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Hölderlins Schicksalslied:

Mich hat Apollo geschlagen … Hölderlin.

 

I.

Mit Göttern schritt er im Licht von Berge zu Berge herüber, dann stürzte er in die Nacht und erfüllte so sein Schicksal, das er sich ahnungsschwer selbst gesungen. Er: Hyperion-Hölderlin.

Zehn Jahre seines Lebens ein Dichter, und vierzig nachtwandelnd im Wahnsinn. Eine imaginäre Existenz, keiner Wirklichkeit gewachsen, doch erhobenen Hauptes und leuchtenden Auges in seinem poetischen Reich. Was für Heine Bimini, für Brentano Vaduz, für Mörike Orplid, war ihm sein aus Schwärmerei und Sehnsucht wiedergeborenes Hellas. Und wenn der junge schwäbische Theologiestudent wider Willen, und der von den Unbilden äußeren Lebens bedrängte Hofmeister und Hauslehrer sich nach Griechenland träumte und die Götter anrief, so war das für ihn die Einversetzung in die höhere, echtere Wirklichkeit; und die Maske, die er dem äußerlichen Wesen anlegte, war keine künstliche Verkappung, sondern das Antlitz seiner Seele, dessen der Verwunschene und Verbannte in seltenen Gnadestunden seiner Alltäglichkeit teilhaftig werden durfte.

Hölderlin wäre der dankbarste menschliche Stoff, um unabhängig von allem Biographischen, aus seiner Dichtung allein, ein imaginäres Porträt herauszulocken, ein Astralbild aus rein essentiellen Zügen, wurzelnd nicht im Räumlichen der Orte, sondern in der Gefühlslandschaft, und nicht im Zeitlichen, sondern in der Weite und Grenzenlosigkeit des Traumes. Und dies aufgefaßt im Sinne der Blätter für die Kunst: daß das Leben nichts und das Werk alles bedeute.

Nun haben wir aber jetzt an der reich erfüllten und subtil gesammelten Ausgabe der Briefe Hölderlins in der Gemeinschaft der drei Bände seines dichterischen Schaffens eine so volle geistige Personal-Union inneren und äußeren Erlebens zu erschauen, daß es lockender wird, dies Doppelbild schwebend zwischen Schwaben und Eleusis zu zeichnen.

Die frühen Briefe des Seminaristen aus Maulbronn und Tübingen sind aus einer Fremdheit seinem eigenen Wesen gegenüber geschrieben. Er vermag hier, da seine Geister noch nicht entfesselt sind, sich selbst konstruierend und verstandesmäßig eine zweckmäßige Art vorzutäuschen. Er nimmt sich vor, »ein Christ und kein Schwärmer zu werden«, glaubt an seine geistliche Absicht und freut sich gleich Mörike der Aussicht auf die ruhige Pfarre.

Und die Gedichte dieser Zeit rollen klopstockisch-bardisch daher mit Vergänglichkeits- und Jenseitsgefühlen der Kirchhofpoesie, mit Leichensteinen und schlummernden Gebeinen; sie singen vom Schillerschen Elysium, vom Freundschaftsbund, von Mahl und Pokal in edler Runde, von Männerstolz und Eichenhainen, vom Tod der Tyrannenknechte und von der Freiheit.

Und auch die Liebesepisode, die zwischen dem Siebzehnjährigen und der Schwester seines Freundes Nast, Luise, spielt, bewegt sich in den konventionellen Ausdrucksformen der Launen des Verliebten, der pathetischen Ausrufe »O Mädchen, dein Jüngling«, ossianischer Schwärmerei voll Wonne der Wehmut und Tränenseligkeit,

Aber allmählich dämmert schon damals ihm die Ahnung seiner unbezwinglichen Gemütsart auf, daß er haltlos, ohne Herrschaft den wechselnden Gefühlen, der Ebbe und Flut ausgeliefert ist, und daß er, der Unstete, niemanden glücklich machen kann. Er selbst lockert das Band; warnt die sanfte Luise vor seiner »Schwachheit«, rät ihr, einen »achtungswürdigen Mann« zu wählen, und fühlt sich – »Komödie der Liebe« – selbsterkenntnisvoll als der »kranke Poet«, verstimmt und unfähig, sich zu freuen, wie andere Menschenkinder. Und bei einem späteren Erlebnisversuch, bei dem er an seiner eigenen Kälte litt und gequält versuchte, sein »Ideal« in ein Mädchen zu übertragen, »sich aus ihr etwas zu machen«, klagte er: »Ich soll wahrscheinlich nie lieben als im Traum.«

Sein empfindlicher Sinn leidet an der Zeit, am Klima und Atmosphäre der Umgebung:

Sonst ward der Schwärmer doch ans Kreuz geschlagen.
Jetzt mordet ihn der sanfte, kluge Rat.

Er klagt, »was bin ich dir, mein Vaterland?« und »sein Jahrhundert ist ihm Züchtigung«.

Er analysiert die schwere Frühzeit – von der ein gegenwärtiger Dichter, Robert Walser, sagt: Wohl dem, der der frühen Jugend entronnen –: »die anderen Menschen und die eigene Natur machen einem, glaube ich, in keiner anderen Lebenperiode so viel zu schaffen, und diese Zeit ist eigentlich die Zeit des Schweißes und des Zornes und der Schlaflosigkeit und der Bangigkeit und der Gewitter, und die bitterste im Leben.«

Dem Bruder gegenüber, an den auch diese Objektivierung gerichtet ist, raffte er sich manchmal zu strafferer Haltung auf. Er berauscht sich an dem Wort seines Hyperion voll Schmerzenshoheit. »Wer auf sein Elend tritt, steht höher,« ruft er sich und dem Bruder zu, große Forderungen an sich zu stellen, und er erfüllt sein Herz mit Vollendungsdürsten. Damit gehen parallel Römertöne voll Rausch an der Tat in den Kriegszeiten von 1792, und er ironisiert sich selber, daß ihm »in seinem Pflanzenleben der Gedanke eines Hymnus an die Kühnheit kam«.

Und in seinem Dichten begegnet sich's kontrastvoll, wenn er Arkadien überwindend, mit ehernem Schall, »die Gespielin der Kolossen, die Mutter der Heroen, die eherne Notwendigkeit« preist und dann resigniert bekennt: »Wir sind tatenarm aber gedankenvoll.«

Später fand er beiden Reichen den gerechten Ton, und er fügte schön das Wort, das aus der Zufälligkeit scheinbarer Wirklichkeit ihn ins Dauernde weist: »Was bleibt, aber stiften die Dichter«. Doch den Heroen setzt er verehrend über die Weltewigkeit und sang so Buonaparte:

»Heilige Gefäße sind die Dichter,
Worin der Wein des Lebens, der Geist
der Helden sich aufbewahrt.
Aber der Geist dieses Jünglings
Mußte der nicht zerstampfen das Gefäß,
Der Schnelle, wo es ihn fassen wollte?
Der Dichter laß ihn unberührt,
Wie den Geist der Natur.
An solchem Stoffe
Wird zum Knaben der Meister.
Er soll im Gedicht leben und bleiben?
Er lebt und bleibt in der Welt.«

 

II.

In der Führung seines Lebens war Hölderlin nach den Stiftjahren Erzieher im Hause des Freiherrn von Kalb in Waltershausen geworden, eine Situation, die durch die »verwilderte Natur und die Verstocktheit des Zöglings« viele Schwierigkeiten und Hemmungen für ihn selber bringt und schließlich unmöglich wird. Das einzige Ergebnis wird dabei der Aufenthalt in Jena »voll Geisternähe«. Er erlebt Fichte und Goethe und wirft sich leidenschaftlich zu Schillers Füßen. Sein Enthusiasmus findet hier ein Idol, vor dem er aus der Fülle seines Wesens opfern kann. Zu ihm aufblicken, an ihm zum Manne werden, das scheint ihm jetzt Bestimmung. Und er fühlt, wie dieser Umgang alle Kräfte in ihm in Bewegung setzt. Doch auch hier, trotz mancher förderlichen Freundlichkeiten und besten Absichten, vermißt diese wunde Empfindlichkeit das Letzte und fröstelt:

»Ich sehe wohl, daß ich mit dem Schmerz, den ich so oft mit mir herumtrug, notwendigermaßen meine stolzesten Forderungen büßte; weil ich Ihnen so viel sein wollte, mußte ich mir sagen, daß ich Ihnen nichts wäre.« Schiller gibt ihm sachlich poetisch-pädagogische Ratschläge, die philosophischen Stoffe zu fliehen – »sie sind die undankbarsten, und im fruchtlosen Ringen mit denselben verzehrt sich oft die beste Kraft« – und dafür der Sinnen weit näher zu bleiben. Das klingt überraschend Goethisch, aber der Rat half Hölderlin nichts, und auch Schiller, der Mensch, der sich später schweigend und fern verhielt, konnte ihn nicht erlösen. Ergreifend klingt es, wenn der in seines Wesens Bande unrettbar Verstrickte dem Allzugeliebten schreibt: »Solange ich vor Ihnen war, war mir das Herz fest zu klein, und wenn ich weg war, konnte ich es gar nicht mehr zusammenhalten. Ich bin vor Ihnen wie eine Pflanze, die man erst in den Boden gesetzt hat. Man muß sie zudecken um Mittag«, und jedenfalls bleibt er für ihn der einzige Mann, »an den er seine Freiheit verloren hat«

 

III.

Ein Trieb entwickelt sich in Hölderlin immer heftiger, der Trieb Tassos, sich »in den Abgrund des eigenen Herzens zu stürzen«, und wie jenen, »führt ihn alles, was er sinnt und treibt, tief in sich selbst.« Die Widersprüche seines Inneren, die Wechselströme seines Fühlens spiegelt er sich quälend ab, und seine Briefe geben in scharfer, mitleidloser Selbstbeobachtung die états d'âme einer labilen Natur.

Sie ist zerbrechlich, mit jenen hautlosen empfindlichen Stellen, keiner Reibung, keiner robusten Berührung gewachsen, in ihrer Leichtverletzlichkeit immer gefährdet. Charakteristisch für solche Zustände ist der neidvolle, eingeredete Wunsch nach leidenschaftsloser, mechanischer, dumpf unbewußter Tätigkeit, wie er an den Bruder schreibt: »Es ist oft wünschenswert, bloß mit der Oberfläche unseres Wesens beschäftigt zu sein, als immer seine ganze Seele, sei es in Liebe oder in Arbeit, der zerstörenden Wirklichkeit auszusetzen.«

Er sieht mit Angst zu, wie der kleinste Umstand sein Herz aus sich heraus jagt, dies Herz, das so voreilig ist, sich immer mit Menschen und Dingen unter dem Monde zu verschwistern; dies Herz des Hyperion: »darbendes, angefochtenes, tausendfach geärgertes Herz«.

Er kann nur in befreundet sympathischer Luft atmen, er friert unter jedem fremden Luftzug: Mißtrauen oder auch nur Zurückhaltung der anderen lähmt ihn und macht ihn wehrlos. Und seine empfänglich leidvolle Abhängigkeit von einer ihm ungünstigen Umgebung klagt er an Schiller: »Ich glaube, daß dies das Eigentum der seltenen Menschen ist, daß sie geben können, ohne zu empfangen, daß sie sich auch am Eise wärmen können. Ich fühle nur zu oft, daß ich eben kein seltener Mensch bin, ich friere und starre in den Winter, der mich umgibt. So eisern mein Himmel, so steinern bin ich.«

Schmerzvoll leidet er an der Einsamkeit, die trennend auch zwischen dem scheinbar Nächsten hängt. »O, könnten wir uns mehr sein«, ruft er seinem Freund zu, auch um eine innigere Nähe zu der Mutter wirbt er, wenn er gleich weiß, daß sie seine Sprache nicht verstehen kann. Er fühlt es tief, wie alles gleitet und vorüberrinnt – und niemand kann dem anderen helfen.

An den Freunden bewundert er, der Hin- und Hergerissene, die Ökonomie des Gefühls, daß »das Herz jedem Ding nur so viel Platz einräumt, als dazu gehört«, und auf seiner letzten Lebensirrfahrt in die Schweiz findet er Menschen, die er beneiden muß, weil sie »gerade so viel Anteil am Fremden nehmen, als es ihr Herz nicht schwächt und als die Teilnahme und Geselligkeit noch ungezwungen und klar bleibt«.

Ein »Hospital, wohin sich jeder auf seine Art verunglückte Poet mit Ehren flüchten kann«, entdeckt er sich in der Philosophie. Er flieht, wenn er sich selber lästig ist, in die Abstraktion, und wenn er sich nicht leiden kann, wird ihm Kant eine Zuflucht, Kant, den er hymnisch apostrophiert als den »Moses unserer Nation, der sie aus der ägyptischen Erschlaffung in die freie einsame Wüste seiner Spekulation führt, und der das energische Gesetz vom heiligen Berg bringt«.

Er versucht sich verzweifelt eine innere Form zu konstruieren, aus seiner Zerstörbarkeit etwas zu gewinnen, was seinem Künstlertum dienen kann, seine Reizbarkeiten als ein Unentbehrliches zu nehmen, »ohne den sein Innigstes sich niemals völlig darstellen wird.«

Und im Grunde liebt er als echter Ecce poeta den Schmerz, der ihn geschmückt und gepeinigt, und graut sich am meisten vor dem »Schusterleben, wo man Tag für Tag auf seinem Stuhl sitzt und treibt, was sich im Schlafe treiben läßt«.

 

IV.

Die Götter gaben ihm, zu sagen, was er litt, und von der Gabe des Leids angerührt, hub er an zu klingen in unendlichen Melodien voll seliger Sehnsucht. So verwandelte er sich dichterisch in Hyperion, den Eremiten in Griechenland, und ließ seine Phantasie voll Ahnung und Gegenwart ins Grenzenlose schweifen. Er wandert auf den Höhen des korinthischen Isthmus, und »wie die Biene unter Blumen fliegt seine Seele zwischen den Meeren, die zur Rechten und Linken den glühenden Bergen die Füße kühlen«.

Er, der alles begriff und von allem ergriffen ward, wird hier erlöst und ganz in dem Gefühle selig, eins zu sein mit allem, was lebt; wiederzukehren ins All der Natur; »das ist die heilige Bergeshöhe, der Ort der ewigen Ruhe, wo der Mittag seine Schwüle und der Donner seine Stimme verliert, und das kochende Meer der Woge des Kornfeldes gleicht.«

Der Traum entrückt ihn so ganz in den griechischen Frühling, den er mit den Augen des Leibes nie sehen sollte, daß er in allen Sinnen alles fühlt: Marmortrümmer und Ruinen in Blumen, den Weizenhügel, die Oliven, die Ziegenherde, die am Felsen des Gebirges hängt; den Ulmenwald, der von den Gipfeln in das Tal sich stürzt, und darüber in den Lüften der Triumphwagen des Sonnengottes, hinfliegend mit Flammenpfeilen »über das verödete Land, seine Tempel, seine Säulen, die das Schicksal vor ihn hingeworfen hatte, wie die dürren Rosenblätter, die im Vorübergehen ein Kind gedankenlos vom Strauche riß und auf die Erde säte.«

Auch die Gedichte schwingen in einer beseelten erfühlten Mythologie und in panischer Fülle.

Und inniger kommt er sich selber in solcher Verzückung nah:

Ich verstand die Stille des Äthers,
Des Menschen Wort verstand ich nie.

Den Äther singt er und »seine Lieblinge, die glücklichen Vögel, die da wohnen und spielen vergnügt in der ewigen Halle des Vaters«, und den Sonnengott, vor dem ihm trunken die Seele dämmert, wie er die jungen Locken badet im Goldgewölk.

Und Hölderlin, der in seiner Alltagswirklichkeit keinen sehr regen Beobachtungssinn hatte und von seinen kleinen Reisen durch deutsche Städte wenig Eindrücke mitteilte, erlebt in seinen magischen Stunden wild großartige Landschaftsvisionen voll Geierblicks, die Wandelszenerien des zweiten Faust vorahnen:

Einsam stand ich und sah in die afrikanisch dürren,
Ebenen hinaus; vom Olymp regnete Feuer herab.
Fernhin schlich das hagere Gebirg, wie ein wandernd Gerippe,
Hohl und einsam und kahl blickt aus der Höhe sein Haupt …

 

V.

Hölderlin hatte den Hyperion, den Roman in Briefen, das »Gemälde von Ideen und Empfindungen« schon in den Tübinger Jahren angefangen. Er erwuchs ihm aber erst ganz durch das glück- und schmerzensreiche Liebeserlebnis in Frankfurt, wo er 1796 als Lehrer in ein reiches Bankierhaus kam und in seinem ganzen Wesen aufs tiefste von der Mutter seines Zöglings ergriffen wurde. Dies ward die Diotima seiner Dichtung. Sie neigte sich dem Jüngling mit jenem stillen Gefühlswallen der Leonore für Tasso und jener verhaltenen Innigkeit: »da hofft ich viel für dich und auch für mich« …

Und Hölderlin, der sich anfangs in Frankfurt vorkam, »wie ein alter Blumenstock, der schon einmal mit Grund und Scherben auf die Straße gestürzt« und nur mit Mühe wieder in frischen Boden gesetzt ist, findet seine Auferstehung. Zum ersten Male wird ihm Einklang durch diese eine, die ihn »verjüngt, gestärkt, erheitert, verherrlicht mit ihrem Frühlingslicht«: »Lieblichkeit und Hoheit und Ruhe und Leben, und Geist und Gemüt und Gestalt ist ein seliges Eins in diesem Wesen«. Verlassen haben ihn die »Höllengeister und die metaphysischen Luftgeister«, und hochgeschwellt ruft er aus: »Wenn unser Herz und unser Schicksal in den Meeresgrund hinab und an den Himmel hinauf uns wirft, das bildet den Steuermann.«

So vermessen verstieg sich der Lehrling der Griechen, in die Hybris verfiel er, und nahe war ihm sein Sturz.

Eine Last häuft sich auf ihn, und es ist etwas Werthersches an dem Schicksal, daß er, in Liebe zu einer ihm ja doch nicht Erreichbaren verstrickt, gleichzeitig in seiner feinhäutigen Empfindlichkeit an der Zwiespältigkeit seiner gesellschaftlichen Situation leidet – »weil der Hofmeister besonders in Frankfurt überall das fünfte Rad am Wagen ist und doch der Schicklichkeit wegen dabei sein muß«. Bitter spricht er von den »ungeheueren Karikaturen«, die er statt der Menschen in Frankfurt erträgt, und von den beinah täglichen Kränkungen, die er in der Umgebung der reichen taktlosen Kaufleute duldet. Wieder fühlt er sich schiffbrüchig, und da die Frau, die er liebte, diesen Verhältnissen gebunden wehrlos gegenüberstand, rettet er sich durch die Flucht.

September 1798 war das, und ein erschütterndes Zeichen jener Tage ist der fassungslose, herzensbange Brief, den sein Zögling, Diotimas Sohn, Henri, schrieb.

Hölderlin hing an ihm und fühlte einen mystisch-seelischen Zusammenhang: »Ich finde mich tausendmal mit meiner ursprünglichen Eigenschaft in ihm, auch das Kind ahndet in mir ein gleichgeschaffen Gemüt.« Und nun, da das Band so jäh und unbegreiflich für den Knaben zerrissen, ruft er in Not nach dem Lehrer und Freund:

»Lieber Holder! Ich halte es fast nicht aus, daß Du fort bist … Die Mutter ist gesund und läßt Dich noch vielmals grüßen und Du möchtest doch recht oft an uns denken. Sie hat mein Bett in die Balkonstube stellen lassen und will alles, was Du uns gelernt hast, wieder mit uns durchgehen. Komm bald wieder bei uns, mein Holder, bei wem sollen wir denn sonst lernen?«

 

VI.

In Homburg bei seinem aufopfernden Freund, dem Regierungsrat v. Sinclair, fand Hölderlin Zuflucht. Er sammelt sich hier in der Stille, und ihm ist's, wie er an den Bruder schreibt, »als gäbe es außer ihm und ein paar Einsamen, die er im Herzen trägt, nichts als seine vier Wände,« und sie werden ihm zu »einer Melodie, zu der er seine Zuflucht nimmt, wenn ihn der böse Dämon überwältigen will«.

Den Hyperion beendet er, und Diotima erhält ihn. Täglich muß er die »verschwundene Gottheit rufen«, und wenn er vordem in glücklichen Tagen ähnlich wie einst Goethe zu der Beschwichtigerin und Stillerin Charlotte, sang:

Diotima! Edles Leben!
Schwester, heilig mir verwandt!
Eh ich dir die Hand gegeben,
Hab' ich ferne dich gekannt,

so klingt nun die Klage des Verbannten, der allein seine dunkle Schicksalsbahn ziehen muß:

Heilig Wesen! Gestört habe ich die goldene
Götterruhe dir oft, und der geheimeren,
Tieferen Schmerzen des Lebens
Hast du manche gelernt von mir.
O, vergiß es, vergib! Gleich dem Gewölke dort
Vor dem friedlichen Mond, geh' ich dahin, und du
Ruhst und glänzest in deiner
Schöne wieder, du süßes Licht.

Jenseitsträume vom Wiederfinden seliger Geister umfangen ihn:

Hingehn will ich. Vielleicht seh ich in langer Zeit,
Diotima, dich hier. Aber verblutet ist
Dann das Wünschen und friedlich
Gleich den Seligen, fremd sind wir.

Doch aus aufgewühltem Innern bäumt sich dann wieder verzweifelt rasender Schmerz auf und strömt heiß und eifernd brennende Qual aus:

Wenn ich sterbe mit Schmach, wenn an den Frechen nicht
Meine Seele sich rächt, wenn ich hinunter bin
Von des Genius Feinden
Überwunden ins feige Grab,
Dann vergiß mich, o, dann rette vom Untergang
Meinen Namen auch du, gütiges Herz, nicht mehr.

Und im Aufschrei, aus der Tiefe, verhallt die Elegie:

Wehe von dir, von dir
Schutzgeist! Ferne von dir, spielen zerreißend bald
Alle Geister des Todes
Auf den Saiten des Herzens mir.

Und Diotima schickt ihm ein Lebenszeichen. Ein Beben geht durch den Brief, doch die Worte gehen verschleiert: »Je mehr man zu sagen hat, je weniger kann man sagen.« Todessehnsucht klingt durch die Melancholie unwiederbringlichen Verlustes. Und besonders eindrucksvoll und nachdenklich ist's, wie sie ihn warnt, nicht Schillers Nähe wieder zu suchen und sich an ihn zu verlieren: »Kehre nicht dahin zurück, woher Du aus zerrissenen Gefühlen in meine Arme Dich gerettet.« Zwei Jahre später, 1802, starb Diotima, die im Leben Suzette Gontard hieß. Sie starb an den Röteln, am zehnten Tag ihrer Krankheit. Ihre Kinder hatten sie mit ihr und überstanden sie glücklich. Sinclair teilt diese Trauerbotschaft Hölderlin mit: »Ihr Tod war wie ihr Leben. Sie ist sich bis zuletzt gleich geblieben.«

 

VII.

Diese Nachricht erreichte Hölderlin nicht, der sich nach Scheitern seines Journalprojektes – Schiller hatte sich dabei sehr zurückhaltend gezeigt – 1801 in ein Wanderleben gestürzt, und dem 1802 schon der Wahnsinn nahe. Er erfährt in der neuen Phase (1800) zunächst ein Aufraffen seines Wesens, und er hofft die Prüfungstage seiner Jugend mit ihrem Übermut wie Unmut reifend überwunden zu haben. Als Hofmeister geht er nach Hauptwyl bei St. Gallen. Die Natur wirkt an ihm für kurze Spanne noch ein Wunderbares. Friedlicher und heller wird es noch einmal in seinem Innern. Und er schwingt harmonisch in der Großheit über den Gipfeln der »glänzend ewigen Gebirge« und in der Idylle des freundlichen Tales, in das die Höhen alle näher und näher niedersteigen, das an seinen Seiten mit immergrünen Tannenwäldchen umkränzt ist und in der Tiefe mit Seen und Bächen durchströmt ist, und wo er in einem Garten wohnt und unter seinem Fenster Weiden und Pappeln an einem klaren Wasser sieht …

Hölderlin in den Alpen, das erinnert manches Mal an Heinse, den Hölderlin übrigens sehr bewunderte, in »der grenzenlosen Geistesbildung bei so viel Kindereinfalt«, Heinsisch fühlt Hölderlin die Alpen als eine »wunderbare Sage aus der Heldenjugend unserer Mutter Erde«, und sie mahnen ihn an das »alte bildende Chaos, indes sie niedersehen in ihrer Ruhe, und über ihrem Schnee in hellerem Blau die Sonne und die Sterne bei Tag und Nacht erglänzen«.

Und es wird ihm hier offenbar, was Heinse so gern verkündigte, daß die Menschen in schönen Gegenden stärker und besser leben. Er kommt zu sich und befestigt sich in der Erkenntnis: Je sicherer der Mensch in sich und je gesammelter in seinem besten Leben er ist, und je leichter er sich aus untergeordneten Stimmungen in die eigentliche wieder zurückschwingt, um so heller und umfassender muß auch sein Auge sein, und Herz haben wird er für alles, was ihm leicht und schwer und groß und lieb ist in der Welt.«

Und gleichfalls Heinsisch sind seine Gefühlseindrücke dann im südlichen Frankreich, das er durch seine Hofmeistertätigkeit in Bordeaux kennen lernte. In den Gegenden, die an die Vendée grenzen, interessiert ihn das Wilde, Kriegerische, das Männliche, dem »das Lebenslicht unmittelbar wird in den Augen und Gliedern«, das »Athletische der südlichen Menschen, in den Ruinen des antiken Geistes«.

Aufschwung scheint das und wie ein Gewähren jener Bitte des Dichters:

Nur einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen,
Nur einen Herbst zu reifem Gesang mir …

Und »durch und durch gehärtet und geweiht« glaubt er sich selbst.

Und doch war es nur ein Trugbild. Ihn hatte, wie er bald ahnungsvoll sagte, »Apollo geschlagen«.

Verwirrten Geistes wanderte er im Mai 1802 in sengender Glut von Bordeaux aus fort, im Triebe, heimzufinden.

Wie ein Gespenst geht er in Stuttgart bei Matthison auf, unangemeldet ins Zimmer tretend, nur seinen Namen Hölderlin nennend, und wieder verschwindend.

In der Heimat nehmen sich die Freunde seiner an. Die Zustände seiner zerstörten Psyche wechselten, und bis 1806 muß sein Wahnsinn im Sinne der Antike ein »göttlicher« gewesen sein, voll Ekstasen und Entzückungen. Bettines Andachten zu dem tragischen Schauspiel (in der Günderode) geben davon einen Eindruck: »er brause immer in Hymnen dahin, dem Tosen des Windes vergleichbar, die abbrechen, wie wenn der Wind sich dreht« … Wie ein tieferes Wissen ergreife es ihn dann, und was er sage, höre sich an, als erleuchte sich ihm das göttliche Geheimnis der Sprache, und er fühlt sich als den Pfeil, den der Gott braucht, seinen Rhythmus vom Bogen zu schnellen, dann wieder verschwinde ihm alles im Dunkel, und er ermatte in der Verwirrung …

Was Hölderlin dichtete in jenen Zeiten, nannte er selbst Nachtgesänge. So klagt er:

Das Herz ist wieder wach, doch herzlos
Zieht die gewaltige Nacht mich immer.

Als ein zerstörter Prometheus spricht er, voll Dunkelheit und Trübsal:

Nun sitz ich still allein, von einer
Stunde zur anderen, und Gestalten
Aus frischer Erd' und Wolken der Liebe schafft,
Weil Gift ist zwischen uns, mein Gedanke nun;
Und fern lausch ich hier, ob nicht ein
Freundlicher Retter vielleicht mir komme.

Und voll tiefsten Klanges strömt jenes Totenlied des Lebendigen über sich selbst:

Mit gelben Blumen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,

— — — — — — —

Weh mir, wo nehm ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehen
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.

Der Schatten Diotimas taucht aus dem Dunkel, und stammelnd, abgerissen, mit verzagendem Wort ruft der Dichter den entgleitenden an:

Wenn aus der Ferne, da wir geschieden sind,
Ich dir noch erkennbar bin, dir Vergangenheit,
O, du Teilhaber meiner Schmerzen …

Der Hymnische, Gesichtevolle kann auch ganz einfach werden, einfach, wie er es in gesunden Tagen nie war. Da fügen sich ihm schlichte Verspaare, die an Christian Günthers Tristitien erinnern:

Das Angenehme dieser Welt hab ich genossen,
Der Jugend Freuden sind wie lang! wie lang! verflossen.
April und Mai und Junius sind ferne,
Ich bin nichts mehr, ich lebe nicht mehr gerne.

Doch überragend bleibt das Orphische rätselvoller Urworte, die Stimmen aus Mysterien voll Prophetie und Geheimniswehen.

Diese helldunkle Mania, die so tönend schwingt, erscheint wie eine Erlösung Hölderlins aus der zeitlichen Zufälligkeit, wie ein Eingehen in seine höhere Heimat.

Hofmannsthal hat solches einmal in dem Spiel vom »kleinen Welttheater« verdichtet, da den ringenden und verlangenden Menschenkindern der Wahnsinnige gegenübertritt als ein Befreiter, in der Wolke wandelnd: ihn quält kein Nachbildetrieb mehr, in ihm ist alles, und in allem findet er sich wieder, im Schöpfungsreigen schwebt er und verklingt er:

Ich gleite bis ans Meer, gelagert sind die Mächte dort
Und kreisen dröhnend, Wasserfälle spiegeln
Den Schein ergoßnen Feuers, jeder findet
Den Weg und rührt die andern alle an –
Mit trunknen Gliedern, ich, im Wirbel mitten
Reiß alles hinter mir, doch alles bleibt
Und alles schwebt, so wie es muß und darf …

Und gerade so fühlte Bettine in diesem Wahnsinn das Hohe, Gewaltige, daß der entfesselte Geist über die Leiden, von Götterhand auferlegt, in die Hallen des Lichts sich schwingt. Und sie fragte dagegen: »Aber wir, wissen wir Ungeprüften, ob je uns Heilung werde?«

Doch die Götter gönnten Hölderlin nicht, daß er aus dem Leben so verklärt entrückt würde. Noch einmal stürzten sie ihn tief. Angstzustände suchten ihn heim und Tobsucht, daß er die Saiten des Klaviers zerschlug.

Und aus dem pythischen Seher ward – dieser Verfall begann 1806 – ein armer Irrer, ein Narr Gottes, der, in Pflege gegeben, seine Tage in der kleinen Erkerstube des Tischlermeisters Zimmer verdämmerte. Wilhelm Waiblinger, dem ja auch Leben und Dichten zerrann, sah ihn hier in den zwanziger Jahren und führte ihn, der friedlich und still geworden vors Tor in die Gärten und Weinberge.

So ward der leibliche Schatten des Dichters 73 Jahre alt, und Hyperions Schicksalslied erfüllte sich an ihm selbst:

Doch uns ist gegeben,
Auf keiner Stätte zu ruhen.
Es schwinden und fallen
Die leidenden Menschen
Blindlings von einer
Stunde zur andern,
Wie Wasser von Klippe
Zu Klippe geworfen,
Jahrelang ins Ungewisse hinab.


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