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Sechstes Kapitel.
Neue Kämpfe

Es kann nicht unsere Absicht sein, die großen Kriegsbegebenheiten, welche sich im Laufe der nächsten Monate auf deutschem Boden entwickelten, hier des Näheren darzustellen, indem wir annehmen dürfen, dass unter unseren Lesern manche sind, welche von jenen Begebenheiten Augenzeugen oder wenigstens Zeitgenossen gewesen und dass die Übrigen aus den vielfachen Darstellungen jener bedeutenden Ereignisse sich längst genugsam unterrichte haben.

Nur ein flüchtiger Umriss jener Vorgänge auf den Schlachtfeldern, soweit es der historische Zusammenhang und die Beziehungen zu den Personen unserer Erzählung erfordern, sei hier aufgenommen.

Wir haben nach der Rückkehr Napoleons aus Russland dessen mächtige Anstrengungen erwähnt, eine neue Streitmacht aufzustellen und mit kommendem Frühjahr dem Feinde, der sich seinerseits nicht minder schnell und gewaltig rüstete, wieder die Spitze zu bieten.

Wirklich rückte er auch schon im April 1813 mit seiner neugeschaffenen und wohlgerüsteten Armee ins Feld.

Im Anfang Mai traf er zum ersten Male bei Lützen und gegen Ende desselben Monats bei Bautzen mit dem Feinde zusammen, gewann das Feld und veranlasste die Alliierten, ihre neuen Positionen in Schlesien zu nehmen. Um diese Zeit war es, dass Österreich, welches seit dem Feldzuge nach Russland keinen bedeutsamen Anteil an den Vorgängen genommen, als imponierende Vermittlermacht zwischen beide streitenden Parteien trat, diejenige Macht mit Krieg bedrohend, die nicht billigen Vorschlägen Gehör geben würde.

Es kam auch im Juni darauf ein Waffenstillstand zuwege, der den Franzosen ließ, was sie hatten, darunter auch Hamburg, welches Davost noch kurz zuvor genommen hatte.

Aber vergebens hoffte man, auf den Waffenstillstand den Frieden folgen zu sehen.

Die Unterhandlungen zu Dresden und Prag zerschlugen sich, und die Feindseligkeiten begannen am 12. August von Neuem.

Auf Seite der Alliierten traten von nun an auch Österreich und Schweden.

Zwar erfocht Napoleon am 26. August bei Dresden einen Sieg über die Hauptarmee seiner Gegner, allein der verfolgende Baudamme ward bis Kulm vernichtet, und fast gleichzeitig wurden die Franzosen bei Großbeeren und an der Katzbach geschlagen und so in die Defensive gedrängt …

Nach der Affäre an der Katzbach in Schlesien war es – die Armeekorps unter Blücher hatten nach achtzehntausend Gefangene gemacht, hundert Kanonen und dreihundert Munitionswagen erbeutet – ein Geist der außerordentlichsten Ermutigung beseelte die siegenden Truppen, sie waren am 31. August an der Queis vorgerückt und hatten nach gefeiertem Tedeum am 3. September ein Lager an der Landskorne bezogen.

In der Nacht vom 3. auf den 4. September ging es nun in diesem Lager froh und lärmend genug her.

Die Ruhe nach den Stürmen, Speise und Trank nach manchen Entbehrungen hatten die Krieger auch die überstandenen Beschwerden ziemlich vergessen lassen; die Begeisterung für neue Kämpfe zur Befreiung des deutschen Bodens brach auf jede Weise neu hervor. Körners jüngst bekannt gewordene flammende Lieder, gedruckt und in Abschriften, gingen durch das Lager und wurden an den Wachfeuern gelesen und gesungen; des Dichters patriotischer Tod selber ward erzählt und riss die Herzen hin.

An einem der Lagerfeuer hatten Lärm und Gesang ihre Höhe erreicht, der Becher kreiste lustig dazwischen, und folgendes Gedicht Körners wurde angestimmt:

»Frisch auf, ihr Jäger frei und flink!
Die Büchse von der Wand!
Der Mutige bekämpft die Welt!
Frisch auf den Feind! Frisch in das Feld
Fürs deutsche Vaterland!

Aus Westen, Norden, Süd und Ost
Treibt uns der Rache Strahl:
Vom Oderflusse, Weser, Main,
Vom Elbstrom und vom Vater Rhein,
Und aus dem Donautal.

Doch Brüder sind wir allzusamm';
Und das schwellt unsern Mut.
Uns knüpft der Sprache heilig Band,
Uns knüpft ein Gott, ein Vaterland,
Ein treues deutsches Blut.

Nicht zum Erobern zogen wir
Vom väterlichen Herd;
Die schändlichste Tyrannenmacht
Bekämpfen wir in freud'ger Schlacht.
Das ist des Blutes wert.

Ihr aber, die uns treu geliebt,
Der Herr sei unser Schild,
Bezahlen wir's mit unserm Blut;
Denn Freiheit ist das höchste Gut,
Ob's tausend Leben gilt.

D'rum, munt're Jäger, frei und flink,
Wie auch das Liebchen weint!
Gott hilft uns im gerechten Krieg!
Frisch in den Kampf! – Tod oder Sieg!
Frisch, Brüder, auf den Feind!«

Ein junger Offizier, der zur Gruppe um jenes Lagerfeuer gehörte, hatte sich nach und nach von den Kameraden entfernt und ging, nur leicht noch angeglüht von der Flamme des Feuers, während des Gesanges seitwärts allein auf und nieder.

Er überhörte den Gesang und die eindringlichen Worte desselben keineswegs, allein sie dienten nur dazu, sein Gemüt, welches von ernsten Gedanken bewegt war, noch tiefer aufzuregen.

Der junge Offizier war Friedrich Erbacher.

Wochen, ja Monate waren vorüber – und er wusste die letzte Entscheidung, welche seines Freundes Herz getroffen, noch immer nicht.

Zwar hatte er Nachrichten aus der Heimat erhalten und besaß vom Professor Ernst einige wichtige Zeilen, allein diese enthielten über den eigentlichen Lebenspunkt noch nichts Entscheidendes, ja ließen über denselben mehr als jemals seltsame Bedenken zu.

Schon Mitte Juni hatte Professor Ernst geschrieben, Otto Jeneveldt habe sich körperlich und geistig bestens erholt und denke nun ernsthaft daran, sich bald zu einem Armeekorps der Alliierten zu begeben; in diesem Briefe war angedeutet, dass beschlossen sei, Otto noch vor Abgang zur Armee, und bevor er auf diesem Wege Mathilde wieder sähe, mit dem großen Geheimnisse seines Freundes bekannt zu machen. Auch erfuhr Friedrich aus diesem Briefe, dass Ottos Vater bereits als Major bei der im Norden unter dem Kronprinzen von Schweden operierenden Armee stehe und dass er selbst (Ernst) bei dem Bülow'schen Korps jener Armee in Kurzem seine Stelle einnehmen werde.

Seitdem hatte Friedrich noch ein weiteres Schreiben von dem Professor erhalten, welches bereits aus dem Feldlager kam und die Nachricht enthielt, dass Frau von Jeneveldt und die Familie des Professors glücklich aus der Festung hinweg und in Sicherheit gebracht seien, dass auch Otto sich von dort entfernt habe: – nur wisse man noch nicht wohin und mit welchen Entschließungen.

Es wurde nun zwar in Kürze, aber ergreifend genug, erzählt, wie die Eröffnungen des Professors auf das Herz des Freundes eine furchtbare und nahezu sehr gefährliche Wirkung hervorgebracht hätten. Fast sei zu fürchten gewesen, dass Otto eine neue und unheilbare Krankheit niederwerfen und zu Grunde richten würde. Drei Tage nach den Eröffnungen des Professors hatte er noch fast keinen Bissen zu sich genommen, fast keine Nacht geschlafen und während dieser Zeit kaum eine Silbe gesprochen, so dass man sich schon sehr versucht fühlte, ihm wenigstens den Trost mitzuteilen, dass Erbacher noch lebe; doch trat auf einmal ein wundersamer Umschwung in seinem Wesen und Betragen ein.

Er verlangte Feder und Papier und fing an, einen ganzen Tag fast ununterbrochen, man wusste nicht, was alles, niederzuschreiben; indessen schien sich dadurch auf nachhaltige Weise das sehr bedrängte Herz Ottos zu erleichtern, und als er endlich damit zuwege war, trat er fast wie ein neuer Mensch wieder aus seiner Zimmereinsamkeit hervor.

Obwohl er nichts von dem gestand, was indessen als Entschluss in ihm reif geworden, so konnte man doch sehen, dass er mit sich im Reinen war.

Seine Mutter und der Professor gaben sich nun alle Mühe zu erfahren, was er vorhabe, allein er gestand es nicht, erschien eines Tages reisefertig vor ihnen, lächelte seiner Mutter zu, sprach ein Wort des Trostes und der Hoffnung auf Wiedersehen, sagte allen Lebewohl und versprach in wenigen Tagen von sich hören zu lassen.

So war er fort, ohne dass man es wagte, ihn zurückzuhalten, ohne dass sich recht über die letzten Absichten dieses schnellen Entschlusses Rechenschaft geben konnte.

Tage vergingen, und von Otto kam keine Nachricht.

Er hatte bei seiner Abreise, die ihm durch Hetzfelds Vermittlung möglich gemacht, die Richtung nach jener Hauptstadt eingeschlagen, wo bis jetzt Frau von Vollwarth mit ihrer Tochter lebte.

Da nun bald darauf auch der Professor mit seiner Familie aus der Festung sich entfernte, so musste vielleicht für lange auf jede Nachricht von Otto verzichtet werden …

Soweit lautete der zweite Brief des Professors. Seitdem hatte Friedrich weder schriftlich noch mündlich ein Weiteres über den Freund und über die Befreundeten erfahren. Dieser Umstand und alle die schmerzlichen Gedanken, welche daraus entspringen musste, waren es, die nun in jener Nacht Friedrich Erbacher auf das Tiefste bewegten.

»Wie«, sagte er sich, in der Nähe des Lagerfeuers einsam auf- und niederschreitend, »sollte Ottos Liebe zu Mathilde bei der Nachricht, dass sie für ihn verloren sei, umso heftiger, umso dringender, sie zu besitzen, geworden sein? Sollte die Liebe hier wie so oft, in jene Raserei übergegangen sein, die im Stande ist, alle Rücksichten, ja alle Tugenden des Lebens bei Seite zu setzen? … Es wäre nicht der erste Fall; aber hier wäre es der erste Fall, es wäre ein Abgrund von Weh um all' die schönen Voraussetzungen, all' die schönen Triebe des Guten und Großen, die unsere Freundschaft getrieben; welch' ein Hagelschlag auf ein in herrlichen Halmen stehendes Saatfeld des Trefflichsten! … Dass ich als Freund redlich gewirkt und gelitten, dies ist es nicht, wofür ich einen anderen Lohn als den meines Herzens verlange; dass er über mein Wohl und Wehe, ja über mein Andenken blindlings hinwegschritte – es möchte darum sein! – aber wenn das Ungeheuerste geschähe, wenn er den freien Entschluss, die heilige Ruhe Mathildes nicht achten würde – dann wäre es besser, wir beide wären nicht geboren! Ich wäre gezwungen, als Schützer der Geliebten gegen den eigenen Freund aufzutreten, und welches dann die Folgen wären, ist nicht abzusehen! …«

Er war eine Weile stille, dann fuhr er fort:

»Nein, nein – es ist nicht möglich! Es kann nicht sein! So kann sich die treffliche Natur des Freundes, unterstützt durch Grundsätze und Bildung, hingewiesen auf das, was ich ihm zu opfern bereit gewesen, nicht auf einmal ändern! …«

In diesem Augenblick hörte Friedrich seinen Namen nennen; er blickte um und sah einen Unteroffizier mit einem Briefe sich nähern.

Friedrich griff mit Hast nach dem Briefe und sagte:

»Woher kommt mir das?«

Der Unteroffizier erwiderte, der Brief sei ihm von dem Obrist des Regiments übergeben worden mit dem Bemerken, dass er unter jenen Paketen sich gefunden habe, welche die Franzosen seit Wochen teils den Kurieren, teils der Post und auch einzelnen Gefangenen abgenommen; der Sieg habe nun alles wieder in die Hände der Deutschen gebracht, und so erhalte nun Friedrich Erbacher hier auch seinen Brief.

Friedrich hatte während dieser Erklärung die Adresse gelesen und die Schriftzüge des Professors erkannt; mit bebender Hast öffnete er den bereits erbrochenen Brief und fand von der Hand des Professors nur folgende Zeilen:

»Teuerster Fritz! Hier endlich die Antwort auf die große Lebensfrage für Sie und Ihren Freund! Der Beischluss von der Hand der Frau von Vollwarth erklärt Ihnen alles. Glück auf! Mögen wir uns alle fröhlich wiedersehen!«

Einer Viertelstunde später war mit Friedrich Erbacher eine unbeschreibliche Verwandlung vorgegangen.

Es war, als er wieder zu den Kameraden zurückkehrte, zweifelhaft, was auf seinem Angesichte mehr Schimmer einer stillen, tiefen Verklärung sammelte, die hochauflodernde Flamme des Lagerfeuers oder die reine überirdische Glut seines Herzens, die ihm aus den Augen, aus jeder Miene drang! …

*

Das Lager der schlesischen Armee an der Landskrone sollte nicht lange dauern. Schon für den folgenden Morgen des 4.Septembers war der Befehl zum Abmarsch gegen Bautzen bin gegeben. Allein Blücher erhielt die Nachricht, dass inzwischen Napoleon von Dresden her mit seinen Garden nach Bautzen vorgerückt sei und gegen Görlitz marschiere.

Um noch eine Schlacht mit ihm zu vermeiden, machte Blücher eine Rückbewegung, worauf Napoleon am 5. September mit den Garden nach Bautzen zurückkehrte und den König von Neapel bei Görlitz mit dem übrigen Korps zurückließ.

Nun machte Blücher Front gegen Murat, der aber zurückwich.

Während seiner Verfolgung wurde Blücher durch eine zur böhmischen Hauptarmee gehörige österreichische Division verstärkt.

Am 12. September räumte der König von Neapel Bautzen und zog sich nach Bischofswerda zurück, wo am 13. September die französische Nachhut ein hitziges Gefecht zu bestehen hatte. Der Zweck dieser Bewegung war, das französische Heer bei Dresden zu konzentrieren; um aber einen Überfall zu vermeiden, blieb General Blücher bei Bautzen stehen.

Am 16. September räumten die Franzosen auch Bischofswerde und zogen sich nach Hartha zurück.

Jetzt sollte ein neuer Operationsplan für die ganz verbündete Armee stattfinden, Blücher durch Benningsens Korps ersetzt werden und rechts abmarschierend über Böhmen zum Hauptheer stoßen. Dieser riet aber, Benningsen unmerklich zur großen Armee zu senden, da sein Abmarsch keinen Tag unentdeckt bleiben würde, er wollte sich dann zu dem seit der Schlacht bei Großbeeren ziemlich teilnahmslos gebliebenen und noch am rechten Elbufer stehenden Kronprinzen von Schweden wenden und ihm mit fortzureißen suchen. Dieser Plan fand im Hauptquartier Beifall und wurde denn auch, nicht ohne Unterbrechungen und Schwierigkeiten ausgeführt.

Am 7. Oktober, nachdem die Nordarmee über die Elbe gegangen, traf Blücher mit dem Kronprinzen von Schweden in einer Zusammenkunft zu Mühlbeck die Verabredung, dass beide Heere nach Leipzig marschieren und am 9. Oktober dort eintreffen sollten.

Alles war hierzu bereit, als die Nachricht eintraf, dass Napoleon am 5. Oktober Dresden verlassen habe und mit dem Hauptheere gegen Leipzig im Anmarsch sei. Sogleich wollte der Kronprinz von Schweden über die Elbe wieder zurückkehren und dann auf dem linken Ufer bleiben, wenn Blücher sich mit ihm hinter der Saale aufstellen wolle. Dieser willigte, obschon ungern, ein, um dem Kronprinzen den Vorwand zu rauben, sich über die Elbe zurückzuziehen. Die schlesische Armee ging bei Jeßnitz am 10. Oktober über die Mulde und vereinigte sich mit der Nordarmee. Blücher nahm sein Hauptquartier in Zörbig.

Haben wir mit diesem Schachzuge des einen und andern Teiles der verbündeten Armee uns etwas ausführlicher beschäftigt, so geschah dies nicht bloß, um das Schauspiel des Krieges, welches sich durch gleichzeitiges Vordringen der Hauptarmee aus Böhmen mit dem frohen Vorgefühle, dass diese Bewegungen zu einem sehr erfreulichen Wiedersehen zwischen uns wert gewordenen Personen führen mussten.

Und so geschah es auch.

Bald nach der Vereinigung der schlesischen mit der Nordarmee feierten Herr von Jeneveldt, Professor Ernst und Fritz Erbacher nach langer Trennung ihr erstes Begegnen wieder.

Und welch' ein Wiedersehen!

Jeneveldt hielt seinen lebenden Fritz, den Retter und Freund seines Sohnes lange in seinen Armen und konnte vor Freude und Erschütterung kein Wort hervorbringen.

Als man sich wieder gefasst und auf alles, was man wissen wollte, besonnen hatte, teilte man sich in Kürze das Nötigste mit und trennte sich, da die Zeit des Wiedersehens sehr kurz bemessen war, mit schwungvollen Herzen für die Kriegstaten, die bevorstanden, und in der Hoffnung, sich einst mit mehr Muße und im lieben Kreise aller Bekannten wieder zu sehen.


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