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IV. Der Schmucktrieb (Umwelts-Bereicherung).

In den Erörterungen über den Ursprung der Kunst, die von Kunsthistorikern, Psychologen und Philosophen immer wieder angestellt worden sind, ist häufig das Schmuckbedürfnis als die eigentliche Quelle aller künstlerischen Tätigkeit angesehen worden; zumal als im 19. Jahrhundert biologische Gesichtspunkte zu immer höherer Geltung kamen, empfahl sich diese Annahme. Denn bei einigermaßen sparsamer Verwendung psychologischer Grundeinsichten läßt sich sehr eindrucksvoll dartun, wie das Schmuckbedürfnis nicht nur bei den Naturvölkern das alltägliche und erst recht das religiöse Leben weit intensiver beherrscht als bei Kulturvölkern, sondern bis hoch hinauf in der tierischen Ahnenreihe kann man zahlreiche Erscheinungen und Verhaltungsweisen der Tiere namhaft machen, die sich bei naivem Anthropomorphisieren auf ein Schmuckbedürfnis zurückführen lassen. Da nun außerdem bei den Tieren der »Schmuck« meist den Männchen vorbehalten ist und in der Brunstzeit erst seine volle Pracht entfaltet, so war damit eine Tatsachenreihe gefunden, die sich so recht eignete, unter dem Gesichtspunkte der Entwicklung gedeutet zu werden. Es soll auch gar nicht bezweifelt werden, daß an solcher Deutung etwas Wahres ist. Wir müssen wohl anerkennen, daß die für unsere Begriffe prunkvolle Erscheinung des männlichen Tieres mit der Sexualität eng zusammenhängt, aber wir würden dies weit aus der Sphäre des Schmückens hinausweisen. Das Tier schmückt sich nicht; der prunkende Putz wird ihm zuteil, ohne daß es irgendwie dazu tun könnte oder darum wüßte. Es geschieht etwas an ihm im Verlaufe des Lebensprozesses, in dem es Objekt ist. Sehen wir nun Naturvölker sich mannigfach schmücken, so fällt uns auf, daß sie sich vorwiegend tierähnlich gestalten, sei es durch Federn, durch bunte Bemalung, durch Masken. Wie eng nun auch die Beziehungen sein mögen, die das Gebaren dieser naturnahen Menschen mit dem der Tiere hat, der entscheidende Schritt zum Menschen überwiegt an Bedeutung alle jene Analogien. Denn nun ist das entstanden, was das Wort schmücken meint: ein aktives Hervorheben irgendeines Gegenstandes, sei es Mensch oder totes Ding, durch bereichernde Zutat. Wo immer wir den seelischen Veranlassungsgrund dazu suchen mögen, in persönlicher Zuneigung, magischer Bedeutung, einem Wirkenwollen auf andere, u. ä. m., immer bleibt in der Sphäre der Anschaulichkeit dies der Sinn: Auszeichnung des Geschmückten durch den Schmuck. Er wird freilich im aktuellen Zusammenhang des Lebens wohl stets überwuchert von der besonderen inhaltlichen Bedeutung, sei es etwa rituelle Bemalung zum Kampf, zum Trauerfest, zur Jünglingsweihe, zur Hochzeit, zur Dämonenbannung, oder schließlich einfaches Kenntlichmachen für Freund und Feind.

Ohne der Abwandlungen des Schmückens im Laufe der Zeiten zu gedenken, vergegenwärtigen wir uns nur einige einfache Beispiele, um den Zusammenhang mit aller Gestaltung darzutun. Wenn wir ein Papier mit Kritzeln bedecken, wenn das Kind bunte Steinchen auf seinen Sandkuchen legt, wenn wir Blumen in unseren Garten pflanzen, so liegt in diesen verschiedenen Betätigungen, wie in allem Schmücken letzten Endes eine ganz allgemeine Tendenz: Bereicherung des äußeren Weltbildes durch Hinzufügen von anschaulichen Elementen, so können wir die konstitutiven Faktoren dieser Tendenz formulieren. Sie ist, wie der Betätigungsdrang, eine letzte, nicht weiter zurückführbare psychologische Tatsache – ein Bedürfnis des Menschen, sich nicht völlig passiv der Umwelt einzuordnen, sondern ihr Spuren seines Daseins einzuprägen, über den Bereich zweckhafter Tätigkeit hinaus. Das Bedürfnis erstreckt sich auf alles, was die Notdurft des täglichen Lebens erschuf: Hausung, Kleidung, Waffe und Werkzeug und alles Gerät, das in der Folge entstand, vom Tongefäß, Knochen- und Steingerät der Primitiven bis zum Aschenbecher, zur Lampe, zum Buch unserer Tage. Und es steckt, neben allem, was man von dem zentraleren Ausdrucksbedürfnis und Symbolsinn aussagen mag, in den drei psychologisch unterscheidbaren Arten des Schmückens: die erste betrifft den Menschen als Person, sei es die eigene oder eine fremde, die zweite Werkzeug, Gerät und Schutzvorrichtungen, die dritte alle überindividuelle Betätigung auf magisch-dämonischem Hintergrund. Es steckt aber darüber hinaus in allem, was Menschenhand ohne zweckhafte Bestimmung vollbrachte: ausnahmslos jedes Gestaltete zeugt unter anderem für den Grunddrang des Menschen, seine Umwelt zu bereichern.


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