Wilhelm Raabe
Höxter und Corvey (1)
Wilhelm Raabe

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VIII

Was uns anbetrifft, so kamen wir von den Beinen noch gar nicht herunter. Verfügen wir uns zurück nach Höxter, und zwar mit kühler Stirn und gelassenem Gemüt: es ist uns beides vonnöten, und des letztern rühmen wir uns vor allem. Der große Autor der Dassel'schen Chronik, Meister Hans Letzner, natürlich schnöde zubenamset der Fabelhans, konnte nicht kritisch-ruhiger in den Wirrwarr seiner Tage oder insbesondere in das Getümmel des Sankt-Vitus-Festes hineingucken, als wir in diese Höxter'sche Lärmnacht nach dem Abmarsch des Marschalls von Turenne und des Herrn von Fougerais.

In der Stadt war längst alles auf den Beinen! Der Grimm mußte heraus; und jetzt hatte eben die Gärung den Zapfen aus dem Spundloch getrieben: sinnverwirrend ergoß sich die trübe Flut, und da wir von Corvey kommen und also wissen, wie es dort aussieht, so wissen wir auch, daß fürs erste niemand vorhanden war, der den Ölzweig über diese schlimmen Wasser hintragen oder noch besser das Öl selber in sie hineingießen konnte. Auch die Frauen befanden sich in den Gassen, und das war das Allerschlimmste. Sie, die Weiber, hatten von der französischen Einquartierung zu leiden, und zwar in mehr als einer Weise, und wahrhaftig mehr als die Männer. In welchen Winkeln hatten sie sich mit ihren heulenden, hungernden Kindern verkriechen müssen! Glücklich noch, wenn sie nicht daraus hervorgezogen wurden, um die tägliche und nächtliche Lustbarkeit durch ihre Gegenwart zu verschönen. Nun kamen sie von ihren leeren Speiseschränken, versudelten Betten, verschweinigelten Fußböden und suchten Ihrerseits die geeigneten Persönlichkeiten und Zustände, an denen sie ihren Grimm und Groll auslassen konnten. Katholikinnen wie Lutheranerinnen waren sich darin einig, daß mehreres gesagt und getan werden müsse, ehe es wieder Ruhe und Anstand in Höxter geben könne, und an ihnen – den Höxter'schen »Dames« – hatte der Helmstedter Relegatus, Herr Lambert Tewes, vor allem sein Vergnügen.

Meister Lambert, von seinem harten Lager in der Schenke zum heiligen Veit auffahrend, wie beschrieben, schob den Horatius, der ihm als Kopfkissen gedient hatte, in die Tasche und sprang vor die Tür der Schenke. Wir haben auch bereits dem Leser mitgeteilt, daß diese Kneipe am Corveytor, also ein wenig entfernt vom Mittelpunkte der Stadt, lag. Demnach war es still in der Umgegend; der ausgebrochene Tumult wütete mehr in der Mitte der Stadt, und weitbeinig verfügte sich der Student dorthin.

»Was würde mir nun das beste Federbett nebst Schlafrock und Pantoffeln geholfen haben? Was hilft es nunmehro dem Herrn Oheim, daß er die Zipfelkapp über die edlen Ohren zog? Muß er nicht auch heraus? Er muß! Ja, ja, wieder hat es sich gezeigt, daß die Bank das einzig richtige Lager für die Zeitumstände ist. Paratus sum! und hinein mit Lust und Mut in des Saeculums Pläsier und Jokosität. Ein einziger Jammer ist es nur, daß man hier nicht rufen kann: Bursche 'raus! wie unter den Fittichen der hochgelobten Julia Carolina.«

Es ging auch ohne das. Von einem heftigen Zulauf des Pöbels mitgezogen, tauchte er, natürlich mit dem altbekannten »Quo, quo scelesti ruitis«, jedoch ohne das diesmal in deutsche Reime zu bringen, zuerst vor der lutherischen Pfarrei aus dem wüsten Schwall auf und schwang sich auf einen Prellstein; natürlich nur, um besser sehen zu können, was man eigentlich mit den lieben Verwandten im Sinne habe.

»Sieh, sieh!« sagte er, und die Szene war in der Tat recht kuriös zu betrachten. Die katholischen Huxarienses stürmten die lutherische Pfarrei und waren natürlich zuerst auf die Frau Pastorin gestoßen, die von der Pforte ihres Hauses aus, mit dem Besen in der Hand, den tollen Haufen fürs erste noch mit merkwürdigem Erfolg bekämpfte. Über sein Weib weg sprach der ehrwürdige Herr mit hocherhobenen Armen Vernunft, und dieses ganz vergeblich; – sein Küster war's, der im Turm von Sankt Kilian am Glockenseil hing und für die Augsburgische Konfession um Hülfe läutete, während von Sankt Nikolaus herüber das Geläut kam, das für den zehnten Clemens – Altieri – sich an die städtischen Auktoritäten, das Stift Corvey, den Bischof von Münster und den dunkeln, stürmischen Nachthimmel wandte.

Sie hatten Fackeln mitgebracht, die Tumultuanten, um ja an keinen Stein auf ihrem Wege zu stoßen. Bei dem flackernden Lichtschein beobachtete der Student alles ganz genau, hielt sich jedoch seinerseits vorsichtig so viel als möglich im Schatten.

»Coraggio, chère tante«, jauchzte er. »Siehest du, Freund Säuberlich, das heißt man eine treffliche Quart. Pariere den!... Hui, der saß wieder, grad auf den Schnabel. Siehst du, mein Sohn, da hast du einen Mund voll von dem französischen Nachlaß in den Gassen von Höxter! O papae, schlägt die Papissa eine gute Klinge; oder besser einen saftigen Besen!«

Das tat sie; allein zuletzt half es doch wenig gegen den übermächtigen Andrang. Sie wich, und wäre die Päpstin Johanna an ihrer Stelle gewesen, so würde die auch gewichen sein. Der Student auf seinem Steine drückte die Faust auf die Milz:

»Was fällt er ihr denn in die Parade? Soll das Wort hie mehr helfen als die Tat der Heldin? Retro, retrorsum, Domine Pastore, halten Sie sich nicht auf! Herr Onkel – da, da!«

Es war ungefähr so. Der würdige Herr von Sankt Kilian hatte eingesehen, daß hier sein Wort von so schlechtem Nutzen sei als der Besen seines Ehegesponses. Er hatte den Arm der Gattin erfaßt und zog sie rückwärts die Treppenstufen hinauf in die Pforte des Hauses. Hinter ihnen drein brüllte der Haufen, hinter ihnen drein lachte der schadenfrohe Neffe:

»Holla, es ist nicht das erste Mal heute, daß Ihr sie einem vor der Nase zuschlagt und den Riegel verschiebt! So habt es denn, wie Ihr es gewollt habt!«

Contra aegida Palladis ruere, mit dem Kopfe gegen die Schürze der Weisheit stoßen, nannte er's dann, als die vordersten der erbosten Bande, von den hintersten geschoben, mit den Stirnen gegen die versammelte Pforte anrannten. Das Höxter des Jahres 1673 ließ die Knüppel fallen und griff zu den Steinen.

Es flog der erste gegen die lutherische Pfarrei, ihm folgte das erste Dutzend. Noch einen kurzen Augenblick zeigte sich Dominus Helmrich Vollbort am Fenster, dann verschwand er im Innern des Hauses. Die geistliche Frau hielt sich einen Augenblick länger; jedoch die Ochsenaugen zersplitterten um sie her. Sie verschwand gleicherweise, während, wie der Pater Adelhardus sich ausgedrückt haben würde, die infestatio cum bombardis, das Bombardieren fortdauerte. Und in dem Augenblick, wo die Not am größesten wurde, verstummte der angstvolle Hülferuf vom Turm; eine Handvoll biederer Höxteranischer Stadtinsassen hatte die Tür des heiligen Kilianus, durch welche der Küster eingeschlüpft war, erbrochen, hatte den Küster am Werk und am Seil gefunden, und jetzt läutete er nicht mehr, sondern aber es wurde auf ihm geläutet; er bekam Prügel, entsetzliche Prügel. –

Zerreißen, um an zwei Orten zugleich sein zu können, konnten wir uns leider nicht, aber daß die Katzenmusik, welche die lutherischen Huxarienser zu Ehren des französischen Abmarsches den Minoriten bei Sankt Niklas besorgten, nicht geringer ausfiel als die bei Sankt Kilian, das können wir auf unser Wort und unsere Ehre versichern. Die katholische Pfarrei litt nicht weniger von den Freunden unseres Freunds Lambert Tewes als die lutherische. Das Schauspiel war das nämliche dort wie hier. Es fiel in Wort und Werk nichts beizu, und der einzige Trost für die Herren bei Sankt Niklas am Klaustor lag einzig und allein in dieser bösen Nacht darin, daß es den »Herren von der andern Seite« geradeso ergehe: ein leidiger Trost ist eben auch ein Trost.

Wäre es aber nunmehr nicht unsere Pflicht, nach dem Burgemeister zu laufen? Durchaus nicht; denn er kommt am letzten Ende doch immer ganz von selber, und so auch jetzt, und zwar begleitet von den Ältesten und Würdigsten der Gemeinde.

Ächzend kam er, Thönis Merz der Bürgermeister, und mit ihm die andern: Caspar Albrecht der Senator, und Jobs Tielemann und Heinrich Kreckler und Hans Jakob zum Dahle, und Hans Freisen und Hans Sievers und Hans Tropen und Hans Heinrich Wulf und Henrich Voßkuhl und Adam Sievers, die Dechanten von den Gilden, und Konrad Kahlfuß, der Gemeinheit Meister! Sie erschienen, um Ordnung zu stiften, und etwas Großes war das auch gar nicht, wenigstens an dem Orte, an welchem sie jeweilig auftraten.

»De Burgemester!« krächzte eine Stimme im Haufen, und sofort kam ein Schwanken und dann ein Erstarren in die wogende Flut. Kopfüber stürzten die Angreifer von den Treppenstufen des Pfarrhauses hinunter, auseinander stob der Pöbel, und der Konsul stieß dem Senator den Ellbogen in die Seite und sprach:

»Gevatter, was habe ich gesagt?!«

Ob es aber mehr darauf, was er gesagt hatte, oder was der Herr Pfarrer und die Frau Pfarrerin jetzo sagten, ankam, das wollen wir dahingestellt sein lassen. Wer da sagt: Racha!, der ist des Rats schuldig; und es wurde dergleichen ausgerufen; – sehen wir zu, wo derweilen unser Helmstedter geblieben ist. –

Wenn das erboste katholische Volk bei Sankt Kilian auseinandergelaufen war, so war's danach freilich noch nicht ruhig nach Hause und ins Stroh gegangen, sondern im Lauf durch Gassen Sankt Niklas zu.

Leichtfüßig war der Student von seinem Eckstein heruntergesprungen. Er hatte alles hier in Obacht genommen, was ihn interessieren konnte, doch die Blüte des Spaßes pflückte er nun erst ab.

Der Platz vor der Pfarrwohnung war leer. In der wieder geöffneten Tür standen heftig gestikulierend der Onkel und die Tante, auf den Treppenstufen der Bürgermeister mit der Hand auf der Brust, am Fuße der Treppe in einem Halbkreis der Chor der Senatoren, Patrizier, Tribunen und Gilden-Hauptleute. Gravitätisch schritt jetzt Herr Lambert Tewes aus der Dunkelheit hervor, in das Licht der Laterne, die der Gemeinheit Meister Konrad Kahlfuß trug, hinein, zog höflich den Hut, verbeugte sich tief und richtete an die Herrschaften das, was achtzig Jahre später die Literaturbriefe, wenn sie Herrn Dusch vornahmen, »mit unsern galanten Briefstellern die courtoisie nennen«. Dann schritt er langsam querüber in die nächste Gasse und lief, sobald er der entrüsteten Auctoritas aus den Augen war, so schnell ihn die Füße trugen, dem Tumult bei Sankt Nikolaus zu:

»Wer fürchtet des Skythen, des Parthier Wut,
Wer scheuet Germaniens gräulige Brut?
Nun sitzt man geruhig, beim fröhlichen Schmaus,
Es schändet kein Frevler des Biedermanns Haus!«

Hiemit, das heißt mit diesem heitern, wenn auch nicht völlig zutreffenden Zitat aus der fünften Ode des vierten Buches der Lieder des Quintus Horatius Flaccus, kam er an bei den Minoriten am Klaustor, und wiederum ganz im richtigen Augenblick.


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