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Fontane

Es war Fontanewetter, als wir ihn begruben. Herbstsonne mit letztem Sommerwehn in der Luft. Und über den Gräbern lärmten die Spatzen. Durch die Invalidenstraße, wo Stine wohnte und die Witwe Pittelkow fuhren sie zum Friedhof der Réfugiés. Seltsam dies Stück französischer Erde mit seinen alten Familiennamen den Ravenés, den Névers in der Maschinenatmosphäre der Borsigwelt des Berliner Nordens. In seiner Mitte die Säule für die Franzosen, die siebzig gegen Frankreich zogen und fielen, »pour le roi et la patrie«. Und ich dachte an den Vater Fontanes, den alten Gascogner Louis Henri, wie er mit Theodor in Neuruppin sich an der Gloire der Napoleonszeit berauscht und von Latour d'Auvergne erzählt: »le premier grenadier de France, der auch nach dem Tode immer noch mit aufgerufen wurde und von dem der Flügelmann dann melden mußte: »Il n'est pas ici, il est mort, sur le champs d'honneur.«

Nicht weit von dieser Säule liegt Theodor Fontanes Grab. Dort haben sie ihn eingesenkt. Er hätte sichs wohl anders noch gewünscht. Die Quitzows und die Poggenpuhls hätten dabei sein müssen, das Regiment Alexander und das Regiment Franz, und die dell Era. So aber überwogen die Bartensteins und die Blumenthals, die ihm freilich immer die treueren waren, und die »Offiziellen«, von denen der Alte gesagt hat:

Besonders, wenn sie wen begraben
Dann treten sie (drüber ist kaum zu streiten)
Mit einem Mal in die Feierlichkeiten.

Fontanisch war nur, wie die Träger mühsam den schweren Sarg durch die enge Gräbergasse schleppten, wie er schwankte und wie sie sich leise zuriefen: »hupp, hupp«, als trügen sie eine gleichgiltige Kiste und nicht etwas, das uns teuer war. Fontanisch: die Menschen stehn in feierlicher Runde, etwas Hochgestimmtes soll sich begeben, da fährt die banalste Alltäglichkeit des Lebens ironisch dazwischen …

Was uns dieser Tote war, das ist an diesem Grabe nicht gesagt worden. Nicht der märkische Wanderer, der Preußensänger, der so jugendlich frisch und scharfäugig fassende und gestaltende Gegenwartsdichter ist's, dessen Verlust wir so stark empfinden, sondern diese menschliche Persönlichkeit, die irdisches Wesen lächelnd erkannte, die nicht indisch vor der Eitelkeit der Eitelkeiten floh, sondern sie im bunten Guckkasten als Schauspiel genoß. Er ging durch das Leben, wie durch den Zoologischen Garten, voll naivem Vergnügen an dem bunten Getier, seinem tollen Springen, seinem Neid, seiner Eifersucht, seiner Hoffärtigkeit:

Banne Dein Ich in Dich zurück
Und ergib Dich und sei heiter;
Was liegt an Dir und Deinem Glück?
Es kribbelt und wibbelt weiter.

In sich stille sein und zuschaun, das hat er erreicht, kein Philosoph, aber ein Weiser. Auf einer Sanssouciterrasse des Lebens saß er und sah über die Wipfel …

* * *

»Immer so die kleinen Freuden aufpieken, bis das große Glück kommt, und wenn es nicht kommt« (und es kommt meistens nicht, könnte man Fontanisch einschmuggeln) »dann hat man wenigstens die kleinen Glücke gehabt.« Die kleinen Glücke und die kleinen Freuden, das ist Fontanesche Lebenskunst, »im kleinen und kleinsten soviel herausschlagen wie möglich und ein Auge dafür haben, wenn die Veilchen blühn oder das Luisendenkmal in Blumen steht oder die kleinen Mädchen mit hohen Schnürstiefeln über die Korde springen. Oder am Kanal entlang gehn, wo die rotgestrichenen Flachkähne liegen und die Weiden sich überbeugen, bis an die Charlottenburger Schleuse und dann zurück. Und dann ein kleines Vorsprechen bei Huth zum Frühschoppen, Potsdamerstraße, die kleine Holztreppe vorsichtig hinauf. Unten ist ein Blumenladen.«

Und wenn jemand fragt: »das freut Sie, das genügt Ihnen?« dann antwortet er: »Das will ich nicht gerade sagen. Aber es hilft ein bißchen.«

Er hat gelernt: »alles ist wichtig nur auf Stunden«, und er weiß, daß man hinter den Dingen ein Fragezeichen machen muß. Er hat das, worauf sein Willibald Schmidt, der Willibald Schmidt der Jenny Treibel stolz ist, die Ironie, die vor sich selbst nicht Halt macht. Nicht die zersetzende, höhnende, überhebliche. Die ist ihm selbst aufs Tiefste verhaßt. Die gütige, dämpfende, die die Dinge auf das irdische Maß zurückführt, die Ironie, die einer tiefen, menschlichen Bescheidenheit, einer erkenntnisvollen Selbstbeschränkung entstammt.

Das Wichtige ist unwichtig, großer Stil heißt vorbeigehn an allem, was die Menschen eigentlich interessiert. Das scheinbar nebensächliche gibt das eigentliche, ein guter Einfall ist mehr als eine gute Verfassung. So zieht Fontane die Anekdote, die Miscelle, das farbige Detail der Geschichte vor.

»Die Geschichte geht fast immer an dem vorüber, was sie vor allem festhalten sollte. Daß der alte Fritz am Ende seiner Tage den damaligen Kammergerichtspräsidenten, Namen habe ich vergessen, den Krückstock an den Kopf warf, und was mir noch wichtiger ist, daß er durchaus bei seinen Hunden begraben sein wollte, weil er die Menschen, diese »mechante Rasse« so gründlich verachtete – das ist mir mindestens ebensoviel wert wie Hohenfriedberg oder Leuthen. Und die berühmte Torgauer Ansprache »Rackers, wollt Ihr denn ewig leben, geht mir eigentlich noch über Torgau selbst.«

So nimmt er selbst behaglich ironisch die kleinen Dinge schwer, die großen leicht. Daraus kommt ihm seine wunderbare Plauderkunst, der die Stoffe eigentlich ganz gleich sind, die sich bunte Vögel fängt und sich zähmt zu lustigem Zwitschern:

»Die ganze Arche Noäh, Tier und Menschen:
Putthühner, Gänse, Papageien und Enten,
Schwerin und Seydlitz, Leopold von Dessau,
Der alte Zieten, Ammen, Schlosserjungen,
Katholische Kirchen, italienische Plätze,
Schuhschnallen, Broncen, Walz- und Eisenwerke,
Stadträte mit und ohne goldne Kette,
Minister, mißgestimmt in Kaschmirhosen,
Straußfedern, Hofball, Hummermajonnaise,
Der Kaiser, Moltke, Gräfin Hake, Bismarck« –

Es ist ganz gleich, wovon man spricht, wenn es nicht Morcheln sind, sind es Champignons, und wenn es nicht das rote Schloß ist, dann ist es Schlößchen Tegel oder Saatwinkel oder Valentinswerder. Oder Italien oder Paris oder die Stadtbahn, oder ob die Panke zugeschüttet werden soll. Über jedes kann man was sagen.

Über die Köpenickerstraße und über Mykenä; über Schliemann und über den Kaiser von China; über Liebfrauenmilch und den Fürsten Pückler; über Homer und über die Berliner Kegelbahn. Man kann ironisch wichtig über Grabkränze disputieren, Pilsner mit Weihenstephan, und Cüraçao mit Goldwasser konfrontieren.

Man prägt paradoxenfroh allerlei schalkhafte Weisheit.

»Ist man jung, so heißt es hübsch oder häßlich, brünett oder blond, und liegt dergleichen hinter einem, so steht man vor der vielleicht wichtigeren Frage: Hummer oder Krebse. Ein eigen Ding, daß man aus Fragen derart nie herauswächst, sie wechseln bloß ab im Leben.«

Oder: »Christliche Ehe, ganz gut, kenn ich. Is wie Schinken in Burgunder. Das eine ist immer da, aber das andere fehlt.«

Dies graziös nonchalante Plaudern über alles und nichts, ist aber nicht nur ein jeu d'esprit, ein flackerndes, brillierendes Feuerwerk. Zwar die Freude an der originellen Prägung ist deutlich, die lange Reihe der Gestalten, die so sprechen, der alte Briest und der alte Stechlin, Graf Sarastro in Stine, Willibald Schmidt, Van der Straaten und Treibel, – sie alle Abkömmlinge des köstlichen Gascogners Louis Henri Fontane – verrät sie. Aber es steckt doch mehr dahinter: den Wichtigen und Feierlichen ein Schnippchen schlagen; ihm zeigen, daß das, was sie so ernst zu nehmen versuchen, doch eigentlich nichts weiter ist als eine bunte Schüssel, ein italienischer Salat. Ein Über den Dingen stehen und doch zugleich ein Sichbescheiden, das nicht das letzte Wort sprechen will, sondern sagt: »Das ist ein weites Feld.«

* * *

Dieser Beschauliche hat auch seine Steckenpferde, sein Faible. Ein Faible für Menschen und Gegenden. Für Berlin, für den Potsdamerplatz (trotz Buddelei) mit Josty, Pferdebahnen, Omnibussen, Extrablättern, Blumenmädchen (»aber es sind eigentlich Stelzfüße«); für den Kanal mit seinen vielen kleinen Brücken (»von größerem oder geringerem, meistens geringerem Rialtocharakter«); für die Bülowmarie; für Hustersche Büffetwagen; für die Fischerbrücke mit der Parochialkirche und der Singuhr; für die Karpfenbrücke im Charlottenburger Schloßgarten mit der rostigen Klingel und den uralten Mooskarpfen; für die bunten Mischungen der Hasenheide: grelle Jahrmarktsschildereien, Schießhallen, Schaubunden und daran vorbei die Leichenzüge weit hinaus hinter den Rollkrug nach Britz zu mit gelben Armeleutesärgen.

Und dann die Mark in ihrer spröden Schönheit:

Verfallene Hügel, die Schwalben ziehen
Vorüber schlängelt sich der Rhin,
Über weiße Steine, zerbröckelt all,
Blickt der alte Ruppiner Wall,
Die Buchen stehn, die Eichen rauschen.
Die Gräberbüsche Zwiesprach tauschen.
Und Haferfelder weit auf und ab.

— — — — — — —

Berglehnen, die Oder fließt dran hin,
Zieht vorüber in trägem Lauf,
Gelbe Mummeln schwimmen darauf.
Am Ufer Werft und Schilf und Rohr
Und am Abhang schimmern Kreuze hervor.

— — — — — — —

Dächer von Ziegel, Dächer von Schiefer,
Dann und wann eine Krüppelkiefer'
Ein stiller Graben die Wasserscheide.
Birken hier und da eine Weide
Zuletzt eine Pappel am Horizont –
Im Abendstrahle sie sich sonnt.
Auf den Gräbern Blumen und Aschenkrüge,
Vorüber in Ferne rasseln die Züge –

Und in der Mark die alten märkischen Herrenhäuser derer »die vor den Hohenzollern im Lande waren«, die Schlösser, die eigentlich nur eine »Kathe« sind, über die sich die Insassen aber damit trösten, daß Friedrichsruh ja eigentlich auch nur eine Kathe ist. Die Schlösser, wie die der Hake in Machnow, in ihrer Willibald Alexisstimmung, mit ihren breiten ungefügen Torflügeln, den holprigen Riesenhöfen, den klappernden Leiterwagen, karg, herbe, so unchateaumäßig wie möglich, aber trotzig stolz und vergangenheitsfroh unter dem verwitterten Dach mit der verschlissenen schwarzweißen Fahne, die vom neuen Rot nichts wissen will: »Das alte Schwarz und Weiß hält gerade noch; aber wenn du was rotes dran nähst, dann reißt es gewiß.«

An denen, die dort hausen und so sprechen hat Fontane ein ästhetisches Rehagen aus dem Vollen. Die märkischen Junker mit dem »unbewußten Schuß Liberalismus im Blut« entzücken ihn menschlich: »die glänzenden Nummern unter ihnen – und ihrer sind nicht wenige – sind eben glänzend, und die nicht lieben zu wollen, wäre Dummheit; aber auch die nicht glänzenden – und ihrer sind freilich noch mehrere – haben trotz Egoismus und Quitzowtum, oder auch vielleicht um beider willen, einen ganz eigentümlichen Charme, den herauszufühlen ich mich glücklich schätze.«

Die alten märkischen Adelsnamen, von Anekdoten und Reminiszenzen umwittert, in denen das Echo zersplitterter Klingen nachzittert, wecken ihm Bilder und Gesichte:

Ein Zugwind weht durch die Stuben,
Auf standen Hall und Tor,
Als die Mittelmärkschen begruben
Ihren alten Otto von Rohr.

Sechs rohrsche Vettern ihn tragen
Sechs andre nebenher,
Dann folgen drei von der Hagen
Und drei von Häseler.

Ein Ribbeck, ein Stechow, ein Ziethen,
Ein Rathenow, ein Quast,
Vorüber an Scheunen und Mieten
Auf den Schultern schwankt die Last.

Um den Kirchhof her ein Blitzen
Von Herbstessonnenschein,
Die roten Berberitzen
Hängen über Mauer und Stein.

Eine dreizehner Landwehrfahne
Der alte von Bredow trug
Und Hans Rachow von Rekahne
Schloß ab den Trauerzug.

Und nicht nur die Alten, die nach Berlin kommen bei Habel frühstücken, an Kongestionen leiden, auf den Reichstag schimpfen und abends zu Renz gehen oder in Coppelia, wenn die dell Era auftritt, auch die Jungen haben sein Herz, die Pasewalker Kürassiere, die Bismarckschen Halberstädter, die Ziethenhusaren, die Franzer, die Alexander, und wie der alte neumärkische Onkel in Irrungen, Wirrungen schwärmt er für Dragonerblau mit Gold und freut sich über jeden Wedell, noch mehr aber über jeden Quitzow.

Eine ästhetische Freude an dem glänzend gelungenen Exemplar ist das, an dem charakteristischen, rein erhaltenen, durch nichts verwirrten oder verwischten Typus, an dem Stolz und der Rivalität der Regimenter (»als das zweite Garderegiment geboren wurde, da hatten die mit den Blechmützen schon den ganzen siebenjährigen Krieg hinter sich«); an dem Gardebewußtsein: »Schneidigkeit ist ein Wort für kleine Garnisonen.«

Doch Fontanes Liebe ist nicht blind. Er weiß, seine Liebe hat Recht, aber der »Simplicissimus« hat auch Recht. Seine Sympathie steht drüben, wo die Wachtparade mit klingendem Spiel anrückt, und die zerschossenen Fahnen vom Gardeadler überflattert am Denkmal des großen Friedrich vorüberzieht, daß die Erde unter den Grenadierschritten dröhnt; und sie hängt mit ihrem sein aristokratischen Sein an den gedämpften Exzellenzenhäusern der Lennée- und Wilhelmstraße. Aber seine Anschauungen sind immer demokratischer, radikaler geworden, wie er auch selber zugibt. Er hatte von je, das war seine ewige Jugend, die feinste Witterung für das Wehen der Zukunft. Und er fühlte mit seiner strengen Ehrlichkeit und seinem nie beirrten richtigen Messen, daß seine Lieblinge für die Zukunft nichts mitbringen. Sie sind ein Rest Vergangenheit, den wir lieben können; das was kommt, wird ein anderes sein.

In seinem »Stechlin«, seinem Vermächtnisbuch hat er darüber das letzte Wort gesprochen:

»Ich liebe, ich hab' auch Ursach' dazu, die alten Familien und möchte beinahe glauben, jeder liebt sie. Die alten Familien sind immer noch populär, auch heute noch. Aber sie vertun und verschütten diese Sympathien, die doch jeder braucht, jeder Mensch und jeder Stand. Unsere alten Familien kranken durchgängig an der Vorstellung, daß es ohne sie nicht gehe, was aber weit gefehlt ist, denn es geht sicher auch ohne sie – sie sind nicht mehr die Säule, die das Ganze trägt, sie sind das alte Stein- und Moosdach, das wohl noch lastet und drückt, aber gegen Unwetter nicht mehr schützen kann. Wohl möglich, daß aristokratische Tage mal wiederkehren, vorläufig, wohin wir sehen, stehen wir im Zeichen einer demokratischen Weltanschauung. Eine neue Zeit bricht an. Ich glaube, eine bessere und eine glücklichere. Aber wenn auch nicht eine glücklichere, so doch mindestens eine Zeit mit mehr Sauerstoff in der Luft, eine Zeit, in der wir besser atmen können. Und je freier man atmet, je mehr lebt man.« –

* * *

Fontane hatte den feinsten Takt der Menschlichkeit. Er empfand es tief, daß wir in der Obersphäre gesteigerter Gefühlsstimmung nicht leben können; daß wir da immer an der Kippe des Lächerlichen stehen, daß jeden Moment die Trivialität des Alltags uns grotesk in die Parade fahren und sich aus dem Kontrast zu der Stimmung, die wir wollen, und der Wirklichkeit mit ihren Zufällen und ihrer unendlichen Gleichgiltigkeit gegen unser Feiergefühlsprogramm einen boshaften Spaß machen kann. Darum scheut er sich vor allen Komparativen, vor Gefühlsexpektorationen. Er verhüllt alles, was nach Rührung schmecken könnte. Aber hinter den scheinbar trocknen Alltagsworten fühlt man desto stärker ein menschliches Herz.

Seine Erotik ist nicht leidenschaftlich, und Liebeslenzparaphrasen ertönen hier gar nicht. Zwei Menschen finden sich, und wir spüren, die beiden gehören zueinander, der Worte braucht's da nicht viel.

So hat er selbst von der eigenen Verlobung berichtet. Jugendzeit und Kinderliebe blinkt zwischen der Zeilen. Die drollige äußere Situation reizt ihn mehr zur Schilderung, als die Innerlichkeit. Kurz von der Weidendammerbrücke beim Nachhausebegleiten kam ihm plötzlich »der glücklichste Gedanke seines Lebens«, und hinter der Weidendammerbrücke war er verlobt. Weil aber »die dabei gesprochenen Worte von manchen früher gesprochenen sich nicht sehr wesentlich unterschieden,« so nimmt er plötzlich, von einer kleinen Angst erfaßt, zum Abschied noch einmal die Hand des Fräuleins und sagt mit einer ihm sonst fremden Herzlichkeit: »Wir sind aber nun wirklich verlobt.«

Verhaßt ist ihm die offizielle Gefühls- und Feierlichkeitsmacherei. Und er, der die preußischen Generalsuperintendenten die Büchsel, die Frommel vom Ästhetischen aus, mochte, ärgerte sich über den Hilfsprediger, der in der Leichenrede künstliche Rührungswirkungen durch den Hinweis auf den Tod »drei Tage vor Weihnachten« erzielte. Er dämpft so etwas gern durch eine recht dicke Alltäglichkeit. So läßt er seinen Portier Hartwig über die schöne Tränendrüsenrede bemerken: »Ich weiß nicht Mutter, was du dir eigentlich dabei denkst? Ein Tag ist wie der andere; mal muß man ran.«

Überhaupt liebt er die Lebensweisheit im Dialektgewand, die Form der Resignation, die die Entscheidung über Lebenssachen dem kleinen Mann in den Mund legt und in seiner derben, unbeholfenen Art prägt. Die viel zu zurückhaltend ist, um prätentiös Weltanschauung zu machen und große klingende Worte zu brauchen und sich als Philosoph zu gerieren. Aus dem Munde der Unmündigen …

Er ist entzückt über die berlinische Trost-Erkenntnis: »Um neun ist alles aus«, eine berlinische Übersetzung des Shakespeareschen: »Sehn wir uns wieder, nun so lächeln wir.«

Und er läßt solche Popularphilosophie selbst oft zu Wort kommen. Der Diener Jeserich sagt im »Stechlin«:

»Mit Damen weiß man ja nie – vornehm und nicht vornehm, klein und groß, arm und reich, das is all eins. Mit unserer Lizzi is es gerad ebenso wie mit Gräfin Melusine. Wenn man denkt, es is so, denn is es so; und wenn man denkt, es is so, denn is es wieder so. Wie meine Frau noch lebte, Gott habe sie selig, die sagte auch immer: Ja, Jeserich, was du dir bloß denkst, wir sind eben ein Rätsel. Ach Gott, sie war ja man einfach, aber das können Sie mir glauben, Herr Graf, so sind sie alle. –«

Wie Fontane skeptisch lächelnd und leicht bedenklich den Kopf schüttelnd dem Verstiegenen des Wortes gegenübersteht, so auch dem Verstiegenen der Tat. Er hat für die »Gottesgabe des Moraleffekts,« für liebenswürdige Taugenichtserei, für der Gesellschaft ein Schnippchen schlagen, was übrig, aber wieder eigentlich nur vom Ästhetischen aus. Der Beobachter in ihm jedoch winkt ab, so geht es nicht. Sein Herz ist für die, die sich gegen Satzung und Buchstaben eigene Glückswege suchen, für Effi, für Botho und Lene, für Cécile; sein Kopf aber sieht ein, daß ihre Gegner auch recht haben; daß die Unordnung des Lebens das Leben zerstört:

Das klügste, das beste, bequemste,
Das auch freien Seelen weitaus genehmste,
Heißt doch schließlich, ich hab's nicht hehl:
Festes Gesetz und fester Befehl.

Das sind die Mischungen von Vater und Mutter her: der Hang nach Arbeit und solider Pflichterfüllung, der bürgerliche Zug von der Mutter und der lustige Leichtsinn, der »himmlische« Kehrmichnichtdran vom Vater.

Klingt das philiströs, wenn er sagt: »ich hasse Moralpredigen und Tugendsimpelei aber – es ist nichts mit den laxen Grundsätzen«?

Mancher mags meinen. Die Treibelschen, die die schönen erhebenden Gefühle au coquille serviert haben wollen, werden ihn ja auch für prosaisch halten.

Er hatte das Hochgestimmte, wirklich Feierliche tief in sich und wollte es nicht durch bewußte Betonung durch große Worte profanieren. Und wenn er von dem spricht, was ihm gilt, vorn »in der Bresche stehen,« vom »für was sterben können und wollen,« dann sagt er schlicht, darauf kommt's an; das ist sittlich; in Klammern steht dabei (»manche sagen auch schönheitlich, aber das ist ein zu tolles Wort«).

Die Worte haben neuerdings wieder einen höheren Kredit gewonnen, und wir sind die letzten, die sie unterschätzen. Aber Fontane war uns vielleicht deswegen gerade so lieb, weil er ein Dichter war, ohne die Worte.


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