Wilhelm Raabe
Höxter und Corvey (1)
Wilhelm Raabe

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III

Der Student hatte sich eben in solcher Weise die Ode seines römischen Poeten an den Gönner Maecenas mundgerecht gemacht, als das Fährschiff das jenseitige Ufer der Weser erreichte. Mit einer höflichen Mützabziehung und mit einem Kratzfuß lud Hans Vogedes den lutherischen Geistlichen ein, einzusteigen. Den Mönch von Corvey, den Bruder Henricus, grüßte er auch, doch um ein bedeutendes förmlicher. Was die alte Jüdin anbetraf, so machte er selbstverständlich Miene, vom Lande wieder abzustoßen, ohne sie mit nach Höxter hinüberzunehmen. Der Mönch aber hatte ihr für ihr Geld zu ihrem Rechte verholfen, zu einem Sitze im Kahn, und auch der Prediger von Sankt Kilian war zugerückt, um ihrem Bündel Platz zu machen.

Nun schwamm die Fähre von neuem der Stadt zu. Die beiden geistlichen Herren saßen still, die Jüdin zusammengeduckt gleichfalls; der rohe Fährmann murrte bei seiner freilich nicht leichten Arbeit immerfort leise Schimpfworte vor sich hin und warf von Zeit zu Zeit einen verstohlenen Blick auf den Sack, der die Erbschaft der Kröppel-Leah enthielt. In der Mitte des Stromes fragte der Mönch:

»Wie geht es euch da – zu Hause, Schiffsmann, seit das fremde Volk Abschied genommen hat?«

»Der Teufel hat sein Hauptquartier da behalten, Pater«, lautete die Antwort. »In Corvey war groß Jubilieren – sie werden auch Euch das Essen warm gestellt haben. Höxar hungert und kaut Wut; Ihr werdet dort wenige Hauswände finden, durch die der Wind nicht pfeift. Sacré, wie die französischen Hunde sagten, ich pfeife auch darauf, ich hab' wenigstens nicht Weib und Kind zu versorgen. Um ein wenig besser Handgeld wär' ich auch mit dem Fougerais abgezogen.«

Der Bruder Henricus seufzte; der Pastor Helmrich Vollbort seufzte auch und schlug mit der Faust auf den Rand des schwerfälligen Fahrzeuges.

Der Pastor sagte dann:

»Der Mann spricht Ihnen die Wahrheit, Herr Pater, wie ich schon vorhin sie sagte. Es sieht übel aus in der armen Stadt; der Herr bewahr' uns vor weiterm Schaden.«

Der wilde Fluß wand sich unter dem Kahn gleich einem bösen Tier.

»Die Welt ist gleich dem Strom«, fuhr der Pastor fort, »sie gehet bedeckt mit Trümmern; aber der Herr wandelt dennoch auf den Wassern. Er wird's wohl zwingen.«

»Amen!« erwiderte der Bruder Henricus, und dann wurde nichts weiter gesprochen, bis der Kahn unter der Höxter'schen ruinierten Stadtmauer ans Ufer stieß. In demselben Augenblick schon sprang der Student von seiner Bank am Brucktor auf und an den Rand der Fähre, zog den Hut zierlich, bot dem Pfarrherrn von Sankt Kilian die Hand zum Aussteigen und sprach:

»Ehrwürden Herr Onkel, ich hab' mir vorhin wieder einmal die Ehre gegeben, Ihnen in Ihrer Behausung aufwarten zu wollen. Die Frau Tante hat mich hieher gewiesen ab ostio ad Ostiam, von der Tür – die sie mir leider vor der Nase verschloß – nach Ostia, will sagen an den Hafen. Ich mache mein Kompliment, Herr Oheim.«

»Und ich habe Euch nichts weiter zu sagen, Herr! Was stellt Ihr Euch immer von neuem mir in den Weg?« –

»Heraus, Alte! marsch – her den Fährlohn und fort mit dir, du Hexe!« schrie der Fährmann die Jüdin an.

»Gott Abrahams, gleich, lieber Mann!« rief die Greisin. »O Erbarmen, werdet nicht böse – da, da!«

Sie reichte mit zitternder Hand die schlechten Pfennige hin, und stolperte und fiel, als sie mit ihrem Bündel über den Bord des Kahnes stieg. Die von der Wacht lachten alle über das alte Weib.

Von dem Mönch nahm der Schiffer seinen Lohn, ohne weiter etwas zu bemerken; aber die beiden Münster'schen Kriegsleute und der Bürgerkorporal Polhenne hielten die Hüte in der Hand. Mit einem stummen Gruße für alle und einem Kopfneigen für seine Glaubensgenossen schritt der Bruder Henricus durch das Brucktor, den übrigen voran.

Die Kröppel-Leah trieb einer der wachthaltenden Schneider spaßhafterweise mit dem Spießende zum eiligern Forthumpeln an. Ihr sah der Fährmann am nachdenklichsten jetzo nach und nahm ein und den andern Kumpan aus dem Volk, das sich sonst noch an der Fährstelle angesammelt hatte, zu einem Geflüster beiseite.

Der Student Meister Lambert Tewes hatte nach der kurzen und derben Abweisung seines ehrwürdigen Verwandten den Hut wieder aufgesetzt; aber als ein braver Bursch, der mit den Philistern umzugehen weiß, ließ er so leicht nicht locker. Wenn er vorhin vom Etruskermeer gesungen hatte, so begab er sich jetzt auf ein ander Gewässer, griff rückwärts nach dem Horaz in seiner Tasche, um sich zu vergewissern, daß dieser Trostbringer noch vorhanden sei, und summte, was voreinst dem Aelius Lamia vorgepfiffen worden war, dem unwirschen Onkel Helmrich von Sankt Kilian hin:

Musis amicus, tristitiam et metus
Tradam protervis in mare Creticum
Portare ventis –

er sang es aber deutsch in absonderlicher Umschreibung:

»Der Wind pfeift hin zur Kreterflut,
Verdruß und Wut
Und Grämlichkeit
Fährt mit ihm weit!
Dem Musensohn kommt's töricht vor,
Kratzt sich der Philosoph am Ohr;

es würde mir das Herz abdrücken, Ehrwürden Herr Oheim, wann ich als Euerer Frauen Schwestersohn Euch so leichthin, ohne nochmals Eure Kniee umfaßt zu haben, Eures Weges in Übelgewogenheit gehen ließe. Es ist wohl wahr, sie haben mir Consilium abeundi gegeben, also –«

»Und ich und meine Hausfrau haben desgleichen getan!« rief der Pastor zornig. »Herr, haltet mich nicht länger auf; ich und mein Haus haben nichts mehr mit Euch zu schaffen.«

Der Prediger ging schneller zu; aber der Neffe hielt sich hartnäckig an seiner Seite.

»Bei den Penaten Eueres Herdes, Herr Oheim –«

Er kam mit seiner Rede wiederum nicht zu Ende. Plötzlich stand der alte, strenge Herr still und rief:

»Was wollt Ihr eigentlich noch, Monsieur, nachdem ich Euch meine Meinung so deutlich gesagt habe? Ist das eine Zeit für Narrenteiding? Sehet Euch um; ist das ein Schauspiel dem Auge, um dabei den Horatius abzuleiern? Sehet mir in das Herz – in dem Hause Gottes haben die Fremden ihre Rosse gestallt; in meiner Kirchen haben sie ihre Bacchanalia gehalten! O rufet nur Evoë, Evoë und lobet den Bacchus und die Venus, die –; greifet Euch doch in das eigene Herz: ist denn das Volk der Teutschen, das arme elende Volk – hauslos und dachlos hier und an so mancher andern Statt – in der Lust und Begierde, des römischen Poeten geile Reime an sein schmerzend Ohr klingen zu hören?! Sehet um Euch, Mensch, und gehet und lasset mich meines Weges gehen; was hülfe es Euch, daß Ihr mit mir kämet? Auch bei mir würdet Ihr eine verwüstete Heimstätte und einen kalten Herd finden. –«

Der geistliche Herr hatte eine Handbewegung um sich her gemacht, und was diese harte, magere, knochige Hand andeutete, das sah freilich trostlos genug aus.

Sturm auf Sturm war seit dem Jahre 1618 über das Höxter'sche Weichbild hingefahren. Kein Chronist hat noch gezählt, wie oft dieser Ort, die Fährstelle und Brücke am großen Völkerübergang zwischen Ost und Westen, dem Schwert und der Brandfackel anheimgefallen war. Aber die Ruinen, die wüsten Stellen, die Ärmlichkeit der wenigen wiederaufgerichteten Menschenwohnungen, und diese in ihrer allerneuesten Verwüstung, zeugten davon. Gleich einem verwesenden Körper lag die Stadt Huxar in dem grauen Abendlicht des Dezembers da, und die alten schwarzen Kirchen ragten wie das Knochengerüst aus dem zerfallenden Fleische der Stadt. Und die Gasse war voll des zerstampften Strohs, des Schutts, der Asche und Trümmer und stank auch sonst dem Heer des Allerchristlichsten Königs übel nach: der Student hielt sich die Nase zu, schob den Hut vom einen Ohr zum andern und nickte:

»Bei den Göttern, es ist ein Elend!«

Das war es; aber das Laster saß eben doch zu tief im Blut. Herr Lambert zitierte wieder; wenngleich mit kläglichster Miene:

»Wem klagt das Volk des Reiches Fall,
Wen ruft es an mit Seufzerschwall?
Wen schickt uns Zeus als Rächer her,
Wem legt er in die Hand die Wehr?
Dein Licht verhüllt, schwing nieder dich,
Augur Apoll', errette mich; –

›ad Augustum Caesarem‹ ist die Ode überschrieben, Herr Oheim.«

»Den Herrn sollt Ihr anrufen; sein Name ist Zebaoth! Emanuel ist sein heiliger Name!« sprach der Pfarrherr, die drohende Hand erhebend und weiterschreitend. Jetzt ließ der Student und Neffe ihn ziehen und stand still und sah ihm nach und dann noch einmal sich um in Höxter.


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