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Fünftes Kapitel.
Eine Lebensfrage

In der folgenden Nacht klopfte es wieder leise an die Türe zur Studierstube des Professors.

Jener Geheimnisvolle, den wir schon einmal, tief in einen Mantel gehüllt und in später Nacht bei dem Professor gesehen haben, trat herein.

Diesmal blieb er nicht lange vorsichtig in seiner dunklen Hülle, er legte sie gleich nach seinem Eintreten weg und sagte, indem er auch seinen Hut bei Seite stellte:

»Hier bin ich – ich bin reisefertig!«

Die Stimme war fest und wohlklingend – wir kenne sie gar wohl aus früheren Tagen her – Friedrich Erbacher war es, der vor dem Professor stand.

Professor Ernst umarmte den Angekommenen, ging dann zu seinem Schreibtische, nahm dort einige Papiere auf, übergab sie Erbacher und sagte:

»Hier sind auch die Briefe schon. Den an Obrist Reichenbach geben Sie zuerst ab; er wird Sie dem Generale selbst vorstellen, dem Sie dann die übrigen Papiere übergeben. Sie können meine Ankunft binnen drei Wochen als gewiss anmelden. Was meine künftige Stellung bei der Armee betrifft, so sagen Sie nur ausdrücklich, dass ich mit jeder zufrieden sein werde, wenn sie auch niedriger als meine frühere ist.«

»Gut, gut«, sagte Friedrich, »ich hoffe, Sie haben auch mich nur so empfohlen, das ich jeden Posten anzunehmen bereit bin. Wer dem Vaterlande recht dienen will, muss vor allem jedes eitle Vordrängen sein lassen.«

»Ganz wohl … Und nun, mein werter Freund, muss es denn sofort geschieden sein? Noch manches wär zwischen uns auszutragen.«

»Ein Stündchen habe ich frei«, erwiderte Friedrich.

Beide setzten sich auf das Sofa neben einander, und der Professor sagte:

»Ein Brief von der Frau von Vollwarth ist angekommen. Sie hat mir endlich über den letzten Entschluss Mathildes geschrieben …«

Friedrich schien ruhig hören zu wollen, was kommen würde, aber an seiner linken Hand, die sich krampfhaft in das Sofakissen presste, konnte man die Bewegung seines Herzens ersehen.

»Was schrieb die Mutter Mathildes?« brachte er nach einer Pause mit ziemlich sicherer Stimme hervor.

»Sie schrieb, dass Mathilde sich nicht mehr zur Verbindung mit Otto, Ihrem Freunde, entschließen könne.«

Friedrich saß eine Weile wie leblos da, hierauf hob ein unbeschreiblicher Atemzug seine Brust – die Finger der linken Hand, welche sich in das Kissen vergraben hatten, lösten sich allmählich – und nach einigen Sekunden sank er in einen Winkel des Sofas zurück, so dass er schien, als habe er eine über sein Wohl und Wehe entscheidende Nachricht erhalten.

Da er nicht sogleich eine Bemerkung über die Mitteilung des Professors machte, so sagte dieser weiter:

»Es wir nun zu bestimmen sein, wie Ihrem Freunde diese Wendung der Dinge auf die beste Art beigebracht werden soll.«

Friedrich fand nach einer Weile seine Fassung wieder.

»Ja«, sagte er, »dies muss besprochen sein, bevor ich reise.«

»Und wie meinen Sie, dass ich vorzugehen habe?«

»Sie warten noch so lange mit jeder Andeutung über Mathildes Liebe, bis Otto sich gänzlich außer Gefahr befindet; dann, Sie werden den guten Augenbick zu wählen wissen, lassen Sie einmal die Andeutung fallen, dass Sie für ihn manches auf dem Herzen hätten – manches ihn vielleicht Betrübende, denn es hätte Bezug auf sein Verhältnis zu Mathilde … Es wird anfangs genügen, meinem Freunde bloß im Allgemeinen einige Gedanken zu machen … Er wird sich infolgedessen in Vermutungen verlieren, wird zu erraten suchen, wird fragen, besorgen, hoffen und wieder bedenken – und wenn er lebhafter in Sie dringt, wenn er sagt, die Unbestimmtheit der Andeutungen errege ihm solche Sorge, so ungeheuerliche Befürchtungen, dass er glaube, ihm würde die Wahrheit lieber sein als beschwerliche Ungewissheit – dann gehen Sie einen Schritt weiter und gestehen ihm, dass Unverhofftes, Wunderbares sich ereignet habe; Otto sei nicht Mathildes erste und heftigste Liebe gewesen; ein Verhältnis zwischen ihr und einem geheimnisvollen Manne habe von früher Jugend schon bestanden, es wäre aber zu Zeit, als Otto Mathilde kennen gelernt habe, nur durch Umstände und durch eine lange Trennung in den Hintergrund gedrängt gewesen, so dass Mathilde, die Hoffnung auf jedes Wiedersehen des Geliebten aufgebend, endlich und nach manchen Kämpfen eine Neigung für Otto habe Raum finden lassen in ihrem Herzen … Wenn diese Mitteilung ihre Wirkung einige Zeit getan hat, fahre Sie fort, während Otto gefangen gewesen, habe ein Zufall den Verschollenen wieder zum Vorschein gebracht, die Liebenden hätte sich gesehen, ihre Leidenschaft wäre neuerdings und mächtiger als je hervorgebrochen – und zu befürchten stehe – Otto würde Mathilde nicht mehr finden, wie er sie verlassen habe …«

»Hm. Es ist gewiss, so muss verfahren werden – natürlich mit aller möglichen Vorsicht!« sagte der Professor nach einer Pause.

»Es wird«, fuhr Friedrich fort, »einige Zeit brauchen, bis diese Eröffnungen nur in etwas verwunden sind; aber kein Zweifel, einmal so weit unterrichtet, wird Otto das Letzte zu erfahren wünschen … Sie gestehen dann, dass ich selbst es bin, der einst mit Mathilde in solchem innigen Verhältnis gestanden … Sie fügen dann hinzu, nichtsdestoweniger hätte ich vom ersten Augenblick des Wiedersehens an gegen die Leidenschaft meines Herzens gerungen, hätte dem Glücke des Freundes meine Liebe geopfert, hätte es durch Vorsicht und Beispiel dahin gebracht, dass auch Mathilde stillschweigend auf das Glück ihrer ersten Liebe verzichtet habe … Nun aber, setzen Sie hinzu – sei ich nicht mehr unter den Lebenden. Ich sei, sagen Sie ihm, aus dem Kerker nicht, wie man ihn bisher glauben gemacht, entkommen, sondern sei mit Freuden für den Freund gestorben. Matilde stehe nun zwar wieder frei da; allein was sie während meines Lebens im Stande gewesen, auf ihre erste Liebe zu verzichten, das vermöge sie nach meinem Tode nicht mehr. Und so sei es denn gekommen, dass Mathilde sich entschlossen habe, der Verbindung mit Otto, überhaupt einer jeden Verbindung für dieses Leben auf immer zu entsagen! …«

Der Professor hing den verschiedensten Gedanken nach und bemerkte nichts zu diesem Vorschlage.

Auch Friedrich schwieg eine Weile und legte den Kopf erschüttert in die Hand; dann stand er lebhaft auf und sagte:

»Ich muss hinaus. Ich muss freie Luft schöpfen. Zu vieles ist mir in Bewegung!«

Er warf seinen Mantel um.

»So rasch wollen Sie fort!« sagte der Professor, aus seinen Gedanken erwachend und ebenfalls aufstehend. – »Habe ich Ihnen doch eine Bemerkung zu Ihren Vorschlägen noch nicht gemacht! … Doch das ist auch nicht nötig. Ich teile Ihre Ansicht. Was geändert werden soll, wird der Augenblick lehren … Bei der Nachricht Ihres Todes muss es bleiben?«

»Ich kann dem Freunde diesen Schmerz nicht ersparen. Es sei die einzige Prüfung, die ich ihm auferlege. Ich will ihn nicht durch die Nachricht, dass ich noch lebe, von der vollkommenen Freiheit, gegen Mathilde zu handeln, irre machen oder einschränken. Nicht dem lebenden, er soll dem toten Freude ein Opfer zu bringen im Stande sein; es ist nur Gelegenheit gegeben, mit dem Werte des Opfers den Wert seiner Tugend zu erhöhen.«

»So leben Sie wohl, Fritz. Zählen Sie mich von nun an zu denjenigen, welche Sie zu achten für wert halten.«

»Mein lieber Professor! Können Sie noch zweifeln, dass Sie seit Monaten meine ganze Achtung genießen?«

»Wie soll ich Ihnen Nachricht geben, was in meinem Huse vorgeht?«

»Wenn es nicht mittelst Briefen gehen will, so wird es ja möglich sein, unter den vielen, die offen oder heimlich nach dem Kampfplatz eilen, jemand zu finden, der mir mit wenigen Worten andeutet, was ich fürchten oder hoffen soll.«

Beide umarmten sich lange und schweigend, dann, schon an der Türe stehend, sagte Friedrich mit nicht unterdrückter Bewegung:

»Wie ging es heute meinem Otto? Schläft er schon?«

»Er hat einen zwar bewegten, aber sehr glücklichen Tag gehabt. Seine Rolle als Gast hat er gut gespielt, er ist sehr heiter mit den Kindern gewesen – und endlich hat er heute auch seine Mutter in der Gestalt seiner angenehmen Pflegerin Brigitte erkannt.«

»Da glaube ich wohl, dass er glückliche Stunden verlebt hat. Es ist aber gut, dass es so weit ist; diese Ansprache zwischen Mutter und Sohn wird manches Heilsame wirken.«

»Was meinen Sie, Fritz? Wäre es nicht gut, Frau von Jeneveldt ins Vertrauen zu ziehen über das Verhältnis ihres Sohnes zu Mathilde?«

»Hm. Vielleicht – Ja doch! Aber es müsste früher geschehen, als Otto selbst unterrichtet wird, denn sie kann dann wohl des Sohnes Trösterin werden … Wie aber?« fuhr Friedrich nach einigem Zögern fort – »Sie sagen mir gar nichts über den Eindruck, den Aline, Ihr Töchterlein, auf den Patienten macht?«

Der Professor legte nicht ohne Bedeutung den Finger auf die Lippen und sagte:

»Stille, stille! … Ihr Auftrag von vorhin hätte mich wahrscheinlich unruhiger gemacht, wenn ich nicht glaubte, allerlei zu wissen – wenn ich nicht wüsste, allerlei hoffen zu dürfen …«

Als Friedrich Erbacher drunten aus dem Tore trat, stand ein Mann da und wartete auf ihn.

Es war Hetzfeld.

Er ging mit Erbacher einige Straßen weit und sprach sehr angelegentlich mit ihm.

»… Melden Sie im Lager meine guten Dienste«, waren seine letzten Worte, da er Friedrich endlich verließ: »Ich wüsste manches und könnte dem Vaterlande hier und anderswo gute Dienste tun – Ihnen wird man glauben, dass ich's von nun an ehrlich mit den Unsern halten möchte!«


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