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Nilfahrt

7. März.

Vor wenig Tagen noch an Bord des Lloyddampfers »Schleswig« die Adria hinunter bei Winterkälte … Vor Korfu gab's kriegerische Zeichen, griechische Kreuzer fuhren aus, das türkische Fort Santa Charanta zu beschießen: man hörte den Kanonendonner, und bei Kreta schaukelte der Sturm das Schiff. Heute aber geht es in Frühlingssonne von der Gisehbrücke in Kairo den ruhigen flachen Nil hinauf nach Oberägypten.

Einem Hausboot gleich liegt die »Germania« der Hamburg-Amerika-Linie an der Sandböschung des Ufers, ganz weiß, zweistöckig, mit Veranden umzogen, wie ein Cottage. Laubenplätze sind in der Mitte und am Vorderbug, teppich- und mattenbelegt, mit tiefen Korbfauteuils und niedrigen leinenbezogenen Diwans. Geräuschlos gleiten auf den weichen Sohlen ihrer gelben und roten Hammelpantoffel die schwarzen Stewards, lang und schmal, in weißen, purpurgegürteten Kaftanen über Deck. Einer hat mir gleich mit dem großen Federwedel den Staub der Wagenfahrt abgefächelt, ein anderer führt mich und mein Gepäck in die Kabine. Ein niedriges weißes Holzgehäus, geräumig genug für die Garderobe, für Homespun, Bast und Flanell, für die Khakibreeches zu den Reitausflügen, für den Abenddreß; und der stattliche Tropenhelm, der schon manch liebes Mal die afrikanische Sonne gekostet, thront neben den Mützen und dem Panama auf dem Bord über dem langen Messingbett. Das Reizendste aber scheint mir gleich beim ersten Eindruck das Guckkastenfenster mit seinen drei Schüben, einem aus Glas, einem aus Gaze und einem, tiefen Schatten spendenden, aus Holzfächerwerk. Und ich male mir sogleich aus, wie in diesen Rahmenausschnitten sich Landschaftsminiaturen einfangen werden, und wie ich vom Lager die Schimmermagien der frühen Stunden beschaulich genießen kann.

Bald tönt der Gong zum Lunch. Ich esse die ersten Erdbeeren dieses Jahres und weiß nun sicher, daß ich im Sommer bin …

* * *

Die »Germania« fährt nilaufwärts, an Alt-Kairo vorbei, an der blühenden Insel Roda; darüber steigt links aus kahlem Sandgebirge die Alabastermoschee mit den starrenden Minarettlanzen auf, und rechts schneidet als scharfe Silhouette in die klare Luft das trigonometrische Ornament der Pyramiden.

Am Nachmittag legen wir zum ersten Ausflug an. Das Ufer ist gelbgraues welliges Wüstenland … die schwarzen Bootsleute springen in das seichte Wasser, daß es platscht, und richten den Steg. Die kleine Gesellschaft (Engländer, Amerikaner, Österreicher) balanciert hinüber; über dürre verbrannte Grassteppe geht's zu einem Wasserarm auf ungefügem, grau verwaschenem Fährboot hinüber. Dort steht die Eselkavalkade schon bereit mit buntbestickten Sätteln, mit Korallenketten und Münzbehang um Stirn und Hals. Ich greife nach dem schönsten. Er ist silbergrau mit dunkleren Haartupfen, die wie die Noppen in schottischen Tweedstoffen wirken, und um die schlanken geraden Beine hat die Schere des Hairdressers sehr künstlich auf dem kurz abgemähten Grund Bandreihen von Dreiecken stehengelassen, kleine Pyramiden. Und er trabt wie ein munteres Füllen. Er trabt seinen minderen Brüdern voraus auf Memphis los. Doch dieser stolze Name deckt heut nur ein elendes Fellachendorf. Hütten aus schlammfarbenem Lehm gebacken, mit viereckigen Fensterlöchern schichten sich in Würfelform, schlanke Palmen lehnen dagegen und Überwipfeln sie mit ihren Fächern. Im Galopp geht es an »Bakschich« schreienden Kindern und an den die Wände entlang hockenden Alten vorbei ins Freie. Weideland streckt sich nun mit schwerfälligen dunklen Büffelkühen, scheckigen Zicklein, wiegenden Kamelzügen. Zelte breiten sich; streckenweise zerklüftet sich der Boden lehmschollig, Höcker starren, Nilpferdrachen klaffen; dann ziehen sich geschnürte Gatter von Zuckerrohr, dahinter tauchen die blauen, schwarzen und weißen Kittel der Feldarbeiter auf, und das grüne Gestängel überschneidet ihre Flächen mit Zebramusterung. Nun in den Schatten eines Palmendickichts … in einem Rinnsalbett liegt auf die Seite gewälzt eine große Sphinx, ein üppiger Frauenleib mit Löwenfüßen, und bald danach halten wir vor den Rhamses-Kolossen.

Der eine liegt, wie vom Blitz gefällt, in seiner ungeheueren Länge in einer Grube. Um den Mund mit der mächtigen Habsburger Unterlippe in dem riesigen Ovalantlitz ruht ein Lächeln von Ewigkeit zu Ewigkeit. Die gewaltigen Glieder, vom Schwert mit den zwei Sperberköpfen umgürtet, strecken sich, als hätten sie sich stürzend in dieses Grab eingewühlt und seine Form geprägt. Einen Holzviadukt hat man über den Giganten hinübergeführt, eine Laufbrücke, und nun klettern die Touristen schwatzend auf dem Heros herum, wie die Pygmäen auf dem Leib des Gulliver.

Die Stufenpyramide von Sakkara mit ihrem Treppenprofil steigt auf. Ringsum Schotterhalden, löwengelbe Dünen, wellige Sandstriche, steinrillige Talmulden, auf ihren Flanken Schatten von Vogelflug. Wir steigen in die unterirdischen Grabkammern des Ti. Er war ein pharaonischer Baumeister, und in seinem Totenhaus sieht man an den Wänden der Gemächer Malereien voll Lebensfülle, einen ganzen kulturhistorischen Bilderatlas altägyptischer Werke und Tage.

Das Momentane der schreitenden Widder, der Gänse, die sich gegen das Mästen sperren, der Kraniche, die ihre Schnäbel verkreuzen, des Zappelgeflügels, das in den greifenden Händen der Schlächter halsreckend mit den Flügeln schlägt, der gelassene Ausdruck wallender Rinder im Tupfenfell, das Fischgewimmel im Wellengekräusel, das alles erinnert ebensowohl an das Dekorative japanischer Handschrift wie an die zuckenden Impressionen August Gauls. Dann geht es tief in Katakomben hinab, in mächtige Gänge bei Kerzenlicht, das ungewisse Scheine in die vielen starrenden Seitengewölbe mit ungeheuren Sarkophagen – ein jeder ein von Menschenhand zur Form gezwungener Felssturz – wirft.

Diese Mammutsärge bargen die Mumien der heiligen Apisstiere. Und hier ahnt man, nach den miniaturhaften Genrekünsten im Ti-Grab, zum erstenmal etwas von den monströsen, unheimlich maßlosen Todesmysterien des alten Rätsellandes.

Im Sonnenuntergang reiten wir zurück. Der rote Ball liegt glühend auf der Spitze der Pyramide, dahinter wellen sich Bergzüge mit lichtberieselten Kämmen. Schnell senkt sich Dunkelheit, und nach der Hitze des Tages weht kalter Wüstenwind. Im Fährboot hocken schwarze Frauen mit Tonkrügen auf den Köpfen und lallen klagenden Gesang. Wie Charons Nachen ist's … Am anderen Ufer führt ein Araber mit Laterne. Wir Schatten stapfen durch den Wüstensand unter dem Sternenhimmel, ich dachte an Rivières »Marche à l'étoile« …

Und von weitem leuchtete mit Lichterreihen, wie illuminiert, unser schwimmendes Haus, die »Germania«.

8. März.

Nilkontemplation in ruhigem Schwimmen auf dem Wasser zwischen der Libyschen und der Arabischen Wüste. Hier, auf der Strecke von Wasta nach Beni-Hassan, ist die gefürchtete seichte Stelle, an der die Schiffe im Sande steckenbleiben. Barken, bunt bemalt, mit Dreieckssegeln an schrägschwankem Angelmast staken sich mühsam vorwärts. Um den Tiefgang zu loten, springen die Bootsleute nackt in den Strom, ein brauner Bursche steht in der flachen, nur einen halben Meter hohen Strömung am Bug und wirkt mit dem an die Holzrippen gepreßten Oberkörper wie eine Gallionfigur aus Bronze. Am Ufer zieht sich zerfurchtes lehmrilliges Randgebirge. Seine gelbgrauen Abhangwälle zeigen natürlich gebildete Reliefformationen; an arabische Stuckornamente erinnern sie, an Lettern- und Zahlenreihen, an Baumverästungen, an die Flechtverschnürung der Krüge.

Ganz oben ragt ein Koptenkloster über kalkfahlem Stein. Widderzüge schreiten gemessen, wie auf den Grabbildern des Ti. Neben einer gelben Strohhütte wächst eine lange schwarze Gestalt in den Abendhimmel, und am westlichen Ufer geht die Sonne rot hinter Palmen unter, wie auf einem Bild aus der guten Stube unserer Kinderjahre.

Zum Dessert erscheint im Speisesaal unser Dragoman Effendi Nahman Abbas Gabriel. Er trägt am Tag über dem gestreiften Kaftan eine blaue Sailorjacke, jetzt aber kommt er phantastisch in gesticktem syrischen Überwurf, dem Zaubermantel des Archivarius Lindhorst gleich, und reichem Turban. Er erzählt von Kynopolis, dem Hundegau, vom Gazellengau und Sykomorengau, wohin wir jetzt fahren werden.

9. März.

Wir reiten, ein schwarzer Policeman vorauf, zu den Felsengräbern von Beni-Hassan. Sie sind in die Berglehnen eingesenkt. Der Pyloneingang in die Grüfte läßt an »Aida« denken. Im Innern frappiert wieder die Impressionskunst der Wandbilder. Diesmal sind es Ringerdarstellungen, von einer Variationenfülle der Gangarten, der Gruppierungs- und Griffmöglichkeit, daß die Momentreihen eines Films nicht bewegter sein könnten. Und wieder Japonnerien von Tieren: gesprenkelte Vögel mit blauen Flügeln und weißer Brust, Reiherabflug mit Fächerschwingen und hängenden Stelzenbeinen; Fischfang, Vogelstellen und Bogenjagd auf flüchtige Gazellen; Hieroglyphenvignetten und darüber Vogelgeschwirr.

10. März.

Assiut im Sykomorengau. Wieder Gräber. Zwischen Lehmhütten wandeln Frauen, eingewickelt in schwarze, lange Wachstuchhüllen, die sich im Winde blähen … Am Abend – das Schiff bleibt zur Nacht hier liegen – laufen nach dem Coucher de soleil Zickzackglitzerwellen wie das Lichtvibrieren in Geislerschen Röhren über die Wolkenränder, und dann steigt der türkische Halbmond auf, die Silbersichel horizontal auf dem Rücken liegend, die Hornspitzen nach oben, gleich einer Gondola! Gerade über ihm die Venus; es ist, als ob der Mond nach ihr die Arme breite, in Bereitschaft, aber sie fällt ihm nie in den Schoß. Auf den Uferböschungen hocken dunkle Gestalten verknäult, in weißen Turbantüchern, und auf unserem schmalbretterigen Landungssteg kauert melancholisch, den schwarzbärtigen Kopf tief in der Kapuze des Khakimantels, ein Wächter neben seinem Schakalhund mit spitzschnauzigem Anubiskopf …

11. März.

Die Sonne brennt, wie wir den Nil hinauf südwärts fahren. Meine Eulenbrille aus blondem Horngestell mit den chartreusegrünen Gläsern feiert ihr Debüt, und die Fliegenwedel, aus Palmenhalmen, mit dem glasperlenbesetzten Griff, die notwendige Wehr gegen die achte der ägyptischen Plagen, werden leidenschaftlich geschwungen.

Im abgedämpften milden Licht, verdämmernd wie ein Mirage, schwimmen nun die Barken vorbei mit hoch aufgetürmten, quer in Netzverschnürung geschichteten Tonkrügen. Narkotisch ist's in der Schwüle, auf dem Diwan zusammengerollt, den Windungen der Nilkurven nachzusehen, wie das Schiff in Schleifen sich vorwärts dreht, in Becken gleitet, die im Arenakranz der Kalkberge wie ein See geschlossen scheinen, und dann wieder auf schmaler Spur in neue Weite. Unaufhörlich wechselt Ost und West, und lag man eben im Schatten, so schießt im nächsten Augenblick die pralle Sonne herab. Ist sie aber hinter den schräg wie in einer Sturmbeugung erstarrten Palmen orangerosa gesunken, und zeichnen sich die Fächersilhouetten gegen den lila Himmel ab, dann weht es kühl über die Fläche, und man hüllt sich in den warmen Raglan.

12. März.

Ritt zum heiligen Grabe. Es ist das Grab eines Gottes, die geweihte Totenstätte des Osiris, der Tempel von Abydos, wo alle Sterblichen für ihre Leiche eine Einkehr wünschten, wenn auch nur auf kurze Gastzeit. Den Reitweg säumen aus Lehm aufgemauerte und durch Krugscherben gefestigte Pylonentürme, von Flügelschlag umschwirrt; es sind Taubenschläge; über dem Tor zu einem Lehmhof steht angeschrieben: Ägyptische Bank. Hinter dem Dorf in einer Senkung liegt der Tempel, auf geschwungenen Säulen, schwer erdwurzelnd. Die Griechentempel steigen hell leuchtend aufwärts ins Blau, die ägyptischen scheinen der Unterwelt verhaftet, dem finsteren Reich. Dämmerung hängt in ihnen, durch zylindrische Löcher der Decke fällt nur spärliches Licht herein. Man fühlt: im Dunkel sind Mysterien zu Haus, und man ahnt, wie im Flackerschein der Fackeln beim Kult sich die Reliefs unter der Decke mit den weißen Sonnenscheiben gespenstisch von den Wänden lösten: Rhamses, der Osiris in ekstatischer Darbringung das Opfer reicht, Sethos, der kniend vorwärts gebeugt seinen Königsschmuck und dann sich selbst, in Form einer Bildsäule auf flacher Hand, dem Gott voll leidenschaftlich andrängender Gebärde bietet. Und der Gott steht mit unbewegter Miene vor dem Herrn der Erde …

13. März.

Wieder im Tempelbereich. Der Tempel von Denderah. Ein Säulenwald auf Mammutfüßen. Das Heiligtum der Göttin Hathor. Die Säulen tragen ihren Kopf als Kapitäl; vielfach rundet sich das mondlich weiche Gesicht aus dem Stein heraus, von Schleierfalten umwallt. Geflügelte Sonnen mit türkisblauen Strahlen schimmern im dunklen Grund der Decke; durch ein Gitter fällt ein Sonnenstaubstreif ins kühle Dunkel.

Zu den unheimlichen Krypten geht es treppab. Man kriecht, ein Bein voraus, durch ein Viereckloch mit Eisenklappe, und taucht in schwüldumpfige enge Gänge unter. Es riecht nach Fledermäusen. Beim aufzuckenden Schein eines Magnesiumfadens leuchten aber dann die erlesensten Reliefs auf: ein Sperber mit langspreizigem Fächergefieder und stolz herrischem Profilkopf. Hathor, sitzend, das Gesicht in der farbigen Perücke und den Halsschmuckreihen aus blauen Gliedern, Plättchen und Ösen.

Auf den äußeren Mauern des Tempels sieht, man interessante Zeichen aus römischer Zeit: Imperatoren in Pharaonentracht, der Hathor opfernd (ähnlich, als wenn der Kaiser sein Bild als mittelalterlicher Ritter auf einem Glasbild einer katholischen Kirche schenkt), und unter den mächtigen Löwenhäuptern der Wasserspeier Kleopatra mit der erotischen Dreieckslinie vom Nabel zum Schoß mit Caesar und zwischen ihnen der kleine Caesarion; und ich dachte an Bernard Shaw und sein lächelnd weises Spiel vom »alten Herrn« und dem kleinen Kätzchen, das nachher zum großen königlichen Raubtier wurde.

Auf Außenstiegen zum Dach. Hier baut sich von zwölf Säulen getragen über Terrassen ein zierlicher Tempel von der Grazie des athenischen Erechtheion auf. Unten im Hof machen unsere Bootsleute in den roten Sweatern unter Gebrüll einen Wettlauf, und dann schleppen sie mit wildem Piratengesang an Stangen den Tragstuhl der old Lady von der »Germania« zurück, daß sie hoch oben schwankt in ihren Schleiern wie ein schwarzes Götzenbild mit dem Fliegenwedel als Zepter.

Am Ufer ist alles Volk von Denderah versammelt. Ein fliegender Markt tut sich auf mit Ketten, silberdurchwirkten Schals, farbigen Strohkörben, »How much?« gellt es hinüber, herüber. Die Händler werfen die Schals – die kleinen Mädchen von Assiut knüpften die blanken Metallfäden in die Tüllmaschen – als Köder im Schwung zum Deck hinüber und bekommen sie im Fangballspiel zurück. Das wiederholt sich, bis nach endlosem Feilschen der Handel richtig wird und der Silberschal über den Schultern der blonden Miß beim Dinner gleißt. Ein blinder Tierstimmenimitator mit entsetzt aufgerissenen weißen Augenhöhlen läßt dazu den Hahn krähen, den Hund bellen und mit klaffendem Zahnstummelmund den Esel sein keuchendes I-ah röhren. Unser Dampfer fährt ab – der Blinde tutet dazu wie ein Nebelhorn –, wir gleiten in den Sonnenuntergang. Von einem Sandstrich im Nil fliegt ein Volk Reiher auf in die Glut, kahlköpfige Aasgeier hocken über einem Tierkadaver. Im Dunkeln legen wir am Ponton in Luxor an.

Dicht am Ufer im Scheine des Mondes – die Gondola ist nun schon drei viertel mit Astralglanz erfüllt – steigen die Arkaden des schönsten Tempels in den Nachthimmel. Ich muß ihn heut noch sehen, vor Tag, vor dem Fremdenschwarm. Ich gehe an Land. Vor den Arkaden breitet sich ein kleiner Garten mit weißen Blumen im Grün, ich trete ein; ein schwarzer Wächter hebt sich aus dem Dunkel, öffnet schweigend, geheimnisvoll die Pforte, und ich steige abwärts in den Säulenhof. Ein Gang öffnet sich, wie von gigantischen Baumstämmen eingefaßt; aus ihrem Schatten schreiten heraus Kolosse, die drei Gewaltigen, zermalmenden Trittes, der eine kopflos, grauenvoll wie ein Enthaupteter. Aus der Erde bäumt sich gleich der Hexe von Endor eine Gestalt mit halbem Leib. Eine abgebrochene Riesenkrone liegt gestürzt im Staub. Ein ungeheurer Rhamses steht dräuend aufrecht, ein ägyptischer Roland, doch der nordische Vetter ist neben ihm ein Zwerg. Ein anderer sitzt in versteinter Ewigkeitsmajestät. Tausend Jahre sind vor ihm wie ein Tag. Und am Himmel schwimmt der Mond gleich der heiligen Barke des Osiris.

14. März.

Früh geht der Ritt zu den Tempeln von Karnak. Der Donkey-Boy erzählt mir stolz, daß sein Esel Bismarck heißt.

Eine Ruinenlandschaft ist Karnak, eine chaotische Wildnis gefällter und aufragender Säulen. Pylonen und Mauern mit trotzigen Böschungen winken wie Burgen und Bollwerke, als hätten die Giganten für die Götter Trutzfesten getürmt. Widder- und Sphinxalleen leiten bedeutend durch die klaffenden Portale in die heiligen Straßen; schlank steigen Obelisken in die Höhe; in den Sonnenhimmel wächst auf einem lichten freien Platz eine einzige Säule von klingender Musik des Rhythmus, sie blüht hoch droben eratmend auf; zu einer Glocke wölbt sich ihr Kapitäl, und die Säulenglocke und die blauluftige Himmelsglocke wallen einander entgegen voll Sphärenklang.

Karnak ist kein organisches Architekturgebilde. Generationen haben daran geschafft, die Häuser der Götter drängen sich in vaster Fülle und machen sich den Boden streitig in verwirrender Maßlosigkeit. Der Mondschein muß dieser phantastischen Wirrnis mit seinen unbestimmten Schattenspielen ein stärkeres und besonderes Leben verleihen als das Tageslicht. Und so werde ich Karnak in wenigen Tagen auf der Rückfahrt wiedersehen.

Gut paßt aber in die pralle sengende Helle das interessante Getriebe der Ausgrabungsarbeiten. An pharaonische Fron denkt man vor den Erdschluchten und Schächten, aus denen begrabene Säulen heraufgewunden werden. Mit Hebebalken wird gewuchtet, der Aufseher steht antreibend dabei. Wie Responsorien begegnen sich sein Ruf und der heulende Chorschrei (»Hebt den Stein auf, hebt den Stein auf!«) der braunen, quer in Muskelanspannung gegen den Balken gestemmten Burschen: Arbeit und Rhythmus. Und die Paarreihen der singenden Knaben mit den erdgefüllten Körben auf den Köpfen gleichen den Opferprozessionen auf den Bilderwänden der Grabkammern.

Am Nachmittag suche ich noch einmal den Luxortempel auf, und ich finde, was mir der Abend gestern verbarg. Im Schatten der Kolosse entdecke ich eine reizende kleine Frau. Neben dem mächtig thronenden Rhamses steht sie, steinern, in ewiger Jugend, auf gleichem Postament. Sie reicht ihm nur bis zur Wade; mit einer rührend zaghaften Bewegung legt sie die kleine Hand ihres schlanken Armes an die Flanke ihres Herrn. Nackt steht sie da, auf hohen, feinen Beinen, schmalhüftig, mit zierlichen Kugelbrüstchen wie kleine Mandarinen. Und aus der umwallenden Perücke schaut ein exotisches Kindergesichtchen. Nephertere ist das, die Hethiterin, die Kriegsgefangene, die dann die Gemahlin ihres Siegers, des großen Rhamses II., wurde … Liebe, kleine Frau, und morgen werde ich drüben, am anderen Ufer des Nils, in der Libyschen Wüste, in dein Grab steigen …

15. März.

Eine Fülle des Erlebens voll ungeheurer Gegenwart in jahrtausendalten Grüften. Wir reiten durch die Wüste. Keine feinstiebenden Sanddünen wie in Biskra, die an den Meeresstrand erinnern; strengstarre, harte Steinhalden, Hügel, spitzig gleich Riesenzelten, Basteiwänden vorgelagert. Und überwältigt erkennt man alle Formen ägyptischer Bildnerkunst hier von der Natur vorgeformt. Immer wieder taucht der skeletthafte, mammutrippige Rücken auf, dem ein zerklüfteter Dreieckfels sich wie ein Haupt aufstützt, die Urgestalt der Sphinx; auf Bergplateaus bauen sich mit Dreieckseiten Pyramiden auf. Die furchigen Wandlehnen scheinen an ihren Flächen Reliefs von Kolossen zu bergen, die mächtigen, elefantigen Rillen ihrer Abhänge sind wie die Lenden der Riesengestalten, die halb aus den Tempelpfeilern wachsen, halb Gestalt geworden, halb Gestein geblieben.

In dem tiefsten Schoß der Felsenberge sind die Könige von Theben bestattet, und den düsteren Todesweg zu ihnen steigt nun heute neugieriges Touristenvolk aller Erdteile.

Bergwerksschachte, niedrig, quer hineingebohrt, mit bretternen Stiegen führen in die Unterwelt. Nach dem Infernoweg aber ist's wie im Märchen: Säle und Kammern öffnen sich, ein ganzes Wohnreich, und die Wände sind Galerien graziösester und lebendigster Kunst. Man hat diese Räume jetzt elektrisch beleuchtet, und man kann sich den Vorwurf der »Stillosigkeit« sparen, denn der Genuß ist nun erst ermöglicht.

Im Grab Rhamses' IX. sah ich Frauen in orangenen Gewändern, kurz, ganz eng anliegend, von den Hüften modellierend sich zu den Knöcheln verjüngend: Poiret; und die Musterung ein rotes Netzwerk mit blauem Punktierspiel war wie von den Wiener Werkstätten. Ein blaues Miederkleid stieg über die Taille an und formierte das Rückprofil kallipygisch in zierlicher Melonenrundung. Unter blauer Perücke ein kapriziöses Vogelprofil mit vorgeschobenem Mund. Sie hätte sich, diese Beauté artificielle, gut in unserer »Galerie der Moden« gemacht.

Und nicht weniger jene andere mit den etwas schlitzigschrägen Augen zur stumpfen, nubischen Nase, den blauen Ketten auf dem gelben Hals und dem steilen Federfragezeichen auf dem Kopf. Auf Langfriesen schreiten Reihen von roten und blauen Kriegsgefangenen, eckig, flächig, Strichgebilde, und das sind reine Hodlers. Und schauerlich grotesk sind die Scharen der Geköpften, Züge wandernder Rümpfe, und die der Ertrunkenen, die umgedreht mit den Häuptern nach unten schwanken … Dazwischen Hieroglyphenfelder, farbig illuminiert wie zarteste Miniaturen oder Stickereien.

In Amenophis' II. Gruft geht es fast senkrecht einen Engpaßschlot hinab, und auch hier am Ende des Schauerweges Wunder über Wunder. Kabinette von der zierhaften Anmut pompejanischer Flächenspiele oder zarter Wedgewood-Dekoration unter Sternendecken, blau und weiß. Und an den Wänden und Pfeilern hauchige Umrisse wie Federzeichnungen. In einem tiefen eingesenkten Nischenraum der Sarkophag und unter Glas die Mumie des Königs, ein steiles grünes Bronzeantlitz mit herrischer Hakennase. Der Schein der elektrischen Birne fallt darüber, Verachtung und Unruhe gehen über diese Züge …

* * *

Alles ist an diesem Tag besonders, sogar der Lunch. Der fürsorgliche Manager der »Germania« hat ihn in zwei mächtigen Körben, das Eis für die Getränke nicht zu vergessen, verstauen lassen. Ein Kamel hat die Last voraufgetragen, und jetzt finden wir im nächsten Grab, dem Grab Nr. 9 des Amemnesis, in schattiger Grotte den Tisch gedeckt. Es geht wieder wie im Märchen: »in den Bergen, bei den sieben Zwergen« … Nichts ward vergessen, und zum Schluß gab's Café arabe. Die Sonne brennt auf den Tropenhelm, als wir danach hügelan weiterreiten. Auf Schmalpfaden über Geröll und Steinsturzsteile. Fahl wallt die Sandfläche in Hebung und Senkung, verbrannt und dürstend; zwischen dem sengenden Gestein in den Mittagsgluten wandern mit ausgreifenden Schritten die Araber, die blauen und schwarzen Kittel stehen flächig in der Luft und werfen lange Schatten über das starrgelbe steinerne Meer. Nach Osten aber mit scharfem Grenzstrich löst sich von der Wüste grünes Weideland ab und senkt sich in Gebreiten zum Nil. Und merkwürdig unmotiviert machen sich in der grünen flachen Wiese die Memnonskolosse breit, täppisch, hilflos, wie ein vergessenes, stehengelassenes Riesenspielzeug.

Wir kehren noch im Tempel von Der-el-bahri bei der Königin Hatschepsut ein, der mächtigen Herrscherin, der die Ägypter die höchste Ehre gaben und sie als Mann mit Lendenschurz und Kinnbart darstellten. Ihre bösen Brüder Thutmosis II. und III., die zugleich auch ihre Männer waren, versuchten, eifersüchtig auf ihren Ruhm, möglichst viel von ihren Denkmälern zu zerstören und ihre Bilder wegzumeißeln. Solche Spuren zeigt auch dieser Tempel. Wundervoll aber sind die Wandszenen der Expedition nach dem sagenhaften Lande Punt (etwa an der heutigen Somaliküste, meint Baedeker), vor allem die Bäume mit dem Gewirr ovaler lichter Blätter, hellblau grundiert.

Und dann steige ich endlich in das Grab der kleinen Nephertere. Ein blaßblauer Phönix auf kerbig abgesetzten Stelzen grüßt an der Eingangswand. Und da ist sie selbst. Hier im eigenen Haus und Reich nicht von so zager Lieblichkeit wie im Schatten ihres Gebieters. Sie schaltet hier reifer, fraulicher. Im weißen Faltenkleid sitzt sie und spielt Schach. Und der Maler, der vielleicht auch ihren schönen Körper liebte, leistete sich den Einfall, durch das Kleid transparent hindurch ihr schlankes hohes Bein nackt erscheinen zu lassen. Dann steht sie vor der Isis, wieder in dem weißen Kleid, kimonoartig mit spitziger Schleppe, gerafft über der Brust, und an den Schultern sich fichuartig drapiert. Sie hält in der Hand das schlüsselähnlich geformte Hieroglyphenzeichen, das Leben bedeutet und das den alten Ägyptern in ihrem leidenschaftlichen Hängen an der Fortdauer der Existenz das werteste Amulett war.

Die Göttin Isis aber hat jenen ganz engen, umspannenden Hüftmiederrock an, aus dem die Büste vasenförmig aufblüht und der die Knöchel fesselt, und gemustert ist er mit punktierten Zellenornamenten, als wäre er von Mela Köhler aus der Klimtschule entworfen.

Palmsonntag, 16. März.

Weiter südwärts fahren wir. Der Nil wird seichter. Gegen Abend gibt es einen Ruck. Der Dampfer bockt. Wir sitzen auf. Vorn an der Spitze des Schiffes wird es lebendig. Die Rot-Sweaters drängen sich kletternd zu einer Pyramide zusammen, die weißen Turbane schichten sich übereinander, hell und klagend gellt der Antriebsruf: Helle, Helle; sie staken, aus Leibeskräften angestemmt, und der dicke Obermatrose mit dem Tonnengewölbe des Bauches auf kurzen säulenstumpfigen Beinen, schwarzbraun wie polierter Granit, der sonst mit seiner Wasserpfeife wie ein Haremswächter aus der Operette wirkt, arbeitet unter wildem Gebrüll voran. Und sachte entgleiten wir der sandigen Umklammerung, und als der Himmel sich safranrosa über den lila Bergen färbt, machen wir bei Edfu, der Stätte des Horustempels, fest.

17. März.

Kurzer Ritt durch das Dorf. Vor den Lehmhütten lehnen Frauen, an dicken Zuckerrohrstauden kauend, in der arabischen Schule machen auf einem holzverschlagenen Gang die schwarzen Boys Freiübungen und mitten zwischen den schiefen verfallenen Behausungen hebt sich aus einer Sandmulde der Tempel auf gedrungenen Säulen mit massigen Pylonen, die hoch über die Kolonnaden des Hofes hinausragen, festgemauert in der Erden. In langem Durchblick schaut man durch die Säulenperspektive in die Kirche mit dem allerheiligsten Schrein aus Rosen-Granit.

Das Wunder und die Herrlichkeit des Tempels ist aber nicht in ihm, sondern ante portas im Vorhof. Hier steht der Horusfalke, das Tierbild der Gottheit. Ganz der stolze Raubvogel, und dabei doch wieder ganz ein steinernes Gebilde von größter, nur das Wesentliche gebender Flächenkunst. Und wieder möchte man an Gauls Modellierung denken.

Der Falke steht, die Flügel eingefaltet, auf Wache, mit streng gespannter Miene. Die ägyptische Königskrone, tiaraförmig, trägt er auf dem gebieterischen Kopf. Der Schnabel krümmt sich scharf darunter.

Am schönsten ist die Silhouette, die sich vom Auge an die Kurve zur Flügel-Umrißlinie und zur zweispitzigen Schleppe herunterzieht.

Als wir dann weiter dampfen nach Assuan zu, gehts unten an der Schiffsspitze lustiger zu als gestern. Unsere roten Sailors hocken zusammen, sie schlagen auf Tonvasen, die statt des Bodens ein Trommelfell haben, sie klatschen in die Hände und heulen gutturalen Singsang, und der Dicke vollführt mit schaukelndem Bauch auf seinen Mammutfüßen einen parodistischen danse du ventre. Von der oberen Veranda regnets Piaster, und die Matrosen schreien heiser: »Hepp, hepp hurre; hepp, hepp hurre, thank you, thank you …«

19. März.

Nun ist Assuan erreicht, die letzte Station.

Ockergelbe und milchig hellblaue Häuser mit weißer Putzeinfassung und Schattenarkaden säumen den Quai; seitlings öffnen sich mit buntem Lappendach überspannt Bazargassen mit ausgestopften Krokodilen, Pantherfellen, Pfeilen, nubischen Dolchen, Schoßschürzen aus Muschelgeflecht, Nilpferdstöcken. Jenseits der Straße beginnt sogleich die Wüste. Durch die Granitbrüche reite ich, wo schon im Altertum das berühmte Rosengestein hergeholt wurde. Kalkweiße Schêchmäler, Kuppeln über Würfeln, wachsen blendend aus dem gelben Sande. Blockbastionen türmen sich abschüssig. Wieder sieht man natürliche Sphinxformationen, und auf einem Felshang wiegt sich die steinerne Königsmütze des Horus.

Zum Nilstausee geht der Weg. Vom Berg herab schreitet im schwarzen Flatterhaar ein riesiger Beschari, halbnackt. Mit dem wilden überlohten Antlitz gleicht er Johannes von Patmos. Am Ufer liegen Felucken, bunt bemalt, mit oval verschleiften Sprossengittern, grün, weiß und rot, am Bootsrand, wie Lehnen von Biedermeierbänken, und das Geschrei der braunen Schiffer erfüllt den Strand, als hätten Seeräuber eine fremde Küste erobert. Die Felucken steuern über den See, Palmenwipfel tauchen über seinem Spiegel, und dahinter ragt nur mit Dach und Säulenkapitäl der Rest der versunkenen Herrlichkeit von Philae aus den Fluten. Wir schwimmen heran und sind in der Höhe des Daches. Tief drunten durch die Tempelhallen aber fluten die Wellen, und die Kapitäle der Säulen sind schon mit dem grünschlammigen Fäulnisrand der Verwesung gezeichnet.

Der Staudamm, der das Kleinod ertränkte, bleibt aber dennoch ein imposantes Werk. Seine fast zweitausend Meter lange Granitmauer mit den 180 Toren, die in der dürren Zeit das im Stausee aufgesammelte Wasser in das vertrocknete Nilbett zu Tale speien, stellt sich in ihrer technischen Schönheit und der Gewaltigkeit ihres Gedankens ebenbürtig neben die Wunder der alten Welt. Pharaonenbauten und moderne Ingenieurkunst neigen sich über den Abgrund von Jahrtausenden zueinander.

Seitlings läuft ein Kanal zwischen haushohen Steinwänden mit Schleusenpforten, die auf einen Handgriff leicht und leise ihre Eisenflügel auf- und zuklappen. Barken ziehen breitbauchig und flach wie die der Vorzeit, und braunfleckige Hathorkühe, zusammengedrängt auf Deck, sehen mit dem sanft gefaßten, weich schwimmenden Blick ihrer Göttin, der Göttin von Denderah, vor sich hin.

Aber vom Katarakt und vom »Shooting« durch die Stromschnellen sollte nicht mehr geredet werden. Diese Gewalt hat der Staudamm mit seiner Schrankenwucht zerbrochen, und die Bootsfahrt, noch dazu unter der Mittagssonne, ist langweilig. Amüsant waren nur die nackten kaffeefarbenen Sudanjungen, die froschhaft mit angezogenen Schenkeln in ihren aus großen Blechbüchsen gebogenen Canoes hockten, mit Blechdeckeln pätschelten und nach Münzen kopfüber tauchten.

20. März.

Nilabwärts. Am Abend liegen wir wieder vor Edfu. Die Rot-Sweaters erstürmen das Ufer mit Hacken und Pflöcken. Unter dem Gesang von Helle, Helle ziehen sie das Seil des Schiffes und hauen die Pflöcke in den Lehmabhang. Sie stehen im Sonnenuntergang. Am Ufer dreht sich ein Schöpfrad vom Büffel getrieben, das das Nilwasser in Eimern heraufholt. Von ihm tönt eine seltsame Musik, wie Zusammenklang von Windharfe und Dudelsack, klagend dumpf und voll weichen Singens unter dem gelbrosa Himmel. Ein Kamel, zwischen Büffel und Esel mit Palmenfächerzweigen beladen, trägt die lang nachschleppende Last gleich einem Pfauenschweif. Schreitende Frauen, die Tonkrüge schräg gelagert auf schwarz verhüllten Köpfen wiegend, steigen vom Fluß aufwärts in das Zuckerrohrgesträuch und wandeln langsam in den Abend heim, wo der Falkengott auf Nachtwache steht.

Der Mond aber, nun schon der Fülle nah, hängt opalschimmerig krausrandig am Himmel, wie eine Barockperle.

21. März.

Früh morgens liegt das Ufer schleierlicht überhaucht. Die Wasserträger baden ihre Schläuche. Sie schwimmen wie schwarze Ferkel und kleine Krokodile im Wasser. Das Schöpfrad singt seine traurige Weise, und dazu tönt das Brummeln und Fauchgekrächz der mißmäulig sich aufräkelnden Kamele.

Und am Abend bin ich wieder in Luxor. Der Vollmond steht am Himmel, ich fahre im Wagen durch warmen Wüstenwind hinaus nach Karnak zum Ammonstempel. Der mächtige Pylon scheint noch riesenhafter; in einem Vierecksportal hängt das seidige Blau der Nacht. In das Dunkel der Gewölbe tauche ich ein, in den Ecken funkelt's wie von Pantheraugen; es ist das Mondlicht, das durch die Schmalschlitze der Deckbalken hineinsprüht. Im schweigenden Rhamseshof stehe ich vor den Bildsäulen, die versteinert, erstarrt, mit dem Rücken an die Pfeiler gebannt ins Leere schauen. Ihre Beine sind unten zusammengewachsen, die Gestalten stecken halb wie verwunschen und unerlöst, im Stein, die Fäuste aber an den über der Brust gekreuzten Armen packen eine jede mit Klammergriff jenes Hieroglyphenzeichen, den magischen Schlüsselgriff: Leben, Leben. Und Fledermäuse rascheln um die starren Königshäupter.

Aus Säulenschatten taucht ein schwarzer Wächter mit Stab. Ein anderer liegt zusammengerollt am Boden. Über die breite Prozessionsstraße wandere ich vorwärts. Vorbei an der einsamen Säule, die in das Sternengewölbe hinein noch wundervoller ihre Glockenblüte entfaltet als in den Sonnenhimmel, vorbei an dem dunklen Granitschreiber, der ohne Kopf, gespenstisch von Mondfluten überrieselt, am Kreuzweg vor seinem Pulte kauert, vorbei an dem Obelisk der Königin Haschepsut, der sich steil mitten in das Siebengestirn des großen Wagens einbohrt.

Unter schräg eingesunkenem Türsturz kletternde Steinstiegen hinan auf ein Plateau. Die cyklopischen Mauermassen des Pylonwalles lösen sich schwimmend im Astralschein. Nach den Himmelsrichtungen öffnen sich stehengebliebene Tor-Umrahmungen, sie schweben von blausilbrigem Äther erfüllt in der Luft, und sie führen ins Nichts. Ich steige herab und gehe kreuz und quer zurück. Phantomhafte Skulpturen treten mir entgegen in seltsamen Verwandlungen. Ist das nicht am Pfahl ein heiliger Sebastian, und die Triade, die drei Figuren mit ausgespannten Armen flach an der aufrechten Steinplatte, die Tafel zu Häupten, ist das nicht eine Kreuzigungsvision? … Und davor aus der Ecke leuchtet das nackte Weib mit den quellenden Brüsten wie eine Antonius-Versuchung.

Außerhalb der Mauer glitzert im Schilf der heilige See. Der Mond spiegelt sich darin. Auf hohem Sockel liegt der große Stein-Scarabäus, und die kerbig krabbligen Beine unter dem Rückenschild scheinen sich zu heben …

Eine halbe Stunde später sitze ich in einer Brasserie.

Händler kommen und bieten Scarabäen an.

Sie gehen feilschend vom »Pound« zu »one Piaster« herunter und ziehen maulend von dannen. Der niedliche schwarze Pikkolo im weißen Kittel, der aussieht wie der kleine Mohrenknabe aus dem »Rosenkavalier«, bringt mir auch noch einen Scarabäus an den Tisch. Er ist nicht aus Porzellan, Kalkstein, Lapislazuli, Achat oder Amethyst; er ist schwarz und spaziert in einer Blechschachtel zwischen grünen Blättern höchst lebendig herum. An der Echtheit dieses Mistkäfers zum mindesten scheint kein Zweifel …

Charfreitag, 21. März.

Im Vollmondschein gehe ich zum Abschied noch zu Nefertere. Die große Perrückenhaube des Rhamses bläht sich links und rechts von dem Kolossenhaupt wie die aufgestellten Halsflügel der Kobra. Die kleine liebe Frau steht unter der Krone, die fast halb so groß ist als der schmale, knabenhafte Körper, im Schatten ihres Königs. Und ich steige zu ihr auf den Sockel und streichele sie leise, und der Stein fühlt sich da, wo er sich zur zart knospenhaften Rundung wölbt, an, wie eine Haut.

Oberhalb des Tempels, auf einem Schutthügel, unter dem noch Teile von ihm verschüttet liegen, erhebt sich eine Moschee, davor der Luxor-Obelisk, dessen Bruder auf der Place de la Concorde in Paris steht. Aus der Moschee klingt das Psalmodieren und der gutturale Gesang des Vorbeters herab – ein seltsamer Charfreitagszauber.

23. März.

Am Morgen, als das Schiff abfährt und es zum Frühstück farbige Ostereier gibt, – sie brauchen nicht gesucht zu werden, die Nubier legen sie auf den Teller – beschließe ich, auf der Rückfahrt nicht mehr an Land zu gehen, sondern ein kontemplatives Bordleben zu führen. Look in the Nile ist die Parole, und immer werden die Ufer, die nur dem leeren Auge monoton erscheinen, in wechselnder Beleuchtung mir neues bringen. Und dann werde ich im Maspero lesen, diesem Handbuch und instruktiven Brevier der ägyptischen Kunst, und werde mir meine genießerisch eingefangenen Eindrücke im Zusammenhang ordnen und deuten lassen.

Während die Schar der in Luxor und Assuan Hinzugekommenen mit dem Effendi die Ausflüge in der jetzt schon drückenden Mittagshitze machen muß, bleibe ich zu Haus und unternehme Entdeckungsreisen auf dem Schiff, das mir nun allein gehört.

Im Unterdeck, zu ebener Erde, ist die Küche. In dem offenen Vorraum an der Reeling werden niedliche Wachteln gerupft und abgesengt. Zwei Überzählige sind mit dem Leben davongekommen. Der gemütvolle Koch, dessen französische Provenienz seine Saucen angenehm verraten – an seiner Tunke sollst du ihn erkennen – hat ihnen aus einem Gitterflechtkorb ein Bauer konstruiert, und darin schnabulieren nun die dickplustrigen grausprenkligen Tierchen mit den flinken Perläuglein vergnügt über ihrem Grünfutter.

An den Ufern beobachte ich die Arbeit des Nilwasserschöpfens und der Bewässerungen in ihren Variationen. Wer viel Land hat und Büffel, der legt ein Speichenrad an mit Hängeeimern, die am unendlichen Rundseil als Paternosterwerk ähnlich wie beim Baggern abwärts tauchen und oben ihr Naß vergießen, und der geduldige Büffel geht mit gesenktem Kopf unter dem steinernen Jochbogen und dreht das Rad, und immer hat das Holz, wie in Edfu, seine eigene Melodie.

Oder mit billigerer Menschenkraft: die Lehmböschungen hinunter stehen abgestuft vier Männer und reichen einander das Wasser. Oder auch nur ein Einzelner zieht mit gekrümmtem Rücken den am Querbalken pendelnden Schwengel, der den Schopfkübel senkt und hebt. Nackte braune Körper stehen leuchtend braun in der Sonne; mit dem blauen und weißen Hüftschurz sehen sie genau so aus wie Pharaos Arbeiter auf den Friesen der Gräber und Tempel.

Wir fahren bei Komombo vorüber, dem einzigen Tempel, der mit seiner Säulenhalle, griechischen Insel-Küsten ähnlich, am Ufer ragt, und lange bleibt er bei der Verschleifung des Nillaufes sichtbar … Im Sonnenuntergang sitze ich nach dem Nilwasser-Bad im grünen Pyjama vor meiner Kabine – mir ist, als säße ich am Abend als Einsiedler vor meiner Hütte. Und dann steigt tief vom Wasserspiegel der Mond an. Ein phantastischer Mond, oval gezogen wie ein japanischer Lampion und transparent alabasterschimmernd wie die Kapellenfenster von San Mignato. Dann huschen Schattengebilde, Zweigwerk und Äste, über die Mattscheibe, und da gleicht er einem großen in den Lüften schwebenden Moos-Achat …

Wir legen zur Nacht an. Immer wieder wirkt das so abenteuerlich, wenn die Bootsleute mit Pflöcken und Hacken in das Wasser springen, das Ufer erklimmen und das Seil ziehen unter heiser dumpfem rhythmischen Antriebsruf.

Der leere finstere Strand belebt sich dann. Wie aus Erdlöchern gekrochen, hockt es jetzt auf dem kloßigen Vorsprung der Lehmklippe, im Halbkreis eng gekauert, affenhaft, eine Hexenzunft, weiße Turbane leuchten, eine lange Flinte steigt steil auf; und durch die Nacht heulen winselnd Schakale.

Sonnenuntergänge über dem Nil … immer wieder sind sie neu. Manchmal, wie in den ersten Tagen, scheinbar bei der Natur als Effektnummern für das große Publikum bestellt, der rote Ball zwischen den Palmendächern … Hildebrandts der alten Schule. Aber auch ganz andere Erscheinungen voll kapriziösester Magien sah ich.

Eines Abends schloß einmal wieder eine Nilkurve buchtartig die Szene ab wie ein See. Auf dem äußersten Rand des Wassers ruhte aufrecht die Sonnenkugel, und mitten durch sie hindurch glitt phantomhaft eine Segelbarke. Lila-schwarze Schatten fielen … die schwimmenden Kähne mit stakenden Ruderern verschwanden wie Silhouetten in den Abend. Nach vorn blühte es rosapfirsichfarben, hinter uns sank grünblaues Dunkel …

26. März.

Heute erreicht uns das Schicksal an der tückischen Stelle, die wir von der Ausfahrt kennen, wir sitzen fest, fest auf dem Sand.

Wie eine Schiffsfalle sieht der Strom hier aus. Ganze Flottillen von Segeln und zwei Dampfer liegen leblos, gestrandet.

Unser Boot geht hinaus zum Manövrieren und Loten. Es sucht eine Fahrtrinne mit besserem Tiefgang, dort wird der Anker an straffem Tau gesenkt, dann fängt die Maschine keuchend an zu arbeiten und der Dampfer renkt sich an dem Seil locker und auf den rechten Pfad. Langsam, schrittweise nur geht das, und immer wieder muß ein neuer Weg für den Rettungsanker gesucht werden. Der dicke Obermatrose brüllt wie ein Berserker, der Wind bläht seinen blauen Rock, daß er absteht wie der Tradionsschurz auf den alten Bildern.

Ich finde, daß es ein Vergnügen ist, so arbeiten zu sehen und dehne mich auf dem Korbsessel. Da rutscht rücklings mein Bastkissen über Bord und sinkt gelb in den gelben Nil. Im Nu fliegt aber auch schon im Hechtsprung einer der Rot-Sweater ihm nach, packt es mit den Zähnen und apportiert es …

27. März.

Wir werden auf unserer Sandbank gut ernährt und spielen Schiffbruch mit Komfort. Alle sind freundlich; auch das niedliche Krokodilbaby, das der Dragoman-Effendi sich aus Ober-Ägypten mitgenommen und in einer Wanne von Nilschlamm füttert, schlägt munter mit dem Stacheldrahtschweif.

Die Schweden, die den Winter in Assuan verbringen, holen Caloricpunsch und Knaecke-Brot hervor; die schlanke, weißhaarige Amerikanerin versucht es mit Chopin, aber das Nilklavier ist zu verstimmt, und nun erzählt sie von ihrer Jugend in Weimar, von der Milde, von Liszt und von Pauline auf der Altenburg, und ihr achtzigjähriger Mann lächelt still vor sich hin; zwischen seinen blassen Greisenlippen gleißen gelb die Reihen der ganz übergoldeten Zähne. Die appetitliche Dame aus Berlin W., die trotz Schlemmertendenzen auf Linie hält, verrät Küchengeheimnisse: Hummer à la Newberry, »man nehme Sahne, Sherry, Eigelb, Trüffelscheiben, alles in warmem Wasserbad angerührt, und natürlich frischen Hummer …«

»Aber, gnädige Frau, gibt es denn anderen?«

Ja, man nehme …

Unser witziger Obersteward aber, der das Versiegen des Proviants befürchtet, wenn die Strandung länger dauert, legt uns am Abend ein galgenhumoristisches Menu auf den Tisch: »Dîner de Desespoir«, es verspricht »poisson de Nil« und »Contrefilet de la cinquième dynastie«, also von schon sehr verstorbenen Königen des alten Reiches. Aber es geht noch einmal gnädig, und es schmeckt auch ohne Newberry-Hummer.

28. März.

Die »Germania« schleppt sich mühsam nur vom Ort. Beim Frühstück gibt es einen Ruck. Wir sitzen wieder sicher und warm auf einer neuen Sandbank. Man sagt ergebungsvoll arabisch: Malesch. In Rußland würde es Nitschewo heißen. Schlimmstenfalls kann ja der dicke Obermatrose geschlachtet werden, und wir parzellieren im Geist bereits das Gebirgsterrain seines fetten Leichnams.

Es ist heut Freitag, also mohammedanischer Sonntag. Neugierig sammeln sich die Dorfbewohner am Ufer und starren auf uns, auf dieses Strandgut. Sehr hübsche dunkle großäugige Mädchen lachen herüber, wir werfen Kakes und Orangen in lächelnder Verschwendung, ohne an die drohende Hungersnot zu denken, ihnen zu.

Unsere Sachen sind gepackt, »unsere Lenden gegürtet«, wie vor dem Auszug aus Ägypterland. Möglich wär's ja doch, daß wir noch Kairo heut erreichen. Aber die Dämmerung sinkt, und das Schiff rührt sich nicht.

Wir stecken jetzt vor einem Schwemmland, einer dreieckigen Sandzunge, einem graugelben Strich mit Rohrgebüsch. Die Küste breitet sich flach, etwas vom Wattland bei Ebbe hat es, und der Himmel ist heut ganz nordisch, bleigrau. Im merkwürdigen Kontrast dazu die Steil-Kolonne unserer rotjackigen Sailors, die auf der Sandbank an das Schiffsseil gespannt stehen, tauziehend im Sonnenuntergang und wieder schallt der Ruf: »Helle Helle« und »Gadis, Gadis Gadis.« … Und schließlich ruckt es an, wir gleiten.

* * *

Beim Diner erscheint unser Effendi zum letztenmal in seinem schönsten Zaubermantel, den Turban mit seidenem Nackenshawl und quastigen Beduinenschnüren umwunden. Er verkündet feierlich: Die »Germania« ist flott, wir schwimmen in gutem Fahrwasser. Wir können morgen in Kairo sein. Und dann wird er – und nun erst paßt der Zaubermantel – zum Märchenerzähler. Er spricht vom Nil, dem alten Götterstrom. Wer einmal im Nil gebadet und nur einmal seine Lippen mit Nilwasser genäßt, der kehrt zurück hierher, der muß immer wieder in das Wunderland kommen …

Das Nilwasser, mit dem ich die Lippen näßte, war freilich filtriert. Die Araber trauen filtriertem Wasser gar nichts zu. Ich aber sage mit dem demütigen Wort des gläubigen Moslem: Inschallah, wie Allah will …


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