Wilhelm Raabe
Höxter und Corvey (1)
Wilhelm Raabe

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XI

In die wollene Decke vom letzten Bett des Schwestersohnes zu Gronau im Fürstentum Hildesheim gewickelt, hatten währenddem die Kröppel-Leah und Simeath mit Schauder und Schrecken gehorcht. Der rote Schein der Feuersbrunst, der in die leeren Fensteröffnungen und die Tür fiel, hatte auch den Mut der Alten gebrochen.

»Siehst du, Großmutter, es geht doch wieder gegen uns, sie haben Vater Samuels Haus in Brand gesteckt; – sollen wir nicht fort? Wir können über den Hof schleichen und in des Nachbars Garten; Herr Jakob zum Dahle wird nicht zu schlimm sich stellen, wenn er uns morgen früh in seinem Stalle findet.«

»Ja, ja, Kind«, stöhnte die Greisin. »Leise, leise – da ist mein Bündel – hilf's mir wieder auf! Du hast recht, wir müssen hinaus – sie kommen, und sie kennen kein Erbarmen.«

Sie versuchte es, aufzustehen, allein es ging nicht an. Der Weg von Gronau her war dem alten Weibchen doch zuviel gewesen. Sie fiel zurück auf den Stuhl, legte die Arme auf den Tisch und das Gesicht auf die Arme.

»Großmutter, Großmutter«, jammerte das junge Mädchen. »Besinne dich – wach auf, laß mich deinen Sack tragen! laß ihnen den Sack, laß uns nur laufen – Barmherzigkeit, sie kommen – da sind sie!«

Nun kreischte die alte Jüdin noch lauter als die junge. Sie kamen, sie polterten die Trepp' herauf – sie waren da – nur drei Mann, aber die Bösesten in Höxter – Hans Vogedes, der Fährmann, mit einer Axt den beiden andern vorauf. In dem Augenblicke, als das Stift anrückte und Lambert Tewes seinen Freund Wigand Säuberlich zu Boden schlug, hatten sie sich aus dem Getümmel vor dem Hause des Meisters Samuel weggeschlichen, und sie machten von vornherein gar kein Hehl draus, daß sie dem Geruch von der Gronau'schen Erbschaft nachgegangen seien.

Fünf Minuten später, nachdem sie die zertrümmerte Schwelle überschritten hatten, durchschnitt von dem Hause der Kröppel-Leah her ein so fürchterliches und schrilles Jammergeschrei die Nacht, daß es allen sonstigen Lärm in der Stummerigen Straße übertönte und jedermann den Kopf aufwarf und mit jähem Schrecken horchte. –

An der Brandstätte hatte die Szenerie sich aber bereits verschoben. Im Ornat war Ehrn Helmrich Vollbort unter den Mönchen und städtischen Beamten aufgetreten und hatte scharf geredet, sowohl gegen den dunkeln Nachthimmel wie gegen den Herrn Prior von Corvey, Herrn Nicolaus von Zitzwitz, und gegen den Münster'schen Gubernator und Stadthauptmann Herrn Meyer.

Er hatte um Rache für sein beleidigt Haus und seinen geprügelten Küster geschrieen, und, über die Schulter des Bruders Henricus hinweg, hatte der Neffe seine rechte Freude an dem Oheim gehabt.

»Sie haben ja unsern Küster bei Sankt Niklas gleicherweise windelweich und blitzblau geschlagen, ehrwürdiger Herr«, hatte der Prior eingeworfen. »Da ist doch wahrlich die vollkommene Parität vorhanden gewesen – was sollen wir in dieser Nacht bei solchen Umständen Ihnen noch zugute tun?«

»Stift und Fürstliche Gnaden von Münster haben immer nach Vernunft mit sich reden lassen«, hatte Herr Florentius von dem Felde begütigend zugesetzt, und –

»Schlagt ihm vor, daß Ihr mich vor seiner Tür hängen lassen wollt«, hatte der tolle Helmstedter dem Bruder Heinrich von Herstelle ins Ohr geflüstert. –

Der Bruder Heinrich hatte das nicht vorgeschlagen, denn nunmehr hatte Herr Ferdinandus von Metternich, der Propst von Corvey, Vernunft gesprochen und wirklich verständige Dinge gesagt.

Es sei eine üble Nacht, hatte er gemeint. Niemand wisse, wie er dran sei. Morgen sei wieder ein Tag – totgeschlagen sei gottlob und mit Hülfe des heiligen Veit bis jetzt keiner; – die Übeltäter habe man auf dem Stroh im Prison, und selbst die Juden seien noch mit dem Leben davongekommen, soviel man wisse. Wer am meisten bei der grauligen Unruh gelitten habe, das sei doch wohl das Stift Corvey, das nun auch noch zu allem übrigen den schlimmen Marsch nach Hause vor sich habe. Er – der Propst – hatte zum Schluß seiner Rede geraten, jetzt vor allen Dingen wieder zu Bett zu gehen und für alle Fälle vielleicht eine Salveguardia, gemischt aus Corvey'scher Mannschaft und Bürgerwachten, in der Stummerigen Straße zurücke zu lassen.

»So soll es sein!« hatte der Prior geschlossen, und zehn Minuten nach seiner Ankunft vor dem Hause des Meisters Samuel befand sich das Stift bereits wieder im eiligen Rückmarsch nach den warmen Betten.

»Hoffentlich hat uns der Vater Adelhardus, während wir die Philister schlugen, ein gutes Warmbier zugerichtet«, flüsterte der Subprior dem Propst unter dem Corveytor zu.

Dem mochte nun sein, wie ihm wolle; zornigen Herzens schritt doch noch der Pfarrherr von Sankt Kilian im eifrigen Gespräche mit dem Bürgermeister Thönis Merz auf und ab und warf finstere Blicke auf den guten Bruder Henricus. Diesen letztern nebst einigen handfesten Klosterknechten hatte die Abtei zurückgelassen, um sich von ihnen bei möglichen ferneren Ereignissen kriegstüchtig vertreten zu lassen; und während der lutherische Pastor aufgeregt hin und wider schritt, stand der greise Mönch in dieser Stummerigen Straße im Lichte der Feuersbrunst nachdenklich auf sein hussitisch Schlachtschwert gestützt und gedachte früherer Tage. Der Student hielt sich zu ihm und zog ihn jetzt am Ärmel seiner Kutte.

»In so tiefen Gedanken auf der heiligen Straße, mein Pater? Ich hab' Ihnen vorhin den Lauriger angeboten um einen Sitz am warmen Herd; nun hat uns das Fatum einen noch wärmern Ofen geheizt. Was, mit Erlaubnis zu fragen, lassen Sie die Ohren hängen, mein Pater?«

Der alte Mönch blickte auf und murmelte:

»O Just von Burlebecke!«

»Sie sollten ein Wort zu mir sprechen, Ehrwürdiger«, meinte der Student zutunlich. »Sie gefallen mir, und es wäre mir lieb, wann auch ich Ihnen gefiele. Haben Sie mich am Abend schnöd abfahren lassen, so haben wir doch jetzo Schulter an Schulter gefochten, und – schon den grimmigen Blicken meines Herrn Onkels da drüben zuliebe solltet Ihr meinen Arm nehmen und die Wacht suaviter mit mir verschwatzen. Mit dem Morgen bin ich auf dem Wege nach Wittenberg, allwo sie schon längst mit Herzspann sich nach mir sehnen, und Ihr bekommt mich nimmer wieder zu Gesicht, alter Hahn.«

»Sie sind ein Narr, mein Herr Studente«, sagte der Bruder Henricus, wider Willen über den Schelmen lachend. »Wäre Just von Burlebecke nicht, ich brächte dich auf der Stelle ungesegnet auf den Weg nach Wittenberg. Aber so war Just auch zu seiner Zeit, und ich stehe eben nie in der Stummerigen Straße, ohne mit betrübtem Sinn der alten Zeit und an Just von Burlebecke zu gedenken.«

»So sagen Sie mir, wer Just von Burlebecke war, mein Pater, und ich werde gern mich mit Ihnen über ihn betrüben.«

»Da«, sprach der Mönch, gegen das Stummerige Tor hindeutend, »im Sommer Zweiundzwanzig nahm er mit zwanzig Reitern Höxter im Sturm. Er ritt für den tollen Christian, ich mit dem Tilly. Mit zwölftausend zu Fuß und neuntausend Reitern ging der Christian hier bei Höxter über die Weser und ich ihm und dem wilden Just nach als ein Fähnrich im Regiment Baumgarten. Auf dem Felde bei Stadtloo ist Just von Burlebecke unter den Toutpourelleschen eingescharrt. Ich hab' ihn unter den Toten gesehen, und er war mein allerbester Herzfreund.«

»Das war der große Krieg, und Ihr seid heute ein Benediktinermönch zu Corvey, mein Vater«, rief der Student.

»Ja!« sagte der gute Greis ruhig und schüttelte nur noch einmal den Kopf, die Stummerige Straße hinaufschauend.

»Er jagte ihnen lachend ins Tor und fiel über die Spießbürger gleich dem Blitz aus dem Sonnenschein; ich muß heute noch darüber lachen! Ach hättet Ihr den tollen Christian und seine Reiter gekannt, so würdet Ihr auch Just von Burlebecke zu wiegen wissen, Herr Studente. Sie saßen vor ihren Türen und ließen sich die Sonne in die Mäuler scheinen, da schlug er ein aus dem blauen Himmel, und ehe sie sich besannen, hatte er mit seinen zwanzig Gesellen Höxter in der Hand wie der Jung das Vogelnest, dem Stift und der liguistischen Armada vor der Nasen; freilich nur auf ein Viertelstündlein, doch das grade war der Spaß.«

Der Alte hatte jetzt wirklich den Arm Lamberts genommen und schritt mit ihm langsam die Stummerige Straße hinauf bis zu dem Hause der Kröppel-Leah.

»Hier, grade hier auf dieser Stelle, hieß es denn: Simson, Philister über dir! Weshalb erzähle ich Euch aber das alles, anstatt Euch, wie es sich gehörte, zur Sittsamkeit zu vermahnen und an Eure Bücher zu schicken.«

»Weil ich nur allzu lange und zu sittsam über den Büchern gesessen habe, Herr Pater. O Sie werden mir doch noch meinen Horaz abhandeln; ich habe ihn allgemach so fest im Kopf, daß er mich nur noch dumm macht! Amsterdamer Ausgabe, Frontispiz von Romyn –«

Der Mönch winkte abwehrend mit der Hand. »Nein«, sagte er, »ich rede zu Euch, weil Ihr eben noch ein törichter Knabe seid und es dem Alter so gut tut, die Jugend bei sich zu haben, wann es der Jugendtollheit gedenkt. Wie war es denn? Ja, als sie sich besonnen hatten und des kleinen Häufleins innewurden, das mit Just von Burlebecke jubilierend die Hand auf sie legte, da bliesen sie Alarm. Damals war Höxter auch noch ein volkreicher Ort, voll Handels und Gewerb, und es gab keine Ruinen und wüsten Stätten in den Ringmauern. An den tollen Christian dachten sie nicht, sie sahen nur auf Just und seine zwanzig Reiter. So griffen sie denn nach den Spießen und Büchsen. Es ist ein lustig Schlagen gewesen; aber hier auf dieser Stelle erschossen sie dem Herzbruder den Gaul, und so kam er zu Boden unter den Gaul und die Fäuste von Huxar. Seinen Gesellen ging's dann natürlich auch nicht anders; zu Hunderten schwärmten sie um den Trupp, holten sich ihrerseits manchen blutigen Kopf; aber schlugen doch auch wacker zu und rissen die Eroberer mit Haken und Stangen von den Pferden. Das ist denn ein Gezerr gewesen, bis die alten und verständigen Leute es möglich machten, sich durch das Getümmel zu zwängen und Vernunft zu sprechen. Da nahm der Stadtschreiber das Protokoll über den Fall zu Papier, und als sie es auf dem Papiere hatten, da ging ihnen das richtige Licht auf, und sie kriegten ein Grauen über ihre eigene heldenmäßige Tapferkeit und das, was sie sich durch dieselbige eingebrockt hatten.«

»Sie überlegten sich, daß der Christian dem guten Ritter Just nachtrabe und nicht bloß mit zwanzig Mann«, lachte der Student.

»Mit neuntausend zu Roß und zwölftausend zu Fuß, wie ich es Euch schon sagte. Als ich nachher mit den Liguisten dem Administrator nachritt, hörte ich die ganze Historia. Ei ja, es war von da an für Rat und Bürgerschaft an diesem schlimmen Flußübergang ein beschwerlich Ding, sich durch die Zeiten und Parteien zu winden.«

»Und heute ist's schier noch nicht besser«, meinte Herr Lambert; doch der Mönch erwiderte:

»Hättet Ihr das Höxterische Blutbad erlebt, auch selber eine Pike an der Mauer geführt, Ihr würdet wohl anders sprechen. Sehet Euch um darnach und hütet Euch fernerhin, Eure Hand zu bieten, noch mehr der Ruinen zu machen.«

Dann fuhr er in seiner Erzählung fort:

»Sie lachten auch in des Tilly Hauptquartier allhier zu Höxter; Merode lachte, dem von Piccolomini wackelte der Bauch, und der Savelli schüttelte sich unter seiner großen Parücke. Es gefiel ihnen allen die Art, wie Just von Burlebecke die Stadt genommen hatte. Ich lag damals bei dem Stadtschreiber und hab' sein Protokoll mir zeigen lassen. Es war ein erbärmlich Gekritzel und Geklecks, grad als ob die rote Ruhr dem Hasenfuß bei seinem Federkunststück mit am Tisch gesessen habe. Und Just als ein wackerer Kavalier hatte auch seinen Namen draufgehauen, und der ging über die halbe Seite und jede Unterschrift von Burgemeister und Ratmannen dick und schwarz weg wie ein Kürassierregiment durch ein Erbsenfeld. Einen ganzen Abend hat mir der Stadtschreiber von dem Rittmeister Just erzählen müssen; – wie sie ihn unter dem Gaule vorzogen, wie sie ihm den Rock bürsteten, wie der eine mit dem Pistol kam, das er dem Gemeindemeister an den Kopf geworfen hatte, wie der zweite den Degen brachte, der ihm im letzten Ringen abhanden gekommen war, und wie der Hader und das Blutvergießen in eine Festivität auf dem Rathause auslief. Ja, den ganzen Tag hat man getafelt und getrunken zu Ehren Justs von Burlebecke und seiner Reiter – den tollen Christian eingeschlossen! Da haben sie Brüderschaft gemacht und sich mit tränenden Augen in den Armen gelegen, der Bürgermeister von Höxter und Just von Burlebecke, und an Abend hat man der Stadt Judenschaft angehalten, den guten Kavalieren eine Reiterzehrung zu zahlen, und sie mit Triumph, der Stadt Musici vorauf, vor das Tor gebracht und sie mit einem höflichen Complimentum an die Fürstlichen Gnaden von Halberstadt ihres Weges reiten lassen, und nicht einer hat sich um diese Stunde so fest auf dem Gaule gehalten wie am Morgen beim Einsturm ins Stummerige Tor.«

»Ich hab' doch auch schon manche Tür im Sturm genommen, aber so galant hat mich noch nie ein hochedler Senat oder Magistrat darob traktieret«, sagte der Studente lustig-kläglich; und in diesem Augenblick erscholl das erbarmungswürdige Weibergeschrei aus dem Hause, vor welchem vordem Just von Burlebecke unter den Fäusten von Huxar an der Weser gelegen hatte. Wir wissen, wer da schrie.


 << zurück weiter >>