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Piero di Cosimo

In dem blühenden Leben des Florentiner Karnevals vom Jahre 1511 ging plötzlich mit schauerlichen Zeichen der Tod auf.

Auf schwarz verhängtem Leichenkarren, von schwarz verhüllten Ochsen gezogen, thronte er mit der Sense. Von dem düstern Tuch grinsten leuchtend weiße Schädel und gebleichtes Gebein. Aus Särgen erscholl mit krächzenden Stimmen zu den Tönen der Posaunen des Gerichts: Dolor, pianto e penitenza. Um den Wagen tummelte sich eine Totentanzsuite: apokalyptische Reiter in schwarzen, mit Gerippen bemalten Gewändern auf klapperdürren Knochenrossen. Schwelender Rauch von düsterrot flackernden Fackeln stieg auf, Gerichtsfahnen wallten, tiefschwarz mit Totenköpfen, gleich riesigen Grabtüchern …

Der Regisseur dieses triomfo della morte war Piero di Cosimo, der Maler und Sonderling von Florenz.

Sonst leuchtete an diesen hohen Tagen festlich-heiterer Prunk.

Ein Siegeseinzug wurde dargestellt. Milchweiße Rosse zogen goldene Wagen. Unter dem Goldbrokatbaldachin glänzte ein Held. Und ihm vorauf fuhr in prahlerischem Purpur die Fortuna.

Oder der Olymp tat sich auf und die alte Herrlichkeit der Götter Griechenlands stieg hernieder, Bacchus und Ariadne, Paris und Helena, das goldene Zeitalter Saturns.

Sonst das irdische sinnenfrohe Heidentum, und nun die düstere Messe der Vergänglichkeit, Hellenismus und Askese.

Dieser triomfo della morte vom Jahre 1511 wirkt wie ein Nachspiel, wie ein Epilog zu den Autodafés des finsteren Mönches und Conquistadores der Antike, Savonarola.

Er hatte einen »Triumph des Kreuzes« dargestellt: Christus auf dem Siegeswagen, überstrahlt von der leuchtenden Kugel der Dreieinigkeit. Das Kreuz als Schwert, von Märtyrern umgeben. Und wie gefesselte Sklaven beim Einzug des Imperators ziehen unabsehbar weit hinter ihm die Kaiser und Fürsten, die Philosophen und die Großen der Welt.

Aber noch stärker und furchtbar erregender, aufwühlender auch als diese Kreuzeserhöhung und als jener Maskeradenzug des Todes war das Glaubensschauspiel, das Savonarola am letzten Karnevalstage des Jahres 1497 in Florenz als Richter der Weltlichkeit abhielt. Auf dem Signorenplatz war der Scheiterhaufen der Eitelkeiten errichtet. Zu unterst die lateinischen Poeten und ihre italienischen Jünger Boccaccio und Petrarca. Darüber hochgeschichtet, gleich dem goldenen Löseschatz der Freia, Frauenschmuck, goldene Ketten, reich eingelegte Lauten, facettierte Spiegel und darauf als Krönung die Bilder schöner Weiber. Und die ganze Herrlichkeit der Welt in Flammenlohe auffliegend als Opfer zum Himmel, unter Trompetenschall und Glockenläuten, umtanzt von den rasenden Mönchen.

Die äußeren Zeichen der beiden geistigen Strömungen am Ende des fünfzehnten und am Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, der Lebens- und Weltbejahung mit den farben- und glanzgezierten Symbolen der Antike und der religiösen Verneinung alles irdischen Wesens mit dem Memento mori der Askese sind diese Demonstrationen.

Dieser Piero di Cosimo, der die Karnevalstotenmesse gedichtet und in die bacchantische Lust hinein die Armsünderglocke läutete, hatte in seiner Jugend olympische Liebesspiele gemalt. Er war ein Kind dieser Zeit, und die Wellen beider Strömungen brandeten um seine widerspruchsvolle Gestalt, die zur Betrachtung reizt.

* * *

Von dem einseitigen Heroenkultus vergangener Tage sind wir jetzt glücklich abgekommen. Das Baedekersternsystem lockt uns nicht mehr. Wir suchen auf dem Campo santo der Vergangenheit neben den ragenden Marmormälern unserer Großen gern vergessene Gräber an dem Seitenwege, eingesunkene Hügel vom Efeu umsponnen, mit zerbrochenem Säulenschaft.

Die dort liegen, sind in ihrem schwankenden Wesen, das sie nie Vollendetes erreichen ließ, für die psychologische Betrachtung menschlich lockender, als die bewundernde Andacht zu den Hohen.

So hat man auch wieder den Weg zu Piero di Cosimo gefunden, den die Kunsthandbücher kurz abtaten, und dem nur wenige, freilich immer Geschmacksmenschen, wie z. B. Giovanni Morelli, nachfragten.

Sein Gedächtnis erneuert eine Studie voll lebendiger Gelehrsamkeit von Fritz Knapp Halle, Verlag von Wilhelm Knapp.. Mit reichem Bilderschmuck erschließt sie das Werk Pieros. Das kulturelle Problem, das uns hier interessiert, ist allerdings nicht so scharf betont, Piero wird nicht so sehr in seiner Zeit und seiner Stadt, als in seinem Atelier gezeigt. Aber in diesem Raum wird uns dafür auch alles ins Licht gestellt. Mit außerordentlich geschultem Auge werden die Bilder angesehen. Die malerischen Nuancen und Werte werden fixiert. Knapp zerlegt mit den geschicktesten Händen ein Bild und setzt es wieder zusammen.

Zu der jetzt etwas einseitig herrschenden Betrachtung alter Kunst auf kulturelle Charakteristik hin giebt diese malerische Betrachtung eine gute Ergänzung. Knapp ist ein Cicerone, dem zu folgen lohnt …

* * *

Vasari hat das Leben Pieros erzählt, und seine Linien haben die Späteren nachgezogen.

Es ist das Bild eines Unsteten, der von launischen Trieben hin und her geworfen wird, einer problematischen Natur. Schmerzliches Begehren nach tiefer, weltverlorener Einsamkeit wendet sich in bizarren tollen Lebensmut, der sich wild und lärmend austobt. Wochenlang verschwindet der junge Maler aus dem lustigen Kreis der Florentiner jeunesse dorée, der Pugliese, der Giuliano de' Medici, der Francesco da San Gallo. Menschenscheu und lebenswund suchte er die Natur. Und aus seinen Landschaften können wir erkennen, mit welchem tiefen Gefühl er das Leben der Bäume, der Gräser erfaßt hat, wie seine Seele zusammenklang mit dem Wispern der schimmernden Zweige, wie sie jauchzen konnte über eine baumumrahmte Lichtung, in deren Tiefe das Meer in weiter Bläue aufleuchtete, wie sie still und schwer wurde vor dem Rätsel ernster, lastender Felsblöcke.

Und dann wieder tauchte er auf wie ein aus der Verzauberung erlöster Prinz, ein strahlender Alkibiades, und Feste inszenierte er den jungen aristokratischen Freunden, Feste des Lebens voll Siegeslaune und Märchenphantasie, und Bilder malte er sinnenfreudig aus den Liebesgärten der Antike.

Mit den Jahren ward sein Lachen grell. Es widerte ihn. Und in grotesk dämonischer Stimmung komponierte er für die Gefährten seiner ausgelassenen Jugend seinen letzten Maskenzug, sein Requiem, jenen triomfo della morte. Man denkt an die Heineverse.

Fort mit der Heiden Musika!
Davids frommer Harfenklang
Begleite meinen Lobgesang,
Mein Psalm ertönt Halleluja!

Piero ist jetzt fünfzig Jahre alt und der Jüngling von einst ein verwildert aussehender Greis mit scharfer Nase, wirrem Bart und irren Augen.

Er leidet an sich selbst und verbirgt sich vor der Welt wie ein müdes, gescheuchtes Wild.

In einem öden, verfallenen Atelier haust er. Er öffnet niemand. Er lebt ganz bedürfnislos, um frei von den Menschen zu sein und sie nicht zu brauchen. Er kocht sich in dem gleichen Wasser, das ihm zum Leimsieden dient, schockweise Eier. Sie sind seine einzige Nahrung. Vor dem Atelier liegt ein Garten. Er ist das landschaftliche Abbild dieser zerstörten Seele. Die Reben und Feigen wachsen wirr verschlungen durcheinander. Das wuchernde Grün überspinnt die Risse der verfallenen Mauer.

Der Alte geht grämlich durch den Irrgarten. Manchmal blitzt es auf in dem umwölkten Gehirn. Er sieht große phantastische Bilder vor sich. Die Flecken der Mauer wachsen seinem innern Sinn zu Schauspielen aus, zu Landschaften, zu Reiterschlachten. Dann aber wird er wieder ein greinendes hilfloses Kind, das sich vor dem Donner und Blitz des Gewitters ängstlich in einem Winkel zusammenkauert.

Zum Verfolgungswahn steigert sich die Reizbarkeit und die quälende Lebensangst. Er verflucht die Ärzte. Er weist jedem, der ihm helfen will, die Tür. Er verwünscht sein Leben und verteidigt es doch zähe gegen die eingebildeten Gefahren.

Verwahrlost ist er dann gestorben. Gleich einem verendeten Tier fanden ihn die Freunde tot an den Stufen der Treppe.

Es war das Jahr 1521, zwei Jahre, bevor die Pest mit noch grauenvollerem Pomp als Piero di Cosimo ihren triomfo della morte in Florenz hielt …

* * *

Diedi in tale stranezza et grazia et arte – heißt es in der Grabschrift, die Vasari ihm gab. Wirklich, aus diesem verschütteten Boden, rauh und sonderbar und ungeebnet, wuchsen Blumen voll Reiz und Schönheit. Sein Leben ist dem Piero zerronnen, sein Dichten nicht.

Liebeslieder, Variationen der Ars amandi klingen an der Schwelle seiner künstlerischen Bahn.

Auf einer Hirtenflöte tönen sie, die Idylle von Mars und Venus, von Hylas und den Nymphen, die Elegie vom Tod der Prokris.

Aber keine pedantisch-akademische Bemühung, den Stil des Altertums zu treffen, kein antiquarisches Kunststück, stellen diese malerischen Gedichte »antiker Form sich nähernd« dar.

Piero di Cosimos Bilder nach mythologischen Motiven haben eine ganz andere Nuance, sie zeigen eine ganz andere Spielart der italienischen Renaissance des Altertums.

Die Antike wird hier nicht als eine Gelehrsamkeitsrüstung aufgefaßt, in die der Künstler hineinwachsen muß, sondern in souveräner freiherrlicher Laune, als ein Karnevalsgewand.

Man denkt an Ovidische Feste in den Gärten der Medicäer, wo die Gegenwart gesteigert wurde durch glänzende Illusionen und Phantasmagorien mythischer Vorzeit.

Die Heroen- und Götter weit der Alten, das Versenken in sie, die Vorstellungsreize ihrer Schönheitsschauspiele in blühender Nacktheit, das kecke Liebeswerben auf blühender Flur sollten dem Leben Schwung und Fülle geben. Am Wein der alten Sagen und Sänge wollte man sich berauschen, die Götter Griechenlands wollte man wecken, um ihre Lust zu teilen und ihnen gleich zu sein.

So malte Piero Venus und Mars. Nicht im streng-reinen Stil antiker Maße. Er prägte sich seinen Ovid freispielend um, wie Shakespeare hundert Jahre später in »Venus und Adonis« Metamorphosenmotive zu italienischen galanten Festszenen variierte. Auf blühender Frühlingswiese, in sprießenden Blumen gebettet, liegen sie nackt gleich Adam und Eva. Den Kriegsgott hat der Schlaf gefällt. Und die Liebesgöttin schaut lächelnd, fast überlegen auf ihn hin. Amoretten tummeln sich im Tändelspiel am Ufer des Sees, der am Horizont sich breitet. Neben den achtlos hingestreuten Waffen des Mars schnäbelt ein Taubenpaar.

Alles das sind Nuancen des Zeitgeschmacks, diese karnevalistische Mythologie, das Emblematische der Amoretten und des Taubenschmucks. Aber etwas ganz Persönliches ist darin. Ein Schimmer Ironie, der zeigt, daß Piero di Cosimo mit seinem Stoff spielte, daß er über ihm stand, daß er bei den trunkenen Lebensfesten seiner Freunde nie ganz im Genuß aufging, nie ganz sich geben konnte, weil niemals die Negation, die Erkenntnis der Vanitas, der Bitterkeit bei ihm schwieg.

Und ein parodistischer Zug scheint auch durch das Bild von Hylas und den Nymphen zu gehen.

Hylas, der reine Tor, wird hart von den Wassernymphen auf blumiger Flur bedrängt. Sie locken ihn wie die Blumenmädchen: Komm, holder Knabe. Und der arme Junge starrt sehr erschreckt auf die begehrlichen Dirnen. Es ist verkehrte Welt. Die Mädchen spielen die Rolle liebestoller Faune, und der Knabe die der scheuen, spröden Nymphe.

Aber nicht nur seine ironische Erotik gab er in antikem Gewande, er kleidete auch einmal sein tiefstes inneres Leben in diese Hülle. Und wenn jene beiden Bilder vom Mars und der Venus, vom Hylas und den Nymphen das nachdenklich-spöttische Echo von Festen gewesen sein mögen, in denen er mitgetollt und die ihn dann schal dünkten, so ist der »Tod der Prokris«, diese Gefühlslandschaft voll lieblich süßer Trauer, gewiß ein Geschenk jener einsamen Stunden der Weltflucht, als er müde, weh und wund die Natur suchte.

An Böcklin und Klinger denkt man bei diesem ovidischen Opfer. Vom Speer getötet liegt Prokris in den Blumen. Ein Satyr beugt sich über sie, erschreckt und lauschend. Zu ihren Füßen sitzt der treue Hund. Weit in der Ferne zieht der Fluß. Kraniche fliegen darüber hin. Eine unendliche Melodie schwingt in dieser Frühlingslandschaft, die der Tod gezeichnet, Träume, Sehnsucht und himmelweite Einsamkeit und eine Stille, die klingt.

* * *

In dieser reizbaren Natur, die so sinnlich sein konnte, lag, seltsam gemischt, doch der weltverneinende Sinn; von den liederlichen Göttern pilgerte Piero zur Madonna. Und auch er singt:

Fort mit der Heiden Musika!
Davids frommer Harfenklang
Begleite meinen Lobgesang,
Mein Psalm ertönt Halleluja!

Nun steht im Grünen unter den Blumen die heilige Frau mit dem Kinde. Die Märtyrer und Glaubensringer an dem Betpult unter dem ragenden Kreuz bilden den Chor statt der Amoretten von einst.

Glaubensinbrunst und Mysteriensehnsucht strömt aus seiner »Konzeption« in den Uffizien. Zwischen Hügeln mit ragenden Palmen und knorrig verästeten Oliven steht Maria auf einem Sockel in gläubiger Hoffnung. Aus den Lüften senkt sich die Taube zu ihr herab.

Die »heilige Familie« malt er und die »Anbetung der Hirten«. Gläubige Innigkeit ist in diesem Bilde und ein liebevolles Naturgefühl. Ein bewegter landschaftlicher Hintergrund. Ein Tal zwischen Bergen. Ein reißendes Wasser mit einer verfallenen Brücke. Baumstimmungen von wechselndem Reiz. Feines, grün verzweigtes Laubwerk, schwache, zarte Stämme mit flimmerndem Filigranwerk der Zweige. Knorriges Astwerk altersgrauer Bäume mit dem Strohschutzdach, in dessen Nähe die frommen Tiere der Legende, Ochs und Eselein, werden. Und in diesem Landschaftsbild, das voll feiner Symbolik aus bewegtem Hintergrund zu ruhevollem, paradieses-heiterem Vordergrund leitet, Maria und Joseph über das Kind gebeugt. Auf den Hügeln Tobias mit dem Engel und die Hirten, die die Verkündigung empfangen.

Piero ist hier ganz der »fromme Meister mit vielem Fleiß«. Er kann sich nicht genug tun an schmückenden Einzelheiten, an liebevoller Vertiefung in das Detail.

An den Niederländern, vor allem an Hugo van der Goes und seinem Altarbild, hatte er bewundernd diese Liebe für die kleinen Züge, die die große Handlung steigern, erkannt.

Sein problematischer, zerrissener Sinn, der immer Eingebungen faßte, um sie wieder zu verwerfen, der nur im schweren Kampf mit sich selbst vollendete, richtete sich an diesem ernsten, sichern Wesen auf.

Dies treue Wirken auch im kleinen zur Ehre Gottes, diese Andacht zum Unbedeutenden, der nichts unbedeutend ist, was einen Heiligen zieren könnte, dieser malerische Gottesdienst entzündete Piero zur Nacheiferung.

Das frömmste Denkmal dieses Strebens ist die »Heimsuchung«.

Maria grüßt die greise Elisabeth; wie auf einer erhöhten Mysterienbühne ist's, daß sie sich treffen. An den Pforten dieser Bühne, links und rechts, sitzen gleichsam wachthabend am Eingang zum Heiligsten Sankt Antonius und Sankt Nikolas von Bari.

Und in diesen beiden Heiligen von Dürerscher Innigkeit hat Piero mit sehnsüchtiger Hingebung ein Schauspiel tiefster, ruhevoller Kontemplation gegeben, jenes In-Gott-stille-Werden, des Friedens sub umbra alarum tuarum, dem diese Welt nichts mehr anhaben kann.

Und das ist noch das Eigene, Unitalienische an diesem Bilde, daß die frommen Männer nichts verzückt Ekstatisches haben, sondern daß ihnen dies Weltabgewandte, in sich und Gott Eingesponnene zur Natur und Selbstverständlichkeit geworden ist. Sie sind Vettern des heiligen Hieronymus im Gehäus.

Die Weisheit des Angelus Silesius:

Mensch, wenn dich weder Lieb
Berührt, noch Leid verletzt,
So bist du recht in Gott
Und Gott in dich versetzt …

könnte auf einem Spruchband über diesen Vollendeten des Malers Piero di Cosimo schweben.

Piero di Cosimo, der Mensch, hat diese Weisheit nie erlangt.


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