Wilhelm Raabe
Höxter und Corvey (1)
Wilhelm Raabe

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XIV

Wann die Hochwasser sich verlaufen haben, dann hängt der Schlamm noch für lange Zeit an den Büschen und überdeckt Wiesen und Felder, und es bedarf mehr als eines klaren Regens und heitern Sonnenscheins, um das Land der Wüstenei wieder zu entledigen. Und wenn die Flut gar in die Städte und Stuben der Menschen drang, dann ist das, was sie hineintrug und zurückließ, gleichfalls nicht so bald ausgekehrt und vor die Tore abgefahren.

In diesen schlechten und stinkenden Tagen sieht aber der Herr mit Vorliebe auf solche leichte, unverwüstliche Gesellen, die lachend über den Schmutz weghüpfen und ihre Hand zur Hülfeleistung gern und lachend da anbieten, wo sich mancher Ehrbare, Wohlweise und Hochansehnliche mit Ekel und Unlust abwendet und die Sache sich selber überläßt. Der Herr der Heeresscharen hatte nach dem französischen Abzug in Höxter seine Freude an dem relegierten Helmstedter, Herrn Lambert Tewes.

»Inkommodieren sich Euere exzellenten Liebden nicht«, rief der Student. »Redet das Beste hinter meinem Rücken von mir; ich werde mich erkundigen, was für einen neuen Unfug da die alte Bosheit, Meister Beelzebub, in Huxar ausgebrütet hat. Hab' ich es nicht ein Dutzend Male gesagt – neque tectum neque lectum, das ist die einzig stichhaltige Devise für diese Nacht!«

Er sprang hinaus, doch die diesmaligen Hausfriedenbrecher kamen ihm bereits an der offenen Pforte entgegen, an ihrer Spitze sein Oheim Ehrn Helmrich Vollbort, der Pfarrherr bei Sankt Kilian.

Der, Ehrn Helmrich, hatte, während am Bett der Kröppel-Leah über den Handschuh Justs von Burlebecke gehandelt wurde, in der Stummerigen Straße sein Zwiegespräch mit dem Bürgermeister Thönis Merz eifrig fortgesetzt und willige Horcher im erbosten gemeinen Wesen von Huxar gefunden. »So haben sie wiederum der Stadt Negotien nach ihrem Willen geordnet, die Herrn von Corvey«, hatte er zornig gesprochen. »Wird sich lutherische Bürgerschaft auch diesmal wieder den Maulkorb selber überhängen? Lutherisches Kirchenamt wird reden und sich nicht den Mund verbieten lassen!«

»Wir haben doch auch geredet, Ehrwürden; – aber was hilft's?« meinte der Bürgermeister.

»Was es hilft? O ihr närrischen Leute, klingt es euch denn noch nicht genug in die Ohren von dem Gnaden- und Segen-Rezeß, den euch der von Galen, so sich Bischof von Münster und euer Landesherr nennt, über dieselben gleich einer Schlafhaube ziehen wird? Behaltet nur das Wort in der Kehle und die Faust im Sack nach euerer faulen Art und wartet das nächste Jahr ab. Den Hechtsfang und sonstige schnöde Nichtigkeiten wird man euch wohl lassen; aber eure Kirchen und Schulen wird man euch vor der Nasen schließen; dann sehet, ob ihr die Schlüssel mit euern Netzen wieder auffischen werdet aus dem Fluß.«

»Was sollen wir tun?« rief der Bürgermeister, und – »Was sollen wir tun, Ehrwürden?« klang es im Haufen zornig und weinerlich nach.

»Der Herzog –« wollte Herr Thönis Merz schwachmütig von neuem beginnen; doch der alte eifrige Prediger unterbrach ihn sogleich:

»Redet mir nicht von dem Braunschweiger. Der rückt euch nicht mehr über die Weser zu Hülfe. Ihr krochet vor ihm, wie ihr vor dem Münsterer krochet, und sie lachten hinter euerm Rücken über euch. Greifet selber an und zu, wie und wo ihr könnt, weichet nur zollbreit, rücket immer wieder zu, Artikul für Artikul; lasset euch das Geringste als das Höchste sein. Was wollet ihr noch viel verlieren?«

»Das weiß der liebe Gott!« ächzte die lutherische Bürgerschaft von Höxter.

»Der weiß es und hilft denen, die sich selbst helfen wollen«, sprach Ehrn Helmrich Vollbort feierlich. »Lasset diese Nacht nicht vergehen, ohne daß ihr euch rührt gegen Corvey. Sie sind heimgezogen und zu Bett; wir aber sind wachgeblieben. Werfet Panier auf gegen das Stift; – fordert mit heller Stimme, sei es, was es sei; – lasset den Kampf nicht schlafen gehen, wie die Mönche schlafen gegangen sind. Bei Sankt Veit schwören sie, wir aber rufen den allmächtigen Gott; – voran gegen Corvey!«

»Sie haben uns der Jüden Geleit genommen; wir aber haben es auf dem Papier«, meinte zaghaft der Bürgermeister.

»Lasset den Tag nicht aufdämmern, ohne daß die Abtei sich einem neuen Factum, Actum et Gestum gegenüberfinde; wir sind in dem Kriege, den sie wollen, und den letzten Frieden wird Gott der Herr machen.«

»Die Jüden aus der Stadt!« schrie gell eine Stimme aus dem Haufen, und hundertstimmig folgte der Ruf: »Fort mit den Jüden aus Höxter! Unser Recht! unser Recht! unser Recht!«

Schon drängten sich wütend die Weiber vor:

»Sie standen mit den Franzosen auf du und du! Sehet ihre Häuser – sie blieben unversehrt, während in unsern kein Stuhl und keine Bank heil blieb! – Sie zahlten dem Turenne! sie zahlten dem Schandkerl, dem Fougerais – sie konnten sich loskaufen, und die hohen Offiziere lagen bei ihnen und ließen bei uns ihr wüstes Volk nach seinem Belieben hausen. Die Jüden, die Jüden aus der Stadt! Weg mit den Jüden aus Höxter!«

Nun stehen auch wir abermals einem Factum gegenüber: das Wort, das in der lutherischen Bürgerschaft fiel, fand seinen vollen Widerhall in der katholischen. Zum zweiten Mal in dieser Nacht stürzte sich ganz Höxter auf seine Juden, und selbst der Gubernator, der Herr Hauptmann Meyer, ging mit – widerwillig freilich; aber sie zogen ihn freundlich, an jedem Arm einer – rechts die katholische, links die evangelische Kirche.

Den Meister Samuel samt seiner Familie nahmen sie von der Gasse vor seinem brennenden Hause, die zwei oder drei andern Familien holten sie zusammen, und so kamen sie im grauligen Gedränge, das elende jammernde Häuflein halbnackter Menschen in ihrer Mitte, und hielten mit ohrzerreißendem Lärmen vor dem Hause der Kröppel-Leah, um auch die mit ihrem Enkelkinde abzurufen und mit den übrigen, Corvey zum Trutz, vor das Tor zu führen.

Der Mönch war aufgestanden von seinem Schemel und hatte auch das hussitische Schwert vom Boden wiederaufgegriffen; der Student aber trat den eindringenden Höxter'schen Würdenträgern im Vorgemach entgegen, kümmerte sich um den Bürgermeister und den Hauptmann gar nicht, nahm dafür jedoch den Pfarrherrn von Sankt Kilian mit zärtlicher Unverschämtheit in die Arme und rief:

»Mon Dieu, der Herr Onkel – nach zwei Uhr morgens noch in der schädlichen Winterluft! Was verschafft mir die Ehre in meinem schlechten Quartier?«

»Fort, Narrenspiel!« sagte der Alte, mit kräftiger Faust den Neffen vor die Brust schlagend und ihn von sich stoßend.

»Was wünschen die Herren?« fragte der Bruder Henricus von der Schwelle der Kammer des Sergeanten; und der Gubernator Meyer trat geduckt vor, mit dem Federhute in der Hand und stotterte:

»Ehrwürdiger Pater, das Haus und die Gasse ist voll von ihnen – von den Unsrigen und den Ihrigen. Sie kommen und fordern alle dasselbige. Sie kommen Arm in Arm gegen die Jüden und wollen sie in dieser Nacht noch vor die Mauer setzen.«

»Und wir nehmen nur unser Recht, ehrwürdigster Herr Pater«, rief der Bürgermeister. »Wir haben der Jüden Geleit gehabt vor und nach dem Jahre Vierundzwanzig und sind durch den Frieden auch in specie dieses Punktes ganz und gar restituieret. Das weiß man zu Münster wie zu Corvey, und zu Höxter ist da kein Unterschied des Glaubens. Wir kommen alle um unser Recht.«

Der Pfarrherr von Sankt Kilian stand mit untergeschlagenen Armen und sah finster auf den Mönch; der Bruder Henricus aber sah einzig und allein auf ihn.

»Sie stehen in einem schlimmen Schein, Herr Pastore«, sprach der Mönch. »Die Flamme des Brandes züngelt noch hinter Ihrem Rücken; hatte dieses nicht Zeit, bis die Asche und der Schutt dieser Nacht kalt geworden waren?«

»Ich komme mit den Leuten, die mir in dieser selbigen Nacht das friedliche Haus stürmten und mit Steinen auf mich und mein Weib warfen. Ändert es, Herr; – das ist Höxter und Corvey!«

Es hatte sich während dieses Gesprächs immer mehr des Volkes in das Gemach eingeschoben. Schrill rief eine Weiberstimme den Namen Leahs, und auf der Straße schrieen Hunderte ihn nach. Der Bruder Henricus hatte den Stadthauptmann zornig am Arm gepackt und schüttelte ihn: »Wo sind Euere Leute – sendet einen Boten nach Corvey – o Sankt Veit und – Kreuz Element, bei meiner Reiterehre, der erste, der einen Schritt voran tut, liegt mit blutiger Platte am Boden! Hier für Corvey! Münster und Corvey!«

»Höxter und Corvey! Her mit den Jüden! Weg mit den Jüden. Höxter und Corvey!« schallte es zurück; und nun tat der Student einen Satz fast bis an die schwarze Decke des Zimmers:

»Höxter und Corvey! Kann ich den Ozean still brüllen und sollte Huxar nicht stillen?! Bei meiner Burschenehre, wer im Tummel kennt mich als guten Kameraden und den einzigen Höxteraner mit Grütze im Hirnkasten? Wollt ihr nun Vernunft annehmen oder nicht. He Wigand – Wigand Säuberlich, tu's mir zuliebe und bring mir die Zeter-Liese da vor dir zur Räson und nach Hause. An die Kröppel-Leah wollt ihr? Et tu Brute, mein Sohn Hans Rehkop?! Donner und Teufel, seid ihr für Höxter und Corvey, so bin ich, Lambert Tewes, diesmal für Juda und Israel. Helmstedt gab mir consilium abeundi, – Höxter relegatio in perpetuum, nicht wahr, Herr Onkel?! aber Jerusalem hat mich seit Jahren ernähret, getränket und gekleidet; – hier für Juda und Israel, und wer's gut meint mit Höxter und Corvey, der schreie mit: Vivat Hierosolyma!«

Nun hatte er die Lacher auf seiner Seite und damit ein Großes gewonnen. Schon aber hatte er sich im engern Kreise umhergewandt, und da schlug er den Bruder Henricus auf die Schulter:

»Wissen Sie noch ein und aus in Höxter, Herr Pater?«

»Sankt Veit!« rief der Mönch, ratlos nach der Decke aufschauend.

»Ihr, Herr Burgemeister?«

»O je, o gütiger Himmel!« ächzte Herr Thönis Merz.

»Ihr, Herr Gubernator?«

»Du hast mich gekannt, ehe mir der Braunschweigische Algierer, der Noht, die Trommel abnahm, Lambert; das ist mein Trost und meine Reputation. Jetzo gehe ich nur, wie man mich schiebt.«

»So gehet Euern Weg, Herr Oheim«, sprach der Student zu dem Prediger bei Sankt Kilian, und –

»Ja!« antwortete Ehrn Helmrich Vollbort und trat über die Schwelle in das Kämmerchen der alten Jüdin.

Vernunft? Wer ist eine Stunde nach der Sündflut imstande, Vernunft anzunehmen?!


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