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Einleitung

 

I.

Als Felix Poppenberg am 27. August 1915 freiwillig, wie man es nennt, aus dem Leben schied, meinten wir, gerade er wäre berufen gewesen, am Wiederaufbau deutscher Kultur nach den Jahren der Verelendung mitzuarbeiten, als einer der wenigen, die in Deutschland Sinn und Willen hatten, der Lebensführung Stil zu geben.

Wir glauben das heute nicht mehr. Die Aufgaben der Zeit sind wohl andere geworden.

Beinahe notwendig erscheint es heute, daß er ging. Einer der Auserwählten und Gezeichneten, in denen eine bestimmte Kultur ihren Ausdruck sucht, mußte er wohl mit dieser Kultur zu Grabe getragen werden.

Denn das ist seine Bedeutung, gleichviel, ob man sie hoch oder gering einschätzen mag: er lebte seine Zeit; lebte sie bis ins Übermaß; und war eben dadurch befähigt, an ihrem Bilde mitzuschaffen.

Notwendigkeit, scheint es, spricht aus seinem Hingang. Die Stimme des Herzens und des Beraubtseins hat darüber zu schweigen.

 

II.

Felix Poppenberg ist am 13. Oktober 1869 zu Berlin als Kind einer freien Liebe geboren worden. Sein Vater entstammte wohl anderen Gesellschaftskreisen, als seine Mutter. In dem Hause der Friedrichstraße No. 207 hat er seine Kindheit und Jugend verlebt.

Dem heran wachsenden Kinde hat es in keiner Weise an Liebe gefehlt, die verwandtschaftlichen Beziehungen der Mutter führten zu gut bürgerlichem Verkehr. Mit der Familie des früh verstorbenen Vaters blieben die Beziehungen, die sich dem Kinde bei jeder Schulzensur, bei Weihnachts- und Geburtstagen fühlbar machten, aufrecht erhalten. Nicht ohne Einfluß war die Straße und ihre Atmosphäre, in der er aufwuchs. Viel sich selbst überlassen und frühzeitig an Freiheit gewöhnt, durfte er hier auf Abenteuer ausgehen und flüchtige Bekanntschaften anknüpfen. Seine Phantasie gewann dabei Nahrung; eine gewisse gesellschaftliche Gewandtheit wurde vorzeitig gefördert; suchte er aber aus der Empfindsamkeit des Halbreifen heraus in solcher fragwürdigen Umgebung nach der »großen Liebe«, – und daß er das tat, zeigen die Tagebücher auf jeder Seite – so mußte sein Empfindungsleben wohl einigermaßen hinabgedrückt werden.

Über dieser Jugend steht das »Zu früh«. Beim Straßenbummel ein herrenmäßiges Auftreten, in den heimlichen Zusammenkünften mit Mitschülern studentischer Komment. Dazu wahllose Lektüre. Mit dieser Jugend wurde Raubbau getrieben.

Poppenberg besuchte das Friedrich Werdersche Gymnasium und legte am 23. September 1889 sein Abiturientenexamen ab. In den unteren Klassen scheint er nur mühsam vorwärts gekommen zu sein, in Sekunda und Prima fand er Lehrer, die für seine Eigenart Verständnis hatten. Zumal ein Dr. Meyer, der den deutschen Unterricht in Prima erteilte, ist in den Tagebüchern oft und mit Liebe erwähnt; seine erste Frage, als er sein Amt angetreten hatte, galt den Lieblingsdichtern der Knaben. Er regte später unter seinen Primanern eine dichterische Konkurrenz an, und Poppenberg fiel es »als einem der Geübteren« zu, Terzinen zu bauen. Dabei spricht es doch auch für eine frühzeitige innere Reife, wenn Poppenberg, der später ganz darauf eingestellt war, im Dichtwerk nach den seelischen Erfahrungen des Dichters zu spüren, siebzehnjährig sich selbst das Vortragsthema wählte: »Woraus erkennt man im ›Götz‹ Goethes eigene Lebensschicksale?«

Gelesen hat Poppenberg auf der Schule viel und wahllos. Neben Goethe und Heine trat ihm offenbar E. T. A. Hoffmann frühzeitig nahe. Zur Nachahmung reizte Grisebach an. Dagegen fand noch der Zwanzigjährige den »Ofterdingen« des Novalis »furchtbar konfus und mystisch«, und der Neunzehnjährige schrieb mit gewinnender Offenheit ins Tagebuch: »Am Abend ›König Lear‹ gelesen; merkwürdig, ich kann am Shakespeare nicht das finden, was so viel gerühmt wird.« Wissenschaftliche Anregung wurde in Vorträgen von Paulus Cassel gesucht und gewonnen, eigene Beschäftigung deutet gelegentlich auf Kantlektüre und Schriften aus zweiter Hand über den Darwinismus. Aus dem Konfirmationsunterricht, den der bekannte freisinnige Geistliche Hoßbach erteilte, scheint Poppenberg keine nennenswerten Eindrücke heimgebracht zu haben.

Für den auffällig frühen Drang, sich über sich selbst Rechenschaft abzulegen, sprechen die Tagebücher, die Poppenberg, schon als Sechzehnjähriger und bis an den Ausgang seiner Studienjahre, mit nahezu täglichem Rechenschaftsbericht führte. Zu ersten schriftstellerischen Versuchen gaben die Sitzungen eines Lesekränzchens mit Schulkameraden sowie Reiseeindrücke Anlaß. An Gedichten, die den Grisebachschen Einfluß ganz offenkundig dartun, fehlte es nicht.

In den Tagebüchern liest man gelegentlich: »Eine sehr flotte ›Lebensphilosophie‹ in Versen niedergelegt. Sollte dies etwa zu meinen übrigen Ansichten nicht passen? Sollte man nicht, wenn man auch glaubt, daß das Leben mehr der Leiden als der Freuden biete, die letzteren wenigstens möglichst zu genießen suchen, allerdings mit dem Gedanken, sie sind das Höchste nicht und – ›gut ist der Schlaf, der Tod ist besser, das Beste wäre nie geboren sein‹.« Derart suchte der Achtzehnjährige seinen Kompaß einzustellen.

Als Aktiva in der Lebensbilanz werden jedesmal – neue Anzüge gebucht. »Vormittag meinen sehr patenten Paletot (dunkelblau, kurz, sackförmig) bekommen.« »Weihnachten 93: Paletot mit Atlas.« Und als er einmal, im Jahre 1887, von guten Bekannten wegen eines neuen Mantels, der zu eng ausgefallen war, gehänselt worden, schreibt er: »Mich hat die ganze Geschichte, der Grund ist ja schließlich noch geringfügig, furchtbar aufgeregt; und ehe ich einschlief, ging mir noch viel durch den Kopf, daß mein Leben verfehlt sei, daß alles eitel und falsch und treulos wäre, und daß das Einzigste, was ich hätte, noch meine gute Mutter sei.« Der Anlaß findet später wieder Erwähnung, und von neuem spricht der alte Groll, ja, ein Versöhnungsversuch, an dem es nicht fehlte, scheitert.

Hatte Poppenberg schon als Schüler vieles, was sonst späteren Jahren vorbehalten bleibt, vorweggenommen, so vermochten die ausschließlich in Berlin verbrachten Studienjahre in seiner Lebensführung keine wesentliche Änderung herbeizuführen. Der Friedrichstraßenbummel bleibt an der Tagesordnung, wenn sich auch zeitweise bessere Empfindung dagegen zur Wehr setzt; aufflammende Neigung schützt nie vor Neigungen. Im letzten Schuljahr aber und in der angehenden Studienzeit sieht sich Poppenberg in Leidenschaft zu einer erheblich älteren Frau verstrickt; sein Empfindungsleben wird aufgepeitscht, sein übertriebenes Selbstgefühl mißhandelt, er leidet; zu starkem Gefühlsaufschwung aber kommt es bei dem allen nicht.

Trotzdem Poppenberg damals in Heinz Tovote, dem frühverstorbenen Julius Petri, in Arthur Eloesser, Max Osborn, Walter Paetow gute Kameraden gefunden, leidet – offenbar unter dem Druck dieses Liebeserlebnisses – sein Verhältnis zu den Menschen. Bemerkungen wie: »Ach, ich mach mir überhaupt aus keinem Menschen was, schade, daß man so viele so nötig braucht«, kehren in ähnlicher Fassung wieder und finden 1894 die eigenartige Ergänzung: »Am praktischsten, wenn man mit Leuten zusammen ist, mit denen man gar keine Berührungspunkte hat. Überhaupt immer neue Leute. Das erstemal, vor allem mit Frauen und Mädchen, unterhält man sich famos, das zweite Mal ödet man sich schon.« Bemerkenswert tappende Anfänge eines, der sich doch später im gesellschaftlichen Leben sehr flott und sicher zu behaupten wußte. Der freilich immer und für alle Zeiten an dem Prinzip einer Unterhaltungskunst »über nichts« (jedes »Thema« als solches schien verpönt) festgehalten.

Sein eigentliches Studium hat Poppenberg – er teilte dies Schicksal mit fast all seinen Studiengenossen – sehr eng angelegt. Rechte Beeinflussung hat er wohl nur von Erich Schmidt erfahren. In der Wahl seiner Doktorarbeit aber zeigte sich bereits die Hinneigung zur Gefühlsanalyse. Er schrieb über »Zacharias Werner und die Romantik«. Am 4. Mai 1893 bestand er bei der Berliner philosophischen Fakultät sein Rigorosum und erhielt das Prädikat cum laude.

Schon als Student hatte er, zum Teil unter Paul Schlenthers guter Vermittlung, Aufsätze in Zeitungen veröffentlicht. Solcherart erschien als erste gedruckte Arbeit und wurde demgemäß gebührend in den Tagebüchern gefeiert: »Hermann Allmers, zum 70. Geburtstag« (11. Febr. 1891 im Deutschen Tageblatt).

Persönliche Bekanntschaft mit Otto Neumann Hofer führte zu redaktioneller Tätigkeit beim »Magazin für Literatur des In- und Auslandes« und bei der »Romanweit«. Der »Romanwelt« ist Poppenberg noch ein paar Jahre lang, auch nachdem sie aus dem Gottaschen Verlage ausgeschieden und Neumann Hofer nicht mehr unterstellt war, treu geblieben. Nachher hat Poppenberg sich in freier schriftstellerischer Tätigkeit, die aber doch ausschließlich auf das Essay beschränkt blieb, behauptet. Pflegte in seiner Art zu sagen: »Das Unsichere ist noch das einzig Sichere in unserem Berufe«, und meinte damit, daß nur auf die eigene Feder Verlaß sei.

 

III.

Es lastete ein Druck auf dieser Jugend, von dem freilich auch die vertrautesten Freunde kaum etwas wußten. Von gewissen Dingen sprach Poppenberg nur seinen Tagebüchern. Es war ihm von früh auf – sehr im Sinne dieser Zeit des kaiserlichen Deutschlands – Ehrgeiz, verbissener Selbsterhaltungstrieb: in allen Lebenslagen »Haltung« zu wahren.

Poppenberg litt unter der Eigenart seiner Familien Verhältnisse. Diese ganz dumme Empfindung, unter den standesamtlich gebuchten Bürgern nicht mitzuzählen, nagte an ihm.

Bei gewissen Gelegenheiten, schon während der Schulzeit, pochte dieser Kummer, der zugleich Furcht vor bevorstehenden Kränkungen war, mit der Unerbittlichkeit des sehr pünktlichen Gläubigers an die Tür. Vor Ausstellung des Einjährigenzeugnisses hatte er den betreffenden Lehrer selbst aufzusuchen und ihm Mitteilung zu machen und wurde mit den Worten beruhigt: »das kommt ja öfters vor.« Bei Erlangung des Abiturientenzeugnisses wiederholte sich derselbe Vorgang und wurde peinlicher. Der Direktor versicherte, es würde schon »weise« gemacht werden. In dem Tagebuch aber stehen an dieser Stelle die Worte: »Ich glaube doch, daß alles vergeblich ist, denn wenn ich so an den Pranger gestellt werden sollte, dann fallen mir wieder die alten Gedanken von einem schnellen Ende ein. Alles ist eitel, und von meiner Zukunft verspreche ich mir eigentlich nicht viel,« – Worte, die den Schleier von tapfer gehütetem Geheimnis reißen.

Über dieser Jugend lag ein Druck, weit über die Besorgnisse um bürgerliche Gleichstellung hinaus.

Es ist in diesen Tagebüchern ein immer wiederkehrendes Sichwägen, mit der verbissenen Bereitschaft, die Wage, wenns not tut, ein für allemal umzustoßen. Der Zwanzigjährige schreibt nieder: »Ich bin einmal wieder in sehr trüber Gemütsverfassung, so unbefriedigt mit mir, so verfehlt scheint mir alles zu sein. Und nichts kann mich heilen, von der Liebe erwarte ich nichts, von der Zukunft auch nicht, glauben kann ich nicht; ach, in meinem Innern sieht es öde und traurig aus, was hilft alles Ringen und Streben, Unvollkommenheit überall und besser wird es nie werden.« Das Nichtglaubenkönnen wird auch an anderer Stelle betont; und dekretiert: »Nach dem Tode ist es eben aus.«

Die Geldmisere, unter der der junge Student trotz Unterrichtsstunden, die er erteilte, recht fühlbar litt, trug auch das Ihre dazu bei. Im Jahre 1890 heißt es einmal: »Wenn ich Geld hätte, ginge es ja noch, das hilft über manches, aber so: In peccatis me concepit mater mea – Keine Mittel, um so zu leben, wie ich möchte. Völliger Verlust des Glaubens an eigene Leistungsfähigkeit. Unerquicklichkeiten hier und dort, das einzige, was mich noch etwas herausreißt, ist die anregende Lektüre, die mir die Königliche Bibliothek gibt, und manchmal eine Stunde in N. N.'s Armen, doch muß ich dies auch mit Leiden, die ich so häufig um sie erdulde, erkaufen.« Aus dem Holze derer, die irdische Güter gering zu veranschlagen vermögen, war Poppenberg nun freilich nicht geschlagen. Seine Natur verlangte nach reicherer Entfaltung, sein Leben nach Schmuck.

Ganz geläufig wird es ihm, sich zum eigenen Nachteil mit anderen zu vergleichen. Einmal sogar mit irgend einem völlig Gleichgültigen, der aber eine Säbelmensur wacker ausgefochten hat. »Auch hier regte sich der Neid. Er ist ein richtiger Mann mit männlicher Kraft, festem Wollen und Selbstbewußtsein, und ich ein jämmerlicher Schwächling, schwankend, haltlos, ohne Zutrauen zu mir selbst.« Auf geistigem Gebiete gilt das Gleiche, und naturgemäß mit erhöhtem Nachdruck. Von dem jung verstorbenen Julius Petri: »Er hat einen Roman geschrieben ›Pater peccavi‹, tüchtiger Mensch. Und ich – alles halb.«

Hinter einem letzten, oft genug bereits angepackten Vorhang, der Entschluß: ein Ende machen. Der Sechzehnjährige schreibt: »Ich habe die feste Absicht, wenn ich nicht versetzt werde, meinem Leben ein Ende zu machen.« Vor gewissen äußeren Entscheidungen, dem Abiturienten- dem Doktor-Examen kehrt das mit peinlicher Regelmäßigkeit wieder. Vor dem Schulabschluß: »Schwer würde mir wahrlich der Abschied vom Leben werden, seitdem ich es in so blühender Gestalt mir habe verheißungsvoll und ach so süß winken und locken gesehen …« »Ich muß leben, ich kann noch nicht sterben, es muß und wird gehen, ich will es, ich will noch leben und küssen und genießen, fort mit der Resignation und en avant. Pour ma dame!« Wie charakteristisch und wie zukunftbestimmend!

Die Schulnöte, an denen es auch in den oberen Klassen nicht fehlte (es haperte namentlich im Lateinischen und Griechischen), rechtfertigten derartige Entschlossenheit in keiner Weise. Sie ist nur kennzeichnend für den schweren Druck, den jede Entscheidung auf dies doch sehr zarte Gemütsleben übte. So heißt es auch im Rückblick auf das Doktorexamen: »In der Zeit vor dem Examen fiel ich natürlich aus einer Stimmung in die andere. Trübsinn, Ausgelassenheit, scheinbare selbsteingeredete Gleichgültigkeit, dazwischen schreckliche Büffelei. Immer wieder durchgekaut. Heautontimoroumenie höchsten Grades.«

Man könnte das alles für wenig bedeutsame Stimmungsanwandlungen der Entwicklungsjahre halten, zeigten die Tagebücher nicht in so erschreckender Weise, wie sich der Blick des Heranwachsenden an jeden Fall von Selbstmord in seiner Umgebung heftet und darüber starr wird. Selbst als die Nachricht vom Selbstmord des österreichischen Kaisersohnes eintrifft, wird sie, sehr entgegen sonstigen Gepflogenheiten, festgehalten: »Kronprinz Rudolf von Österreich hat sich erschossen. – Schien ihm sein Leben auch verfehlt?« Irgendein Bekannter, der unheilbarer Krankheit wegen ins Wasser gegangen, wird bemitleidet, sein Entschluß aber erscheint gerechtfertigt. Unter dem Datum des 20. Oktobers 1887 heißt es: »Was wird einmal aus mir werden; in düsteren Stunden beschleicht mich oft die trübe Ahnung, entweder ich ende im Wahnsinn oder im Selbstmord. Manchmal glaube ich auch ein Genie zu sein, es geht doch nichts über Selbstüberschätzung.«

Der Druck, der auf dieser Jugend lastete, erhielt auch aus dem Schicksal des Vaters belastendes Gewicht. Der war in jugendlichem Alter und in Geistesumnachtung gestorben.

Ganz selten kommt in den Tagebüchern neben solchen Zeugnissen selbstquälerischen Trübsinns ein Jubel der Lebensfreude zum Ausdruck, und es ist als wundere sich der junge Doktor der Philosophie über sich selber, wenn er im Sommer 1893 im Forsthaus Sebnitz, wo er seinen Ferienaufenthalt genommen hatte, notiert: »Wälze mich auf dem Rasen umher und tummele mich wie der selige Werther kinderfroh mit ein paar kleinen Mädchen herum. Glauben würde es keiner. Mit Jungen tät ichs allerdings kaum. Den mitgebrachten Büchern gegenüber noch sehr platonisch.« Das aber nur ein Lichtblick aus doch sehr dunklen, feindlich geballten Wolken.

Und in so trüber Lebensrechnung als Aktivposten ein neuer Anzug, ein auf Atlas gearbeiteter Überzieher? Doch freilich. Nur muß es damit wohl seine besondere Bewandtnis gehabt haben.

 

IV.

Als Kind pflegte Felix Poppenberg oft und sehr lange vor den Auslagen der Herrenschneidergeschäfte zu stehen. Als junger Doktor der Philosophie hat er sich zunächst ein Monokel zugelegt.

Seine Begabung, der es an Scharfblick nicht fehlte, drängte durchaus auf Phantasiebetätigung. Phantasie war nicht nur die herrschende seiner Fähigkeiten, sie bestimmte auch sein Denken, sein Empfinden, seine Lebensführung. Nur war seine Phantasiebegabung sehr eigenartiger Natur.

Sie war frühzeitig literarisch gebunden, sie bedurfte vielleicht überhaupt, sich fröhlicher zu bewegen, der literarischen Anregung. Sehr bezeichnend ist dafür ein Traum, den der Achtzehnjährige in sein Tagebuch einzeichnet: Kerkertüren tun sich vor ihm auf, er erblickt auf Stroh gelagert Fausts Gretchen, er steht und starrt, nähert sich, küßt endlich »das holde geisterhaft blasse Gesicht.« Ein Traumerlebnis also, das aus dem literarisch Übernommenen auf eigene erotische Anwandlungen zielt.

Aber es ist nicht minder charakteristisch, wenn sehr viel später eine dichterische Gestalt wie Arthur Schnitzlers Herr von Sala aus dem »Einsamen Weg« eine geradezu ungeheuerliche Gewalt auf den völlig Gereiften ausübt. In allen Aufsätzen Poppenbergs aus bestimmter Zeit ist er wieder und wieder genannt. Er wird darüber hinaus – zumal in der Erscheinungsform, in der ihn Bassermann verkörperte – zu einer Art Ideal der Lebensführung.

Poppenbergs Phantasie bedurfte der literarischen Anregung, – er sah sich deshalb von vornherein auf die Essayistik verwiesen. Wohl steht in den Tagebüchern einmal die Klage: »Schreibe immer noch ›über‹ und habe immer noch den Plagewunsch ›was‹ zu schreiben«, wohl hat er sich als junger Student an einem, offenbar nicht über die Anfänge hinaus gediehenen Roman versucht, im Grunde aber ist er von allem Beginn an mit großer Sicherheit den von seiner Naturanlage bedingten Weg geschritten.

Aus der literarischen Anregung blühte die eigene Phantasie ihm auf. Gestalten der Dichtung und in erhöhtem Maße die Persönlichkeiten derer, die sie ins Leben gerufen hatten, bemächtigten sich seiner Einbildungskraft in stärkerem Maße als Wirklichkeitspassanten. Er war nicht der Mensch, aus der Natur und ihren Gegebenheiten heraus zu schaffen. Er wurzelte in der Kultur. Er bedurfte bestellten Ackers. Im Bild auf feingeschliffenem Spiegel war ihm das Leben, das seine Phantasie in Tätigkeit setzte, aber auch sein Gemüt bewegte, seinen außerordentlichen psychologischen Fähigkeiten Spieltrieb lieh.

Und nun – das erscheint freilich wie ein Widerspruch und ist doch keiner: diese auf mittelbare Anregung angewiesene Phantasie war durchaus auf die Wirklichkeit und ihre Güter eingestellt.

Wir gewinnen jetzt klaren Einblick in die Zeit vor dem Kriege. Sie stand doch sehr tief im Schatten Bismarcks und unter dem Machtgebot. Was sich durchsetzte, galt für berufen. Der Erfolg entschied. Die Klasse wurde höher gewertet als die menschliche Persönlichkeit, – die sog sich voll Klassenbewußtsein. Schon dem Wort »Ideal« haftete ein fragwürdiger Beigeschmack an. Die Arbeit ging auf Lohn und verzinste sich in Genuß.

Auf Lebensgenuß war auch Felix Poppenberg – aus Instinkt, wie in bewußter Willensrichtung ganz Kind seiner Zeit – durchaus gerichtet.

Seine nicht ephemere Bedeutung liegt darin, daß er daran mitgearbeitet hat, den Lebensgenuß harmonisch und künstlerisch zu gestalten.

In jungen Jahren hat sich Felix Poppenberg wohl über das Mißverhältnis zwischen seiner Geburt und seiner pekuniären Lage einerseits, seinen gesellschaftlichen Ansprüchen und seinem Bedürfnis nach großzügiger Lebensführung andererseits beklagt. Er hätte dafür dankbar sein dürfen! Dem Besitzenden gilt Reichtum gering, dem Vornehmen ist gesellige Bildung selbstverständlich. Er, den nur mühsame Selbsterziehung dahin führte, wohin sich andere durch ihre Kinderstube gestellt sehen, erblickte all diese Dinge farbiger, leuchtender. So kam es, daß er die Wertschätzung der Äußerlichkeiten übertrieb. Nun wohl; eben darin liegt seine Bedeutung. Nur der Übertreibende überzeugt.

Es scheint doch sehr charakteristisch, daß er in jungen Jahren, bewußt oder unbewußt, seinen Verkehr mit Vorliebe unter Offizieren und Assessoren suchte, auch später neben seinem eigentlichen Freundeskreise derartige Beziehungen pflegte. Er brauchte das Bewußtsein, einrangiert zu sein, und es war doch eben der Bismarcksche Beamten- und Klassenstaat, in dem er lebte.

Mit den Gütern, die das Leben schmücken – nun aber freilich auch mit den seelischen – spielte seine Phantasie. Wie ein Springbrunnen, der farbige Steine hebt und in harmonischem Wechselspiel herabrieseln läßt. Zu Lebensmöglichkeiten wurden sie ihm.

Das scheint die letzte Eigenart dieser reichen Einbildungskraft: in jedes Ding die würdige Verwendungsart hineinträumen. Im toten Schmuck den Besitzer ins Leben rufen.

Von früh auf – und er hielt an der Gewohnheit fest – hatte er sich viele Kassen, eine jede besonderer Verwendung vorbehalten, eingerichtet, auf die er seine Einkünfte verteilte. Das scheint pedantisch, wie er denn wirklich auch ein besonnener Rechner war. In Wahrheit entsprach es nur der Eigenart dieser spielenden, auf Lebenswirklichkeiten gerichteten Phantasie. Jede dieser Kassen wurde ihm in ihrem zunehmenden Bestand zum Schlüssel irgendwelchen spanischen Schlosses.

Es gibt auch ein Theater der Wirklichkeit, und niemand kann sich seiner Rolle versagen. Ihn aber reizte es, sich vielen Rollen gerecht zu wissen.

Stand Felix Poppenberg als Kind vor den Auslagen der Herrenschneider, so wurden ihm die Anzüge, die er da ausgestellt fand, zu gesellschaftlichen Möglichkeiten. Und er blieb derselbe, heranwachsend, alternd. Nun durfte er die Hand auf diese Dinge legen. Und es war ihm Bedürfnis, sich für alle erdenkbaren Lagen ausgerüstet zu wissen.

Kraft des Monokels nahm er nach dem Doktorexamen von seiner gesellschaftlichen Stellung Besitz. Der Regierungsassessor war damals noch Vorbild. Es durfte in dieser spätbismarckschen Zeit nicht anders sein.

Poppenberg hat nie geritten, aber er ließ sich Breeches machen. Es war das sein Reiten.

 

V.

»Ich bin unglücklich, wenn ich nicht mit Weibern verkehren kann, es ist merkwürdig«, gesteht sich der Achtzehnjährige in seinem Tagebuch. Und ein Jahr später: »Ich will nicht besser sein als meine Zeit und werde doch nicht etwa an Verloben oder so etwas ähnliches denken. Nun gar erst heiraten.

»Ich würde doch nie dabei glücklich werden, ich finde ja nicht einmal ein männliches Wesen, das meine Gedanken und Gefühle teilt, mich überhaupt versteht, um wieviel weniger ein Weib.

»Nichts schrecklicheres kann ich mir aber denken, als an eine Frau gefesselt zu sein, die einen nicht versteht und Tag für Tag mit ihr zuzubringen. Da muß man ja wahnsinnig werden.

»Dagegen die Mußestunden mit hübschen Mädchen zu vertändeln, ist ganz nett, aber zu Ernsterem – – Zum Küssen und Genießen und den Pessimismus zu nähren, sind sie prächtig –

»Doch was räsonniere ich, ich halte zwar sehr, sehr wenig vom Weibe, möchte aber doch nicht ohne Verkehr mit ihnen leben. Jedoch – delectat variatio!«

»Ich will nicht besser sein als meine Zeit …«; es ist als hätte Poppenberg geahnt, wie sehr er berufen war, deren Ausdruck zu werden.

Poppenberg hat viel Frauen geliebt, manche wahllos, hat andern, Glück findend, reiches Glück gegeben, – was sie ihm waren? – ein Phantasieerlebnis.

Es hieße diese Friedrichstraßenbummel des Knaben und Studenten völlig falsch einschätzen, wollte man sittlichen Niedergang darin sehen. Man könnte sie eher als sentimentale Ausflüge eines, der auszog, sein Phantasiereich zu finden, bezeichnen. Warf nicht jedes dieser Mädchen den Schatten der »großen Liebe«? Zumeist auch blieb es bei Unterhaltungen, in denen man sich, gerade weil es vielfach kein Wiedersehen gab, mit blinder Offenheit aussprechen konnte. In jeder war das Rätsel, oder doch ein Teil davon. Bei jeder lockte es, das Wort, auf das sie hörte, zu finden.

Zeitlebens sind Poppenberg die Frauen Phantasieerlebnis geblieben. Das eben machte ihn zum idealen Liebhaber: dies Sichhineindenken in die Seele der Frau; das Erraten ihrer Wünsche, um ihnen zuvorzukommen, ehe sie ausgesprochen wurden; eine Nervenzärtlichkeit, die auch nervösen Erregungen gegenüber standhielt.

Die ihn mit Frauen der Halbwelt zusammengesehen haben, erzählen, daß er sie wie Damen der Gesellschaft behandelte. Er war ein Fanatiker der Ritterlichkeit.

Es war ein eigenartiger Typ brünetter Frauen, der seinem Wesen entsprach. Die wenigen, die er wirklich geliebt, gehörten ausnahmelos diesem Typus an. Sprach man aber mit ihm über Frauen, so stellte er das lebhaft in Abrede und pries mit Überzeugung die ganz anders Gearteten. Gerade weil die ihm wesensfremd waren, das Rätsel rätselhafter schien? Ich denke. Das Phantasieerlebnis entschied.

Sehr bezeichnend bleibt eine Tagebuchaufzeichnung aus dem Jahre 1888, in der er sich darüber Rechenschaft ablegte, daß er irgendeine Kellnerin, die er nach Hause begleitet hatte, beim Abschiednehmen nicht um einen Kuß bat. Recht habe er daran getan, weil dies viel tieferen Eindruck machen müsse. – Dieser sehr Gewandte und Erfahrene war zugleich ein Don Quichote der Liebe.

Mit Überzeugung bekannte er sich zu Casanovas Wort, daß es die Neugier sei, die den Mann von einer Frau zur anderen treibe: Neugier nannte er, seiner selbst unbewußt, diese immer wache Phantasie in ihm. Aber auch der Ausspruch jenes Göttinger Meyers aus dem 18. Jahrhundert entsprach ihm: »Man darf um einer einzigen willen nicht dem ganzen Geschlecht untreu werden«.

Und er war dennoch treu.

Bande, die zum Herzen gingen, hat Poppenberg immer nur dann gelöst, wenn sie seiner Freiheit übergefährlich wurden. Sich freifühlen war für ihn höchstes Gebot innerer Notwendigkeiten. Seine Freiheit zu wahren, konnte der höchst Ritterliche seelisch brutal werden. Was da in ihm vorging? Ich glaube, man könnte von einem Widerstreit verschiedener Phantasietendenzen in ihm reden. Denn auch den Begriff der Freiheit hatte ihm Phantasie auf den Thron erhoben.

Oder vielmehr, es war für ihn kein Begriff geblieben. Es bedeutete spätes Aufstehen und sehr sorgfältiges und geruhsames Sichanziehn; gemessene und ungestörte Arbeit; kunstvolle Gegenstände betrachtsam in die Hand nehmen; ein Ausgehen, wohin der Zufall führte; Anknüpfen spielender Beziehungen, die zu nichts verpflichteten; reisen. Sehr oft traten die Reisen, die er geplant hatte und von denen er unter keinen Umständen ließ, hart trennend in die Honigmonde mit einer Frau. Und Liebe hatte sich zu bescheiden.

Der solche Anforderungen stellte, hatte freilich auch mehr als andere zu bieten.

Sein Sinnenleben unterlag den feinsten Schwingungen. Er hat mir einmal gestanden, daß es ihm physisch unmöglich sei, alten Straßenbettlerinnen ein Almosen zu geben. Sich der Frau in ihrer Erniedrigung nähern, – nein, das ging nicht an. Und etwa eine welke Hand berühren?

 

VI.

Alljährlich hat Felix Poppenberg eine seiner großen Reisen angetreten. Sie führten ihn nach Schweden und Norwegen, nach England, Holland, Belgien, wiederholt nach Paris, auch in dem Jahr der Weltausstellung, nach Spanien, mehrfach nach Italien, nach Algier, Konstantinopel und Griechenland, eine letzte Fahrt, von der er krank heimkehrte, nach Ägypten. Von allen diesen Reisen hat er in fein ziselierten Beschreibungen Bericht gegeben.

Was dabei auffällt: für die Landschaft in ihrer organischen Struktur verrät er nirgends Verständnis. Sie besteht, soweit sie Stimmungen vermittelt. An der Geschichte der Länder, die er durchreist, geht Poppenberg bewußt ablehnend vorüber. Die Gegenwart und ihr Bild entscheidet. Nur ein einzigesmal wird ein Vergänglichkeitsgefühl heraufbeschworen, aber in ganz eigener Art: der Reisende besucht in Palermo vor der Porta Nuova die Stadt der Toten und blickt den Leichen auf ihre »gelben Schrumpelhäute« und in die Augenhöhlen. Eine verwandte Stimmungsanwandlung führt in dem norwegischen Bergen in das Altersasyl.

Wie man ein Bilderbuch durchblättert, so dieser Reisende. Nur in ihrem farbigen Widerspiel gelten Landschaften, Städte, Menschen; keine Frage forscht nach ihrem Schicksal. Nur sich selbst lebt der Betrachter. Wie ein Hungriger, der seiner Phantasie neue Eindrücke sucht.

Weil Poppenberg durchaus nicht begrifflich dachte, war es ihm innerer Zwang, sich alles in lebendige Anschauung umzusetzen. Weil seine Phantasie nicht aus sich schöpferisch wurde, bedurfte sie dauernd der Zufuhr aus der Wirklichkeit.

Dies Reisen ist ein bildhaftes Ansichreißen. Man wende sich einen Augenblick den Vergleichen zu, deren sich Poppenberg in seinen Reiseschilderungen bedient: immer wird Großes, Lebendiges schmächtigem Toten angenähert. Nun sind Marmormosaiken wie Stickereien; Architekturvignetten wie Buchschmuck; Kamele wandeln wie auf Tennissohlen; Bergbänder erinnern an Moirée antique; der Petersplatz in Rom hat Kupferstichstimmung; die große Papstmesse ruft Gedanken an Reinhardtsche Inszenierungen wach; Tiefseemedusen gleichen Tiffanygläsern; die Alhambra mutet wie Koranseiten an. Die fremde Wirklichkeit ist dazu da, in diese ganz moderne und einseitige und – gestehen wir offen: enge Anschauungswelt des aesthetischen Liebhabers hineingepreßt zu werden.

In solcher Enge aber zugleich ein Zug persönlicher Größe: die selbstherrliche Geste, mit der alles, dieses eine Ich nichts Angehende beiseite geschoben wird; die völlige Klarheit darüber, wie weit das eigene Verständnis reicht; Nichtachtung alles Herkömmlichen; bewußter Selbstkult.

Scheint uns das heute bereits fern zu liegen: es war ein Ausdruck jener Zeit, und wird in ihr im Gedächtnis bleiben.

Auf rückhaltlose Ehrlichkeit gründet sich alles in Poppenbergs Werk. Die Kolossallinien nordischer Landschaft, das allzugroß Stilisierte, diese Riesenmonotonie lehnt er für sein Naturempfinden ab. »Nicht von den Freskoszenen der Natur, sondern von dem paysage intime gilt's, daß es eine Seelenstimmung ist.« Ja freilich; soweit er seine Seele befragte und sie ihm Antwort gab.

Daß seine Phantasie der literarischen Anregung bedurfte, tritt auch in dem Wesen des Reisenden zutage. Schon von dem Schüler, der seine Natureindrücke aufzeichnete, wird eine Landschaft im Umkreis der Cossebaude auf die Stimmung des Faustmonologs »Erhabener Geist, du gabst mir, gabst mir alles –« getauft, ein anderer Fernblick führt zur Variation eines Scheffelschen Scholarensanges. Aber auch noch spät wird Tunis unter den beiden literarischen Begriffen »Tausend und eine Nacht« und »Madame Bovary« einregistriert. Man kann nicht von einer Weltanschauung bei Felix Poppenberg reden: sein Weltbild aber war ihm aus persönlichen Erlebnissen, aus Reiseeindrücken, aus literarischen Anregungen ganz einheitlich erwachsen. Diese Einheitlichkeit schuf ein geläuterter und ganz persönlicher künstlerischer Geschmack.

Die einmal angeregte Phantasie arbeitete in dem Reisenden mit ungewöhnlicher Stärke. Ein Beispiel für viele: ein ungeheurer und zu der Höhe des Hauses unverhältnismäßiger Turm in Brügge wird als »Hybris« empfunden.

Ein Bilderbuch voll starken Farbenausdrucks und mit Einzelheiten intimer künstlerischer Griffelzeichnung erwuchs aus diesen Reisen – bedeutungsvoller vielleicht für den Autor als für den Leser –, doch war das nicht das Letzte. Wenn dieser Reisende das »divin imprévu« einer Stadt preist, wenn ihn, wie mehrfach geschieht, bei einem Anblick das Gefühl der Unwirklichkeit überkommt, dann erst ist der seelische Zweck der Reise voll erfüllt. Dann ist es nicht mehr er, der mit seiner Phantasie spielt – sie hält ihn im Bann. Dann öffnete sich der Zugang zu allen Lebensmöglichkeiten. Dann bestand das so oft absichtlich zerrissene Band zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem und dehnte sich leuchtend. Dann fiel der Bann dieser Zeit von ihm ab, die er so sehr in sich verkörperte, und unter der er, freilich ohne darum zu wissen, mehr als andere litt.

 

VII.

»Um anzuschauen«: das Motto steht recht eigentlich über allen Poppenbergschen Reisebeschreibungen, es kehrt in bewußter Rechtfertigung der eigenen Art in den kunstgewerblichen Schriften, den geschlossensten, die er überhaupt gegeben, der »Buchkunst« und »Das lebendige Kleid« wieder. Nur daß hier zu der Anschauungsvermittlung doch ein ausgesprochener erzieherischer Wille tritt.

Wollte man aus Poppenbergs Persönlichkeit, den verwöhnten Neigungen dieser doch zarten Seele, diesem ungebundenen Genießertum ein Bild seiner kunstgewerblichen Anschauungen herleiten, so gelangte man etwa zu dem entgegengesetzten Standpunkt von dem, den er in Wirklichkeit vertrat. Aber erst in den Widersprüchen gibt sich reicheres Menschentum. Auch hatte Poppenberg die von den englischen Praeraphaeliten ins Leben gerufene Bewegung doch recht innerlich an sich nacherfahren; hatte an ihr gelernt; war gleichsam mit Herz und Sinnen der »Brüderschaft« beigetreten.

Nun wird das Zweckdienliche im Kunstgewerbe zum obersten Gesetz erhoben. Die Gegenstände sollen ihren Zweck an der Stirn tragen, organisches Gewachsensein wird gefordert. Die Bescheidenheit der Natur wird als Lehrmeisterin beschieden, sogar das rousseauische Ideal, den Dingen keine Fremdformen aufzubürden, wird beschworen. Äußerste Ehrlichkeit steht warnend über der Pforte. Das Haus als solches schmiege sich, als aus ihr geboren, in die Landschaft ein. Im Buchgewerbe entscheide die dekorative Einheit des Flächenbildes, die »Illustration« bleibt verpönt. Und eben im Hinblick auf das Kunstgewerbe macht sich Poppenberg den ihm sonst so persönlichkeitsfremden Satz des Angelus Silesius zu eigen: »Mensch, werde wesentlich!«

Aus einer Enthaltsamkeit heraus, die beinahe mönchisch anmutet, und im Dienst einer Linienführung, die, scheint es, der spielenden Phantasie ihr Feld doch enger absteckte, als eben notwendig sein mag, hat Poppenberg diese Grundsätze mit einer ihm sonst fremden Leidenschaftlichkeit, mit Bekennertum verfochten. Auch hier die Kraft der Übertreibung.

Und das alles nur, weil es aus England so überkommen war –?

In der »Buchkunst« wird einmal auf den »Lebenszusammenhang« zwischen Büchern und Menschen hingewiesen, und dieser Lebenszusammenhang bestand für Poppenberg in voller Phantasiestärke für das gesamte Kunstgewerbe. Man entsinnt sich aber dieser geheimen Zuneigung Poppenbergs zu den Korrekten; wie er Verkehr mit Assessoren und Offizieren suchte; wie er auch darin Kind der bismarckschen Zeit. Und man fragt sich, ob da nicht eine geheime Verbindung bestehe und ob diese kunstgewerblich rigorosen Anschauungen nicht aus dem Wesen des norddeutschen korrekten Menschen – der Poppenberg gewiß nicht war, in dem er aber immer etwas wie ein Vorbild sah – hergeleitet worden seien?

Wäre dem so, so würde sich der Eindruck nur erneut verstärken, daß in Poppenberg das Wunschleben dieser Zeit vor dem Kriege sehr ungehemmt und unverschleiert zum Ausdruck gekommen und daß eben darin seine Bedeutung zu suchen sei.

Auch verrät Poppenberg gelegentlich die andere Natur in ihm selber, die des zärtlichen Nervenmenschen. So wenn er in der »Buchkunst« sagt: »Der Einwand der Konsequenten, daß die kräftige Holzschnittwirkung mit der Schwarzweißstimmung der Typen am besten zusammengeht und daß die Verbindung dieser Faktoren in den Büchern der Frührenaissance unübertroffen bleibt, besteht freilich zu Recht. Trotzdem kann man an der bestechenden Eleganz der französischen Schmuckbücher aus den Zeiten der Ludwige große Freude haben.« Ein »trotzdem«, das er sich aus der Seele sprach. Und man beachte in den »Bibelots«, wie sich Poppenbergs Blick für den »literarischen Zug« der französischen Schmuckkünstler, der Lalique, Gallé, Jean Dampt, Carabin schärfte; wie er, der ja selber die literarische Anregung suchte, sich darin wiederfand; wie er in solcher, nicht eben organisch wesenhaften Schmuckkunst feinschmeckerisch schwelgte.

Auch ist es, als hielte sich Poppenbergs Phantasie, hier an so strenges Gesetz gebunden, in den kunstgewerblichen Schriften in anderer Weise schadlos. Sie blüht im Stil auf. Sie gewinnt Kraft, der Anschaulichkeit zu dienen. Sie strebt zu lebendigen Vergleichen. Wenn er von Vogelers Linienführung schreibt – »es scheint manchmal, daß Vogeler bei diesen Blättern das Bild eines üppig geblümten Rasens vorgeschwebt habe, auf dem exotische Vögel, Märchenpfauen und Goldfasane ihr Gefieder spreizen« – so ist etwas wie dichterisches Zumlebenrufen im Worte des Berichterstatters.

Wie auch hätte Poppenberg sich mit solcher Rolle zufrieden geben können? Geheimes Besitzergreifen ist in allem, was er über Kunstgewerbe geschrieben. Der im Erdgeschoß eines Gartenhauses in der Kantstraße drei niedrige Zimmer bewohnte, machte sich seelisch zum Herren der funkelnden Schätze in den Vitrinen, baute sich in Gedanken das Landhaus an der See, rüstete sich für die Weltenfahrt die eigene Yacht mit der Mahagonikabine aus.

Doch war es ihm auch ernstes Bestreben gewesen, den Zimmern, die nun einmal seine Häuslichkeit ausmachten, die ihm entsprechende künstlerische Einrichtung zu schaffen. In weiser Sparsamkeit brachte er das in jahrelanger Arbeit zustande. Nun umsäumte das halbhohe, dunkeleichene Regal mit der weichen, doch hervortretenden Kehlung die Wände des Arbeitszimmers, mit seltenen Stücken bestellt. Der Diplomatenschreibtisch stand frei vor dem Fenster. Ein paar sehr weiche Sessel luden den Besucher ein, und aus einer Ecke grüßte Lederers »Geigerin«.

Ich erinnere mich, einmal beim Betreten dieses Zimmers zu Poppenberg geäußert zu haben, daß er ja gar nicht so sehr viel Bücher da um sich habe. Er erhob in seiner Art strafend den Finger und sagte: »Hätte ich mehr, dann wäre ich ja nicht ein Mensch, sondern ein Germanist.«

 

VIII.

Ein Germanist nun freilich ist Poppenberg nicht gewesen. Nur hat er leider mit seiner gesamten Generation aus Erich Schmidts Vorlesungen und Seminar die Unterschätzung oder doch das Beiseiteschieben der Geschichte und Philosophie übernommen (auch das für die Zeit vor dem Kriege trüb-charakteristisch). Die Zeitbilder, die er in seinen Aufsätzen, und in gewissem Sinne in der Vollendung, gab, beruhten doch mehr auf Verwertung seiner Kenntnis des Kunstgewerblichen als in Erschließung historischer Zusammenhänge.

An zwei Stellen seiner »Bibelots« hat Poppenberg es selbst ausgesprochen, daß »das Leben immer interessanter als die Bücher« und daß »Menschen fischen der Reiz ist«. Es kommt ihm denn auch weniger auf eine ästhetische Wertung von Dichtwerken an – sehr im Gegensatz zum Kunstgewerblichen hat er einen ästhetischen Kanon für Werke der schönen Literatur nie besessen, nie anerkannt –, die Dichtung ist ihm Zeugnis des Seelenzustands dessen, der sie schuf, – den sucht er in seinem Werke, die Psychologie des Künstlers ist es, nach der er fragt, die er forschend erhellt; immer aber, mehr als dem eigentlich Künstlerischen im Schaffenden, dem rein Menschlichen zugewandt.

Zu einer Offenbarung des Menschentums in denen, die sich schöpferisch betätigten, ist Poppenberg die Literatur geworden. Nicht sowohl in den Stunden ihrer Weihe suchte er die Dichter, sondern wie sie sich Gleichgültigen gegenüber, Frauen liebend und meidend, in Alltagsnöten, im Zwiegespräch mit sich selber geoffenbart. Und in alledem ist es, als erhorchte er Antwort auf Fragen des eigenen Innern.

Man vergegenwärtige sich den Zustand der Literaturgeschichte, als Poppenberg zu schreiben begann. Eine kurze Zeit hindurch hatten sich politisch Interessierte ihrer bemächtigt, im wesentlichen war sie den Lehrern und Professoren Arbeitsgebiet geblieben. Deren Leistungen seien nicht verkleinert. Im wesentlichen aber war doch immer aus der Studierstube und aus engbürgerlicher Anschauung heraus geschrieben worden, und da der Dichter, schon durch sein Phantasieleben, diesen Sphären entwächst, waren nicht sowohl menschlich unzutreffende Urteile gefällt worden, nein, was schlimmer, es war – da die Hochschätzung vor dem Dichter als Rührmichnichtan bestand – ein allgemeines Blankwaschen im Schwange gewesen. Diese alten Porträtbüsten zeigten hier und dort bedenkliche dunkle Stellen, – die Bürste trat in Tätigkeit.

Poppenberg kannte das Leben, wie es wirklich ist, und wußte von den Beziehungen von Mann zu Frau. Das Ringen um die gesellschaftliche Geltung war ihm nicht fremd geblieben, an starken seelischen Konflikten und herber Selbstbezichtigung hatte es seiner Jugend nicht gefehlt. Dazu diese feinorganisierte Nerventätigkeit, die fremden Schmerz mitvibrierte, diese begierige Phantasie, die in Menschenfühlen hineinwebte. Manchmal überkommt einen die Empfindung, als sei er einer der ersten gewesen, der Dichterpsychologie für Erwachsene, nicht mehr für die gereifte Jugend, betrieben. Jedenfalls liegt hier ein Wert seines Werkes, den auch eine anders, sei es tiefer, gerichtete Zeit nicht ohne weiteres auslöschen wird.

Für ihn selbst bestanden keine Jenseitsfragen. Man lese aber in den »Bibelots« seinen Aufsatz »Christlicher Adel deutscher Nation«, und man wird sich überzeugen, welch zärtliches Verständnis der Ungläubige den zu Gott gerichteten Seelen entgegenbrachte.

Dabei diese Geste des Heranziehens an sich selber, die schon an dem Reisenden aufgefallen war. Poppenberg war ein ausgesprochener Gegenwartsmensch, die Vergangenheit bestand nur, soweit ihre leise Stimme sich den Tönen der Umwelt einzupassen vermochte. Deshalb kehrt bei ihm der Vergleich Dahingegangener mit Lebenden mit jener regelrechten Notwendigkeit wieder, mit der fremde Kostgänger Paß und Ausweis dem bestellten Türhüter weisen müssen. So wird Günther Verlaine, so Jean Paul Hermann Stehr, so Novalis Baudelaire, so Grabbe Frank Wedekind genähert. Dabei weist es diese Psychologie mit Fug weit von sich, in der Seelenkunde der Logik Gehör zu geben. Poppenberg verstand sich auf die Geheimnisse des Unbewußten.

Kein Literaraesthetiker nach Maß und Kanon, aber ein Mensch mit offenen Sinnen, dem sein erzogener Geschmack das Scheidungsmerkmal lieh. Ein Theaterkritiker mit Sinn für das Ungewöhnliche und Resonanz für Seelisches. Bei alledem mit dieser seltenen Gabe ausgerüstet, den Eindruck, der ihm selbst geworden, in gleichem, vielleicht in leuchtenderem Glanze weiterzugeben.

Damit rührt man an die Frage nach seinem eigenen Stil.

Es ist bekannt geworden, daß Erich Schmidt einem jungen Doktoranden an den Rand der Doktorarbeit an einer Stelle, die sich wohl in etwas gesuchten Wörtern und Wendungen erging, warnend: »Poppenberg!« geschrieben. Nicht abzuleugnen ist, daß Poppenberg, zumal in jüngeren Jahren und wo seine Menschheit nicht aufgerufen, sein ästhetisches Empfinden nicht voll angeregt war, sich jenem Euphuismus nähern konnte, der in dem Barock gedieh. Davon abgesehen, ist er aber ohne jeden Zweifel mit unter denen zu nennen, die den Essay in Deutschland auf künstlerische Höhe gehoben, – und dieser sind nicht allzu viele.

Poppenberg schrieb Schmuckstil. Er suchte das ungewöhnliche Wort, das fremdartige Beziehungen in sich trägt, er liebte, irrender Ritter der Phantasie, das Fremdwort, das zu anderen Kulturen und helleren Klimaten hinüberleitet. Er zirkelte die Sätze. Nicht überreich an Vergleichen, ist er bestrebt Ideenassoziationen anzubahnen. Dann wieder reißt er die Vorstellung durch ein ungewöhnliches Bild zu wachem Schauen auf. Er schrieb Schmuckstil, und wen dieser Reichtum nicht blendet, der muß sich sagen, daß tüftelnde Arbeit darauf verwendet ist. Man mag ihn mit jenem Goldschmied Emil Lettré vergleichen, von dem er ein so lebendiges Bild entworfen hat. Der organische Aufbau und das Wesenhafte ist Voraussetzung geblieben. Aber der Künstler greift zu köstlichen Steinen, sinnend, wo er sie anbringe, rührig, daß er ihnen erhöhte Leuchtkraft verleihe, und nicht mehr Natur in ihrer Bescheidenheit, sondern Freude am Festlichen wird Lehrmeisterin.

Ist auch in Poppenbergs Stil stellenweise ein gewisses Maß an Übertreibung, so wird das niemand wundernehmen, der um seine Herkunft weiß und wie mühsam er sich Geltung verschaffte. Auch war, scheint es, ein künstlicherer Stil nahezu Zeitgebot geworden, in Jahren, da es galt, einer weiteren Gemeinde in Deutschland den Sinn für die Kunstform der Prosaabhandlung zu erschließen.

Seiner Eigenart und der Übertreibungen zu denen sie neigte, war sich Poppenberg selbst sehr wohl bewußt. Ein seltenes Maß an Selbstironie zeichnete ihn aus. Und es bleibt unvergessen, daß er im ersten Kriegsjahr und unter dem Eindruck des großen Reinemachens, das vaterländische Überbegeisterung ins Werk setzte, melancholisch bemerkte, er sehe jetzt, daß es auch ohne Fremdwörter gehe.

Oder war diese Einsicht – natürlich nur auf ihn selbst und seine Art bezogen – vielleicht doch ein Irrtum? Setzte bereits das Schlagwerk zur Scheidestunde an?

 

IX.

Eine äußerst verschlossene Natur und noch darüber hinaus im zeitgenössischen Bann der »Haltung« hat doch auch Poppenberg das Bedürfnis empfunden, Bekenntnis abzulegen. Er tat es in seiner Art und scheinbar unpersönlich, indem er über den Dandy sprach, Bemerkungen zur Naturgeschichte des Junggesellen gab, Lieblingsgestalten wie Fürst Pückler, Burgsdorff, Alexander von Villers schilderte. Darin liegt die Bedeutung der »Maskenzüge«, zumal des ersten »Menschlichkeiten« überschriebenen Abschnitts. Er schrieb mir in das Buch die »Gebrauchsanweisung«: »Such unter Maskenzügen die fühlende Brust.«

So lesen wir mit offenen Augen:

Diese Phantasienatur predigt, nunmehr über sich selbst und ihre Art, auch über ihre Lebensmöglichkeiten im klaren, bewußt das Suchen nach Illusionen. Der Reiz des Unwirklichen wird betont.

Bei der Notwendigkeit des souveränen Freiheitsgefühls fällt auf die Leidenschaft ein skeptischer Blick, oder es begegnet ihr etwas wie besorgte Abwehr. Unglückliche Leidenschaft wäre schlimmster Absturz. Dieser Liebende liebt nur, wenn er Erwiderung begegnet; seine Moral ist »Haltung«; er zahlt mit Augenblicken, nie mit seiner ganzen Person.

Diese scheinbar trotzige, selbstherrliche Silhouette aber steht auf dunklem Grunde. Lauernde Stunden der Melancholie fordern Flucht in die Einsamkeit; gerade die Typen solcher souveränen Menschlichkeit gehören jener bestimmten Nervenrasse an, deren Fluch es ist, sich nach Stunden glänzender Außenentfaltung in ein ernüchtertes und gequältes Selbst zurückziehen zu müssen.

Auch taucht das Altersproblem auf. Von dem Liebenden hat Liebe Abschied genommen. Es gilt, in Einsamkeit nicht frösteln. Aus Erinnerungen und den wenigen Büchern, zu denen man zurückkehrt, muß ein Wall gegen das Leben errichtet werden, Reserven der Betrachtsamkeit sind aufzubieten, damit der horror vacui nicht Macht gewinne. Bei solcher Gelegenheit wird denn auch unter Hinweis auf Fürst Pückler das eigene Rezept, die leidigen Vormittage zu verschlafen, empfohlen.

So wird auch die Trennungslinie zwischen dem Geck und dem Dandy, zu dessen Gefolgschaft sich Poppenberg durchaus bekennt, gezogen: der Dandy hat die Pflicht zum Geist. Schnitzlers Herr von Sala gilt als Vorbild, König Eduard von England, gestern noch Flaneur, heute modernster Monarch, findet Anerkennung. Anmutige Lässigkeit im Tragen der Garderobe! Dekorativer Sinn! Auch ohne Luxus (wie schwer er immer zu entbehren sei) läßt sich ein Diogenesdasein führen, in Zurückgezogenheit im kleinen Gehäus »unter den Büchern und Erinnerungen der Reisen und den gelegentlichen Ausflügen zu den bunten Trugbildern der Welt.«

Soweit der Bekenner.

Ich aber sehe Poppenberg vor mir, wie ich ihn so oft bei Erstaufführungen im Parkett der Theater, durch ein paar Sitzreihen von ihm getrennt, begrüßen durfte: seine hohe und sehr schlanke Gestalt leicht vornübergebeugt, im gepflegten und schmiegsamen Abendanzug. Um die nicht eben regelmäßigen, gleichsam zusammengedrückten Züge das dichte graue Haar, das ihnen Ansehen verleiht. Mit schnellem und frechem Mienenspiel wurde da das Einverständnis über die Vorgänge auf der Bühne hergestellt.

Was sich der Knabe vor Schaufenstern gewünscht, war dem Mann in Erfüllung gegangen. Poppenberg ließ bei einem ersten englischen Schneider arbeiten, bei sorgsamer Behandlung der Garderobe und planmäßiger Voraussicht war das ohne Sprengung der »Kleiderkasse« zu ermöglichen. Sein Ideal verwirklichte er nur insofern nicht, als er doch den Wert, den er auf Anzug legte, schwer verhehlte. Seine Hand fuhr wohl schmeichelnd an die Krawatte und bestätigte den Sitz der Weste. Nur war eben auch Selbstironie in allen seinen Übertreibungen, und guter Geschmack wahrte die Würde.

Die Eierschalen einer bescheidenen Herkunft hatte er völlig abgestreift. In Gesellschaften bewegte er sich mit ungezwungener Freiheit. Er hatte diese Kunst der gleitenden und spielenden Unterhaltung, die Gegenstände aufgreift, eigenartig beleuchtet, fallen läßt, um sich neuen zuzuwenden, in der Vollendung in sich ausgebildet. Er unterhielt, ohne sich tyrannisch zum Mittelpunkt der Unterhaltung zu machen, regte die Einsilbigen an. Von Ängstlichkeit, die Form zu wahren, war keine Spur zurückgeblieben. Ich erinnere mich, wie er in Gesellschaft das Suchen des berüsselten Schweins nach der geschätzten Trüffel plastisch-mimisch zur Darstellung brachte, ohne darüber auch nur im geringsten an Haltung einzubüßen.

Er war in Wahrheit ein innerlich vornehmer Mensch. Es waren Schrullen, wenn er die Vornehmheit äußerlich übermäßig betonte.

Und es gab Abende, an denen dieser sehr Verschlossene nun doch in das, was ihn bewegte, Einblick gab – ohne freilich je von seinem Vater und dessen Schicksal zu reden. Gewisse Grenzen blieben auch dem Vertrautesten gezogen. Aber in diesen seltenen Feststunden nach dem Theater etwa bei Lutter und Wegener – er bereitete uns aus Sekt und Porter den Trank in der gemäßen, brünetten Mischung – lernte man ihn von einer Seite kennen, die er sonst sorgsam verbarg, der des Gemütes. Er, der die Berechtigung des Egoismus auch in seiner Lebensführung vertrat, war Freund seinen Freunden. Bis zu ernstem Mitsorgen. Wohl glitt die Unterhaltung oft auf Frauen hinüber, was er aber sagte, diente immer nur sie zu erhöhen, oder in anmutigerer Menschlichkeit zu zeigen. Seine Liebe, vielleicht sogar seine flüchtige Neigung, diente Frauen zum Piedestal.

Und immer ließ die Unterhaltung mit ihm die Welt in all ihren Phantasiereizen aufblühen. Gewiß, er haftete an realen Gütern. Die aber wurden ihm zu Schlüsseln zum Schloß an der Pforte der Lebensmöglichkeiten. Und hinter allen Lebensfragen stand ihm das eine Problem: der Mensch.

Worüber die Unterhaltung auch ging, er sprach Menschlichkeiten. Und gewann Einfluß durch seine Eigenart. Es ist wohl keiner unter denen, die ihm irgendwie nähertraten, der nicht seine Einwirkung verspürt hätte.

Er wußte wohl nicht, was er seinen Freunden antat, als er ging.

 

X.

Man kann dennoch kaum sagen, daß Poppenberg freiwillig aus dem Leben geschieden sei. Hinter seinem Hingang steht nicht minder zwingend als hinter jedem Sterben Notwendigkeit, und es ist, als hätte Tod nur anderen, aber ebenso sicheren Weg gewählt.

Schon diese Jugend war überschattet, der Gedanke an ein selbstherrliches Endemachen trat bei denkbar geringfügigen Anlässen nahe. Es ist, als hätte Poppenberg die feindliche Waffe, lange bevor er sie in Besitz nahm, in der Hand gewogen; die Aussicht auf das Aus-der-Welt-Gehn war ihm vertraut geworden, wie irgendeine abseitige Wohnung, die man für kommende Gelegenheit in Bereitschaft hält. Es trat belastend hinzu, daß sich Dr. Ludwig Kraehe, der vertraute Genosse der griechischen Reise, im Juni 1914 aus verwandter Stimmung heraus das Leben nahm, ein Entschluß, den Poppenberg als etwas durchaus Gerechtfertigtes ansah.

Gerade für eine Phantasienatur, wie die seine, konnte das Ende, das sein Vater genommen hatte, seine Schrecken nie verlieren. Jede Steigerung der Nervosität erschien nun als gespenstischer Vorbote der Geistesumnachtung. »Entweder ich ende im Wahnsinn oder im Selbstmord«, hatte der Achtzehnjährige in böser Voraussicht in sein Tagebuch geschrieben. Schien jetzt keine andere Wahl zu bleiben, so mußte der Selbstmord als Rettung anmuten.

Es war, als sollten sich die Wolken von allen Seiten zugleich zusammenziehen.

Der Krieg rief Sorgen um die Existenzmöglichkeiten herauf, Poppenberg hatte die feste Überzeugung, und ihr Freunden gegenüber mehrfach Ausdruck gegeben, daß für seine ganze Empfindungsart und die Eigentümlichkeit seiner schriftstellerischen Betätigung die Zeit vorüber sei. Ein neuer Pharao, den er sehr bestimmt voraussah, werde nach ihm nicht fragen. Zugleich drohte die Möglichkeit zum Landsturm eingezogen zu werden; den Anstrengungen des Kriegsdienstes wußte er seinen geschwächten Körper nicht mehr gewachsen; etwas von dieser Furcht, Furcht zu zeigen, von der er selbst in seiner Charakteristik des Fürsten Pückler gesprochen, tat sicherlich das ihre dazu. Andererseits hatte ein selbstgewählter Abgang mit »Haltung« für eine Natur wie die seine zweifellos etwas Verlockendes.

Auch scheint einer dieser Lebenszufälle, auf die wir deuten ohne zu begreifen, die längst geschlungene Schlinge fester geschürzt zu haben. Bei seinem letzten Sanatoriumsaufenthalt in Wiesbaden soll Poppenberg die Bekanntschaft eines jungen Mädchens gemacht haben, das durch sein seltsames Benehmen auffiel und sich in jeder Weise und zu allen Tagesstunden an ihn herandrängte. Sie soll, selbst der Schwermut verfallen, ihm den Selbstmord, unter Lebensumständen wie den seinen, als sittliches Gebot nahegelegt haben. Immerhin denkbar, daß sich Überdruß irgendwie zu Überdruß fand.

Den Ausschlag aber hat doch die Krankheit gegeben, die sich Poppenberg auf seiner ägyptischen Reise im Jahre 1913 zugezogen hatte und unter deren Nachwirkungen er dauernd stand, eine Tropen-Dysenterie mit Amöben-Infektion. Gerade eine ästhetische Natur, wie die seine, mußte unter derartigen Störungen aufs empfindlichste leiden, selbst bescheidener Lebensgenuß verbot sich, Unfreiheit jeder Art war die Folge, verschiedene Kuren, die vorgenommen wurden, zogen sich über Jahre hin, ohne eigentlichen Erfolg zu bringen, Rückfälle stellten sich ein, das gesamte Nervensystem erfuhr eine Schwächung, die es nicht mehr auszugleichen imstande war, die Krankheit scheint schließlich in ein schweres Nervenleiden übergegangen zu sein.

Diesem Nervenleiden ist Poppenberg erlegen. Er starb daran, als er zu dem Revolver griff.

Vom Jahre 1912 an bis zu seinem Tode hat Poppenberg noch einmal eine Art Tagebuch geführt, das in abgerissenen Worten über das, was ihm noch bemerkenswert schien, Rechenschaft gibt. Vieles, ja das meiste darin, bleibt unverständlich, nur sei erwähnt, daß noch einmal eine Frau in sein Leben trat, der gegenüber neue Pläne auftauchten, verworfen wurden; die dann eine andere Verbindung einging, was kaum noch beklagt wurde. Ein Sterbender führt die Feder. Der Kampf war schwer und aussichtslos:

»1913.

Februar nach Ägypten. ›Tod in Venedig.‹ Difficultés. Stimmungsbesserung. Gesamteindruck doch groß. Gefühl des Beschlusses. Finale: Dysenterie auf Heimfahrt.

Mai krank, gefaßt. Nächte Kothölle. Rekonvaleszenz. Elsa sehr sorgend.

Juni Rückfall. Depression.

Purgatorio. 3 Wochen bis 20. Homburg Sanatorium.

Anfälligkeit. Depression. Knaxfühlen. September.

Hypochondrie. Unsicherheit. – – Tiefe Unlust 30. September. 13 x 13. 44. Geburtstag. Amöbie!

Wiederkehr der gleichen †††.

Abtötung. Aber ohne Garantie. Kalomelkur. Vegetarismus. Abhängigkeiten. Zurückgezogenheit. Oktober.

Stomatitis. Lazarus. Überdruß.

5. November. Guter Befund, doch Unsicherheit von einem zum andern Tag.

8. November. Neue Unsicherheit.

Überdrüssiges Kurieren. 11. November. Reichte Besserungskurve.

2.-9. Dezember. Darmzerstörungen festgestellt. Galgenfrist? Gleichmütig satte Trägheit.

Sonntag, 21. Dezember. Revolte. Depression. 22. Dezember. Guter Befund.

25. Dezember. Nach Hamburg gefahren. Tropenkrankenhaus. Elbhöhe im Schatten des Titanen. Belastungsprobe: Sektdämmerschoppen. Nichts festzustellen. Erhöhte Reizbarkeit des Darms als Folge. Vorsicht! So klug wie zuvor.

1914.

Ernste Tage, matt. Druck. Störungen. Ganz vorsichtig. Nur noch Sinn für meine Verfassung.

6. Januar. Matter Zwischenzustand. 8. Januar. Leichter Kurvenstieg. Unberufen!!!

16. Januar wieder down und deprimiert. 21. Gleichgültigkeit gegen alle Menschen. Nur für mich Sinn. Arbeit. Home.

26. Januar. Öde. Horror vacui.

5. Februar. J.'s Geburtstag. Mit Kognak vertan. Großer Schwur! Nun aber wirklich!

Vorsicht. Gleichmäßiger Mittelzustand – aber schwache Vitalität. Unlust. Ohne Antrieb.

21. März. Nach zweitägiger Ruhe wieder gefaßter. Erwartung der Virulenz. Entschiedene Browning-Reserve.

2. 3. April Unruhe! 4. incertum – down. 10. toujours la même chose.

26. April Tiefster Überdruß.

Karlsbader Mai – Mors. Rückkehr. Incertum.

3. Mai. Bereitschaft steigt. Gefühl nutzlosen Zappelns. Damokles.

Juni. Ruhe – doch incertum. Müde. Kraehe †. 25. Begräbnis. Memento. Schwäche.

Juli. Triberg. August Rückkehr. Weltbrand.

Landsturmerwartung. Auf alles gefaßt.

August. Berlin tastend. Schwäche, Elend, tiefster Überdruß. Qual der Zeit für nichts.

11. September. Schlechter Tag. Reizungen. Kein Absehen. Sinnloses Leben. Doch horror. Keine Freude.

6. November. Revolver gekauft. Erwartung.

1915.

23. Januar. Entschluß wachsend. Kreislauf der Erscheinungen.

1. April. Kreislauf mit wenig Lichtblicken. Darmunruhe oder Magendruck.

Mai. Idem. Angst, Unruhe. Dazwischen ganz ruhige Tage.

Entschiedener Überdruß. Wiesbaden als letzte Station. Moriturus.

Wiesbaden Juni-August. Ultima stagione †††. Moriturus. Steilste Stufe.«

Damit brechen diese wehen Aufzeichnungen ab. Folgte die Qual der stummen Tage.

Am 27. August 1915 um die Mittagsstunde hat Felix Poppenberg, im Bette liegend, die Waffe gegen sich selbst gerichtet. Er traf sich mitten ins Herz.

Ich habe den Toten nicht mehr gesehen.

Ich sehe den Lebenden –.

Im Januar 1919.

Ernst Heilborn.


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