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Hugo von Hofmannsthal

 

I.

Er ist ein Wiener in der schmiegsamen Anmut seines Wesens und in der Grazie seiner Jugend. Doch in seinem Blut spielt südliches Fluten und Renaissancerhythmus. Seine Wiege könnte kostbar geschnitzt, mit verblichener goldener Wappenzier in einem marmornen Palazzo gestanden haben, von dessen gobelinbespannten Wänden über seine zarten Kinderwangen vergangner Jahrhunderte Hauch schicksalsvoll geweht: erlauchter Geschlechter Glanz und Fall, der großen Leidenschaften heißer Atem, reifer Zeiten adliges Genießen.

Es ist um diesen Dichter so volle Atmosphäre von Besitz und Erbteil edelster Güter; ihm ward alles, was er sah, zu eigen, und seine Seele trank sich satt an den Essenzen künstlerischer Kultur.

Ein verfeinerter Sinn, der Zwiesprach gehalten mit dem Erlesensten, was Künste schufen, trunken von Gedichten, Bildern, Statuen und Vasen. Verwöhnt durch seelische Gemeinschaft glänzender Vergangenheiten. Gequält durch das sichtbare äußere Leben mit seinen brutalen Äußerungen; zu sehr verzärtelt, um das Tragikomische humorvoll zu ergreifen.

Er ist von ganz anderer Art, als die großen Dichter unumgrenzter Menschlichkeiten, die Weltwanderer, die bei den Niedersten und bei den Höchsten einkehren, die zynisch sein können und erhaben. Ihm scheint der Alltag nur Banalität und Gewöhnlichkeit, und die Kunst wird ihm die goldene Stiege, aus der er sich in Räume rettet, die keine Fenster nach der Straße haben.

Es ist in ihm die unbefriedigte Sehnsucht der besseren, dem Getriebe abgewandter Menschen, die stets mehr mit Objekten der Kunst als mit der lebendigen Wirklichkeit umgegangen sind, und die als Künstler nicht danach trachten, ihre Kunst mit dem sie umgebenden Leben zu durchtränken, sondern das Leben mit ihrer Kunst.

So wird sein Dichten ein Werben um eine verfeinerte Existenz.

Er sucht das Innensein so intensiv zu steigern, daß es stark und mächtig wird, eine neue Welt zu schaffen, die schönheitsvoller ist als die scheinbare. Diese neue seelische Welt hat recht, die sichtbare ist nur eine miserable schattenhafte Kopie; ein rohes Produkt, nicht das Gebilde eines Künstlers. Das scheint der Wille der Kunst, wie Hofmannsthal und die, die ihm nahestehen, vor allem Stefan George sie auffassen.

Darum liebt Hofmannsthal so sehr, von den Kindern zu sprechen, von Kindern, die vom Äußeren nichts wissen und in Märchen und Träumen leben:

Sind wir nicht vor allen andern
Doch die unberührten Kinder.

Und an anderer Stelle:

Der Dichter hat wo anders seinen Weg

— — — — — — —

Wo seine Seele wie ein Kind verstellt
Ein Dasein hat von keiner sicheren Frist
In Adlersluft und abgestorbner Ruh.
Dort streut er ihr die Schatten und die Scheine
Der Erdendinge hin und Edelsteine.

Darum liebt er die Zwischenzustände der Seele, die Träume und das überreizte Wachen der fahlen Frühlichtstunden vor Tag am offnen Fenster, wenn die Bäume ohne Licht und Schatten stehen, flächenhaft, Gespenster ihrer selbst. Stunden, da Geheimnisvolles und Ahnungsschweres den Menschen umwittert und Schicksalsstimmungen sich regen, die das bürgerliche Leben unterdrückt. Er fühlt das Leben potenzierter, wenn ihm zum Bewußtsein kommt, daß es – nach seinen eigenen Worten über Peter Altenberg – »gleich dem zierlichen Magnet von ungeheuren, im Ungewissen lagernden Kräften beherrscht wird«. Daher die orphischen Dunkelheiten in manchen seiner Gedichte. Sie rufen nicht nach einem Kommentator. Sie wollen nicht gedeutet sein. Sie wollen nicht verkünden, sondern wie die Töne einer Mitternachtsglocke mit schwebendem Läuten Gefühle wecken, Unnennbares erklingen lassen.

Doch verlangender als die Illusionismen des Mystischen sucht seine Seele die Illusionismen vergangener Zeiten, die für uns von den Schlacken und Erdenresten befreit, schönheits- und kunstveredelt dastehen. Ihm wird alles »ein Symbol für unserer Seele Launen«.

Er taucht in die Vergangenheit, nicht aus archaistischem Sinn, sondern weil er in ihr stärkere Erreger der Einbildungskraft findet, das Bacchanal seiner Seele auszustatten.

Es gilt von ihm, was Stefan George seinen Gedichten vorgeschrieben hat: »Nirgends soll das Bild eines geschichtlichen oder Entwicklungsabschnittes entworfen werden: sie enthalten die Spiegelungen einer Seele, die vorübergehend in andere Zeiten und Örtlichkeiten geflohen ist und sich dort gewiegt hat.«

Aus einer Vergangenheit mit satteren Farben und prunkvolleren Zeichen des Lebens werden, wenn die Sinnbilder zur Wiedergabe von Stimmungen genommen, »Kunst aus der Anschauungsfreude, aus Rausch und Klang und Sonne«. Eine Böcklinsche Antike voll festlich-hohem Rhythmus mit »schweren reifen purpurnen Gedanken«:

Es gleitet flink durch dunkelblaue Wogen
Das goldne Schiff der Insel nun entgegen,
Der Flötenschall ist singend vorgeflogen
Und auf den blumenüberquollnen Wegen,
Aus des Theaters schwarzem Marmorbogen
Sieht man den Chor sich feierlich bewegen,
Um Bacchus und die Musen anzurufen,
Die aus dem Rausche die Tragödie schufen.

Italien zur Zeit der großen Malerfürsten:

Die Vorstellungen marmorner Gartenterrassen mit überkletternden Epheu- und Rosenranken, mit Büsten und Basreliefs; düsterer lombardischer Paläste mit Löwenköpfen und Steinbalkonen, Bilder dunkler Condottieri und bleicher Infanten auf den Treppen. Und nun durch die öden Hallen der Ruf erlauchter Namen, Medea, Colleoni, Vendramin, die Bilder und Geschichten wecken – »was regt die Seele schöner auf«?

Nach den Tizianesken Watteauszenen: Rokoko – verstaubt und lieblich,

Hohe Gitter, Taxushecken,
Wappen nimmermehr vergoldet,
Sphinxe durch das Dickicht schimmernd

— — — — — — —

Grüne, braune, stille Teiche,
Glatt und marmorweiß umrandet,
In dem Spiegelbild der Nixen
Spielen Gold- und Silberfische …
Auf dem glattgeschornen Rasen
Liegen zierlich kleine Schatten
Schlanker Oleanderstämme.

So spielen bei Hofmannsthal die objets d'art ihre Rolle, nicht als Objekte einer preziösen alexandrinischen Luxuskunst, die sich in Sammeln und Katalogisieren berauscht, sondern wieder als Stimmungserreger und Vermittler. Sie sind »im Grunde tote leere Dinge, lebendig nur durch unsrer Laune Leben«. Aber der Dichter fühlt sich als der Magier, er weiß dem Chaos »Beziehung einzuhauchen«. Er gibt ihm eine Seele und genießt sie.

So läßt er die Frau in der »Idylle« erzählen, wie sie als Kind, betrachtend die Bilder an den Vasen, ein ganzes Leben vorgelebt:

Die Horen, die vorüberschwebend, lebensspendenden …
Der Phädra wundervollen Leib von Sehnsucht matt …

Ein Bacchusfest, wo Purpurtraubensaft

Aufsprühte unter der Mänade nacktem Fuß,
Und fliegend Haar und Thyrsusschwung die Luft erfüllt.
Auf Totenurnen war Persephoneias hohes Bild,
Die mit den seelenlosen toten Augen schaut,
Und Blumen des Vergessens, Mohn im heil'gen Haar,
Das lebensfremde asphodelische Gefilde tritt.
Des Redens wär' kein Ende, zählt' ich alle auf
Die Göttlichen, an deren schönem Leben ich
– Zum zweiten Male lebend, was gebildet war –
An deren Gram und Haß und Liebeslust
Und wechselndem Erlebnis jeder Art
Ich also Anteil hatte, ich ein Kind,
Die mir mit halb verstandener Gefühle Hauch
Anrührten meiner Seele tiefstes Saitenspiel,
Daß mir zuweilen war, als hätte ich im Schlaf
Die stets verborgenen Mysterien durchirrt.

So läßt er im »Thor und Tod«, den Claudio vor die Schätze seiner Truhen »voll berauschender und ängstigender Dinge« treten:

Wodurch ich doch mich einzuschleichen wähnte,
Wenn ich den graden Weg auch nimmer fand
In jenes Leben, das ich so ersehnte.

Und am stärksten ist dies ganze Wesen ausgedrückt im Märchen der 672ten Nacht, das von dem jungen Kaufmannssohn erzählt, der sich vor dem Leben in eine schönheitsvolle Einsamkeit birgt, und der nun, durch nichts verwirrt, seine Gefühle und Stimmungen wuchern lassen kann, wie die Wunderblumen eines Treibhauses. Und in diesen seelischen Erlebnissen wird ihm die Schönheit der Teppiche und Gewebe und Seiden, der geschnitzten und getäfelten Wände, der Leuchter und Becken aus Metall, der gläsernen und irdenen Gefäße so bedeutungsvoll, wie er es nie geahnt. »Allmählich wurde er sehend dafür, wie alle Formen und Farben der Welt in seinen Geräten lebten. Er erkannte in den Ornamenten, die sich verschlingen, ein verzaubertes Bild der verschlungenen Wunder der Welt« … »Er war für lange Zeit trunken von dieser großen, tiefsinnigen Schönheit, die ihm gehörte, und alle seine Tage bewegten sich schöner und minder leer unter diesen Geräten, die nichts Totes und Niedriges mehr waren, sondern ein großes Erbe, das göttliche Werk aller Geschlechter.«

* * *

Das Leben als neue Kunstschöpfung gegenüber dem Gewöhnlichen, gründet sich also darauf, die Gefühle so zu züchten, daß sie willfährig jeder Laune der Phantasie nachgeben, daß der Mensch zum ästhetischen Proteus wird, zum »Schauspieler seiner selbstgeschaffenen Träume«. Und sind sie falsch, »was tut's, die Seele will's«.

Mir ist vor keinem meiner Triebe bange,
Ich lausche nur, was Jeglicher verlange?
Da will der eine in Askese leben
Mit keuschen Engeln Giottos sich umgeben,
Der andre will des Lebens reife Garben,
Des Meisters von Cadore heiße Farben,
Des dritten tolle Laune wird verlangen,
Nach Giorgionesquem Graun, Dämonenbangen;
Der nächste Tag wird Amoretten wollen
Mit runden Gliedern, Händchen rosigvollen,
Und übermorgen brauch ich mystisch Sehnen
Mit halben Farben, blassen Mädchen, Tränen.

Und konsequent läuft diese Freude an den Metamorphosen der Seele, an der Fähigkeit, Schauplatz und Kulissen des inneren Lebens nach Gefallen zu verändern in einen Preis des Schauspiels aus. Lockend und reizend sind ihm die Vorstellungen des Schauspielers, der aus einem Wesen in ein anderes schlüpfen kann; der Bühne, die ein Mikrokosmus ist, ein Abbild voll Künstlichkeit zugleich und höherer Wahrheit; des Regisseurs und Zuschauers als göttergleiche Schicksalszeugen.

Immer wieder treffen wir auf Stellen, wo er solchen Vorstellungen sich gibt:

Im Prolog zu Schnitzlers Anatol:

Also spielen wir Theater,
Spielen unsre eignen Stücke,
Früh gereift und zart und traurig
Die Komödie unsrer Seele.

Daher die Wahl der szenischen Form für manche lyrische Stimmung:

Wir haben aus dem Leben, das wir leben,
Ein Spiel gemacht, und unsre Wahrheit gleitet
Mit unserer Komödie durcheinander
Wie eines Taschenspielers hohle Becher.

Daher sein Titel für ein Marionettenspiel: »Das kleine Welttheater«, und die Stelle im Prolog der Madonna Dianora:

Nun müssen wir wohl gehn, ich hör' schon rückwärts,
Wie sie zusammenstellen Haus und Garten.
Aus Holz und Leinwand, Schatten eines Traums? –
Es wär mir beinah lieber, wenn nicht Menschen
Dies spielen würden, sondern große Puppen,
Von einem der's versteht, gelenkt an Drähten.
Sie haben eine grenzenlose Anmut
In ihren aufgelösten, leichten Gliedern
Und mehr als Menschen dürfen sie der Lust
Und der Verzweiflung selber sich hingeben
Und bleiben schön dabei. Da müßte freilich
Ein dünner Schleier hängen vor der Bühne,
Auch andres Licht. – –

Ein reizvoll perverses Spiel voll preziöser Grazie, diese biegsame Kunst des Künstlichen; verwegener Übermut, der Wirklichkeit die Wette zu bieten, ihr gelungenere Rivalität zu schaffen; seiner Koketterie nicht unbewußt, doch in der Koketterie voll Stil.

Hofmannsthal zitiert einmal die Worte Richard Wagners über Beethovens Cis-moll-Quartett:

»Er schaut dem Leben zu und scheint sich zu besinnen, wie er es anfinge, diesem Leben selbst zum Tanze aufzuspielen. Ein kurzes aber trübes Nachsinnen, als versenke er sich in den tiefen Traum seiner Seele. Ein Blick hat ihm wieder das Innere der Welt gezeigt: Er erwacht und streicht nun in die Saiten zu einem Tanzaufspiele wie es die Welt noch nie gehört. Das ist der Tanz der Welt selbst: wilde Lust, schmerzliche Klage, Liebesentzücken, höchste Wonne, Jammer, Rasen, Wollust und Leid; da zuckt's wie Blitze, Wetter grollen: und über allen der ungeheure Spielmann, der alles zwingt und bannt; – er lächelt über sich selbst, da ihm dies Zaubern doch nur ein Spiel war.« –

Dies Spielen, seiner Kunst gewiß, mit lächelnder Gebärde, ist Hofmannsthals Reiz. Freilich gleicht er nicht dem verderbenumbrausten Beethovenschen Geiger, der Schicksals- und Sturmlieder aus den Saiten lockt, sondern eher einem lydischen Flötenspieler in einer Ludwig von Hofmannschen Landschaft, in der es manchmal klingt wie ein verwunschener, weit verschlagener Wiener Walzer …

* * *

Doch Schein und Spiel und holde Lüge, das seidenschillernde Changieren der Gefühle schließt mit Überdruß. Widerspruchsvoll hat sich von je dem Spieltrieb bei Hofmannsthal starrende Angst vor einer Rache des Wirklichen entgegengesetzt. Keiner als er selbst kann schärfer Kritik üben an dem Kultus illusionierenden Scheins. Er hilft im letzten Grunde ja auch nicht, und die alte Wahrheit bleibt:

Ich griff nach holden Maskenzügen
Und faßte Wesen, daß mich schauerte –
Ich möchte gerne mich betrügen,
Wenn es nur länger dauerte.

Ihn, den Kapellmeister der Symfonien seiner Seele erfaßt ein grenzenloses Bangen, ihn graut's vor der Keckheit, mit der er menschliche Geschicke wie künstlerische Geräte genossen, mit der er dem unerbitterlichen Leben täuschende dekorative Kunst vorgezogen.

Schon in seinem ersten Werk, dem Renaissancespiel » Gestern«, das Hofmannsthal als Siebzehnjähriger schrieb, bringt das Leben dem Verwegenen, der sich so sicher als Regisseur der eigenen Laune fühlte, die Abrechnung und fängt ihn in dem Fallstrick, den er sich selber legen mußte.

Im »Tor und Tod« klagt die Tragik des ungelebten Lebens. Und Claudio spricht von seinen Schätzen, von Kruzifixen aus Elfenbein, von alten Bildern, holzgeschnitzten Heiligen:

Umsonst bin ich, umsonst euch nachgegangen,
Von euren Reizen allzusehr gebunden:
Und wie ich eurer eigensinn'gen Seelen
Jedwede wie die Masken, durchempfunden,
War mir verschleiert Leben, Herz und Welt,
Ihr hieltet mich, ein Flatterschwarm umstellt,
Abweidend, unerbitterliche Harpyen,
An frischen Quellen jedes frische Blühen.
Ich hab mich so an Künstliches verloren,
Daß ich die Sonne sah aus toten Augen
Und nicht mehr hörte als durch tote Ohren.

In der »Idylle« sagt die Frau des Schmiedes, die holde Törin ihrer Phantasie, daß ihr immer mahnendes Gedenken andern Lebens bleibt

Und eine Fremde, Ausgeschlossene aus mir macht
In dieser nährenden, lebend'gen Luft der Welt.

Und die rauhe, rüstige Wirklichkeit schleudert den schweren Speer rächend nach ihr, die auf des Zentauren Rücken in die Gefilde der Seligen entfliehen will.

Im »Märchen« wieder die Tragik des jungen Kaufmannssohnes, der sich inmitten seiner Schätze ein Überwinder gemeinen Lebens glaubt und zu dem doch in Gestalt seiner stummen Diener mit ihren unbeweglichen Gesichtern alle qualvollen Fragen des Seins einschleichen und ihn erdrücken.

Im Zwischenspiel vom »weißen Fächer«, dem federleichten Spiel ist das Thema schalkhaft gewendet, daß Jugend gern mit großen Worten ficht

Und doch zu schwach ist, nur dem kleinen Finger
Der Wirklichkeit zu trotzen …

In den Gedichten klingts vom ungelebten Leben, vom Heimweh aus künstlichen Wunderwelten nach irdischer Heimat:

Ein namenloses Heimweh weinte lautlos
In meiner Seele nach dem Leben, weinte,
Wie einer weint, wenn er auf großem Seeschiff
Mit gelben Riesensegeln gegen Abend
Auf dunkelblauem Wasser an der Stadt,
Der Vaterstadt, vorüberfährt. Da sieht er
Die Gassen, hört die Brunnen rauschen, riecht
Den Duft der Fliederbüsche, sieht sich selber
Ein Kind am Ufer stehn, mit Kindesaugen,
Die ängstlich sind und weinen wollen, sieht
Durchs offene Fenster Licht in seinem Zimmer –
Das große Seeschiff aber trägt ihn weiter
Auf dunkelblauem Wasser lautlos gleitend
Mit gelben, fremdgeformten Riesensegeln.

Und ganz deutlich, nicht mißzuverstehen, äußert er sich über diese Dinge, die ihn so stark bewegen in einem Aufsatz über d'Annunzio. Er sagt da von dem ihm Verwandten, daß seine Bücher von einem geschrieben wurden, » der nicht im Leben stand. Es waren durchaus Erlebnisse eines, der mit dem Leben nie etwas anderes zu tun gehabt hatte, als das Anschauen. Denn jeder Dichter gestaltet unaufhörlich das eine Grunderlebnis seines Lebens: und bei d'Annunzio war dies sein Grundverhältnis zu den Dingen, daß er sie anschaute. Das brachte etwas ganz Medusenhaftes in die Bücher, etwas von dem Tod durch Erstarren, den allzuweit aufgerissene, allzuwissende Augen rings um sich ausstreuen.« Und dann: »je stärker und hochmütiger einer in wachen Träumen ist, desto schwächer kann er im Leben sein, so schwach, daß es fast nicht zu sagen ist, unfähig zum Herrschen und zum Dienen, unfähig zu lieben und Liebe zu nehmen, zum Schlechtesten zu schlecht, zum Leichtesten zu schwach. Die Handlungen, die er hinter sich bringt, gehören nicht ihm, die Worte, die er redet, kommen nicht aus ihm heraus, er geht fortan wie ein Gespenst unter den Lebendigen, alles fliegt durch ihn durch wie Pfeile durch einen Schatten und Schein.« Das ist mehr als die Betrachtung eines andern. Das ist Selbstanschauung. Und ein Zeichen dafür steht noch in dem Aufsatz. Hofmannsthal hatte einst ein Zwiegespräch mit seiner Seele geschrieben, lodernd, farbensprühend, von Phantasien trunken:

Mit wunderbar nie vernommenen Worten
Reiß ich dir auf der Träume Pforten.

Und nun fesselte er orgiastisch, bebend, stürmisch, Landschaften fremder Sterne,

Gondeln im Dunkeln mit seltsamen Lichtern,
Schwülduftenden Blumen und blassen Gesichtern,
Die Heimat der Winde, die nachts wild wehen
Mit riesigen Schatten auf traurigen Seen.
Und das Land von Metall, das in schweigender Glut
Unter eisernem, grauen Himmel ruht.

Jetzt schreibt er dazu vier Schlußzeilen, die er auf das Werk des d'Annunzio anwendet: die Antwort der Seele auf all den Prunk der Illusionen, den der Dichter damals vor ihr ausgebreitet:

Und Psyche meine Seele sah mich an
Mit bösem Blick und hartem Mund und sprach:
Dann muß ich sterben, wenn du so nichts weißt
Von allen Dingen, die das Leben will.

Und wie einen Nachklang jener Prosastellen hört man die Verse eines seiner letzten Gedichte, das nicht mehr von den Gauklern der Seele spricht, sondern in strengen Thomaschen Linien die Gestalt des Jünglings zeichnet, der durch die Frühlingslandschaft zu den Bettlern und Kindern herabsteigt:

Er war bereit, an unbekannter Schwelle
Ein neues Leben dienend hinzubringen.
Ihm fiel nicht ein, den Reichtum seiner Seele,
Die frühern Wege, und Erinnerung
Verschlungner Finger und getauschter Seelen,
Für mehr als nichtigen Besitz zu halten.
Der Duft der Blumen redete ihm nur
Von fremder Schönheit und die neue Luft
Nahm er stillatmend ein, doch ohne Sehnsucht.
Nur daß er dienen durfte, freute ihn.

Hofmannsthal hat dem d'Annunzio gegenüber die Distanz abgesteckt zwischen Dichter und Künstler. Zum Dichter wird ihm der Künstler, mag er vorher auch noch so bewundernswert in seiner Macht gewesen sein, die Dinge der Welt mit Worten in uns hervorzurufen, doch erst dann, wenn er anfängt »den Mächten, die binden, gerecht zu werden«, wenn er aus dem artistischen Zuschauer ein Miterleber wird, Miterleider dessen, was der ganzen Menschheit zugeteilt ist, aus dem Ästheten in der »fieberhaften von der Luft des Lebens abgesperrten Anbetung der Schönheit« der menschlichste Mensch. Bis jetzt haben wir in Hofmannsthal vor allem den Künstler verehrt; daß er nicht in unfruchtbarer Schönheit bleiben will, daß er jenen höheren Weihen und Graden des Dichters strebend entgegenverlangt, führt ihn aus kühlen ruhevollen Edelsphären herab uns menschlich näher.

 

II.

… führt ihn heraus aus der edlen aber gebundenen Sphäre eines Künstlerordens, den man den Orden der Brüder vom inneren Leben nennen könnte.

Es ist der esoterische Kreis der Blätter für die Kunst, an den ich rühre. Sie haben sich ein Schönheitsreich errichtet, das nicht von dieser Welt der Zufälligkeiten ist:

Mein Garten bedarf nicht Luft und nicht Wärme,
Der Garten, den ich selber erbaut,
Und seiner Vögel leblose Schwärme
Haben noch nie einen Frühling geschaut.

Handelnde Person in diesem Reich ist überall »die Seele des modernen Künstlers. In den Hymnen sehen wir sie mit noch deutlicher Weltfreude über Gärten und Uferlandschaften schweben, in den Pilgerfahrten tritt sie uns entgegen unter dem Symbol des Wanderers mit sehnsüchtigen aber unterdrückten Leidenschaften, in Algabal unter dem Symbol des byzantinischen Imperators, der im Rieseln der Metalle und überreichen Gewänder sich zu Tode trauert. Im ersten Buche herrschen Trompete und Pauke vor, im zweiten Leier und Flöte, im dritten lange vibrierende Fiedelstriche, die wie Verzweiflung klingen und den Sinn verwirren«.

Die Zeilen sprechen von Stefan George, der am vollendetsten, aber freilich auch am starrsten den geweihten Pfad schreitet.

Es gibt Berührung zwischen ihm und Hofmannsthal. Die gleichen, äußeren, dekorativen Zeichen als Sinnbilder seelischen Lebens finden sich nach dem Kunstprinzip: »Oft dienen Worte, Gedanken, ja Bilder nur zur körperlichen Darstellung der Sangesweise.«

Madonnen aus Ebenholz, schlanke Gondeln, Rokokoszenen, Gärten mit Apollen und Dianen und venezianische Embleme, das Infantenbild im dunkeln goldumgürteten Oval und der Sinn der ganzen, der äußeren Gegenwartswirklichkeit abgewandten Dichtung in den Zeilen aus dem Jahr der Seele

Zu meinen Träumen floh ich vor dem Volke

— — — — — — —

Zu Göttertalen, blinkenden Mäandern,
Ich ließ in Stätten innig hoher Sitten
Und in den Süden meine Seele wandern,
Wo sie gekrönt den Martertod erlitten.

Gemeinsam ihnen vor allem der hohe Kultus der Form, ein Ziselieren gleich dem Meister von Ephesus.

Aber Stefan George ist der Strengere, Starrere von priesterlicher Gebärde. Ein orthodoxer Priester, der nichts neben der Lehre, die ihm die reine und eine ist, kennt und duldet.

Im Sinne Hofmannsthals durchaus mehr Künstler als Dichter. Seine intelligibele Welt, die Welt der reinen Formen, kunstgeschaffen, ist ihm die wahre. Und während Hofmannsthal zwischen den Welten schwankt, und ihm manchmal ist, als sehnte er sich aus der Künstlichkeit der Stimmungsfatamorganen nach der Wirklichkeit, nach Liedern, die das Volk im Sommer singt, so möchte George am liebsten mit dem Stil seiner Kunst sich sein äußeres Leben umschmieden, dem Hephästos gleich, der sich Dienerinnen aus Gold schuf, vollendete Geschöpfe.

Bei den trivialen Verrichtungen der Existenz mag ihm sein wie einem gefangenen Königssohn, der verdammt ist, roher Barbaren niedere Gebräuche anzunehmen, die er verachtungsvoll erfüllt, wissend, daß er von anderer Art.

Ob ihm aber vor der Gottähnlichkeit nie bange wird?

* * *

Es reizt noch weiter umzuschaun, was dem flüchtigen Blick sich bietet, von Ahnen und Verwandten seiner Kunst.

Reichste Ernte bietet Frankreich.

Wir kennen den Kultus der Künstlichkeit, die über die Wirklichkeit täuschen soll bei Théophile Gautier und Baudelaire.

Neben der Stelle:

»Figurez-vous un paysage extra-naturel, ou plutôt une perspective faite avec du métal, du marbre et de l'eau et d'où le végétal est banni comme irrégulier …«

könnten Hofmannsthals Verse stehen von dem

Land von Metall, das in schweigender Glut
Unter eisernem grauen Himmel ruht.

Wir waren auch in dem Lebenstreibhaus, das sich Huysmans des Esseintes gegen die Wirklichkeit errichtet hat, ohne ihrer Rache zu entgehn.

Charakteristisch und psychologisch durchaus echt in dieser Gegend ist die Vorliebe, mit den Gedanken an Schauspiel und Schauspieler, die bei Hofmannsthal ja auch zu konstatieren waren, zu tändeln. Schauspieler seiner eigenen Stimmungsrollen werden, ist die Konsequenz des illusionistischen Spiels; und die Welt als Theater, das Theater als Welt zu betrachten, ist eine an Raffinements der Ironie und der Souveränität reiche Seeleneskamotage, gleich dem Durcheinanderwirren von Traum und Leben, Leben und Traum.

Flaubert sagt, die Basis seiner Natur sei durchaus komödiantisch, er wäre lieber Talma gewesen als Mirabeau, weil jener » in einer Sphäre reinerer Schönheit lebte«.

Aus ähnlicher Quelle entspringt in unserer deutschen Romantik die Vorliebe für Spiel im Spiel (Tieck), für Lebensszenen von Marionetten dargestellt. (In Schelling-Bonaventuras Nachtwachen.)

So will Maeterlinck wie Hofmannsthal als Schicksalsregisseur große Gliederpuppen auf halbverhüllter Bühne agieren lassen, schattenhafte, selbstohnmächtige Abbilder schattenhaften selbstohnmächtigen Seins.

Nicht mystisch, sondern irdisch stellt jetzt vor allem die Wiener Kunst die »spielenden Gebärden« gegen die Erdenschwere.

In Peter Altenbergs Geschichten steckt, wie Hofmannsthal selbst sagt: »etwas tief Schauspielerisches; oft stehen Menschen gegen Menschen wie in einer Rolle, ja der Dichter gegen das Leben so: er spielt sich selbst, und dann und wann spielen seine Geschöpfe sich selbst.«

Und in Arthur Schnitzlers Grünem Kakadu hat man etwas erlebt, was an jene Verse Hofmannsthals vom Spiel, und von »der Wahrheit, die mit unserer Komödie durcheinandergleitet, wie eines Taschenspielers hohle Becher, je mehr ihr hinseht, desto mehr betrogen«, gedenken ließ.

 

III.

An Hofmannsthal bewundern wir am stärksten, wie sich ihm in üppig schwellender Reife Kunstform und Kunstabsicht zusammenranken.

Er hat eine Gabe, Vorstellungswerte zu schaffen, die gleichzeitig artistisch-dekorativ ganz feine Reize wecken, gleichzeitig aber Gefühlsstimmungen in Schwingung und zum Tönen bringen.

Man genieße jenes Bild aus dem Märchen, das von Fernand Khnopf scheint, das Bild des Mädchens, das der junge Kaufmannssohn in einem geneigten Spiegel erblickt:

»sie ging durch ein erhöhtes Nebenzimmer: in dem Spiegel aber kam sie ihm aus der Tiefe entgegen. Sie ging langsam und mit Anstrengung, aber ganz aufrecht: sie trug in jedem Arme eine schwere hagere indische Gottheit aus dunkler Bronce. Die verzierten Füße der Figuren hielt sie in der hohlen Hand, von der Hüfte bis an die Schläfe reichten ihr die dunklen Göttinnen und lehnten mit ihrer toten Schwere an den lebendigen zarten Schultern; die dunklen Köpfe aber mit dem bösen Mund von Schlangen, drei wilden Augen in der Stirn und unheimlichen Schmuck in den kalten harten Haaren, bewegten sich neben den atmenden Wangen und streiften die schönen Schläfen im Takt der langsamen Schritte. Eigentlich aber schien sie nicht an den Göttinnen schwer und feierlich zu tragen, sondern an der Schönheit ihres eigenen Hauptes mit dem schweren Schmuck aus lebendigem dunklen Gold, zwei großen gewölbten Schnecken zu beiden Seiten der lichten Stirn, wie eine Königin im Kriege.«

Oder jene Vorstellungen voll Traumresonanz und Erhabenheitsschweben:

»schön wie ein auf der Jagd verirrter König in einem unbekannten Wald unter seltsamen Blumen einem fremden wunderbaren Geschick entgegen gehn …«

Und das andere: »Wenn das Haus fertig ist, kommt der Tod. Und er sah jenen langsam heraufkommen über die von geflügelten Löwen getragene Brücke des Palastes, des fertigen Hauses, angefüllt mit der wundervollen Beute des Lebens.«

Anmut von Goethischem und antikem Ebenmaß, wenn er von den schönen Tagen spricht:

die gingen hin
Und nahmen einer aus des andern Händen
Den leichten Weinkrug und den Ball zum Spielen.
Bis einer kam, der ließ die Arme sinken
Und wollte nicht den Krug und nicht den Ball,
Und schmiegte seinen Leib in ein Gemach,
Die Wange lehnend an die kühlste Säule
Und horchend wie das Wasser aus dem Becken
Herunter fällt und über Efeu sprüht.

Und homerisch edle Einfachheit der Linien, voll großer Stille, wenn er die Worte einander fremd vorüberschweben läßt, den Eimern eines Brunnens gleich.

Dann wieder heroisch heischende Geberde und michelangeleskes fürstliches Gebieten, wenn er stolz proklamiert: »eine neue und höhere Verbindung von Worten sei nicht geringer als ein Standbild des Knaben Antinous oder eine große gewölbte Pforte«.

* * *

»Man wird in den Werken von Swinburne und derer, die ihm nachahmen, dies Element bemerkt haben, nämlich daß Poesie und Malerei einander neigen, um aus dem Mitschwingen der Stileindrücke einen gewissen raffinirten Reiz zu ziehn …«

Das liebt auch Hofmannsthal. Daher schreibt er über die Idylle »Nach einem antiken Vasenbild, Schauplatz im Böcklinschen Stil«.

Daher weckt er gern Assoziationen bildlicher Erinnerungen:

ich jagte
Zu Fuß und mit drei großen Hunden trieb ich Wild,
Gekleidet wie auf alten Bildern und bewaffnet
Mit einer Armbrust …

Daher die Angabe: Zur Zeit der großen Maler.

Daher, erweiterten Sinnes, die artistische Freude, bestimmten Kunststil im Gewand der Werke durchzuführen und damit mancherlei Bildungs-Resonanz zu wecken. Daher Prologe; die Etiketten: Moralität, Zwischenspiel; die Bezeichnung: dramatis personae.

Auch in manchen Requisiten glaube ich ähnliches zu sehen. In Madonna Dianora scheint mir das äußere Motiv der Balkonszene, des Ammengespräches, der Strickleiter bewußt shakespeareähnlich gewählt, um dadurch die Illusion des Renaissancespiels durch mitklingende Begleitvorstellungen zu verstärken.

* * *

»Man lasse uns Künstler in Worten sein, wie andere in den weißen und farbigen Steinen, in getriebenem Erz, in den gereinigten Tönen oder im Tanz …«

Hofmannsthal ist der Künstler in Worten, ein Goldschmied, der seltsam und köstliches Geschmeide aus dem Metall der Sprache fügt.

Er gleicht den künstlerischen Juwelieren, den Franzosen Lalique und Henry Nocq mit ihren fremden, kühnen und berauschenden Verbindungen der Stoffe aus magischen Steinen, Beryllen, Almandinen, Aquamarinen mit fahlgelbem verblichenem Gold und mattem Kupfer.

Er hat den leidenschaftlichen Kultus der »écriture artiste«, wie ihn die Goncourts für ihre Sprache ersehnten; was Lemaître von diesen sagte, gilt auch von ihm, er ist »amoureux de mots, aligneur d'épithètes, polisseur de syllabes«.

Hervorrufen und einflüstern mit Hilfe wesentlicher Worte, durch genau erwogene Wahl und Anhäufung von Konsonanten und Vokalen einen Eindruck auch ohne Zutat des Sinnes zu geben, ist überhaupt ein Kunstspiel des Kreises, dem Hofmannsthal angehört.

Sie wollen, was in Frankreich und Belgien erstrebt, was schon einmal in der deutschen Romantik gepflegt wurde, die rein musikalische und malerische Reflexwirkung sprachlicher Bijoux ohne Kommentierung durch den Verstand, die »audition colorée«.

So erweckt Stefan George in seiner Strophe aus dem Algabal:

Daneben war der Raum der blassen Helle,
Der weißes Licht und weißen Glanz vereint,
Das Dach ist Glas, die Streu gebleichter Felle
Am Boden Schnee und oben Wolke scheint

das helle Gefühl starrender Weiße.

Ähnliche Wirkung sucht auch Hofmannsthal.

Mehr phonetischer Art. Rieselnden Regen durch r und i.

Das Wehen des Windes:

Der Wind in den wehenden Weiden Am Wasser der wandernde Wind

und ein gleiches:

Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehen.

Er hat sich gewiegt,
Wo Weinen war
Und hat sich geschmiegt
In zerrüttetes Haar.

Er schüttelte nieder
Akazienblüten
Und kühlte die Glieder
Die atmend glühten.

Durch die glatten
Kahlen Alleen
Treibt sein Wehen
Blasse Schatten.

* * *

Doch viel wertvoller als dies rein Artistische ist uns sein Naturgefühl, seine Sensibilität des Aufnehmens und sein Vermögen, mit seiner Kunst diese Sensibilität mitzuteilen.

Die Stimmen der Nacht im »Tizian«:

Mir war als ginge durch die blaue Nacht
Die atmende ein rätselhaftes Rufen
Und nirgends war ein Schlaf in der Natur.
Mit Atemholen tief und feuchten Lippen
So lag sie horchend in das große Dunkel
Und lauschte auf geheimer Dinge Spur

und dann:

Und wo die Wolkenschatten hastig glitten
War wie ein Laut von weichen nackten Tritten …

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Da schwebte durch die Nacht ein süßes Tönen
Als hörte man die Flöte leise stöhnen
Die in der Hand aus Marmor sinnend wiegt
Der Faun, der da im schwarzen Lorbeer steht
Gleich nebenan beim Nachtviolenbeet.
Ich sah ihn stehen still und marmorn leuchten,
Und um ihn her im silbrig blauen Feuchten
Wo sich die offenen Granaten wiegen,
Da sah ich deutlich viele Bienen fliegen
Und viele saugen, auf das Rot gesunken
Von nächtgem Duft und reifem Safte trunken.
Und wie des Dunkels leiser Atemzug
Den Duft des Gartens um die Stirn mir trug,
Da schien es mir wie das Vorüberschweifen
Von einem weichen wogenden Gewand
Und die Berührung einer warmen Hand.
Im weißen seidig weißen Mondesstreifen
War liebestoller Mücken dichter Tanz
Und auf dem Teiche lag ein weicher Glanz
Und plätscherte und blinkte auf und nieder.
Ich weiß es heut nicht, obs die Schwäne waren
Ob badender Najaden weiße Glieder.

Welch wundervolles Zusammenklingen der Landschafts- und Seelenstimmung in der Madonna Dianora, Sehnsuchtswehen gipfelnd in dem Lebensjauchzen der hohen Gartenstunde:

Er nahm mich bei der Hand und zog mich fort
Und wie verzaubert war mein Blut, ich streckte
Die linke Hand nach rückwärts und die andern
Hängten sich dran, die ganze lange Kette
Von Lachenden! Die Lauben flogen wir
Hinab und einen tiefen, steilen Gang
Kühl wie ein Brunnenschacht, ganz eingefaßt
Von hundertjährigen Zypressen, dann
Den hellen Abhang: bis an meine Knie
Berührten mich die wilden, warmen Blumen,
Wie wir hinliefen, wie ein heller Windstoß.
Und dann ließ er mich los und sprang allein
Hin an die Stufen zwischen den Kaskaden:
Delphinen sprang er auf die glatte Stirn,
An den im Rausch zurückgeworfnen Armen
Der Faune hielt er sich, stieg den Tritonen
Auf ihre nassen Schultern, immer höher,
der wildeste und schönste Gott von allen!
Und unter seinen Füßen flog das Wasser
Hervor und schäumte durch die Luft herab,
Und sprühte über mich, und ich stand da,
Und mir verschlang der Lärm des wilden Wassers
Die ganze Welt …

 

IV.

Um Hugo von Hofmannsthal weht die Atmosphäre, in der die Künstler d'Annunzioscher Romane atmen. Ich muß bei ihm an den Andrea Sperelli denken, den Dichter und Radierer, von dem es heißt: »in der Ausübung der Kunst zog er die schwierigen, exakten, vollkommenen, unbestechlichen Mittel allen andern vor: die metrische Form und die Radierung …

Er dachte mit Henri Taine, daß es schwieriger ist, sechs wirklich schöne Verse zu schreiben, als eine Feldschlacht zu gewinnen. Seine Fabel vom Hermaphroditen ahmte in der Struktur Polizianos Fabel von Orpheus nach; sie enthielt Strophen von außerordentlicher Feinheit, Gewalt und musikalischem Klang, namentlich in den Chören, die von Ungeheuern zweideutiger Art, wie Zentauren, Sirenen und Sphinxen gesungen werden. Seine neue Tragödie La Simona in kurzem Versmaß, hatte einen ganz eigentümlichen Duft. Obwohl in alttoskanischer Art gereimt, schien sie doch das Werk eines englischen Poeten aus Elisabeths Jahrhundert, nach einer Novelle des Decamerone; sie hatte etwas von dem süßen und wunderbaren Zauber in sich, der in gewissen frühen Dramen von William Shakespeare weht.«

Solche Kulturassoziationen voll feinem Bildungsaroma kommen uns auch bei Hofmannsthal.

Vom Sperelli heißt es dann zwar: »Sein Geist war überwiegend formal. Er liebte den Ausdruck mehr als den Gedanken.«

In solchem Grade Parnassien ist Hofmannsthal wohl nicht. In seinen Versen weben viel Tiefsinn und Trauer und die Gedanken der Vergänglichkeit, der Geheimnisse des Lebens und des Todes. Erdrücken werden sie freilich mit ihrer Wucht den Künstler nie. Nie stammelt er ein ex profundis aus wirrender Seelennot. Er meistert mit goldenem Stab und führt den Reigen seiner Stimmungen mit erhabenem Gleichmaß, ein Apollon Musagetes. Und die schwersten Gedanken bilden sich ihm zu Ornamenten und Arabesken und korinthischen Tempelfriesen.

Wir brauchen diese Kunst, die so sein eigen, aber sie ist uns nicht die allein seligmachende. Wir haben noch andere Götter neben ihm.

Andere Provinzen unserer Seele verlangen andere Nahrung. Nur die ganz großen, Shakespeare, Goethe wissen uns ganz zu füllen in allen unseren Regungen. Heut gehen wir bald hier zu Gast, bald da, und freuen uns empfängnisfroh, wenn nur die Gabe echt.

Fontane befriedigt unsere Betrachtsamkeiten, bei Maeterlinck genießen wir die Sehnsüchte nach den Geheimnisgefühlen jenseits der Schwelle, bei Hauptmann beugen wir uns wirklichkeitsverehrend.

Und Hugo von Hofmannsthal gibt das, was die Deutschen selten in der Kunst gesucht, und wenn sie es suchten noch seltener gefunden haben, vollendeten Geschmack, Befriedigung differenzierten ästhetischen Begehrens.

Und ein deutlich Zeichen scheints, daß er und die, die ihm nahe stehn, die so lange der Stilleren und Heimlichen heimliche Freude waren, jetzt, da man allerorten an edelen Gläsern, getriebenen Gefäßen, farbenflutenden Stoffen neue Schönheit und Zierde sucht, zu Öffentlichen werden.


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