Wilhelm Raabe
Höxter und Corvey (1)
Wilhelm Raabe

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XIII

Der Student griff eben seinen Horaz, den er diesmal zum ersten Mal in dieser Historie als unwiderlegbares Argument gebraucht hatte, auf. Das Buch lag mitten zwischen dem von der Diebeshand zerwühlten Trödel, und Lambert, drüber hinblickend, rief:

»Bei Merkur und Rhadamanth, ist das der Köder, der das Geschmeiß anzog? Mutter Leah, das habt Ihr aus dem Fürstentum Hildesheim auf Euerm alten Buckel nach Höxter geschleppt? O Moses und all ihr Propheten, wenn der Titus nicht mehr aus Jerusalem mit sich geführt hätte, so würde das spolium, der Plunder, wahrlich nicht die Mühe gelohnt haben.«

Das war richtig, und einen erfreulichen Eindruck machte die Schaustellung, die jetzt der Zufall und die Räubertatze bewerkstelligt hatten, nicht! Armselige Wäschestücke, wohlfeile zinnerne oder bleierne Schaumünzen auf alle möglichen Ereignisse, kaiserliche, schwedische und französische Viktorien und Niederlagen – ein halbverbranntes hebräisches Gebetbuch mit silbernen Beschlägen und sieben Stück schlechter Löffel! Eine Halskette von böhmischen Glasperlen mit einem kupfernen Kreuz und ein zusammengedrückter winziger silberner Becher waren die wertvollsten Gegenstände, eine kupferne Pfanne und ein kleiner eiserner Kochtopf die umfangreichsten, bis auf die Decke von dem Sterbelager des Gronau'schen jüdischen Mannes.

»Was weißt du von Just von Burlebecke, Weib?« rief der Bruder Henricus, bewegt die Hand der Greisin fassend.

»Ich hielt seinen blutigen Kopf in meinem Schoße hier vor meines Vaters Tür«, sagte die alte Leah, mit Mühe die Worte hervorstoßend. »Sie hatten ihm das Roß erschossen, und niemand wollte den schlimmen Feind im Anfang aufheben. Ach, und doch hub damals der Krieg erst an! Da – da, sucht; er gab mir ein Angedenken, das ist aus einer Hand bei uns dann in die andere gekommen. In Gronau hab' ich es wiedergefunden.«

Die Kröppel-Leah fiel wieder zurück auf das Stroh, der Student hielt dem Benediktiner sein Buch noch einmal hin:

»Was meint Ihr, Reverendissime, jetzt werfe ich's zum übrigen, und wir fangen das Trödlergeschäft in Compagnia an. Was leget Ihr aber in den Handel ein?«

Der greise Mönch stieß ihn nunmehr wirklich zornig von sich; er kniete schon und suchte auf dem Boden. Mit unsicherer Hand warf er die Lumpen und Lappen hin und wider und ließ das Küchengeschirr und die erbärmlichen Raritäten und Kostbarkeiten untereinander erklirren.

»Beim heiligen Vitus«, rief er plötzlich, »das ist meiner seligen Mutter Werk! Sie gab die Handschuh ihm, als er vor mir auszog. Sie war im Herzen für die neue Lehre; ich ging für meinen Vater zu den Kaiserlichen! Das ist Justs Handschuh mit meiner Mutter Spruch: Geh' grad!... O Frau, o Leah, sie hat mit ihrer guten Hand die Goldfäden gezogen!«

Der Bruder Henricus hielt einen Reiterhandschuh, der mit verblaßtem Golde gestickt war, und nahm hastig, doch gerührt von neuem die fieberheiße Hand der alten Jüdin:

»Das hat er Euch gegeben, Leah?«

Die Greisin strich die weißen, durch das Ringen mit dem Räuber gelösten Haare aus der Stirn und sagte:

»Ich verstehe den gnädigen Herrn Abt nicht.«

Sie war noch immer nicht ganz bei sich, oder die Betäubung trat doch immer noch von neuem ein.

»Des tollen Herzogs toller Reiter, Just von Burlebecke!« rief der Bruder Heinrich, sich wieder an den Studenten und die kleine Simeath wendend. »Er hat noch ein gut und lustig Jahr gehabt; dann ist er bei Stadtloo im Ernst erschossen, und niemand hat sein blutend Haupt mitleidig in den Schoß genommen, Leah!«

»Wie war denn das?« murmelte die Alte. »Es ist so viel nachher gekommen – der Herr Feldmarschall von Tilly und im Jahre Neunundzwanzig der Schwede Baudissin – nein, Neunundzwanzig war's der Tilly wieder und der Herr von Pappenheim. Der Herr General Graf Baudissin erstürmte Zweiunddreißig die Stadt. ... Dann war der blutige Gründonnerstag Vierunddreißig... Anno Vierzig berannten Seine Exzellenz der Feldzeugmeister Piccolomini Höxter und kamen mit Akkord herein, und Sechsundvierzig stürmte der Herr Feldzeugmeister Wrangel; – wer redete da von dem Herzog Christian und Just von Burlebecke? Welch ein Jahr schreiben wir heut, Simeath?«

Das junge Mädchen nannte leise die Zahl, und die fiebernde Greisin flüsterte mit geschlossenen Augen:

»Gott Abrahams! Der Herr ist Herr der Heeresscharen; Zebaoth ist sein furchtbarer Name.«

»Das sagte mein Oheim vorhin auch«, meinte der Student, im Unbehagen die Schultern in die Höhe ziehend.

Der Bruder Henricus hatte den Schemel an das traurige Bett der Kröppel-Leah gerückt und saß nun da nieder, sein rostiges Schwert zu seinen Füßen.

»Ja, ja«, sagte die Greisin, in ihrem verwirrten Sinn sich zurückdenkend, »ich erinnere mich wohl. Wir waren jung, und der Krieg kam eben erst aus dem Böhmenlande zu uns herüber. Mein Vater war der einzige Jüd, der in Höxter wohnen durfte, und ich war ein jung Mädchen, Simeath. Wir freuten uns noch des Sommers, und der junge Kavalier ritt mit Lachen in das Stummerige Tor. Was trieb mich aus dem Haus? Es ist einerlei – ich trocknete ihm mit meinem Sacktüchlein das Blut von der Stirn. Seine Kriegsgesellen schlugen sich noch mit der Bürgerschaft; er aber sah mich an und sagte: ›Merci, Mademoiselle!‹, er wußte ja nicht, daß ich ein jüdisch Mädchen sei. Dann kam der Herr Bürgermeister, und mich zog mein Vater ins Haus, und meine Mutter schlug mich. Sie hörten in der Stadt, mit wie großer Macht der Herzog Christian im Anzuge sei, und da pokulierten sie zusammen auf dem Rathause. Ja, ja, und am Abend, ehe sie ihn vors Tor geleiteten, kam er auf dem edeln Pferd, das ihm die Stadt gegeben hatte, vor meines Vaters Haus, und ich saß am Fenster, und er warf mir seinen Handschuh zu und eine Kußhand und rief: ›Denkt an Just von Burlebecke, Fräulein; er wird Euerer immer gedenken!‹ Und doch wußte er da schon, daß ich eine Jüdin sei, – er war aber ein guter Ritter, und ich habe seiner wirklich oft gedacht. Meine Mutter schlug mich noch einmal am Abend und mein Vater; denn der Rat hatte die Reiterzehrung, die er dem guten Ritter verehrte, auf den jüdischen Mann gelegt. Den Handschuh hab' ich heimlich versteckt, sonst hätten sie ihn mir mit einem Fluche vor der Nase verbrannt. Dann haben meine Kinder damit gespielet; es ist ein Wunder, daß er noch da ist; – meine Kinder sind tot, dreimal hat mein Haus im Schutt gelegen. Ja, ich hab' des tapfern Ritters Handschuh von Gronau mitgebracht, o ehrwürdiger Herr, nehmet ihn und lasset es die Simeath nicht entgelten, daß Ihr ihn bei uns fandet. Helfet dem unschuldigen Kind, der Simeath, durch diese Nacht!«...

Das alles war mehr geröchelt als gesprochen worden. Die Greisin schwieg jetzt und atmete im Halbschlaf schwer weiter. Der Greis sprach:

»So ist es, Mutter; wir beide denken noch zurück an die Zeiten des Friedens. Als meine Mutter diesen Handschuh dem Just aufs Pferd reichte, da vermeinte freilich noch niemand, daß mehr denn ein Menschenalter durch das deutsche Volk durch einen See von Blut waten werde unter einem Himmel, rot und qualmig von den brennenden Städten.«

»Was kümmert's mich?« schrie die Kröppel-Leah scharf und schrill aus ihrem Traum heraus. »Meine Väter haben nie Frieden gehabt seit dem Kaiser Titus. Was kümmert's uns, was ihr gemacht habt aus euerm Lande? Ich ängste mich um Luft; der Schubjack hat mir die Brust zerschlagen, doch ich wollte singen in dieser Nacht, wenn die Simeath nicht wäre.«

»Die Großmutter hat recht mit dem guten Kaiser Titus«, flüsterte der Student dem Kinde zu. »Nun bin ich auch ein Römer – civis Romanus sum – und kenne mein Latein, Jüngferlein; aber für uns beide soll das kein Grund sein, uns die Gesichter zu zerkratzen.«

»O freundlicher Herr, scherzet jetzt nicht!« rief Simeath, die der Greisin eben wieder den Wasserkrug an die Lippen setzte.

Leah trank gierig und lange; dann stieß sie den Krug zurück und setzte sich wieder kräftig auf. Sie wachte nunmehr vollständig und sah hell umher.

»Laß ihn, Kind! Er tut wohl, daß er sich lachend in die Welt schickt. Die Zeit schwingt und schwingt; – auch seine Stunde wird kommen, wo er mit gerunzelter Stirn auf den schweren Pendul horcht. Ehrwürdiger Herr Mönch, Sie waren ein Reiter, nun sind Sie ein Bruder zu Corvey – Ihr seid auch ein alter Mann; habt Ihr den Frieden gefunden in den Mauern der großen Abtei?«

Der Bruder Heinrich von Herstelle hatte, die Stirn mit der Hand stützend, in tiefen Gedanken gesessen; auf die Frage fuhr er auf und wiederholte sie:

»Den Frieden?«

Er zog wie im Spiel den Handschuh Justs von Burlebecke an; dann sprach er:

»Den Frieden?... Geh' grad!... den Frieden? Weshalb sollt ich auch den Frieden zu finden wünschen? Ich bin kein gelehrter Mann wie hier der Herr Student, der den heidnischen Philosophum, den Horatius, auswendig weiß; ich kann's nicht sagen, wie's mir zumute ist. In meiner Jugend habe ich Freude gehabt am bunten Leben; – hab' ich denn den Frieden suchen wollen, als ich ein Mönch wurde? Ja, ja – bei Sankt Veit, es wird wohl so sein! Ei ja, dann hab' ich ihn gefunden. Ich bin freilich ein alter Gesell, und da hab' ich mein Genügen zu Corvey; aber – geh' grad! – die Zeiten haben mich gelassen, wie ich war, als ich anfing mich zu besinnen in der Welt. Was Blut und Feuer?! Da das uns vom Herrgott bestimmt war, so mag auch Er – sein Name sei gepriesen – die Rechnung beschließen. Sie wird wohl stimmen, sowohl für ihn als für uns.«

Die Alte lachte rauh:

»Da seid Ihr also auch auf dem Trost, der uns gesungen wird seit den Tagen des Königs Nebukadnezar. Die Stolzen beugen sich, und der Herr lacht über sie –«

»Und dieses alles, weil gestern der Lump, der Monsieur Fougerais, von Höxter abmarschiert ist!« rief jetzt der Student ungeduldig dazwischen. »Zum Teufel, den Frieden haben wir erst dann, wenn niemand mehr sofort nach dem Prügel im Winkel greift, wann er sich darauf gespitzt hat zu hören: Vivat Doktor Luther! und es ihm vom andern Tisch herkrächzt: Vivat Clemens der Zehnte – oder umgekehrt! Der Fougerais ist fort – –

Nunc est bibendum, nunc pede libero
Pulsanda tellus –

das Lied vom Trinken und Tanzen ist zwar schon nach der Schlacht bei Actium gesungen und auf den Niederfall der Königin Kleopatra von Ägypten gemünzt; aber ich münze es häufig auf was anderes, und tausend Jahre nach mir wird man's auch so halten. Item, man hat Jerusalem mehr als einmal wiederaufgebaut, Mutter Leah.«

»Doch die Fremden hausen auf der Wohnstätte des Samen Abrahams, junger Herr. Die Kinder von Juda und Israel irren als ein Spott und Spuk zerstreuet; sie haben keinen Ort mehr, da sie Herren ihres Hauses und Leibes sind. Auch für Euch ist noch keine Zeit, den Siegestanz zu tanzen, junger Herr. Wollt Ihr wirklich dem Herrn von Fougerais und dem großen Marschall Turenne nachsingen und tanzen? Sie haben Höxter leer genug gemacht.«

»Meines hochwürdigsten Herrn zu Münster glorreiche Verbündete!« murmelte der Bruder Henricus. »Lasset das Tanzen noch eine Weile, Herr Studente.«

In diesem Augenblicke erfüllte von neuem ein heftiges Getöse die Gasse und näherte sich dem Hause der Kröppel-Leah.


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