Wilhelm Raabe
Höxter und Corvey (1)
Wilhelm Raabe

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VI

»Das wird eine schöne Katzbalgerei werden! Na, Wirt, bist du für Stift oder Stadt?«

»Alle beide sollen verrecken! Komm aber erst herunter vom Tisch und vertritt mir das Geschirr nicht, 's ist das letzte, was mir die Welschen heil gelassen haben.«

»Da gilt's freilich Vorsicht für den Rest, Alter«, sprach der Student und kam dem mürrischen Worte des Wirtes zum heiligen Vitus nach. Er stieg herunter von der Tafel, reckte und dehnte sich behaglich, streckte sich sodann lang auf der langen Bank aus, zog die qualmende Lampe näher zu sich heran und schob seinen Lauriger jetzt als Ruhekissen unter den Kopf. Dann schlug er die Hände gleichfalls unter dem Hinterkopfe zusammen und sah so halb schläfrig und ganz gleichgültig dem leise vor sich hinbrummenden Hospes zu, der die Gläser und Krüge abräumte und von Zeit zu Zeit an das niedere Fenster oder vor die Tür seiner Spelunke trat, um in die Nacht hinaus- und seinen liebenswerten Stammgästen nachzuhorchen. Aus der Tiefe des Hauses ertönte gedämpft das Krächzen eines Säuglings, dazwischen die singende Stimme der Wirtin zum heiligen Veit. Auch den Wind vernahm man, und von Zeit zu Zeit das Niederrauschen eines Regenschauers. Bei allem diesem Getön entschlummerte nach den geistigen und körperlichen Strapazen des Tages Herr Lambert Tewes sanft und schlief eine halbe Stunde besser als vielleicht sonst irgendein Mensch in Höxter.

Nach einer halben Stunde aber fuhr er wieder in die Höhe und starrte verbiestert um sich und nicht ohne Grund.

Die Sturmglocken waren noch nicht ruiniert in Höxter: es läutete Sturm auf Sankt Kilian und es läutete Sturm auf Sankt Niklas!

»Was will uns dieser Tummel doch?
Schlagt in den Erdball mir kein Loch!

Hallo, da sind sie aneinander! Juchhe, Höxter und Corvey! Höxter und Corvey!« schrie der Student jubelnd, und wir – halten uns beide Ohren zu und gehen nunmehr den Weg, den vorhin der gute Mönch, Bruder Heinrich von Herstelle, nach Hause gegangen war. –

Heute führt eine schöne Kastanienallee von der Stadt nach der Abtei, und wir wissen von mehr als einem wolkenlosen Sommertage her ihren Schatten zu würdigen. Damals zog sich der Pfad, vom Kriege kahl gefressen, die Weser entlang, nur daß hie und da ein dickköpfiger Weidenstrunk gespenstisch aus dem niedern Ufergebüsch aufragte. Die Nacht und das Winterwetter hatten den Weg für sich; der Bruder Henricus zog die Kapuze über den Schädel und sah nicht nach rechts und links; er stolperte selbst für seine Geduld auf dem durch Rosseshuf und Räderspur aufgewühlten und durchfurchten Boden allzu häufig.

»Dem Herrn sei Lob!« ächzte er, als er endlich vor dem Tor von Corvey stand und nach der Glocke des Pförtners tastete; allein seine Geduld sollte nunmehr noch auf die höchste Probe gestellt werden. Er hätte ebensogut vor das schlafende Schloß der Prinzeß Dornröschen kommen können.

Er läutete, und er läutete vergeblich.

Sie schliefen alle, vom Herrn Prior, Niklas von Zitzwitz, an bis zum Bruder Pförtner. Kein Lichtstrahl fiel aus irgendeinem Fenster; – wenn Vater Adelhardus, der Kellermeister, noch Licht hatte, so half das dem Bruder Henricus fürs erste nichts; denn das Gemach des Pater Kellners war gen Osten, dem Flusse zu gelegen, und der müde Wanderer kam von Westen vor dem Tore an.

»All ihr Heiligen, was hat der Böse ihnen in den Schlaftrunk gemischt?!« stöhnte der Bruder Henricus nach zehn Minuten unablässigen Pochens, Rufens und Schellens. Nun hing er sich noch einmal an die Glocke, und nimmer hatte er dieselbe im Kirchenturm so brünstig zur Hora oder Mette gezogen.

»Endlich!« rief er grimmig, als sich dann das Fenster neben der Pforte auftat und der Pförtner die Frage tat, wer da Einlaß begehre? –

Das wurde gesagt und der Bruder Henricus eingelassen. In früheren Jahren würde er jetzo den Torhüter an der Gurgel genommen haben; als alter Mann und demütiger, sanfter Diszipul des heiligen Benedictus aber begnügte er sich mit der unwirschen Frage:

»Nun sagt nur, was ist denn eigentlich hier vorgegangen, daß zu dieser frühen Abendzeit das ganze Stift daliegt wie ein Hamsternest im Januar?«

»Wohlleben und Jubilation, ehrwürdiger Herr«, erwiderte der schlaftrunkene, kaum auf den Füßen sich haltende und zwischen jeglichen zwei Worten gähnende Pförtner. »Offenes Haus – seit Eurer Abfahrt – wochenlang – die französische Generalität bei Tag und Nacht! – O, wir haben uns als freundliche Wirte erwiesen, mein Frater, – wie es uns zukam, mein Frater, – und die französischen Herren waren auch sehr zufrieden mit uns. Wir haben ein gutes Gedüfte von uns mit ihnen in die Ferne entlassen.«

»So, so, hm, hm«, brummte der Bruder Heinrich von Herstelle, »und derweilen mußte unsereiner im unwegsamen Solling umhervagieren und mit des verdrießlichen Braunschweigers kalter Küche und lackem Kofent vorliebnehmen! Ei, ei, und ich bringe doch auch Botschaft vom Gange – wichtige Nachrichten! Ist denn niemand von den Patres noch wach, daß er sie mir abnehme und mich der Responsabilität erledige?«

»Keiner! Wir sind alle zu Bett in der großen Müdigkeit; – wenn – nicht vielleicht, der ehrwürdige Vater Adelhard –«

»Aha!« brummte der Bruder Henricus. »Saget nichts weiter, mein lieber Sohn. Ich danke Euch, daß Ihr mir das Tor geöffnet habt; nun leget Euch wieder, und Sankt Benedictus versorge Euch mit einem heilsamen und frommen Traum.«

»Euch desgleichen, mein Frater«, erwiderte der Bruder Pförtner und zog sich zurück in seine Zelle; der Bruder Henricus fand seinen Weg schon allein.

Er tappte die Gänge und Zellen entlang, und hinter mancher eichenen Tür hervor vernahm er das sonore Schnarchen der Brüder und Väter im Herrn.

»Wie die Engel schlafen sie«, brummte der Bruder Henricus, fügte aber sonderbarerweise an: »Na, na!« So kam er vor der Pforte des Stiftskellners Adelhardus von Bruch an und klopfte.

»Domi!« klang es im tiefen Baß – domi, das heißt: »bin zu Hause! bin drin!«

»Gott sei Dank«, murmelte Bruder Heinrich und trat ein mit dem durch die Ordensregel des heiligen Benedikts vorgeschriebenen Gruß. Wer aber nicht die Responsen darauf sang, das war der Vater Adelhardus. Der war wirklich drinnen; er saß breit im bequemen Stuhl vor dem Eichentisch, und wenn das, was da vor ihm stand, die letzten Überbleibsel vom französischen Fest waren, so war's freilich hoch hergegangen zu Corvey, aber auch noch mancherlei übriggeblieben.

Eine Schüssel mit einem zur Hälfte leider vertilgten gekochten Schinken! Eine Schüssel mit dem Gerippe eines Truthahns! Ein Brot wie ein halbes Wagenrad und eine Reihe von Erdkrügen und Glasflaschen nebst einem Humpen, der an und für sich, das heißt durch seine äußere Erscheinung, schon das Auge erfreute, was auch der Inhalt sein mochte!

»Non confido oculis meis! ich traue meinen Augen nicht!« rief der Vater Adelhardus ein wenig keuchend. »Bist du es, mein Sohn Heinrich?«

»Ich bin es, und was ich sehe, gefällt mir wohl«, erwiderte der brave alte Reitersmann und gute Bruder von Corvey, Heinrich von Herstelle.

»Cor meum prae gaudio exultat, das Herz hüpfet mir vor Freude. Soll ich aufstehen, mein Sohn, dir entgegenzueilen? Desiste, stehe ab davon – setze dich lieber selber; denn ich weiß, daß man dich auf einen müheseligen Gang hinausgesendet hat ad paganos, zu den Heiden – in die Wüsten, per deserta ac solitudines. Ich habe dich sehr vermisset, mein Sohn, in der Drangsal der letzten Zeiten.«

Der Bruder Henricus stellte seinen Stab im Winkel ab und kam und sah hin über den Tisch, und froh, gutmütig und heimisch-behaglich lächelnd auf den Kellner im Weinberge des Herrn.

»Ich bin gewandert und habe gesehen. Ich bin zurückgekommen mit Nachricht aus der Wüste und dem wilden Wald. Wollen Sie den Herrn Priorem wecken, mein Pater, daß ich berichte, was ich sah und erkundete?«

»Non sum hebes nec stupidus, da müßte ich ein Esel oder ein Schafskopf sein. Setze dich, mein lieber Sohn, und erzähle fürs erste mir, was du sahest – für die andern hat's Zeit bis morgen.«

»Der Herr Prior hat mir aber bei seiner Seele anbefohlen, nach meiner Rückkehr sogleich vor ihm zu erscheinen, sei es bei Tage, sei's bei Nacht.«

»Halt!« rief der Vater Adelhard, beide weiche und breite Hände auf die Lehnen seines Sessels stützend und sich also mühesam erhebend: »Er erboßet uns auch, so oft er kann; ärgern wir ihn desgleichen! Komm mit mir, mein Sohn Heinrich; ich wecke ihn.« –

Sie weckten ihn wirklich, den Prior von Corvey, Herrn Nicolaus von Zitzwitz, und er nahm ihren Eifer auf, wie es sich gebührte.

Der Kellermeister ging zu ihm hinein, nachdem er dem Bruder Henricus heimtückisch-schalkhaft den Ellenbogen in die Seite gestoßen hatte. Der Bruder Henricus wartete vor der Tür; aber er hatte gar nicht lange zu warten.

»Seine Hochwürden lassen dich grüßen, mein Sohn, und geben dir ihren Segen –«

»Und?«

»Er hätte mir beinahe das erste, was ihm unter seiner Bettstatt zuhanden kam, an den Kopf geworfen. Morgen bei guter Zeit will er mit dir reden und dich anhören, mein Sohn. Wünschest du nun vielleicht, daß wir auch zum Bruder von dem Felde, dem Vater Florentius, dem Herrn Subprior, uns verfügen?«

»Ich denke, wir lassen es hiermit bewenden«, meinte der Bruder Henricus ein wenig kläglich und verdrossen.

»Oder zum Vater Metternich, unserm guten Propst Ferdinandus?«

Der Bruder Henricus schüttelte nur den Kopf.

»Dann komme du wieder mit mir. Ich bin der einzige im Stift, der dir noch ein Nachtessen und einen Trunk verschafft!«

Der Vater Adelhardus legte traulich seinen Arm in den seines greisen Sohnes: »Ich sagte es dir ja; die Mühe hätten wir uns ersparen können«, sagte er, als sie wieder in seinem Gemache vor dem Schinken und dem Truthahn saßen und der Bruder Henricus den vorbemeldeten Humpen nach einem langen, langen Zuge, – wiederum seufzend, aber diesmal ganz behaglich – seinem – besten Freunde im Stift Corvey zum ersten Mal zurückschob, nämlich zu neuer Füllung aus einem der ungeheuerlichen grauen Steinkrüge mit dem in Blau gemalten Wappen der Abtei.


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