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Der deutsche Boden

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Der Aufbau und die Geschichte des deutschen Bodens

Deutschland liegt als ein vielgestaltiges Land vor dem einheitlichen Bau der Alpen. Vielgestaltig ist der deutsche Boden, weil er eine wechselreiche Geschichte hat. Ein uraltes Gebirge, das ihn einst überragte, ist abgetragen, ein jüngeres, das im Vergleich mit den Alpen alt ist, blieb erhalten; von jenem sieht man im norddeutschen Tieflande kaum die Grundlinien, von diesem stehn in Mitteldeutschland noch die verwitterten Grundbauten. An manchen Stellen sind Stücke des Erdbodens versunken, deren Lücken durch angeschwemmte Ebenen ausgefüllt sind, an andern sind aus einer von den zahllosen Spalten, die diesen Boden verwerfen und zerklüften, Vulkane emporgestiegen oder haben sich vulkanische Gesteine breit ergossen. Besonders häufig sind Senkungen, die stufenweis abfallen, wo jüngere Gesteine sich über ältern zu Riesentreppen aufbauen, wie am Fuße des Schwarzwalds, der Vogesen, des Bayrischen Waldes. Große Teile des Mosel-, Neckar- und Donaugebiets sind so gebaut. Oder zwischen Senkungen sind mächtige Blöcke als Horste stehn geblieben. Endlich sind jüngere und jüngste Niederschläge zwischen dem alten Felsgerippe liegen geblieben, zum Teil es verhüllend, so wie sich der Schlamm einer Überschwemmung zwischen die Säulenstümpfe eines alten Tempels legt. Darin beruhen die größten Unterschiede der Landschaft zwischen Tiefland und Hochgebirge: In den deutschen Mittelgebirgen ragt nur noch das widerstandsfähigste Gestein hervor, während alles zersetzlichere in die Tiefe gegangen ist. In ihren Zwischenräumen kommen dagegen die jüngern zwischen die alten hineingelagerten Formationen noch in der ganzen Eigentümlichkeit ihrer Lagerungsweise und Stoffzusammensetzung zur Geltung. Sie bilden hier Platten und dort Hügelländer, aber immer auf einer massigen geschichteten Unterlage, nicht selten in verschiedenfarbigen Schichten so deutlich Quader auf Quader übereinanderbauend, daß der Vergleich mit dem Werke eines mit Riesenkräften schaffenden Architekten naheliegt, wobei es denn, wie in den in den Jura geschnittnen Donau- und Altmühltälern, auch nicht an kleinern und selbst zierlichen Werken der Gebirgsarchitektur, an Pfeilern und Gesimsen fehlt, oder an Felsenfenstern und schmalen Seitentoren, die uns den Einblick in ein kleines Tal eröffnen, auf dessen grünem Grunde ein stilles Bächlein seine Bogenlinien beschreibt.

Die Bodengestalt Deutschlands hat keinen Mittelpunkt, kein Zentralgebiet. Zwischen Süden und Norden liegen die Streifen der Alpen, des Mittelgebirgs und des Tieflands hintereinander, in denen wieder untergeordnete Streifen oder Gürtel hervortreten, die besonders in dem anscheinend so einförmigen norddeutschen Tieflande deutlich ausgesprochen sind. Diese werden gekreuzt von Senkungen, in denen Ströme und Flüsse von Süden nach Norden fließen. So wenig wie ein Schachbrett ein Mittelgebiet hat, um das sich alles anordnet, und dem sich alles unterordnet, so wenig hat Deutschland ein solches aufzuweisen. Seine Eigentümlichkeit ist, ein vielgestaltiges Land zu sein. Nur ein großer Zug knüpft alles Land vom Alpenrande bis zum Meere zusammen; das ist, daß ganze Gebirge und einzelne Rücken, Falten, Brüche, Spalten, Bergreihen, Täler, Flüsse zwei wiederkehrenden Richtungen folgen, die in vielen Fällen genau rechtwinklig aufeinander stehen.

In diesen Richtungen haben gebirgsbildende Kräfte gewirkt, von denen oft keine andre Spur mehr übrig ist als ein abgelenkter Flußlauf oder sogar nur ein mit Kalkspat ausgefüllter Riß im Felsen. Die eine geht von Südwesten nach Nordosten und wird wegen ihres Vorwaltens in den mittelrheinischen Gebirgen die niederländische, rheinische, auch die erzgebirgische genannt; die andre geht von Südosten nach Nordwesten und wird die herzynische oder sudetische genannt. Zwar treffen und kreuzen sie sich und kommen in einzelnen Gebirgen, wie dem Fichtelgebirge, dem vogtländischen Berglande und Harz, dicht nebeneinander vor; aber doch sind im Bau des deutschen Bodens ihre Züge groß und deutlich zu sehen. Die herzynische Richtung ist nun in den größten und zusammenhängendsten Höhenzügen nördlich von der Donau ausgesprochen, vor allem in der großen Diagonale Linz-Osnabrück; sie beherrscht im ganzen den Unter- und Mittellauf aller Ströme, die aus dem mittlern Deutschland zur Nord- und Ostsee gehn, und bestimmt damit eine Reihe der wichtigsten Verkehrswege. Deswegen kommt sie auch selbst in der Lage und Richtung der großen Gebiete dichter Bevölkerung im Elb-Odergebiet und den dazwischen liegenden Gebieten dünner Bevölkerung zum Ausdruck. Die rheinische Richtung waltet mehr im westlichen Deutschland vor, wo von Höhenzügen ihr vor allem das ganze System der rheinischen Schiefergebirge angehören. Im Harz ist sie die ältere, wenn auch zurücktretende Richtung, aber sehr ausgesprochen tritt sie im Erzgebirge auf.

Spalten und Einbrüche des Mittelgebirges, die viel jünger sind als die alten Faltungen, zeigen dieselben Richtungen. Ein Blick auf die Donau zeigt sie uns in den Schenkeln des Winkels Ulm-Regensburg-Linz.

Deutschland ist auch im erdgeschichtlichen Sinne keine Einheit. So bunt wie seine Geschichte, so groß ist der Wechsel der seinen Boden aufbauenden Gesteine. Es liegt auf diesem Boden das Gebiet jüngerer Gebirgsfaltungen südlich von der Donau neben einem Gebiet alter, zerfallner und zersetzter Gebirge nördlich davon; und von Norden und aus den Alpen her haben sich Schuttmassen der Eiszeit darüber gebreitet. In dieser Geschichte liegt es, daß unser Boden einfacher gebaut ist im Süden und Norden als in der Mitte. Wo am längsten die Meere ausgehalten haben, und wo am weitesten die Gletscher der Eiszeit ihren Schutt ausgestreut haben, da haben wir die einfachsten geologischen Verhältnisse. Das ist im norddeutschen Tiefland und im Voralpenland. Verhältnismäßig einfach ist auch noch der breite Streifen mächtiger Kalke und Dolomiten, die die Kalkalpen aufbauen. In jenem alten Gebirgsland aber, das heute die wie ein Trümmerwerk auseinandergerissenen deutschen Mittelgebirge umschließt, sind älteste kristallinische Gesteine entblößt, die von den Vogesen bis zu den Sudeten als kuppenförmige Granit- und Gneisinseln den Kern und die Höhen der Gebirge bilden. Zwischen und neben ihnen haben mächtige Ablagerungen alter Meere Platz gefunden. Am Mittelrhein nehmen alte Kalke und Schiefer der devonischen und Kohlenformation weite Gebiete ein, deren schwerzersetzliche Grauwacke durch Undurchlässigkeit Sumpfbildung begünstigt und dem Ackerbau wenig günstig ist, während an ihren Rändern, in eisenreiche Tone und Sandsteine gehüllt, die unermeßlichen Schätze der Kohlenflöze liegen, den Hochöfen nächst zur Hand. Im Zechstein treten Dolomite auf, die in der kleinen Landschaft Niederhessens dieselbe Neigung zu kühnen Felsbildungen zeigen wie in den himmelanstrebenden Zinnen der Alpendolomiten. Weit verbreitet sind von den nördlichen Vogesen an durch den nördlichen Schwarzwald, den Odenwald, Spessart, das hessische Bergland, Thüringen und das obere Wesergebiet die roten, oft leuchtend purpurbraunen Gesteine des Rotliegenden und des bunten Sandsteins, eine mächtige, aber einförmige Bildung, die dem Walde günstiger als dem Acker ist. In weiten Gebieten Mittel- und Südwestdeutschlands breitet sie über Ackerland und Stadtarchitektur einen rötlichen Hauch. Von Basel bis Frankfurt sind die Münster und Dome aus rotem Sandstein gebaut. In Lothringen, Franken, Schwaben und am Nordrand des Thüringer Waldes folgen darüber graue Kalksteine, helle Sandsteine und bunte Mergel des Muschelkalkes, Keupers und der Juraformation. Die einförmigen, wenig fruchtbaren und oft noch dazu wasserarmen Muschelkalke, die landschaftlich einfache Stufen mit fast horizontalen Begrenzungslinien bilden, sind im mittlern wie im südlichen Deutschland etwas zu weit verbreitet. Wir erkennen sie in Thüringen wie im Tauberland an den grauen Cyklopenmauern, die der Bauer um seinen Acker aufschichtete, als er die Platten und Fladen des Muschelkalkes herauspflügte. Viel mannigfaltiger sind die in welligen Hügelländern auftretenden Keuper- und die manchen fetten, fruchtbaren Schieferboden umschließenden und in rasch wechselnden Abstufungen auftretenden Juraformationen. Die Kreide hat in Deutschland keine große Verbreitung, aber wo sie erscheint, ist sie auch charakteristisch. So finden wir sie in den strahlend hellen Klippen von Rügen und in den phantastischen, im kleinsten Rahmen kühnen und doch so lockern Quadersandsteinfelsen der Sächsischen Schweiz. Auch der ehrwürdige Dom von Quedlinburg steht auf solchem Gestein. Leicht zersetzlich, weich in den Formen, meist auch fruchtbar sind die Tertiärbildungen in den Becken von Mainz, Kassel, längs des Oberrheintales, am Fuß der Alpen und zerstreut am Fuß der Mittelgebirge.

Als die Wärme abnahm, die in der mittlern Tertiärperiode Deutschland ein subtropisches Klima gegeben hatte, floß das Eis von den Gebirgen Skandinaviens nach Süden und von den Alpen nach Norden vor. Wo heute die Nordsee liegt, trafen damals die Gletscher Skandinaviens und Britanniens zusammen, und das Eis lag von der Rheinmündung bis zum Harz; sein Rand zog dann im Elbtal bis Dresden und umsäumte die Sudeten. Erratische Blöcke liegen in den Weinbergen von Naumburg. Von den Alpen aber stieg das Eis herunter, bis es vor den Toren von München und Augsburg, in Oberschwaben und auf den südlichen Vorbergen des Schwarzwaldes stand. Dieses Eis hat nicht bloß da gewirkt, wo es Felsboden schliff und Schutt ablagerte, sondern weit darüber hinaus durch den kalten Hauch, der von ihm ausging und in den polaren Bürgern unsrer Flora und Fauna seine Zeugen hinterlassen hat. Es kam dann eine Zeit, in der das Eis zurückging, und auf dem frei gewordnen Boden entwickelte sich eine reiche Vegetation, deren Reste wir mit denen großer Säugetiere und auch des Menschen in dem Glimmersande, Spatsande, Korallensande des norddeutschen Tieflandes finden. Dann legte sich eine neue Eisdecke über das Land, die nicht ganz so ausgedehnt war wie die erste. Als auch sie zurückging, ließ sie, ebenso wie die erste, einen »Geschiebelehm« zurück, worin geschliffne und gekritzte Geschiebe von scharfen Umrissen neben gerollten Steinen liegen. Wo die Ablagerungen der Eiszeit vollständig sind, haben wir daher einen untern Geschiebelehm, der meist grau ist, darüber interglaziale Ablagerungen, oft aus Sand bestehend, und dann einen obern Geschiebelehm, der meist braun ist. In den deutschen Mittelgebirgen stiegen Gletscher im Schwarzwald, in den Vogesen, im Böhmerwald, im Riesengebirge bis 700 Meter herab; überall haben die alten Moränen kleine Seen abgedämmt, die als grüne und blaue Edelsteine dem ernsten Gestein und dunkeln Wald dieser Gebirge eingesetzt sind.

Deutschland ist ein vulkanreiches Land; besonders in einem mittlern Strich zwischen dem 50. und 52. Grad sind von der Mosel bis zur Neiße alte Vulkane weit verbreitet. Man braucht nur die Eifel und die Rhön, den Meißner und die Landeskrone, im Süden den Hohentwiel und den Kaiserstuhl zu nennen, um an ihre Verbreitung und an ihre Rolle in der deutschen Landschaft zu erinnern.

Große Massenergüsse vulkanischer Gesteine, die weite Gebiete mit oft mächtigen Lagen bedecken, bilden ganze Gebirge, wie den über 2000 Quadratkilometer umfassenden Vogelsberg, oder überlagern in großer Ausdehnung andre Gebirgsglieder, wie den Meißner und Habichtswald, wo die über hundert Meter hohe Basaltdecke über Tertiärschichten mit Braunkohlen und über Buntsandstein liegt und mächtige Äste, ausgefüllte Ergußspalten, in die Tiefe sendet. Eine hessische Landschaft ist unvollständig ohne die Kuppen, Decken oder Mauern der Basalte. Meist erscheinen die altvulkanischen Gesteine bei uns als rundliche Kuppen von flacher Wölbung. Wo indessen das fließende Wasser diese Gesteine zerschnitten hat, da kommen scharfe Klippen zum Vorschein. Nichts gleicht im Harze an Kühnheit den Porphyritklippen der Fels- und Steinwüste von Ilfeld, die im denkbar schärfsten Gegensatz zu den rundlichen Diabaskuppen am Rande des Gebirges bei Goslar und Stolberg stehn. Wo Ströme vulkanischer Gesteine erkaltet sind, hat sich die Masse in regelmäßige Prismen zerlegt, die vier- und fünfkantig und 25 Meter hoch an der Maulkuppe in der Rhön vorkommen. Wo sie auseinanderfallen, bilden sie »Steinerne Meere« von besondrer, fast kristallinischer Art.

Echte Krater sind erhalten, so frisch, als ob sie erst gestern ihre Eruptionen eingestellt hätten; die meisten in der Eifel und am Laacher See, wo sich die vulkanische Tätigkeit länger fortgesetzt hat als rechts vom Rhein. Dort sprechen auch die heißen Quellen und die Kohlensäureaushauchungen von dem Feuer, das sich noch nicht lange in die Tiefe zurückgezogen hat. Auch die Explosionstrichter der Maare, in denen so mancher stille Eifelsee steht, gehören zur vulkanischen Landschaft.

Der Reichtum an den verschiedensten Eruptivgesteinen ist in unsern Mittelgebirgen von großer wirtschaftlicher Bedeutung, indem er wertvolle Bruchsteine liefert. Die minder wertvollen kommen den Landstraßen zugute, die nirgends besser sind, als wo sie mit dunkelm Basalt beschottert werden. Das Fichtelgebirge, das ostthüringische Bergland, der Harz ziehen gerade in ihren rauhen, unergiebigen Gegenden Gewinn aus mancherlei harten Felsgesteinen. Die Gebirgsbildung hat auch vorhandne Gesteine erst in nutzbaren Zustand versetzt, indem sie durch Druck Schiefer erzeugte, die als dünne Platten brechen. Sie verleihen manchen deutschen Berglandschaften im Frankenwald, im Westerwald u. a., wo die Häuser und Hütten nicht bloß damit gedeckt, sondern auch bekleidet werden, ein eigentümlich düsteres und doch sauberes Ansehen.


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