Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Aus einem Jugendtagebuch

5. 1. 88. Sonntag.

Vormittag Stunde gegeben und M 2.50 bekommen. Nachmittag war einmal wieder N. N. bei uns, die Tochter einer verstorbenen Kollegin von Mama, die sich augenblicklich in Berlin aufhält.

Sie ist allerdings nicht mehr ganz jung, aber eine hübsche, ganz pikante Erscheinung, ziemlich kokett, geistreich, sehr musikalisch. Sie blieb auch noch bei mir, als Mama ging, und wir blieben ganz entre nous noch bis 10 zusammen.

Sie spielte und sang mir vor, nachher gab ich ihr meine Gedichte und auch die Prosaschriften zum Besten.

Die ersteren gefielen ihr, zu den zweiten machte sie einige mal recht boshafte Randglossen. Wir kamen dann durch die Gedankenstriche im »Sommernachtstraum« auf ein etwas heikles Thema, Decamerone, Casanova etc., jedoch blieb es natürlich bei Worten. Jedenfalls habe ich den Abend recht amüsant verbracht, und wenn sich schließlich ein kleiner Roman entwickelt, so wäre dies ja eine recht interessante Abwechslung.

14. 2. 88.

N. N. war heut nachmittag hier, als ich allein war. Sie hat in bezug auf die Geschichten meiner diversen Verliebtheiten auch etwas erzählt, nämlich, wie einmal ein 17jähriger junger Mann in sie verliebt war, natürlich ohne Erfolg.

Ich habe aus diesem Geschichtchen die Lehre gezogen, daß schwärmerische zarte Liebe und deren Zeigen bei Weibern gar nichts bewirkt, als höchstens ein Gefühl, das aus Mitleid und Lachlust zusammengesetzt ist. Ich werde es mir wahrhaftig jetzt merken und nie mehr schmachtend girren. Mit Kälte und Gleichgültigkeit kommt man am weitesten.

Aus N. N. werde ich durchaus nicht klug. Heute sagte sie: »Ach entschuldigen Sie, meine Korsettstange drückt mich.«

Ich drückte ihr kühl mein Bedauern aus, reagierte aber nicht weiter darauf.

3. 3. 88.

Kam N. N. Fortschritte in der Verführung sind noch nicht gemacht worden. Wir unterhielten uns überhaupt sehr maßvoll. Als sie um 8½ ging, sagte sie: »Nun haben Sie mich wieder verführt, so lange hier zu bleiben.«

»Ich habe noch nie eine Jungfrau verführt,« war meine Antwort, »ich bin ja selber noch eine.« Sie lachte und glaubte es natürlich nicht. Ich versprach ihr, ihr übermorgen nähere Aufklärungen zu geben. Dann ging sie.

7. 3. 88.

N. N. war heute abend bei uns. Wenn sie auch heut nicht so furchtbar harmlos war, so blieb sie doch immer in gewissen Schranken und bemühte sich, die Rolle der mütterlichen Freundin zu spielen, aus der sie jedoch bisweilen fällt.

So wollte sie mich bewegen, von ihren Lippen ein Stück Zucker zu nehmen; ich tat es nicht. Sie sagte: »Ich hätte es auch, wenn Sie darauf reingefallen wären, schnell hinuntergeschluckt.«

Es mag ja ein recht harmloser Scherz sein sollen, aber ich kann mir nicht helfen, er erscheint mir doch von einer schlimmeren Seite.

An meine Jungfrauenschaft glaubt sie natürlich nicht, sagt aber: »Das wäre ja für manche sehr anreizend.« So spielt sie Versteck, und ich werde nicht aus ihr klug.

18. 3. 88.

Heut nach Tisch war N. N. hier. Der angefangene Roman bleibt Fragment; sie reist heut abend nach Dresden zurück, wohin sie ein Engagement hat.

11. 8. 88.

Eine solche Überraschung hätte ich mir nicht träumen lassen. Wir bekamen heut die Verlobungsanzeige von N. N. Nun ist der Roman auch vorbei.

29. 8. 88.

Ja, sie kam heut die N. N. in einem möglichst auffallenden Staubmantel mit Fledermausärmeln und ließ sich von uns beglückwünschen. Sie erzählte den Roman, dessen Ende ihre Verlobung gebildet hatte, versicherte auch, daß sie ihren Bräutigam »ganz gern« habe. Am Abend waren wir beide dann wieder allein. Gingen auch nachher mit einander spazieren, wobei wir uns so frei wie möglich unterhielten. Sie bleibt den ganzen Winter hier.

Wer weiß, vielleicht beginnt mein Roman von neuem.

1. 9. 88.

Parade. N. N. ist auch bei uns. Wir sahen eng umschlungen aus einem Fenster.

Am Nachmittag besuchte ich sie und hörte, daß sie sich schon mit ihrem Verlobten erzürnt habe. Sie hat ärgerlich den Ring in den Kasten geworfen und sein Bild – er ist ein ganz hübscher Mann – umgedreht. Wir beide haben uns ganz famos unterhalten, über Darwin, Venus Kalipygos, mit der sie wetteifern könne, Romeo und Julia und über ganz böse Dinge.

Ich machte ihr schließlich den Vorschlag, mit mir die der Balkonszene voraufgehenden Ereignisse, die der Dichter nur andeutet, zu verwirklichen, worauf sie sagte: sie wolle es sich überlegen. Lachend fügte sie dann noch hinzu: Eigentlich müßte ich erst Mama, sie ihren Bräutigam um Erlaubnis fragen. Sie trug einen gestreiften, koketten Schlafrock mit langer Schleppe, mit der sie graziös im Zimmer herumrauschte. Dabei rauchte sie eine Zigarette nach der andern und erklärte schließlich, wir beide paßten famos zusammen, da wir gleichmäßig verdorben wären.

Es faßt mich wieder die alte Lust,
Das Sehnen nach glühenden Küssen,
Zu liegen an stürmisch klopfender Brust,
Zu schwelgen in süßen Genüssen.

10. 9. 88.

Parade des III. Armeekorps.

N. N. war wieder einmal da und ich mit ihr allein. Haben uns wieder recht intim unterhalten, über den Zwischensatz mit dem – vergl. Heine III, pag. 255. Ich glaube jedoch nicht, daß mich jemals tiefere Empfindungen an sie fesseln könnten als sinnliche.

14. 9. 88.

N. N. besucht. Sehr intim. Werde gleichwohl nicht recht klug. Sie umarmt, mit kühner Hand den Busen und die verführerisch vollen, schwellenden Hüften umfaßt. Sehr strafend angeblickt worden. Ernste Moralpredigt, deren Schluß: Lachen. Trotzdem redet sie sehr moralisch von Leidenschaftslosigkeit, moralischem Jammer und dergleichen. Dann jedoch wieder: es wäre ihr ein Leichtes, mich zu verführen, wenn sie wollte, doch werde sie sich hüten.

5. 10. 88.

Mit N. N. zusammen.

Nachmittag in der Wohnung wie gewöhnlich Dummheiten gemacht. Abends Kaffee Bauer. Im Reden kommen wir immer weiter. Wir haben heut sogar schon die Sache besprochen, natürlich nur »angenommen, es wäre so«, in Wirklichkeit wird es natürlich nicht.

Wenn N. N. einen spanischen Schleier um den Kopf legt, so sieht's ganz allerliebst aus. Fange an, die Geschichte in einem Liederzyklus »Madonna im Schleier« zu behandeln. Ob noch etwas wird? Wer weiß es?

20. 10. 88.

Mit N. N. im Konzerthaus zum Opernabend. Na, denn nicht.

4. 11. 88.

Am Abend um 9 ging noch zu N. N. Blieb bis ½12, trank mit ihr Tee. Verhalte mich immer noch kühl.

4. 7. 89.

Mit N. N. Unfallverhütungsausstellung. Ich habe mich sehr gut amüsiert und trefflich unterhalten. Offizieller Duzkomment. Wir waren im Bergwerk, Gefrierschacht und beim Taucher. Dann haben wir Abendbrot gegessen und Konzert mit angehört. Alles höchst patent. Um 11 sind wir nach Haus gefahren. Ich war sehr angeregt und habe daher auch mit größtem Feuer die sammetweichen Lippen, die mir vor der Haustür geboten wurden, geküßt und dann, ja dann ging ich mit zusammengebissenen Zähnen, ihren kühlen goldenen Reif noch um den heißen Arm, im Kopfe finstere Gedanken wälzend, der öden Wohnung einsam zu. Treulos und falsch ist alles auf der Erde. Im kargen Wechsel rauscht's an Dir vorbei und treu und wahr bleibt ewig nur der Schmerz!

23. 10. 89.

Abend bei N. N. Wir gingen erst spazieren, dann kam ich wieder mit hinauf. Ich küßte sie wieder, und sie mich auch, und als ich gehen wollte …

Ganz zufrieden aber bin ich nicht, ich habe die traurige Beobachtung gemacht, daß mir leider anderes schon mehr zugesagt hat.

Um ½2 verließ ich sie, die mich gern noch bei sich behalten hätte.

Nachmittag bei N. N. Ein seltsames Verhältnis zwischen uns, eigentliche Liebe nicht, aber eine gegenseitige Anziehung. »Du bist meine Caprice«, sagt sie mir, und ich küsse sie und lege mich an ihre Brust, und mir wird dann wunderbar wohl. Ich nenne sie jetzt Isolde. Arme Isolde, sie fürchtet sich vor dem Zusammenleben mit König Marke. O, wie haben wir König Marke betrogen. Die seltsamste Rolle spielt aber Willi in der Komödie.

Er kommt oft hin und schüttet sein ganzes Herz aus, und es müssen merkwürdige Dinge darinnen stehen. Er hat sich offenbar, seit unser intimerer Verkehr wegen mangelnden Verständnisses sich lockerte, total verändert. Er ist in jene krankhafte überreizte Stimmung eingetreten, in jene hypersentimentale und krankhaft schwärmerische Epoche, in der ich mich vor einem Jahre ungefähr befand. Merkwürdige Dinge erzählt er dann. Von der tiefen Zuneigung, die er zu einem gewissen S. hat, der aber seinerseits gesund und natürlich auf seine schwärmerischen Sentimentalitäten nicht reagiert.

15. 11. 89.

Ein dreimal verwünschter verpfuschter Abend. Nachdem ich mich schon vorher über vieles geärgert hatte, schloß es damit, daß es zwischen zwei Menschen, die sich unlängst erst gefunden, einen Riß gab, den zu heilen schwer sein wird.

Nachdem ich N. N. schon wieder einmal mit Eifersüchteleien gequält hatte, beruhigte sie mich, der in einem furchtbar aufgeregten Zustand war. Nachher geriet ich in ein Gespräch mit Frl. W., tanzte auch aus Pflicht den Kontre mit ihr. Als ich nachher »sie« auffordere, sagt sie mit eiskalter Miene: »Ich solle mir keinen Zwang auferlegen, wir wären nun wohl beide einig, d. h. unsere Beziehungen wären gelöst.«

Mir war schrecklich zumute. Ich weiß nicht einmal, ob ich wirklich rücksichtslos war, oder ob sie es nur benutzt, um mich abzuschütteln. Auf dem Wege habe ich in furchtbar erregtem Zustand gebeten, gefleht, sie solle nicht böse sein.

»Ich bin gar nicht böse. Mir ist die Sache so egal. Aber wir sind fertig mit einander,« bekam ich zur Antwort, es wäre ja auch so besser.

Meine Gemütsverfassung war schrecklich. Noch einmal will ich hingehen und sie noch einmal fragen, ob sie mich wirklich wegen dieser Dummheit aufgeben könne.

Alles ist eben verpfuscht, elend und eitel.

18. 11. 89.

Es ist wieder gut, aber ich habe einen schweren Kampf gekämpft und dabei gemerkt, wie sehr ich doch an ihr hänge. Es war sehr kritisch.

18. 11. 89.

Am Abend ging ich wieder hin. Ihr Vetter war auch da, und als wir um 11 gingen, gab sie mir den Hausschlüssel mit, damit sie nicht mit hinunter brauchte. Beim Abschiednehmen sah sie mich scharf an, und sie nickte mir zu. Ich faßte dies als eine Aufforderung auf, wieder zu kommen. Dies war mir nun eigentlich nicht sehr willkommen, ich war ja erst am vergangenen Tag mit ihr zusammen und außerdem jetzt immer spät nach Haus gekommen. Doch ging ich selbstverständlich wieder hin. Sie wunderte sich, mich wieder zu sehen und meinte, sie hätte das nicht beabsichtigt. Ich muß dann übereilt etwas gesagt haben, was sie sich so auslegte, als ob ich gar nicht hätte kommen wollen und nur ihretwegen, damit sie sich nicht vergebens sehne, doch hier wäre.

Darüber wurde sie nun sehr erzürnt und sagte mir recht böse Sachen. »Es wär ihr ganz egal, ob ich käme.«

Ich beschwor sie, doch wieder gut zu sein. Meine Sanftheit entwaffnete sie, wie sie nachher selbst sagte. Sie umschlang mich wie sonst, nein, noch stürmischer, und begann mir langsam, aber scharf stechend, die Stirne, den Hals, die Lippen zu küssen. Dann küßte sie mich noch einmal, sagte, sie wäre eine Teufelinne, eine Sphinx, eine Teufelsdirne aus dem Venusberg und ich ihr Spielzeug, ihr Puppenliebling, ihre Taube. Und nach den Worten »wenn ich zu Pferde bin, so will ich schwören, ich liebe dich unendlich« sagte sie mit seltsamem Lächeln: »nun geh!«

Ich ging auch, denn ich war todmüde. Die kalte Nachtluft brachte mich auch bald wieder in vernünftige Verfassung, die Bedeutung der wilden Szene, die des eigentlichen Schlusses ja entbehrte, brachte mir erst der folgende Tag.

19. 11. 89.

Vormittags war ich bei N. N. und auf meine Frage über die Bedeutung des seltsamen Lächelns hörte ich folgendes:

Sie hatte sich über die angedeutete Bemerkung geärgert und wollte erst etwas böse sein über meine »Arroganz«. Meine Sanftheit aber habe sie dann entwaffnet, und sie habe einen anderen Weg eingeschlagen, um mich etwas zu strafen. Sie wollte mich total verrückt machen, und wenn ich dann gebeten hätte da zu bleiben, dann würde sie mich sicher nicht dabehalten haben. Doch hat sie es ja nicht auf die Spitze getrieben. So war denn auch dies glücklich wieder im Gleis. Ich merke nun schon, sie hat etwas Diabolisches, Grausames in ihrem Charakter, aber das ist mir lieber als die Lauheit des Alltags und die übergroße Leidenschaftlichkeit im Genießen, die den Mann so schnell ernüchtert. Sie erinnert mich an die Goldrin aus Vischers »Auch Einer«, von der gesagt wird:

»Da ist man erst gerührt,
Das ist der rechte Spaß,
Wenn Haß die Liebe schürt
Und Liebe schürt den Haß.

In unserm Liebesorden
Mag man das Schlichte nicht,
Da möchte man sich morden,
Wenn man sich heiß umflicht.«

Ich habe auch wieder zu dichten angefangen und meine Leidenschaft hat wilde Verse gezeitigt.

Am Abend holte sie mich wieder ab; ich brachte sie dann nach dem Theater, von wo ich sie auch abholte. Da nun der »Andere« am Abend bei mir war, mußte ich ihn schon wieder mitnehmen. Ein kleiner Ärger blieb mir auch diesmal nicht erspart. Wir wollten erst irgendwohin gehen, der Andere erklärte müde zu sein und sagte, sie könne ja mit mir allein gehen. »Ach mit Felix allein, das ist ja auch nichts«, oder so ähnlich. Sie erklärte ja nachher, wie es gemeint war, sie hätte vorher zu Haus essen wollen und da ich doch nicht um ½11 mit ihr in ihre Wohnung gehen könnte, hätte ich ohne W. dann allein in irgendeinem Lokal warten müssen; das wäre ja auch nichts gewesen. Aber die erste Form war doch recht kränkend. Was muß W. denken, welche traurige Rolle ich bei ihr spiele. Und doch besitz' ich.

20. 11. 89.

Heute habe ich mich geärgert. N. N. holte mich ab. Ich kam mit F. K. zusammen heraus und hörte von ihm die Worte: »die ist aber höllisch alt«. Meine Eitelkeit ist doch verwünscht empfindlich. Nun ging ich sehr verstimmt neben ihr nach Haus. Auf meine Frage, ob ich noch einmal wiederkommen dürfe, gab sie mir eine so eigentümlich gefärbte Antwort von Egalsein etc., daß ich in normaler Verfassung nicht hingegangen wäre, so aber bin ich so in den Banden verstrickt, daß ich natürlich ging.

Sie wunderte sich doch etwas, dachte bei sich, wie ich nachher erfuhr: »er muß mich doch sehr lieb haben«. Dann klärte sich die Sache auf. Sie habe sich sehr über meine Frage gewundert, die ich doch sonst nie stelle, habe geglaubt, ich hätte etwas anderes vor und wollte mich nicht abhalten. Bald fing ich dann auch wieder an verrückt zu werden und, halb berauscht in ihren Armen, alles und vor allem das häßliche Wort, das mich so gekränkt hatte, vergessend …

2. 12. 89.

Beim Nachhausegehen machte ich mittags noch einen Besuch bei N. N. und hatte wieder einmal einen Tanz. War sehr verwundert, daß ich mich nicht gestern einmal hätte sehen lassen, es paßte mir wohl nicht, nun, es sei ja auch egal, ich soll mich nicht genieren, und in der Tonart. Wir schieden natürlich wieder einmal kühl.

Diesmal tat sie den ersten Schritt zur Wiederherstellung. Sie kam am Abend, nachdem sie mich an der Universität vergebens erwartet hatte.

16. 12. 89.

Nachmittags zur Probe, dann bei N. N. Ich hatte mal wieder große Szene mit ihr.

Auf meine Vorwürfe wegen gestern lachte sie und begegnete mir mit so kühlem, gemessenem Hohn, daß ich, außer mir, sie schüttelte und ihr Handgelenk mit aller Kraft umpreßte. Zuerst lachte sie, dann aber traten ihr die Tränen in die Augen. Das wäre ihr noch von niemand geboten. Sie sehe es nicht ein, warum sie es sich von mir solle gefallen lassen. Nun war ich also wieder der Übeltäter geworden und mußte versuchen, sie wieder zu versöhnen, was mir schließlich wenigstens so weit gelang, als sie mich beim Abschied mit dem grausamen Wort der Baronesse aus Tannhäuser in Rom: »Komm küsse mich, ich liebe Dich nicht mehr« zum Abschied aus Kaprize küsste. Überhaupt, was das Weib im Wesen für eine unheimliche Ähnlichkeit, wenn man von der Liebe der Römerin zu ihrem Verlobten absieht, mit jener Baronesse hat!

4. 1. 90.

Wieder einmal fürchterliche Stunden verlebt. Der »Andere« war da. Sie behandelte ihn gut und freundlich, scherzte mit ihm, für mich war jedes Wort spöttisch oder kränkend.

Wenn sie mir irgend etwas Schlechtes gesagt hatte, rief der »Andere« ihr zu: Kirke.

Was er sich erlaubt, geht wirklich zu weit, und ich muß dabei sitzen und zusehen und alle Pfeile auffangen, ohne mich zu wehren.

Um 11 gingen wir. Sie gab mir nicht einmal die Hand zum Abschied. Mir war fürchterlich. Der Andere verabschiedete sich vor der Tür. Ich brachte L. zur Pferdebahn und stürmte dann zurück. Ich zitterte, meine Brust keuchte. Als sie auf mein Klopfen öffnete, flog meine Brust stürmisch. Ich wollte sagen »wie Du mich behandelst, ist empörend«, ich brachte es nicht heraus. Sie führte mich zum Schaukelstuhl und sagte, ich solle mich beruhigen.

Wäre sie mir mit einem guten Wort entgegengekommen, es wäre alles gut gewesen. So aber fing sie, als ich ruhiger geworden war, mit ihrer kühlen verständigen Gelassenheit an, meine Vorwürfe zu entkräften, diese Äußerung so harmlos zu deuten, jene so.

Schließlich war ich denn wieder glücklich derjenige, welcher sie geärgert hatte mit törichter Eifersucht, der in allem was findet usw. und am Ende erklärte sie, die ganze Sache wäre ihr ennuyant. Dies Wort traf. Ich erhob mich bebend, um zu gehen. Sie gab mir gleichgültig Schlüssel und Wachskerze, indem sie noch ruhig bemerkte: »Sie müssen doch Licht haben.«

Die gräßliche Kühle und Gelassenheit machte mich vollends toll, der Anfall kam wieder, meine Brust fing an zu keuchen, zu pfeifen, meine Hand zerpreßte krampfhaft die Wachslichtschachtel, die sie mir gegeben hatte, meinen Hut warf ich irgendwo hin, es war ganz egal, endlich brach ich in Tränen aus. Nun schmolz wohl doch etwas ihr Stolz. Hatte sie nicht einmal gesagt, und wenn sie sterben müßte, sie könnte nicht das erste Wort sprechen? Sie kam wenigstens, faßte mich um den Hals und führte mich zum Sofa: »Ich kann Dich nicht so gehen lassen.«

Aber es war noch nicht alles.

Wieder hatte ich mich beruhigt, hatte auch wenigstens ihr Eingeständnis erhalten, daß sie zu mir nicht so war, wie sie hätte sein können, daß sie ihn besser behandelt hätte als mich. Da kam ich noch mal auf sein Benehmen zurück und sagte: »Wenn Du ihm das alles erlaubst und hingehen läßt, muß er denken, auch noch mehr zu erreichen.« –

»Und wenn er es denkt, und wenn er es denken dürfte?« erwiderte sie scharf.

Ich brauste auf: »Wie kannst Du, wenn Du mich hast, das sagen?«

Mein Kopf ist wirr, ich weiß nicht genau ihre Worte mehr. Mir ist nur noch bewußt, daß sie sagte: Das wäre die Lösung des Rätsels. Ich hätte eben keine Rechte geltend zu machen, wenn sie ein Wort spräche, dann wäre sie frei, es hinge alles lediglich von ihr ab.

»Das ist Deiner Grausamkeit die Krone aufgesetzt, mir dies jetzt in dieser Stunde zu sagen.«

»Ich mußte es; ich wußte, daß es Dir weh tun würde, aber da Du Rechte geltend machtest, mußte ich es tun.«

Ich schwieg eine Weile, dann stand ich auf, um nun zu gehen. Sie gab mir die Hand, trat noch an mich heran, so daß sie mich fast mit den Lippen streifte. Da küßte sie mich, zog mich zum Sofa in ihre Arme.

Ich vergaß alles Böse, Schlimme. Ihr Kuß hatte es im Umsehen hinweggescheucht. Unter Tränen lächelnd sagte ich: »Wie oft verliere ich Dich, wie oft muß ich Dich wieder suchen.«

»Du mußt mich doch sehr lieben,« sagte sie sinnend, »eine andere Erklärung finde ich nicht für dies Wesen. Gekränkte Eitelkeit ist es nicht.«

Nein, dies war es auch nicht. Liebe ich sie nun wirklich so sehr?

Ich weiß es nicht, aber das weiß ich, daß ich fürchterliche Stunden durchgemacht habe und daß der Andere ein nicht zu verachtender Gegner ist. Hätte ich ein Wort gesagt, sie hätte mich gewiß noch dabehalten, aber ich fühlte mich so erschüttert und gebrochen.

20. 1. 90.

Als ich heute zu N. N. kam, teilte sie mir mit, daß ihr Bräutigam ihr geschrieben habe, sie möchte ihre Papiere hinschicken, es würde wohl sehr schnell gehen. Ich beruhigte sie. Doch bald sagte sie: »Ich werde von jetzt ab kühler zu Dir sein, damit ich mich daran gewöhne, mir wird sonst der Trennungsschmerz zu furchtbar, und ich weiß, daß Du es nicht verdienst, aus den Augen aus dem Sinn. Du wirst mich bald genug vergessen haben.« – »Ich halte es nicht aus,« brauste ich leidenschaftlich auf, »Dir fern zu sein, während Du noch hier bist, und ich vergesse Dich nicht.«

»Ja, es ist besser, so mit einem Schlage zerreißen, das heilt, es ist besser als langsam verbluten. Ach, es ist ein elendes Leben. Wenn ich nur von diesem Menschen nicht abhinge, das jämmerliche Geld.«

Sie fing an zu weinen. Ich küßte ihr die Tränen aus den Augen. Mittlerweile klopfte es, der Andere kam, wir sprachen kurze Zeit über gleichgültige Dinge, dann bat sie, wir möchten sie verlassen, da sie sich umziehen müsse. Wir gingen, doch kehrte ich bald um und ging zu ihr.

Ich küßte sie; sie sagte: »Laß es so, wie ich Dich bat, es ist besser. Aber Du willst nicht.«

»Ich kann nicht.«

»Wenn Du nicht willst, dann tue ich es gewaltsam. Ich will nicht später einmal von Dir einer anderen wegen aufgegeben werden. Ich vertrag es nicht, mich so zu verzehren, und ich weiß, Du wirst mich bald genug bei einer anderen vergessen.«

»So opferst Du mich Deinem Stolz?«

»Ja.«

»Es ist grausam von Dir.«

»Ich will gern alle Schuld auf mich nehmen, nenne mich grausam, schlecht und falsch.«

»Ich ertrage es aber nicht,« brach es nun aus mir heraus, »ich könnte Deiner nicht ohne Bitterkeit gedenken, wiesest Du mich von Deiner Tür.«

»Glaubst Du, mir würde es leicht,« stöhnte sie. »Ach, wie elend, ach, wie jämmerlich ist das alles.« Ihren Körper erschütterte ein krampfhaftes Schluchzen. Dann schrie sie auf vor Schmerz. Ihr gefürchteter Herzkrampf stellte sich ein. Das Weinen ging mir durch und durch, schließlich ließ sie sich von Frau H. zu Bett bringen. Als ich dann wieder hinein kam, lag sie müde und erschöpft in weißen Kissen. Ich kniete nieder vor dem Bett und legte meinen Kopf auf die Decke. Sie faßte mich sanft um, küßte meine Stirn und sprach leise: »Eigensinniges Kind, eigensinniges Kind, nun hast Du doch Deinen Willen.«

Mir hatten ihre Schmerzen ins Herz geschnitten. Ich wollte ihren Vorschlag von vorhin nun annehmen und sagte resigniert: »Meinetwegen sollst Du das nie wieder leiden.«

»Ach,« sagte sie schwach lächelnd, »nun ist es ja doch egal, mag es kommen, wie es will.« Und sie zog mich an sich und küßte mich zärtlich und innig.

Um ½9 ging ich.

Ich fühle mich tief beschämt, ich weiß es jetzt, ihre Gefühle für mich sind viel tiefer als die meinen. Nur ihr herber Stolz verhindert sie oft, dieselben zu zeigen. Freilich wird sie an der Seite eines ungeliebten Mannes die Trennung schmerzvoller ertragen, aber wer weiß, was noch vorher alles passiert.

21. 1. 90.

Um 1 Uhr ging ich zu N. N. Ihr Bräutigam hat einen ausführlichen Brief geschrieben. Die Vorbereitungen wachsen, es wird nicht mehr lange dauern.

Sie war sehr niedergeschlagen.

»Du hast mir gestern sehr unrecht getan,« sagte sie. »Du hast mich grausam genannt, und doch tat es mir weh, daß ich Dir es sagen mußte. Ich wollte Dir nur nicht zeigen, wie es mich schmerzte, darum tat ich so kühl. Doch nun ist es mir gleich, wenn ich auch daran zugrunde gehe. Bleib bei mir oder laß mich, ich stelle es Dir frei …« Sie nahm mich in die Arme und küßte mich zärtlich.

»Laß mich bei Dir«, bat ich, »es ist besser so. Sollen wir uns die letzte Zeit noch voneinander verbannen?«

»Wie Du willst«, antwortete sie, »schwer würde mir auch die Trennung werden.«

6. 2. 90.

Am Abend ging ich zu N. N., traf sie nicht zu Haus. Müd und abgespannt suchte ich nach ihr und traf sie endlich an der Markgrafenstraße. Ich merkte ihr weiter keine Verstimmung an. Wir sprachen ganz freundlich miteinander. Wie ein Schlag trafen mich daher an der Haustür ihre Worte:

»Sie gehen wohl nach Haus. Ich will Ihre kostbare Zeit nicht mehr in Anspruch nehmen. Ich habe mir das jetzt völlig klar gemacht.« Mich durchfuhr's, in mir schrie es auf. »Weißt Du auch, was Du damit sagst?«

»Vollkommen«, erwiderte sie kühl.

Ich wandte mich krampfhaft um und schritt fort, halb gebrochen, müde und elend, auf den Stock gestützt. Die Tränen stiegen mir heißglühend in die Augen, ich schwankte in den düsteren Querstraßen umher, ab und zu an den Schaufenstern stehen bleibend und teilnahmlos mit brennenden Augen die ausgelegten Waren anstarrend, und immer drängte sich der Gedanke auf die Lippen: »Was habe ich schon um dieses Weibes willen gelitten! Häufiger die Dornen der Passion getragen als die Rosen.« Und mein ganzes verpfuschtes Ich tat mir wieder so leid, daß mir die Tränen unaufhaltsam herunterliefen.

Ich ging weiter, und nur zu bald fand ich mich wieder vor ihrem Hause.

Die Treppe, die ich so oft hinaufgestürmt bin, schlich ich leise, zögernd hinan. Endlich stand ich vor ihrer Tür, ich stand eine ganze Weile. »Männlicher Stolz«, dachte ich bitter, aber schon hatte meine Hand geklopft. Sie öffnete, kühl und glatt tönten ihre Worte:

»Das hätte ich nicht erwartet.«

In ohnmächtigem Hader mit meiner Schwäche stammelte ich: »Ich konnte nicht so von Dir gehen, sage mir noch einmal, daß nun alles aus ist.«

Wieder die fürchterlich kühlen Laute: »Aber wieso, davon hat doch niemand gesprochen. Setzen Sie sich doch, Frau H. wird gleich kommen.«

Nachher fuhr sie fort:

»Ja, ich habe ja auch gar kein Recht, über Ihre Zeit irgendwie zu verfügen. Sie sind von jetzt ab völlig frei, Sie sollen nie Gelegenheit haben, mir so etwas zu sagen wie am Mittwoch.« Ich versuchte ihr Vorstellungen zu machen, sie hätte mich doch auch gereizt. »Ja, es gibt gewisse Grenzen, und die haben Sie überschritten. Wir verstehen uns doch nicht so, wie ich dachte.«

Ich starrte stumm in die Zimmerecke, krampfhaft knüpfte ich die Handschuhe auf und zu, mein Kopf war glühend heiß, und wieder kam das Weinen. Noch einmal fragte ich: »Warum hast Du mich fortgeschickt?«

»Ich wollte Dich nicht hier haben, Du hast mich gekränkt, und das muß sich erst wieder legen. Ich mag Dich nicht.«

Ein kurzer Kampf, dann habe ich mich losgerissen. Ich stehe an der Tür und ringe mit den Tränen.

»Ich will Dich von meiner Gegenwart befreien.«

Noch höre ich vom Sofa die kühlen, in gleichmütigstem Ton gesprochenen Worte: »Da Du einmal hier bist, so kannst Du auch bleiben.«

Dann rufe ich stöhnend »Lebe wohl« und stürze hinaus.

Wie das grollt und stürmt. Was habe ich schon um sie gelitten, wie viel Tränen ihretwegen geweint. Der Dornenkranz der Passion, ist das die Strafe für die sündige Liebe?

8. 4. 90.

Nachmittags N. N. abgeholt. Dann nach Haus, um die Gelegenheit zu benutzen. Wir taten es auch wie toll und berauscht. Nachher scherzte und koste sie mit mir. Mein Kopf lag in ihrem Schoß.

Plötzlich fing sie an, mich ihr Spielzeug, ihre Puppe zu nennen.

»Du bist doch bloß mein Spielzeug«, sagte sie und biß mich ins Ohr.

Ich verzog das Gesicht.

»Oder was bist Du sonst? Was denkst Du, was bist Du mir?«

»Dein Geliebter«, sagte ich sofort.

»Du mein Geliebter« – – und sie wollte sich ausschütten vor Lachen.

Ich rückte sofort weg von ihr.

Als sie sah, daß ich beleidigt war, war sie es mit einem Mal auch, ich verstände keinen Scherz.

»Nein, darin nicht, in eine so schmachvolle Rolle würde ich mich nie finden.«

»Dann bin ich wohl Deine Geliebte? Ich fühle mich sehr geschmeichelt!«

Ich ging dann bald, nachdem sie mich vorher noch gebeten hatte, morgen um 5 bei ihr zu sein.

An der Tür fiel sie mir plötzlich um den Hals. »Adieu mein Geliebter.« Sie schüttelte sich vor Lachen.

Ich ging sehr ruhig, sehr vernünftig nach Haus. Keine Träne diesmal, keine Aufregung. Ich fühlte, daß die Bande, die mich gehalten hatten, gelöst waren, aber nicht schmerzlich, sondern ganz schmerzlos.

Nur kränkte es mich, daß ich mich ½ Jahr weggeworfen.

23. 7. 90.

Mir ist sehr jämmerlich zu Mute. War schon vormittags bei ihr. Morgen ist's vorbei. Das waren böse Stunden, sie weinte herzzerbrechend. Und als sie mich um Verzeihung bat, daß sie manchmal schlecht zu mir gewesen, da stürzten auch mir die Tränen. Das hat alles Böse ausgelöscht. Wir lehnten Kopf an Kopf, und unsere Tränen mischten sich.

Ihr ganzer Stolz schmolz in Schmerz, und die alte Liebe erwachte wieder ganz in mir. Ich fürchte mich vor morgen, es wird schrecklich werden. Beim Abschied an der Tür sagte sie noch einmal schluchzend: »Nicht wahr, Du verzeihst mir. Und habe auch Dank für all die Liebe, die Du mir bewiesen.«

Das erschütterte mich vollends. Ich riß mich weinend von ihr los und ging durch den Regen nach Haus.

24. 7. 90.

Abreise. Von 10-½11 war ich bei ihr. Wir haben uns immer wieder geküßt. Um ¼1 holte ich sie ab. Sie hatte die Taille noch nicht an, sie öffnete das Hemd an ihrer Brust und sagte »Nun nimm Abschied.« Und dann gingen wir.

Auf dem Bahnhof brachte ich M. schnell ins Koupee und traf mich dann wieder mit N. N., die mir fünf schöne Rosen mitbrachte. Noch einmal küßte ich sie heiß und innig, dann stieg ich ein. Der Zug setzte sich in Bewegung; sie winkte noch lange nach. Immer undeutlicher wurde ihre Gestalt. Ich drückte ihre Rosen an die Lippen und lehnte mich in meine Ecke.


 << zurück weiter >>