Wilhelm Raabe
Höxter und Corvey (1)
Wilhelm Raabe

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XII

Sie stutzten alle in der Gasse, vor allen übrigen jedoch der Mönch und der Student.

»Sankt Veit«, rief der Bruder Henricus, »will die Mordnacht nie zu Ende gehen! Hier, hier Corvey!«

Er eilte gegen das Haus, aus welchem der Schrei hervordrang, und von den Klosterknechten sprangen auch schon einige von der Brandstelle her.

Der französische nachgelassene Unrat lag vor der Tür der Kröppel-Leah in höheren Haufen als sonst irgendwo in Höxter, und ehe der Bruder Studio dem Bruder Heinrich von Herstelle mit einem Sprung über den Unflat nachfolgte, schwang er natürlich den Hut in die Luft und jauchzte:

»Itzt, röm'scher Jüngling, zuck dein Schwert
Und sei der edeln Eltern wert;
Färb rot die See mit Pönerblut,
Verlach, verlach des Pyrrhus Wut;
Wirf nieder den Antiochum,
Sein syrisch Königreich stürz um;
Und mit Kanon und Flintenknall
Scheuch fort den grausen Hannibal!«

Das alles war nun grade nicht nötig; allein Eile tat nichtsdestoweniger not. Herr Lambert sprang und überholte infolge seiner Sprünge den watenden Benediktiner um einen Schritt auf der Treppe. Vor allen, die auf den neuen Notschrei herzuliefen, befanden sich der Bruder Henricus und der Student auf dem Schauplatz des Jammers und im Handgemenge mit den Unheilstiftern, ehe ihnen irgend jemand von der Abtei und der Stadt Hülfeleistung und Handreichung tun konnte. Keine gesperrte Tür hielt sie ja auf; und dem Mönch voran sprang der Bruder Studio ein in das Quartier des Sergeanten vom Regiment Fougerais und der lustigen Mamsell Génévion von dem nämlichen Regimente.

Sie kamen zur richtigen Zeit, wenngleich nicht für die drei Höxternschen Ruffiane. Der brave Fährmann Hans Vogedes hielt eben die Greisin auf dem Boden, ihr die Gurgel zusammendrückend; sein einer Raubgenosse zog mit groben Fäusten die zeternde Simeath an den Haarflechten durch das Kämmerchen, der andere der Halunken hatte bereits das armselige Bündel mit der Gronau'schen Erbschaft unter dem Tische hervorgezerrt, kniete gierig wühlend und verstreute fluchend den Inhalt um sich her auf dem schmutzigen Boden. Die Lampe des armen Vaters Samuel und das flammende Haus desselben verbreiteten ihren Schein über diese häßliche Szene, die Callot so gern zeichnete und malte in dem scheußlichen Jahrhundert, dem alle Gegenwärtigen angehörten. Sechzehnhundert solcher Bilder hat Maître Jacques gefertigt bis zum Jahre 1635, und der einzigste Trost für uns liegt darin, daß seine Erbin zuletzt doch das Kupfer sämtlicher Platten dieser »misères et malheurs de la guerre« in Küchengeschirr verwandelte und ihre Suppen darin kochte. –

»Ecce iterum Crispinus!« schrie der Student, gegen den die Kehle der Greisin freilassenden Hans Vogedes losstürzend. Im weit ausholenden Schwung warf er ihm zuerst den steifen Schweinslederband seines Flaccus auf die Nase, daß sofort das Blut hervorströmte.

»Da hast du dein Recht auf römisch, du Mauskopf!«

Und schon hatte er ihn selber an der Gurgel und auf dem Boden, ehe der Fährmann sein Mordbeil aufgreifen konnte. Mit beiden Fäusten aber erhob der Bruder Heinrich von Herstelle sein mächtig Schlachtschwert und ließ es flach auf den Schädel des Strolchs fallen, der die Simeath bedrängte. Der dritte der Raubbrüder ließ feige das Bündel der Alten im Stich, sprang empor und wollte mit einem Satz über den niedergestreckten Leib seines Kameraden die Tür, die Treppe und die Gasse gewinnen, fiel aber auf der Treppe den heraufpolternden Klosterleuten und dem ihnen nachkeuchenden tapfern und weisen Hauptmann und Gubernator Meyer in die Arme. Sie fingen ihn zärtlich auf und drückten ihm fast die Seele aus dem Leibe, und ganz gutwillig ließ er sich in der Stummerigen Straße die Hände auf dem Rücken zusammenschnüren. So war die Schlacht hier denn fast eher beendigt, als sie begonnen hatte, und neben den beiden auf der Erde zappelnden Besiegten stehend, blickten die zwei Sieger, Bruder Mönch und Bruder Studio, einander sogar ein wenig verwundert darob an.

Doch jetzo trat der Herr Hauptmann Meyer herein und sah sich seinerseits ein wenig in dem Closet der Kröppel-Leah um.

Militärisch grüßend und auf den Fährmann und seinen Gesellen deutend, fragte er dann:

»Mit Permission, mein Pater, wie ist es nun mit der Gerichtsbarkeit in Höxter? Hier haben wir den Casum von neuem, behalten wir von Stifts wegen die beiden Lümmel, oder schicken wir sie dem Bürgermeister Merz? Hängen wird sie ja doch wohl Corvey in Anbetracht, daß Bischöfliche Gnaden der Stadt das Blutgericht genommen haben?!«

Zweifelnd krauelte sich der Bruder Henricus am Ohr; doch der Student nahm ihm das Wort vom Munde:

»Einen schönen Gruß von mir und einen Handkuß desgleichen an den alten E-, an die hochehrbare Exzellenz von Huxar, Herrn Thönis Merz, und ich – Lambert Tewes, schicke ihm hier was und erbitte mir dafür morgen ein Viatikum auf den Weg nach Wittenberg von wegen geleisteter Dienste fürs gemeine Wesen. Macht keine langen Worte; behaltet nur ein einziges Mal Eure Weisheit und sesquipedalia – Eure sechsfußlangen Bedenklichkeiten – für Euch. Den Hans da empfehle ich Euch und dem Bürgermeister besonders, Centurio. Gebt es ihm mit der Weinrebengerte gleichfalls mit einem Kompliment von mir.«

Der Hauptmann sah höchst verdrießlich auf den seine Würde so wenig achtenden Redner; doch der Bruder Henricus meinte lächelnd:

»Für diese Nacht wird's wohl das beste sein, daß wir tun, wie der Tollkopf vorschlägt, Herr Kapitän. Sagen Sie auch meinen Gruß dem Herrn Bürgermeister. Des Stiftes Rechte zu wahren, stellen Sie zwei Mann zu der Ratmannswacht vor dem Turm.«

Der Hauptmann hob wiederum martialisch den Hut; die zwei blutenden Hausfriedenbrecher wurden hinaus- und die Trepp' hinuntergeschleift, und der Bruder Heinrich sowie der Student fanden nunmehr die erste Muße, sich nach den beiden armen Frauenzimmern umzusehen, die sie in so tapferer Weise aus den Klauen der ihrer französischen Einquartierung, dem Herrn von Turenne und dem Herrn von Fougerais, nachtumultuierenden Huxarienses errettet hatten.

Das junge Mädchen kniete auf dem Boden und hielt den Kopf der alten Frau im Schoße.

»O Großmutter, Großmutter«, schluchzte es, »sag doch was! sprich doch nur ein Wort! wir leben noch! sie haben ihren Willen nicht vollführen können; die guten Herren haben uns von ihren Griffen erlöst, dem hohen Gott sei Dank, – ach, Großmutter, besinne dich!«

Die Greisin zuckte fürs erste nur mit den Armen und krampfte die Finger auf und zusammen; der Benediktiner beugte sich zu ihr herab und leuchtete ihr mit der kleinen Lampe ins Gesicht.

»Der Bösewicht hat sie arg gewürgt. Helft mir, Herr Student, wir wollen sie auf das Bett tragen. Es ist ein Jammer, daß wir den arzneiverständigen Bruder Briccius hier nicht vorhanden haben. Der würde sie uns in einem Augenzwinkern wieder aufrecht hinsetzen.«

Herr Lambert Tewes hatte bereits den Kopf der Alten der Simeath aus den Armen genommen; der Mönch faßte sie an den Füßen, und so trugen die beiden sie auf das Bett des Sergeanten; der Student mit einem verstohlenen Seitenblick auf das hübsche zerzauste Judenmädchen.

»Trockene deine Tränen, schwarzlockige Neära«, sagte er gutmütig. »Tu's mir zuliebe – das alte Mütterchen hat in seinem langen Dasein mehr ausgehalten als solch ein Katzengekrall; – eure Patriarchen und Patriarchinnen haben ein verflucht zähes Leben, und Großmutter kommt diesmal noch sicher drüber weg, auch ohne den Bruder Briccius.«

»Ich will es dem edlen Herrn nie vergessen«, rief Simeath nur noch lauter weinend; und dann beugte sie sich, griff nach der Hand des wilden Scholaren und wollte eben die Lippen drauf drücken, als Meister Lambert ihr seine Pfote rasch entzog und ihr einen lautschallenden Kuß auf den Mund gab.

»So steht's geschrieben in den Leges der Julia Carolina, und Herr Mynsinger von Frondeck, der Kanzler, wußte wohl, was er tat, als er den Paragraphum einschob.«

Errötend trat das junge Kind gegen das Lager der Greisin zurück; der Mönch hatte wohl ein wenig die Stirn gerunzelt, doch er hatte allzu viel um die allmählich wieder ins Bewußtsein zurückkommende Kröppel-Leah zu tun, um allzu genau auf die sonstigen Vorgänge in seiner Umgebung achten zu können. Mit dem Wasser aus dem Kruge des Vaters Samuel rieb er der Alten die Schläfen; – da nieste sie endlich und stieß einen heisern Schrei aus, und dann saß sie wirklich aufrecht auf dem Stroh und sah aus stieren Augen umher. Der rote Schein der niedersinkenden Feuersbrunst leuchtete noch immer in das Gemach.

»Salzkotter Quartier! die Liguisten in der Stadt!« stöhnte sie und fiel zurück, die Hände über die Augen schlagend.

»Sie ist noch nicht ganz bei sich – das Feuer wirrt sie«, murmelte der Bruder Henricus gegen den Studenten gewendet. »Sie sieht wieder den Gründonnerstag von 1634. Wir gaben kein Quartier, weil in Salzkotten uns keins gegeben war.«

Und der Greis legte auch die Hand auf die Stirn und stützte sich mit der andern gegen die Wand mit den unzüchtigen Zeichnungen des Regiments Fougerais:

»Herr, Herr, mein Gott, wann kommt der Frieden in deine arme Welt?!«

Lambert Tewes stand nun ernst genug mit untergeschlagenen Armen da.

»Höxter und Corvey!« sagte er finster. »Meine luther'schen Väter standen für Stadt und Stift. Die Liga war's, die Höxter in Trümmer legte und Sankt Viti Sarkophagen zerbrach. Eure fremdländischen Obersten und Kavaliers waren es, die die Gebeine unter sich verteilten, welche der Kaiser Ludwig hieher an die Weser getragen hatte.«

»So ist es«, sagte der Bruder Heinrich von Herstelle. »Das ist die Historia von Höxter, und ich – bin Mönch zu Corvey! Ich zog für die Liga; für den Winterkönig die schöne Elisabeth und den tollen Christian ritt Just von Burlebecke, der mit mir aufgewachsen und von meiner Mutter mit mir erzogen war.«

»Just von Burlebecke!« klang es wie ein Echo von dem Bette her, und unterstützt von der Enkelin deutete die Greisin mit zitternder, schwankender Hand auf den Erdboden, wo ihre Erbschaft verstreuet lag.


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