Rücken vollständig mit Sand bedeckt, den die Ströme der Eiszeit zerrieben haben. Bedenkt man, daß diese unbedeutenden Landhöhen unsre sämtlichen Tieflandströme von der Weichsel bis zur Ems in die Nordwestrichtung zwingen und damit dem norddeutschen Tiefland eines seiner folgenreichsten Merkmale verleihen, so wird man sie trotz ihrer unbedeutenden Erhebung als wichtige Elemente unsers Bodenbaues schätzen. Man wird sie auch nicht bloß als vereinzelte Landrücken auffassen, sondern es liegt hier ein zusammengehöriges System von Erhebungen vor uns, worin sich die nordwestliche Richtung der Ostkarpaten, an die sie sich anlehnen, über einen weiten Landstrich wirksam fortsetzt, wenn auch in immer schmäler und niedriger werdenden Ausläufern.

Aus dem Weichselgebiet tritt die breite Massenerhebung des polnischen Landrückens in das südöstlichste Schlesien noch geschlossen ein, teilt sich dann in drei Flügel, von denen einer das im Pfarrberg 360 Meter hohe Tarnowitzer Plateau bildet, eine von schluchtenartigen Tälern zerschnittne kleine Hochebene, die vorgebirgsartig in das schlesische Tiefland zwischen Oder und Malapane vortritt. Weiter nördlich legen sich Katzengebirge und Trebnitzer Berge (310 Meter) vor das Tiefland der obern Oder, ein Höhenzug, aus dessen im Osten dicht bewaldetem, fast an Masuren erinnerndem Hügelgewirr die Bartsch in hundert Seen, Teichen und engen sumpfigen Tälern entspringt, während der westliche Teil dem Ackerbau gewonnen ist, soweit es Sand und nordische Geschiebe zulassen. An dem Mittelgebirgsvorsprung östlich von der Elbe liegen nur flache Senken zwischen der Landhöhe und dem Gebirgsfuß: das Becken von Liegnitz und die Bucht der Schwarzen Elster. Bei Sorau sieht man vom Rückenberg, dem Gipfel des lausitzischen Landrückens (230 Meter), die einst sumpfige Senke als wohlangebautes Tiefland unter sich liegen; und entschiedner nordwestlich zieht dann bis Wittenberg der Fläming elbwärts. Von Süden her schauen aus dem welligen Lausitzer Hügelland die waldbedeckten Kuppen der Lausche und des Kottmar, die an den Ausspruch eines Lausitzer Historikers erinnern: Was die Edelsteine in einem Ringe, sind die Berge auf der Erde.

Nach Westen zu ziehen die Höhenrücken nur in schwachen Ausläufern über die Elbe hinüber. Besonders fehlt Norddeutschland jene dreifache Gliederung, die so bezeichnend für den Osten des norddeutschen Tieflandes ist. Nur die südlichen Landhöhen setzen über die Elbe, wo die Lüneburger Heide, die höchste und größte von allen, eine bis 170 Meter ansteigende wellige Wölbung bildet, aus deren heidebedeckten Gehängen der gelbweiße Sand gleichsam ausblüht, während an andern Stellen die Geröllbildung und die erratischen Felsblöcke vorwiegen. Wie man vom ähnlich gearteten Fläming in der Magdeburger Gegend sagt: Nur Handwerksburschen und Bettler gehn über den Fläming, so ist auch dieser sandige Heiderücken ein vom Verkehr wenig aufgesuchtes, dünn bewohntes Gebiet. Er hat Stellen, wo wie große flache Maulwurfshügel scheinbar regellos durcheinander gehäufte Sand- und Kiesmassen ein kleines Hügelland schaffen. Damit verdichten sich die lichten Föhrenhaine zu Wäldchen. Von den Höhen schauten einst zahlreiche »Dolmen«, gedeckte Steinkammern aus fünf oder sechs unbehauenen Blöcken oder Platten. Der Fuß dieser Höhen aber taucht schon in die Moore ein, die im Ems- und Weserland eine gewaltige Ausdehnung erreichen.

Der Baltische Höhenrücken

Die Ostsee wird überall, wo sie an deutsches Land grenzt, von einem Höhenrücken umzogen, der sich aus Rußland heraus und bis über die schleswigsche Grenze nach Jütland hineinzieht: eine geschlossene, in Preußen und Pommern 100 Kilometer breite Erhebung, die nur von den größten Strömen durchbrochen wird, jedesmal mit starker Änderung ihres Laufes, an wenigen Stellen größere Einsenkungen zeigt und nur einem schmalen Küstenstreifen Raum läßt. Leicht erkennt man die Abhängigkeit der Küstenumrisse von der Gliederung des Landrückens. Dieser aber bleibt in seiner ganzen Länge von 1200 Kilometern eine sanft gewölbte Schwelle mit aufgesetzten niedern Rücken und Bergen und verdient den gemeinsamen Namen Baltischer Höhenrücken auch wegen des übereinstimmenden geologischen Baues, der auf dieselben Grundzüge der erdgeschichtlichen Entwicklung von Preußen bis Jütland hindeutet. Nimmt er von Osten nach Westen an Höhe, Breite und innerm Zusammenhang ab, so bleibt sich selbst sein landschaftlicher Charakter eines dichtbewaldeten Hügellandes von den Fichtenwäldern Ostpreußens bis zu den Buchenhainen Holsteins und einer »Seenplatte« von dem Spirdingsee bis zu dem Ugleisee gleich; an manchen Stellen sind gerade die Seelandschaften Preußens und Holsteins zum Verwechseln ähnlich. Der Schutt der Eiszeit bedeckt ihn überall, an manchen Stellen wohl 100 Meter mächtig, und selbst die Fruchtbarkeit manches gerühmten Weizenfeldes in Mecklenburg und Pommern hängt von der Masse nordischer Kalksteine ab, die hier das Eis hergewälzt und im sandigen Ton begraben hat.

Holsteinischer Buchenwald auf blockbestreutem altem Gletscherboden

Das eigentümlichste Gebiet des Baltischen Höhenrückens bildet der Preußische Rücken, der in der Danziger Bucht und im Weichseldurchbruch eine sehr scharfe natürliche Grenze gegen den pommerschen hat und durch die Memel von dem litauischen getrennt wird. Wo die Ostseeküste im Samland sich nach Norden wendet, zieht der Preußische Rücken nach Ostnordosten, und dadurch sowie durch die im allgemeinen südlichere Lage dieses Rückens entsteht jenes von der Alle und Passarge durchflossene hügelige Vorland, das so bezeichnend für Preußen ist; in seiner Zugänglichkeit und Fruchtbarkeit liegt ein Hauptgrund des folgenreichen geschichtlichen Hervortretens des deutschen Landes zwischen Weichsel und Memel. Denn dieses Vorland mit seinen Hügelzügen und fruchtbaren Schwemmländern macht aus Preußen ein in dieser Weise an der südlichen Ostsee einziges Gebiet, das ebendeshalb seine eigne Geschichte und sein Übergewicht hatte. Dahinter erst zieht der wegen seines Seenreichtums als Seenplatte bezeichnte Höhenrücken, die massigste Erhebung in dem ganzen Zug, ein 100 Kilometer breiter und 120 Meter hoher Wall, über den sich im Westen wie im Osten Hügel von mehr als 300 Metern erheben. Das Vorland bildet zwischen den flachen Deltaländern an der Weichsel und Memel eine Kette von Hügelländern, die, vom Meere gesehen, wie Inseln nebeneinander auftauchen. Im Südwesten drängt sich das Land hinter der Drewenzlinie zu einer Wald- und Berginsel zusammen, deren Eigentümlichkeit einst durch ausschließlich lettische Bevölkerung verstärkt war.

In derselben ostnordöstlichen Richtung wie der Preußische streicht auch der Pommersche Rücken zwischen Oder und Weichsel nordwärts weiter. Die hinterpommersche Küste ist eine treue Wiederholung dieser Richtung. Aber der südwärts gekehrte Rand des Landrückens zeigt dem Blicke von Köslin oder Stolp aus ein tal- und formenreiches, waldiges Hügelland. Die höchsten Erhebungen liegen im Osten. Der Turmberg (330 Meter) liegt südwestlich von Danzig noch auf westpreußischem Boden. Von da an sinkt nach Westen hin der Pommersche Höhenrücken, ohne tiefere Einsenkung auf der 300 Kilometer langen Erstreckung bis zur Oder. Zwischen Eberswalde und Stettin tritt er mit einem steilen Ufer genau so an die Oder wie der Preußische zwischen Fordon und Marienburg an die Weichsel. Die Höhen betragen an der Oder kaum noch 100 Meter.

Im Mecklenburgischen Höhenrücken tritt uns eine ganz andre Richtung der Erhebung, die südöstlich-nordwestliche entgegen. Auch dieser Rücken zieht sich 250 Kilometer weit ohne tiefere Einsenkungen als von 60 Metern von der Oder bis zu der Senke, die südlich von Lübeck Trave und Elbe verbindet. Auch hier sind die einzelnen Höhen im Osten beträchtlich, aber die Wellenhügel um den Schweriner See bleiben unter 95 Metern. Jenseits der Trave-Elbe-Senke haben wir endlich in Schleswig-Holstein gar keinen zusammenhängenden Höhenrücken mehr, sondern eine Reihe von Erhebungen, die noch einmal im Bungsberg 164 Meter erreichen, aber durch mehrere breite Lücken so tief getrennt sind, daß sie eher an die inselähnlichen Hügelgruppen des ostpreußischen Vorlandes erinnern. Die Lübeckische Senke ist 19 Meter hoch, die des Kaiser-Wilhelmkanals 11 Meter; das sind die Tore vom Ostsee- ins Nordseegebiet, die man das Kattegatt des Landes nennen könnte.

Diese preußischen, pommerschen, mecklenburgischen und holsteinischen Abschnitte des Baltischen Landrückens üben auf die Küstengestalt und die Stromgliederung Norddeutschlands einen bestimmenden Einfluß. Ihnen entspricht die Sonderstellung der holsteinischen, der fast halbinselartige Vorsprung der mecklenburgischen und vorpommerschen, das Ansteigen der hinterpommerschen, das Zurücktreten der preußischen Küste. Zwischen je zweien fließt ein Strom in tiefem Einschnitt dem Meere zu, und die Elbe wird durch den lauenburgischen Vorsprung westwärts gedrängt. Nicht zufällig entsprechen diesen Abschnitten alte politische Gebiete.

In der Geschichte Deutschlands ist aber der Baltische Höhenzug im ganzen der Wall, den der zum Meere strebende Verkehr und jede Macht durchbrechen mußte, die die Ostsee vom Südufer her beherrschen wollte. Daher ist jede Unterbrechung dieses Walles eine geschichtliche Stelle von größter Wichtigkeit. Lübecks große Stellung in der Geschichte der Ostseeländer ist mit durch die Lücke des Höhenrückens begründet, der sich nach der Elbe in der Richtung auf Lauenburg zu zieht. Seinen Wert verdeutlicht die Kanalisation der durch diese Lücke fließenden Stecknitz, die schon im Mittelalter die Elbe mit der Trave schiffbar verband. In jener andern Senke, wo die Eider in nur 11 Meter Höhe ihre Quellen bei Rendsburg sammelt, während die Nordsee ihre Gezeiten ebensoweit eideraufwärts führt, durchschneidet der Kaiser-Wilhelmkanal die cimbrische Halbinsel. Das 150 Kilometer lange Quertal Bromberg–Danzig ist die erste große Naturstraße aus Polen nach der Ostsee. Seine politische Wichtigkeit bezeugen die Kämpfe zwischen Deutschherren und Polen, später zwischen Preußen und Polen und Preußen und Franzosen um die Festungen, die die Anfangs- und Endpunkte dieses Durchbruchs decken. Ähnlich wie hier Thorn und Danzig liegen Küstrin und Stettin zum Oderdurchbruch. Wie dort die Polen, hatten hier die Schweden die Wichtigkeit der Passage erkannt. Und so gehörte zu den Grundtatsachen der Entwicklung der Macht Preußens die Befreiung des Weichselweges aus polnischer und des Oderweges aus schwedischer Beschlagnahme.

Die großen Täler

Die einem flüchtigen Blick auf die Karte sich aufdrängende Teilung des norddeutschen Tieflandes in Querabschnitte, die von den Strömen Weichsel, Oder, Elbe und Rhein begrenzt sind, liegt nicht so tief in der Natur dieses Landes wie die breiten Talungen zwischen dem nördlichen und südlichen Höhenzug, die durch diese Flüsse durchschnitten werden. Dieses sind die erdgeschichtlich tiefst begründeten Senken des Tieflandes. Diese breiten Täler vermögen allerdings der Landschaft nicht die energische Gliederung zu verleihen, durch die der Oder- und der Weichseldurchbruch ausgezeichnet sind. Das Mächtige liegt vielmehr auch hier in der Breite.

Diese westöstlichen Talsenken verstärken den ozeanischen Charakter des Tieflandes. Auch von den geschichtlichen Wirkungen gilt dies. Die flache Wölbung des Fläming hielt keine Wanderschar auf, wohl aber vermochte das die über 3000 Quadratkilometer umfassende Talung, die nördlich davon liegt, besonders als sie noch mit Sumpf und Wald bedeckt war. Da gewannen auch einzelne Übergänge und Durchgänge, Naturbrücken trocknen Landes in den See- und Sumpfgebieten, wie der Netzepaß von Driesen, eine hohe Bedeutung, und einige der größten Städte Norddeutschlands danken ihr erstes Aufblühen der Lage an solchen Stellen, unter andern Berlin. Der Eindruck dieser Täler, die kleine Flachlandgebiete für sich sind, ist besonders dort merkwürdig, wo die jüngern, schmalen, wenn auch tief eingefurchten Täler mit ihnen in Verbindung treten. So großartig das Weichseltal unterhalb Fordon auch ist, es ist doch nur ein Nebental, ein schmaler Abzugskanal des breiten alten Weichseltales. Es müssen sich gewaltige Wassermassen in diesen Tälern bewegt haben, und vor der blauen Mauer des sich zurückziehenden Eises müssen sich in ihnen wahre Binnenmeere gestaut haben. Später sind sie versumpft, vermoort, versandet. Erst seitdem sie das Bett der wichtigsten Querkanäle geworden sind, von der Elbe bis zur Weichsel, hat der menschliche Verkehr ihnen etwas von der Bewegung wiedergegeben, mit der einst die Schmelzwasser diluvialer Gletscher sie durchflutet hatten. Im mittlern Norddeutschland flossen vier solche Ströme, die alle in der Gegend der heutigen untern Elbe in die bis gegen die Havel hereinragende Nordsee mündeten. Da war ein altes Weichseltal, worin nun Strecken der Narew von der Bugmündung an, der Weichsel bis Fordon, dann Netze und Warthe bei Bromberg, Nakel, Küstrin und der Finow-Kanal bis Eberswalde fließen. Die Mündung in die Elbe muß bei Havelberg gelegen haben. An derselben Stelle mündete auch ein altes Odertal, das man durch das Warthetal und den Obrabruch in das heutige Odertal und die Spree verfolgen kann. Der Spreewald ist ein Rest eines südlichern Odertals, und die Alte Elster hat ein altes Elbtal ausgenommen; beide ziehen gegen Genthin hinaus.

Die Tieflandbuchten

Drei große Einbuchtungen legt das Tiefland zwischen die Gebirge des Mittlern Deutschlands. Es sind die Täler des Rheins, der Elbe, der Oder. Die ebenen Formen, die geringen Erhebungen, die Hemmung des raschen Abflusses der Wässer, milderes Klima, üppigeres Wachstum und dichte Bevölkerung werden durch sie mitten in die Rauheit des Hochlands hineingeführt. Dem Verkehr sind sie in demselben Sinne günstig wie Einbuchtungen des Meeres; daher besonders die wichtige Lage von Köln, Leipzig, Breslau. Landschaften von hoher geschichtlicher Bedeutung: das oberrheinische Tiefland, einst das oberdeutsche Kanaan genannt, das Dresdner Becken, das Liegnitzer Gelände gehören diesen Tieflandbuchten im Schutz des Gebirges an. Die hohe Kulturbedeutung des oberrheinischen Tieflands, das der Kern des Deutschen Reichs im Mittelalter war, das Vorragen des slawischen Völkergebiets in der schlesischen Bucht, die Schlachtfelder um Leipzig lassen die vielseitige geschichtliche Bedeutung dieser Landschaften erkennen. Das Tiefland greift in ihnen an zwei Stellen bis an die Südgrenze des Reichs. Die Sohle des Odertals liegt bei Ratibor unter 200 Metern, und im obern Rheintal wird diese Höhe erst oberhalb Müllheim im Markgräflerland überschritten. Die Elbe betritt bei Bodenbach das deutsche Gebiet in einer Höhe von 135 Metern. Von Gebirgen umgeben, deren Gipfel an manchen Stellen um mehr als 1000 Meter die Talsohle überragen, sind die Landschaften dieser Ebenen oft tischartig flach, wie an so manchen Stellen die oberrheinische Tiefebene. Dieses Tal ist eine der vollkommensten Ebenen Deutschlands; Föhrenhaine im tiefen, hellen Rheinsand und kleine Heiden versetzen bei Karlsruhe und Darmstadt sogar in das norddeutsche Tiefland. Dagegen werden sie ungemein eindrucksvoll, wenn sie sich im Fernblick von Vorbergen umrahmt blauend ins Weite ziehen, so wie man die fruchtbare Ebene des untern Neckars und des Rheins vom Heidelberger Schloß überschaut. Einige der schönsten Landschaftsbilder Deutschlands, außer dem genannten besonders noch Baden und Freiburg i. B., Meißen, gehören solchen Einbuchtungen an. Schön ist auch der Eindruck der wie bergige Inseln aus der Fläche der Tieflandbuchten hervorsteigenden vulkanischen Gebirge und Berge, besonders des Kaiserstuhls (560 Meter) am Oberrhein.

Das staffelförmige Übereinandervortreten der Höhenzüge nach Nordwesten zu schafft auch kleinere Tieflandbuchten, zu denen die sächsisch-thüringische Bucht an der Saale und der Elster und die westfälische Bucht zwischen dem Teutoburger Wald und den Ausläufern des Rheinischen Schiefergebirges gehören. Die größern Buchten verzweigen sich wieder in kleinere Ausläufer, die nicht selten mit ausgedehnten Senken in Verbindung treten. Dazu gehört die hessische Bucht mit ihrer Fortsetzung an der Fulda und Lahn. Die Lage von Frankfurt und die geschichtlichen Orte Gelnhausen, Wetzlar, Limburg, Fulda zeigen die Bedeutung dieser weiterhin nach Norden zur Weser führenden Reihe von Vertiefungen.

Wo es Einbuchtungen gibt, da gibt es auch Vorsprünge, die wie Vorgebirge des höhern Landes in das Tiefland hinaustreten: die Höhen von Osnabrück und der Teutoburger Wald, Deister, Harz, das sächsische Hügelland, die Oberlausitz und die Vorhöhen des Eulengebirges, vor allem der kühn ansteigende Zobten, gehören dazu. Auf oder an diesen Vorgebirgen liegen bedeutende Städte, die einst im Schutz ihrer Burgen herangewachsen sind und nun von den Abzweigungen der Verkehrsströme bespült werden: Essen, Dortmund, Bückeburg, Minden, Hildesheim, Halberstadt, Quedlinburg, Merseburg, Meißen, Bautzen, Görlitz, Schweidnitz, Neiße.

In kleinem Maßstabe tritt der Gegensatz der geschützten Bucht zum rauhen Gebirge in zahllosen einzelnen Fällen am Rand unsrer Gebirge auf. Wir verdanken ihm die mildesten Lagen auf deutschem Boden von Badenweiler und Kolmar bis Blankenburg am Harz und Meißen. Er zeichnet selbst am Südfuß der rauhen Rhön die kurzen Taleinschnitte aus, die trefflichen Ackerboden enthalten; dort liegt die Gegend von Bischofsheim in Hainen von Obst- und Walnußbäumen, während aus rauher Höhe die fast alpin kurzrasigen Triften der Rhön herabschauen.


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