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Bismarcks zweite Seele

1839 ein Landjungfräulein mit Hängelocken um die Ohren und altdeutschen Gretchen-Puffärmeln; 1848 in lichter Corsage mit tiefem Cour-Ausschnitt, wie aus einem von Menzel gemalten Hofball herausgestiegen; 1870 im weiten starrenden Reifrock und langzipfligen Panniers der Eugenie- und Luccamode; 1900 eine gütig blickende alte Dame mit glattem Scheitel unter Kapotte mit Bindebändern und in der »Pelerine«, so daß man an Marie Ebner-Eschenbach und an kalkreuthsche Frauenbildnisse denkt – so erscheint in wechselnden Verwandlungen Malwine von Arnim, Bismarcks Schwester, vor uns: »Malinka, die geliebteste aller Mallen«, wie der große Bruder sie in immer gleicher Zärtlichkeit nennt.

Vierundfünfzig Jahre brieflicher Gemeinsamkeit ziehen in einem Buch vorüber, das, von Horst Kohl herausgegeben, die Schreiben Bismarcks an Schwester und Schwager zugänglich macht.

Man genießt hier wieder wie in den Bräutigams- und Ehestandsbriefen aus der Fülle des Augenblicks heraus, jenseits von Weltgeschichtsmonumentalität, die Menschlichkeit des Einzigen. Wieder sieht man hier in die seltsame, so gewiß vorherbestimmte Schicksalsführung, die Bismarck lange unbewußt blieb. Wieder sieht man ihn im widerspruchsvollen Kampf mit seinem politischen Dämon, der ihn, den Gegenstrebenden, zu seinem Zukunftswerk aufruft.

Als Landjunker und Junggeselle, und später als Gatte der treuen Johanna, die den ihr oft nur für kurze Ruhepausen gegönnten Mann ebenso stark liebte, wie sie sein Amt haßte, klagt er über seine hin und her gerissene Gemütsart. Er fühlt in sich den Trieb zur Beschaulichkeit, er wünschte sich ein friedliches Gutsbesitzerleben mit Frau und Kindern. Politik erweckt ihm nur zu oft »Ekel und Ängste«; »Blauer Himmel, grüne Wiesen und Bilderbücher« scheinen dann einzig erträglich.

Doch nur zu bald reckt sich in der Einfalt und Stille leidenschaftlich fordernd die Herrenseele empor und reißt ihn unwiderstehlich zu seiner Bestimmung, zum Werk des Reichs, der Macht und der Herrlichkeit.

Er selbst mit seiner Abneigung gegen gehobene Worte im freundschaftlichen Umgang spricht einfacher und mit leisem Selbstspott nur von den tiefen Wurzeln der »üblen Arbeitsgewohnheit« und von seinem »Beinahe-Heimweh nach der Wilhelmstraße«.

Natürlich ward ihm, dem scharfen Selbstbeobachter, immer klarer, wohin sein letztes und wahrstes Wesen ihn wies, und daß es für ihn nicht die Befriedigung eines harmlosen Durchschnittsbehagens geben könnte, sondern nur einzig und allein die Erfüllung einer ihm zugedachten welthistorischen Aufgabe, an der er sich zu verbrauchen habe.

So ward er offiziell als guter-Preuße freiwilliger Lehensmann seines Fürsten, im tieferen Grunde aber Vasall der in ihm kreisenden und treibenden Idee vom neuen Staate. Und diese Idee schuf er, der wie die großen Künstler, Goethe voran, mit der empfänglichsten Witterung für das Geheimnisvolle, für die »Imponderabilien«, den umfassendsten, weitestblickenden Tatsachensinn verband, zur sichtbaren Wirklichkeit.

Die andere Seele aber, das menschliche »Seelchen«, mit Friedenssehnsucht und Hang zur Sympathie im engsten Kreise, dies Seelchen, das unter der Despotie der gewaltigen, mit gepanzertem Schritt unerbittlich vorwärtsschreitenden Schwester, jener Herren- und Heroenseele, litt, das öffnete sich nur in den vertrauten Briefen.

Und wir hören, ohne daß die Heldenverehrung dadurch beeinträchtigt wird, dieser Menschenstimme zu, lächelnd, wenn sie humorhaft plaudert, ergriffen, wenn aus ihr, wie so oft, Gebrechlichkeit und Müdigkeit klagt.

* * *

In diesen Schwesterbriefen tummelt sich Bismarcks bezauberndes »talent épistolaire«.

In den frühen Blättern erscheint noch auffallend eine entschiedene Beeinflussung durch heineschen Prosastil. So in den Reisebildern aus Norderney mit ihren Boshaftigkeiten gegen die Tischgesellschaft (gegen den »Frosch-Mann« und gegen den »Stiefelknecht«, den russischen Offizier mit langem Leib und krummen kurzen Beinen); so die spöttischen Bundestagsepisteln mit ihren Karikaturen und ihrer gefährlichen Charakteristik des »Geruchs der Diplomaten und Hofmarschälle«; so auch der später nie mehr vernehmbare erzwungene Zynismus in »Weibersachen«, wenn er von einer kleinen Frau sagt: »ich bin vierundzwanzig Stunden in sie verliebt gewesen und möchte, daß sie Meyers Frau wäre und in Salow wohnte«.

Statt einer solchen allzu bewußt auf zugespitzte Wirkung strichelnden Schreibweise regt sich mehr und mehr eine schnörkelhafte Plauderbehaglichkeit voll humorigen Spieltriebes und bunter Lebens-Randeinfälle. Und wollte man diese Art zu sehen und zu zeichnen mit einem Wort angeben, so müßte man sagen »Fontane«. Das natürlich nicht, wie oben bei Heine, als Abhängigkeit und Beeinflussung gemeint, das wäre ja schon zeitlich nicht möglich, sondern als eine verwandte Beschaulichkeitsluft. Und bei beiden wirken ja gut gemischt die an sich so gegensätzlichen Elemente: kritisch erdfestes Märkertum und französische Anmut der Laune und der beschwingten Vorstellungsgabe. Fontane hatte es erblich im Blut; Bismarck muß es als Graziengeschenk in die Wiege geflattert sein. Und die Kaiserin Eugenie, die er selbst, wie er versichert, »lebhaft bewundert«, erkennt ihm zu, er wäre ein »Causeur plus qu'un parisien«.

Fontanisch wirkt es, wenn der Bruder die Schwester zum unbefangenen Schreiben »von den kleinen Begebenheiten des Lebens«, zu einem Spazierengehen mit Feder und Papier ermuntert; wenn er von den Wunderlichkeiten (freilich von Unheimlichkeit und Tragik überschattet) des kranken vermorschten Vaters spricht, für den grotesk spukhafte Scheinjagden veranstaltet werden: »wir gehen nämlich bei starkem Regen oder jetzt 6 Grad Frost mit Ihle, Beilin und Carl hinaus, umstellen mit aller jägermäßigen Vorsicht lautlos unter sorgfältiger Beachtung des Windes einen Kieferbusch, von dem wir alle und vielleicht auch der Vater unumstößlich überzeugt sind, daß außer einigen Holz suchenden Weibern kein lebendiges Geschöpf darin ist. Darauf gehen Ihle, Carl und zwei Hunde, unter Ausstoßung der seltsamsten und schrecklichsten Töne, durch den Busch, der Vater steht regungslos und aufmerksam mit schußfertigem Gewehr, genau als wenn er wirklich ein Tier erwartet, bis Ihle dicht vor ihm schreit: hu lala hehe faß häh hä in den sonderbarsten Kehllauten …«

Und dem alten Herrn von Stechlin, der das »Ausgiebige und Plauderhafte« so schätzte, hätte jenes Bismarckwort von 1868 über seinen Neffenzuwachs (durch Verlobung seiner Nichte Marie von Arnim) in den Mund gelegt werden können: »der Vorgang hat meinen vollsten oheimlichen Segen; denn der altpreußische Landjunker bleibt immer das Beste, was man heiraten kann, und nun zumal, wenn er bei der Garde du Corps steht, Ludolph heißt und im Magdeburgischen zu Hause ist«.

So noch viele Züge: das adlige Gutsleben mit »Krautjunkern, Philistern, Ulanenoffizieren«; die, auch an liliencronsche Stimmungen erinnernden Streifen und Pürschen des »Haidegängers«; der Winterschlaf im eingeschneiten Schönhausen voll dämmernder Eintönigkeit, lesend, rauchend, spazierengehend, Neunaugen essend, »außerdem besuchen wir täglich zweimal das Orangeriehaus und einmal die Schäferei, vergleichen stündlich die vier Thermometer in der Stube, rücken den Zeiger des Wetterglases und haben, seit das Wetter klar ist, die Uhren nach der Sonne in solche Übereinstimmung gebracht, daß nur die an der Bibliothek noch einen einzigen Schlag nachtut, wenn die andern à tempo ausgeschlagen haben. Carl V. war ein dummer Kerl …«

Weiter die Ehe-Episteln, in denen er sehr bald seine Lust an burlesken Übertreibungen austobt, nachdem er mit großer ernster Freude seine Heilung von Bedrückung, Trübsal und Überdruß durch die Gemeinschaft mit der lieben Frau Johanna bekannt. Bilder aus dem Familienleben pinselt er aus: »der Junge in Dur brüllend, das Mädchen in Moll, zwei singende Kindermädchen; zwischen nassen Windeln und Milchflaschen ich als leidender Familienvater …«

* * *

Zu der Betrachtsamkeit des lächelnden Philosophen gehört auch Bismarcks Gleichmut gegen Äußerlichkeiten der höfischen Repräsentation. Sie entsprang freilich nicht falscher Bescheidenheit, sondern einem festwurzelnden, auf sich selbst stehenden Unabhängigkeitsgefühl. Am stärksten spricht sich das in dem bekannten – für Zeremonienmeisterbegriffe vermutlich lästerlichen – Worte aus: »wo Ich sitze, ist immer oben«. An Malwine spöttelt er hier ironisch über »Ensembles« im Weissen Saal und seine Anwesenheit unter der Rubrik von »Volk, Edelleute, Häscher, Priester«.

Und er wehrt sich gegen die »Aussicht auf ein fortgesetztes Regime von Trüffeln, Depeschen und Großkreuzen«, während er 1838, nachdem er in Frankfurt »Blut geleckt«, offen den Reiz eines ehrlichen Kampfes, ohne durch irgendeine amtliche Fessel geniert zu sein, »gewissermaßen in politischen Schwimmhosen«, zugibt.

Aber die Dinge gehen mit ihm ihren Gang, und nur zu bald wird er für die »geliebteste aller Mallen« ein »Chroniqueur« aus der internationalen Welt, aus Petersburg und Paris.

Und auch in den Briefen aus dieser Gesandtschaftsperiode, die ihren ernsten staatsmännischen Niederschlag in den »Gedanken und Erinnerungen« fand, behält er, abgesehen von den jetzt häufiger auftretenden Trübsalsanwandlungen wegen nervöser Leiden, die spielenden Gebärden. Er richtet sich nach anfänglichen Schwierigkeiten mit seiner Aufgabe, »zweihunderttausend vagabundierende Preußen zu bewachen«, »als beobachtender Naturforscher unserer Politik« behaglich ein, erfrischt sich von langweiligen und seiner Empfindlichkeit unbekömmlichen Gesellschaften durch die Jagd, findet Geschmack am Bärenschinken, geht um Mitternacht zu Bett, »meist erheitert und kontemplativ gestimmt über die sonderbaren Ansprüche, welche der Preuße in Rußland an seinen Gesandten macht«. Sein empfängliches Naturgefühl genießt auch die russische Landschaft, die Winterstimmung (einer Breughel-Schilderei gleich): »es schneit wie Wolle, und die Eisfläche liegt blendend weiß vor mir«, wie das Herbstbild aus dem Fenster von Zarskoje im Oktober: »bergab, über Birken und Ahorn, in deren Laub Rot und Gelb schon das Grün beherrschen, dahinter die grasgrünen Dächer des Städtchens, links von einer Kirche mit fünf goldenen Türmen in Zwiebelform überragt, und das Ganze am Horizont eingefaßt von der endlosen Busch-, Wiesen- und Waldebene, hinter deren braun-grau-blauen Schattierungen irgendwo mit einem Fernrohr die Isaakskirche von Petersburg zu sehen sein mag …«

Viel schärfer geschliffen wirken die Pariser Blätter aus der »Légation de Prusse en France« 1862; sie geben Kultur- oder vielmehr Unkulturkuriositäten merkwürdigster Art besonders von den Wohnungsverhältnissen in der Hauptstadt der Welt. Der preußische Gesandte haust in einem Gebäude am Quai d'Orsay, das zwar schön liegt, aber dunkel und kalt ist und dumpf und kloakig riecht: »Kein Winkel, in dem man gern sitzen möchte; ¾ ist als gute Stube verschlossen, überzogen und ohne große Umwälzung der Einrichtung für den täglichen Gebrauch nicht vorhanden. Enge finstere steile Treppen, die ich nicht geradeaus passieren kann wegen meiner Schulterbreite, und ohne Krinoline. Die Haupttreppe geht nur in den ersten Stock, dafür aber 3 leiternartige an beiden Hausenden nach oben. So haben Hatzfelds und Pourtalis die ganze Zeit existiert, sind aber auch dabei gestorben in der Blüte ihrer Jahre, und bleibe ich in dem Hause, so sterbe ich auch früher, als ich wünsche.« Bismarck scheint außer seiner Schwäche für Eugenie (»sie ist stärker geworden, dadurch hübscher wie je, und immer sehr liebenswürdig und lustig«) für die Franzosen wenig übrig gehabt zu haben; er meint absprechend: »es steckt unglaublich viel Chinesentum, viel Pariser Provinzialismus in den Leuten; der Russe, Deutsche, Engländer hat in seinen zivilisierten Spitzen einen vornehmeren universelleren Zuschnitt, weil er die Form zu lüften und abzuwerfen versteht. Aus demselben Grunde hat er aber auch in seinen unteren und mittleren Schichten viel mehr Roheit und Geschmacklosigkeit, aufs erste Anfühlen wenigstens. Sie sagen hier: Gratez le Russe et le barbare paraîtra. Wenn man aber vom Franzosen die Rinde durchzukratzen versucht, kommt gar nichts raus.« Man denkt bei dieser Charakteristik an die ablehnende Kritik der Hofhaltung des zweiten Empire im ersten Band der »Gedanken und Erinnerungen« (S. 153) und an jene andere Stelle, wo Bismarck (S. 171) sagt: »ich habe, was das Ausland anbelangt, in meinem Leben nur für England und seine Bewohner Sympathien gehabt und bin stundenweis noch nicht frei davon; aber die Leute wollen sich ja von uns nicht lieben lassen.« Diese Sympathie korrigiert sich dann freilich im zweiten Band (S. 113), wo gelegentlich jener Londoner Einmischung in die Pariser Belagerung, »das Mekka der Zivilisation müsse gegen Geschütze geschont werden«, bitter der »Cant« der Vettern bloßgestellt wird, und jene »Humanitätsgefühle, deren Betätigung England von allen anderen Mächten erwartet, aber seinen eigenen Gegnern nicht immer zugute kommen läßt«.

* * *

Das sind Töne, die Bismarck in seiner privaten Welt sonst nicht anzuschlagen liebt. Und seine stille heimlichere Existenz genießen wir mehr als in Paris in den Ruhepausen von Biarritz. Glückliche, eratmende Tage waren das mit dem Baden in der Biscaya, dem »Ziegenklettern in den Klippen«, während große weiße Möwen mit schwarzen Flügeln in der Höhe schwebend kreischen. Bismarck sitzt »in der Schlucht hinter dem Leuchtturm zwischen zwei heidebraunen Felsen, auf grüne Wellen und weissen Schaum blickend, neben einer gelb und blauen Robe auf dem Rasen«. Es ist die »niedliche principesse« Orlow, in die er sich »etwas verliebt hat«: »Du weißt, wie mir das gelegentlich zustößt, ohne daß es Johanna Schaden tut.« Und abends schreibt er nach Haus, »bei offenem Fenster mit flackernden Lichtern, das mondbeglänzte Meer davor; sein Rauschen wird von dem Schellengeklingel der Wagen auf der Bayonnerstraße begleitet; der Leuchtturm wechselt mit rotem und weißem Schein, und die Fürstin über ihm spielt Beethoven«.

* * *

Einer der liebenswürdigsten Züge Bismarcks gehört noch in diese Betrachtung: seine Galanterie und sein Sinn für zarte Aufmerksamkeiten.

Wie anmutig grüßt sein Varziner Glückwunsch 1869 die Schwester, der Glückwunsch eines kränkelnden Müden und Menschenscheuen: »ich hätte Dich so gern als Großmutter und Silberbraut im Staate gesehen, daß Du die vorzeitigen Ehren des Alters trägst wie unsre Rosen den Oktoberschnee. Sie sehen nur um so frischer unter ihm aus.« Und reizend ist, wenn er mit Malle Kriegsrat hält über Geschenke, vor allem über Garderobe- und Schmuckangelegenheiten Johannas. Die Fürstin blieb in diesen Dingen entweder gleichgültig oder unsicher; ihr Mann mußte sich darum kümmern, nicht seinetwegen – er liebte sie, wie sie war –, aber aus Stilgefühl und aus der Anerkennung der äußeren Pflichten; sie durften ja nicht immer Philemon und Baucis auf dem Lande sein, sondern mußten auch ihren Platz in der diplomatischen Gesellschaft behaupten. Und jedes Ding verlangt seine Form.

So sehen wir, wie sich der Philosoph und Staatsbaumeister nach Fischbeinunterröcken bei seinem Schwesterchen erkundigt; wie er sie auf Berliner Weihnachtsbesorgungen ausschickt und sie »Gersons und anderer Bösewichter Verführungen« wiederholt aussetzt.

Johanna soll ein Opalherz als Halsgehänge bekommen. Zweihundert Taler kann es kosten. Dann ein Kleid zu etwa hundert Talern, zwanzig Ellen Stoff licht weiß, à deux jupes moiré antique. Weiter eine warme große Decke, im Wagen über die Knie zu legen, »mit Dessin von Tiger, Köpfe mit Glasaugen darauf, kann auch Fuchs oder Nilpferd imitieren, irgendein reißendes Tier«.

Man merkt an dieser Stelle im scherzenden Ton die Überlegenheit eines Mannes, der in Kleinigkeiten einem Kind seinen Willen tut. Noch deutlicher zeigt sich das im letzten Absatz des Wunschzettels:

»Findest Du sehr preiswürdig und hübsch einen vergoldeten Fächer, der sehr rasselt, so kaufe ihn auch, höchstens zu zehn Talern. Ich kann die Dinger nicht leiden.«

Rücksicht spricht hier, wenn er auch der Schwester gegenüber seine Meinung nicht unterdrückt. Und der gleiche Takt zeigt sich vor Johannas Geschenk (1858), einer Ordens-Miniaturkette für ihn. Goethe war einmal über eine solche Bijouterie, die ihm seine »Freundin die Geheimderäthin Willemer verehrte« mit dem Hauptstück der Ehrenlegion, sehr entzückt. Bismarcks Geschmack war es nicht, doch ließ er sich's nicht merken. Nur der Schwester vertraut er mit aller Vorsicht und Schonung für die Spenderin an: »es ist äußerst niedlich, aber mir etwas genant, immer das ganze Handwerkszeug an mir zu tragen; ich muß schon, denn Johanna hat sich halb ruiniert mit diesem teuren Schmuck meines Knopflochs, und es würde sie sehr schmerzen, wenn sie merkte, daß es nicht ganz mein geheimrätliches Ideal ist«.

* * *

Man fühlt hier jenes Wort: »Alles ist wichtig nur auf Stunden«, und so wären wir wieder bei Fontane.

Und fontanisch ist ja auch in diesem Kapitel der bismarckschen Privatexistenz, daß bei allem Hang zur Beschaulichkeit diese friedevolle Stimmung selten, ja fast nie erreicht wird. Wie bei dem Dichter bleibt sie eine unglückliche Liebe, man macht sich Bildnis, Gleichnis und Illusion von ihr, aber statt ihrer suchen das geplagte Menschenkind Unlust, Nerventücken, Reizbarkeitsgespenster heim.

Bismarck, dieser Riese an Körper, trug in sich das allerempfindlichste System. Jeder Verdruß, jede Reibung – und das blieb ja dauernde Begleiterscheinung seines hohen schweren Amtes – löste in ihm schmerzvolle Reaktionen aus. Da fallen ihn Weinkrämpfe an, schneidende Koliken, Neuralgien, und immer quält ihn Schlaflosigkeit.

Der gepanzerte Reichspaladin im Stahlhelm am Thron des neuen deutschen Kaisers in Versailles, der dann noch genug Weltgeschichte und Schicksal voll Höhenglanz und Untergangsdunkel erfahren sollte und es noch ein Vierteljahrhundert trotz allem Lebensüberdruß ertrug, dieser Recke klagt schon in den Sechzigerjahren widerstandsschwach über die nagenden, fressenden Plagegeister seines Inneren. Wie Bankrotterklärungen lesen sich diese Berichte aus den trüben Stunden mit ihrer Not der Abgenutztheit, des Greisenhaften, des Menschen- und Berufsekels. Perioden des Auf- und Abstiegs, im Sinne des feinspürenden Seelenforschers Wilhelm Fließ, ließen sich daran aufstellen.

Bis endlich nach dem Tode Johannas der treusorgenden, die »selbst melancholisch und voll geringer Lebensfähigkeit«, das letzte, traurigste Schauspiel kommt. Der Gestürzte, den sein Haß und der auf ihn schon bei Lebzeiten zurückschimmernde Mythos Seiner Selbst aufrecht gehalten, wird nun von seinem Schicksal, das mit ihm das Gewollte erreicht, wie ein abgenütztes Gefäß in die Ecke geworfen. Und der sterbliche Rest des Heroen, dessen Bild schon erhöht »im Gesange schreitet«, sitzt verlassen in der Einöde seiner Gedanken, voll Jeremias- und Hiobtrübsal.

Aus ihr heraus schreibt der Achtzigjährige einen Brief an den Schwager und Jugendfreund Oscar Arnim, der ohne Wehleidigkeit ist, und dabei voll einer abgründigen Trostlosigkeit:

»Wir sind beide so alt geworden, daß wir lange wohl nicht mehr leben werden. Können wir uns nicht noch einmal sehen und sprechen, ehe wir abgehen? Es ist 66 oder 67 Jahre her, daß wir auf dem Gymnasium den ersten Tropfen Bier zusammen aus der Flasche tranken, es war auf der Treppe neben der Obertertia. Wollen wir nicht den letzten trinken, ehe es zu spät wird? Wir sind beide alt, matt und verdrießlich, aber ich habe doch das Verlangen, Deine Stimme noch einmal zu hören, ehe ich –« Er schickt diesen Brief aber dann gar nicht ab, sondern legt ihn erst später einem Geburtstagsbrief bei, als ein Gedächtniszeichen alter Zeiten.

Wie hier der Gewaltige, vor dem die Welt gebebt, als letzte Erinnerung übervoller Vergangenheiten einen Jungenstreich dankbar wehmütig bewahrt, das ist erschütternd; der Ausgang von Flauberts »Education sentimentale« schließt mit gleicher Resignation, und der Rest ist Schweigen.


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