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E. T. A. Hoffmann Quasimodogenitus

 

I.

Ein vergrabenes Archiv tut sich auf in der großen schon seit Jahren erwarteten Publikation Hans v. Müllers, die eine Gesamtausgabe aller Dokumente über E. T. Hoffmanns Umgang mit Menschen darbietet mit den Briefwechseln und den Erinnerungen der Freunde und Bekannten. Und lieber noch möchte man mit einem Hoffmannschen Bilde von einer magischen im versunkenen Gewölbe eingesargten Kristallflasche sprechen, die von einem glücklichen Finder gehoben und entsiegelt ward, und aus ihr steigt nun auf den Dämpfen eines Wunderelixirs, zur Gestalt sich ballend, mit flackernden Wesenszügen, mit lebendigem Wort und Gebärde, ja auch Grimasse, diese Kreatur Gottes, in allen ihren Verwandlungen All und Einer, Archivarius Lindhorst, Kapellmeister Kreisler, Maler, Musiker, Dichter, Kammergerichtsrat.

Und wirklich ist's Entriegelung und neues Freiwerden eine lang gebundenen echten Existenz-Atmosphäre, denn Hans v. Müller hat die Originaldokumente entdeckt, das gesamte ursprüngliche Material, das der bisher einzigen zeugnishaften biographischen Arbeit über Hoffmann, dem Buche Hitzigs, »Aus Hoffmanns Leben und Nachlaß« zugrunde lag, das aber seiner Zeit (1823) von seinem Besitzer nur in sehr filtrierter und durch Persönlichkeitsrücksichten eingeschränkter Form veröffentlicht wurde. Dies Material aufzuspüren, gelang also Hans v. Müller, und er breitet es hier mit Sammlerfreude mitteilsam aus.

Hoffmann verwandt in der mit Phantasie und exzessivem Temperament sich mischenden kanzleihaften Akribie, legt er sorgsam strichelnd beinah über jeden Buchstaben seiner Arbeit Rechenschaft ab, löst in Einleitungen, Exkursen, Promemorien, Plaidoyers sein abgeschlossenes Werk noch einmal auf und läßt uns an der allmählichen Entstehung teilnehmen. Und wie bei Hoffmann hat die Akribie keinen trockenen Ton, sondern ist gewürzt durch ein höchst persönliches Fluidum, dem Fluidum von Randeinfällen voll Witz und Verstand, voll krauser Humore, wie sie auf gewissen Radierungsplatten sich finden und die der Welt der Capriccios in Callots Manier ganz eigentlich zu Gesicht stehen. Was hier erzählt wird von der Pürsche auf verlorene Handschrift, von Ebbe und Flut der Arbeit eines Editors, der kein Stubenhocker, sondern ein wechselvoller mit mancherlei Trolls sich herumschlagender Mensch, das könnte man mit dem Titel eines romantischen Romans »Versuche und Hindernisse« oder mit der Variation einer Hoffmannschen Aufschrift »Seltsame Leiden eines Herausgebers« nennen. Und von Müllers Arbeit gilt das Wort: l'édition est un état d'âme.

Erlebnishaft und spannend lesen sich diese Tagebuchnotizen, wie da fast detektivistisch den Spuren verschollener Blätter bei Kindern und Enkeln nachgestiegen wird. Dann wieder sieht man wie in Meister Autors Studio hinein oder in des Archivarius Lindhorst botanische Bibliothek, man sieht den Herausgeber als beschausamen Spaziergänger zwischen seinen Faszikeln schweifen,

Auf der Bücherleiter traben,
Sich verschanzen, sich vergraben
Unter Heft und Foliant

und in archivalem Spieltrieb, fast wie auf dem Schachbrett mit den Einzelstücken seiner Funde strategisch manövrieren und mit ihnen allerlei Gruppenbildung auf die möglichst sinnfällige Wirkung probieren. Und nie geht es dabei – dadurch wird die Einversetzung des Lesers noch stärker – ohne die leidenschaftlichste Parteinahme des Herausgebers für oder wider die Personen aus Hoffmanns Lebenskreise ab. Er lebt so eng verknüpft mit all den von ihm heraufgeholten Schatten, daß er sich an ihnen wie ein Freund und Verliebter entzücken, daß er aber auch in kollerndem Wutausbruch beträchtlich polternd ein vollgerüttelt Maß Invektiven aus unerschöpflichem Schimpfreservoir auf die Widersacher kübelnd stürzen kann. Man lächelt manchmal dieser Überhitzung, aber Temperament bleibt immer schön, und hier waltet eben kein gelassener Editionsbeamter, sondern ein hingebungsvoller Vasall und eifervoll treuer Diener seines Herrn.

* * *

Als charakteristisches Vorspiel steht am Eingang des Hoffmann-Archives eine kleine und wichtige Schrift, die vorher nie erschienen. Es sind die Erinnerungen des Königsberger Jugendfreundes Theodor v. Hippel an Hoffmann. Hippel hatte sie ohne jeden Autorehrgeiz Hitzig für dessen biographische Arbeit zur Verfügung gestellt. Nun bekommen wir sie, die nur auszughaft verwertet wurden, nach neunzig Jahren im Originaltext zu Gesicht.

Hippel, ein Neffe des Verfassers jenes berühmten Buches »Über die Ehe«, erweist sich auf knappem Raum als ein eindringender Charakteristiker. Er zeichnet das Bild aus tiefstem freundschaftlichen Gefühl heraus und doch unverblendet, mit unbestochenem Blick für alle Menschlichkeiten. Er spricht von den frühen malerischen und musikalischen Regungen des Knaben und wie sich in ihm vor allem durch die Nähe des skurrilen, wunderlich-lächerlichen Onkels der Sinn für das Karikaturistisch-Fratzenhafte des Lebens entwickelte. Er berichtet von den ersten Neigungen, die den Knaben zu so merkwürdigen Bekenntnissen voll innerer Zerrissenheit zwangen und jener starken Leidenschaft des Jünglings zu der in einer unglücklichen Ehe leidenden Frau Hatt, die seine Musikschülerin war. Und der treibende Wunsch in dieser Darstellung ist, zu zeigen, daß Hoffmann kein »gemütloser Satiriker« gewesen. Und erkenntnisvoll klingt seine eigene Auffassung: »als ob Humor nicht das Kind eines tiefen, zarten und kräftigen, dann erst bitteren verwundenden Gefühls sei, wenn es selbst hart verwundet worden. Ob er ein Herz besessen, mag der Leser seiner Briefe beurteilen.«

Diese Briefe, die Hoffmann (1794-1820) von den bunt wechselnden Schauplätzen seiner umhergewirbelten Existenz als Auskultator (»gleich Ohrenspitzer«), Regierungsrat in Polen, Wanderkapellmeister in Bamberg und Dresden, und endlich als anerkannter Dichter und Kammergerichtsrat in Berlin an den Freund schrieb, oft aus tiefstem Elend, oft in der »jovialisierenden« Laune seines phosphoreszierenden Wesens, sie kann man nun auch in ihrer echten und eigensten Form hier genießen.

Und diese Freundschaftsbriefe bestätigen, was Hippel von der unter Hoffmanns spöttischer Außenseite schlummernden tiefen Innerlichkeit und seinem verschämten Gefühlsbedürfnis sagte.

Ein Jüngling schwelgt verzückt im Einklang mit der gleichgestimmten Seele. Manchmal hört man dabei Töne, die noch an die anakreontische idyllische Weise der Gleim-Zeit erinnern, und etwas nach Papierblumen schmeckt der Freundschaftsdithyrambus in dem Romanfragment, doch bald findet die »Legion der Empfindungen« inbrünstigen Ausdruck. Das Überströmende Jean Paulscher Ekstasen wird hier hingewühlt, in den Abgrund des Gefühls stürzt sich ein junger Mensch, um in der Schwärmerei die äußere Öde zu vergessen.

Ein »Bilderbuch« zukünftiger Glücksträume malt er sich aus. Und sehr auffallend bleibt dabei, daß Hoffmann, der später immer hellsichtig und selbstbeobachtend sein baromètre spirituel registrierte, schon in jungen Jahren seine eigenen Zustände reflektierend betrachtete. Die Notwendigkeit, sich nach außen zu verschließen, erkannte er früh und begegnete sich darin mit Hippel: »Wir beide sind behutsam und delikat und hängen nicht so leicht etwas von der inneren Seite heraus, wie eitle Leute das Schnupftuch aus der Rocktasche.« Doch dafür zog und hegte er in sich bewußt den schwärmerischen Garten, jenes Phantasiereich, das von Menschen nicht gewußt oder nicht gedacht und das er dann im »Goldenen Topf« als die Heimat des Studenten Anselmus aufgehen ließ. Er wird sich über die Bedeutung dieser Gabe für sich selbst klar und sagt theoretisierend, »die Schwärmerei ist uns das, was einem Gemälde das Kolorit«.

Hippel verstand dies voll feinen Nachfühlens, diese Sehnsucht nach Steigerung, diesen Drang, sich aus den Menschen, zu denen ihn Liebe oder Freundschaft zog, etwas Erfüllenderes zu machen. Und bescheiden und klug meint er von sich selbst und von Hoffmanns Neigung »sein eigenes Geschöpf auf seinen Hausaltar zu erheben«: »Der Freund wenigstens ist stets anspruchslos genug gewesen, diesen Rang nicht als sein, sondern als Hoffmanns Werk und Eigentum anzusehen.«

Die Freundschaft hielt ein ganzes Leben, trotzdem die äußeren Wege der beiden Männer auseinandergingen und nur seltene Wiedersehen sie vereinten. Von einem solchen Wiedersehen, 1813 in Dresden, schreibt Hoffmann, der damals vagierender Kapellmeister war, die hübschen Worte: »Ich fand im Linkschen Bade meinen ältesten Jugend-, Schul- und akademischen Freund, den Staatsrat v. Hippel, dessen Herz noch ebenso wie seit fünfundzwanzig Jahren, jetzt unter dem Stern des roten Adlerordens, sich den Ergießungen der innigsten Freundschaft überließ.«

 

II.

Zu Hippels Erinnerungen und den Freundschaftsbriefen fand Hans v. Müller in Hitzigs Nachlaß in Halle und Leipzig und durch Nachforschung bei Sammlern eine Fülle anderer Schreiben, über zweihundert an der Zahl, in denen sich Hoffmanns gesamter Verkehr und Umgang spiegelt. Und auch sie werden nun in reiner unverkürzter Form zusammenhangsvoll vorgelegt.

Sie liefern die Quelle für die Geschichte seiner Produktion, sie liefern autobiographisches Material aus den Berliner Hungertagen 1808, aus den Dresdener Zeiten 1813 zwischen den Schlachten, dann von 1814/15, als der Dichter wieder in das Kammergericht heimgefunden und dort erweist, daß ein Callotist auch ein guter Aktenmensch sein kann, bis zu der »Vermaledeiten Flohgeschichte«, jener hochnotpeinlichen Affäre, in die Hoffmann 1821/22 durch seine Satire der Demagogenriecherei, den »Meister Floh«, geriet, und die sein letztes Lebensjahr verstörte.

Uns reizt es, aus diesen Briefen die Wesenszüge zu erlauschen und die Menschlichkeit und die aufzuckenden Blitze künstlerischen Temperamentes zu beobachten.

Hoffmann zeichnete von früh an bis zu seinem Ende – die versprochene Publikation seiner Kalender-Tagbücher wird das von Tag zu Tag interessant belegen – selbstbegierig seine seelischen Zustände auf, die atmosphärischen Kurven seiner Stimmung und solche psychischen Wetterberichte nehmen auch in den Briefen großen Raum ein. Er notiert sich die zerrissene Gemütsverfassung des Zwanzigjährigen in Glogau, als er seine Kusine Minna Doerffer liebte. Da nennt er sich einen Menschen, der in einer unaufhörlichen Schattenjagd seine Kräfte erschöpft, er spricht von dem »unseligen Wechselbalg seiner Phantasie«, wie sich alles in ihm zur Leidenschaft umwandelt, wie ihn dann wieder die Eiskälte des Nichts umfängt, bis sich alles unter lindernder Musik in »unbeschreibliche Wehmut« über gestorbene Freuden löst. Schon damals nahm er Spott und Ironie als Waffe und Gegengewicht für das leicht verletzliche und nur zu leicht sich verlierende Gefühl: »Komische Possen als Sordinen für das Gemüt.« Er charakterisiert sich selbst, als er auf einen trüben Brief Hippels diesem ein mahnendes Spiegelbild vorhält: »Dir fehlt das Talent, glücklich zu sein … Du gleichst einem schönen Instrument, dessen Saiten abgespannt sind. In diesen abgespannten Saiten liegt eine Flut entzückender Harmonien, die sie aber nur dann angeben, wenn ein äußeres Motiv ihre Drehwirbel herumschiebt und sie aufspannt.« Er fühlt sich physisch bankerott und spaßt mit barockem Humor: »Ich denke immer, ich habe einen Künstlerkörper, d. h. er wird bald gar nicht zu brauchen sein, und ich werde mich empfehlen, ohne ihn mitzunehmen.«

Er entdeckt sich auch, daß während ihn am Tag eine unüberwindliche Schläfrigkeit hemmt, in der Nacht sein Geist am tätigsten ist.

Er kam bald darauf, sich diese Nacht durch Reize zu illuminieren. Er, der sich eine Hackertsche Mondgegend wünschte, mußte in das juristische Joch, in das »Justiz Gardenormal bataillon«, in die Polnische Verbannung, nach Warschau und Plock. Und in der bitteren Erkenntnis, »zu dem gezwungen zu werden, was seinem eigentlich tieferen Prinzip widerstrebt«, suchte er die Betäubung und wurde, wie er selbst gesteht, »das, was Schulrektoren, Prediger, Onkel und Tanten liederlich nennen«.

Hippel spricht ohne Moralisterei, aber mit tiefem Schmerz über die Verwirrung besserer Menschlichkeit von dieser Zeit, da ihn Hoffmanns Grellheit und verzweifelte Lust am »Obscönen« verletzte, und er gibt auch an – Hitzig unterdrückte diese Mitteilung –, daß sich Hoffmann in dieser Periode den »Keim zu der schnellen Auflösung seines Körpers« erwarb. Und Hoffmann selbst sagte in Verlainescher Selbstzerknirschung von jenen »Ausschweifungen aus Grundsatz« in Plock: ich wandle hier in einem Sumpf unter niederem Dorngesträuch, welches mir die Füße wund ritzt …

Später fand er ein edleres Mittel, sich das Elend des Lebens zu vergolden und sich zu steigern. Im Wein suchte er die Elementargeister, mit ihm »schürte er das Feuer nach, daß es lustiger brenne«, um sich mit »regem Fittich über den Pfuhl seines stinkenden Brotbettellebens zu erheben«.

Und in dunklen Tagen sind ihm die exaltierten Augenblicke unter Freunden bei der Flasche die einzig lebendigen.

Von diesen Weinen spricht er beschwingt, als vom höchsten geistigen Gut. Er preist den starken feurigen Burgunder, vor allem den wahrhaft poetischen Chambertin, der bei ihm schon oft »in Sinfonien und Arien« verdunstet; er verzückt sich am göttlichen Nuit, der das Geheimnis seiner Kraft im Namen trägt. Den »Eilfer«, den Goetheschen Kometenwein von 1811, betet er an, und am Champagner Sillery lobt er die nobelste Physiognomie.

Und vergleichbar Baudelaires Optik »contempler le ciel par le cul de la bouteille«, verdichtet sich auch für Hoffmann »der Dunst der sublimsten Weine zum Linsenglase, vor dem sich allerlei närrische Gestalten in skurrilen Bocksprüngen lustig und ergötzlich bewegen«.

Doch stärker noch genießt er Anfeuerung und Erhöhung in den Augenblicken künstlerischen Schaffens. Es trägt ihn über kümmerliche Gegenwart hinaus, und dankbar bekennt er 1813 in den Krisen unsicherster Lage: »In keiner als in dieser düsteren verhängnisvollen Zeit, wo man seine Existenz von Tag zu Tag fristet, hat mich das Schreiben so angesprochen – es ist, als schlösse sich mir ein wunderbares Reich auf, das, aus meinem Inneren hervorgehend und sich gestaltend, mich dem Drange des Äußeren entrückte.«

Dies geheimnisvolle Reich ist verdichtet im »Goldenen Topf«, und gerade an diesem Werk, in dem sich leuchtender und klingender als in jeder anderen Schöpfung Hoffmanns farbig schwebende Flöre über Philisterwelt und Alltag breiten, arbeitete er in jener Periode.

Und ein weiteres Beispiel jener Transsubstantiation der Wirklichkeit findet man in den »Briefen aus den Bergen«, jener verschollenen Phantasie Hoffmanns über seine schlesische Reise 1819, die Müller in der Zeitschrift »Der Freimütige« entdeckte.

Als Capriccio beginnen sie mit der Revolution der Möbel in des Dichters Gehäus: der Ofen schneidet »ganz verfluchte Gesichter«, der Schreibtisch schiebt sich mit häßlich knarrenden Seufzern, ja mit »widrigem Stöhnen« von dannen, die Bücher springen in toller Furia aus dem Schrank und lesen sich selbst vor, die Saffianpantoffeln schreiten im Menuettpas, und das Fortepiano spielt von selbst dazu auf. An Maupassants Horla, in dem dies Farcen-Motiv zum Graun des Wahnsinns wächst, kann man dabei denken, und ebenfalls an Maupassant bei der Schilderung, wie Jasmin-, Lilien- und Rosendüfte als musikalischer Klang ihn überschatten und ihn aufs neue (in den Phantasiestücken schon schwang jene Sinfonie der Sinneseindrücke) die »tiefere Bedeutung des dichterischen Wahnsinns« verstehen läßt, der Duft und Musik in einen Brennpunkt der Empfindung stellt. Maupassant fühlte das an der Mittelmeerküste, er zeichnete es in La vie errante auf und rief dabei die deutungsvollen Verse Baudelaires an: »les sons, les parfums, les couleurs se répondent.«

Alles bildet sich für Hoffmann magisch um, und wenn er auf den Wanderungen sieht, wie die Reihe der typischen Riesengebirgs-Tragsessel, mit »Frauenzimmern, die die bunten Sonnenschirme über den Köpfen ausgespannt haben, in der Ferne durch ein Tal zieht oder einen Berg hinabsteigt«, dann gaukelt ihm sein Spieltrieb bunte Decken und Blumengewinde vor, dazu eine fabelhafte Musik von Querpfeifen, Zimbeln, kleiner Trommeln, und er genießt das Bild wie eine shakespearesche Lustspielszene aus dem Ardenner Wald. Einspinnen in die vie imaginaire hilft sogar über die Krankheit hinweg, er merkt, daß die »Podagristen einen besonderen Humor« haben müssen, denn oft mit den heftigsten Stichen schreibt er »con amore«, wird es aber gar zu toll, so nimmt er Bleistift und Pinsel und zeichnet Karikaturen der Zeit.

Zum Schreiben und Zeichnen gesellt sich ihm die Musik. Als er die »Undine« Fouqués komponiert, wiegt er sich in einen kindhaft glücklichen Zustand ein, und in seiner Vorstellung genießt er verwandlerisch das Märchen am eigenen Wesen: »Mit der ›Undine‹ führe ich ein herrliches Leben. Sie besucht mich alle Morgen und bringt die herrlichsten Blumen, auch allerlei bunte, glänzende Steine mit, da setzen wir uns hin und spielen wie die Kinder, bis die Sonne gar zu hoch heraufkommt – da eilt sie fort, und kaum ist sie dahin, so sind alle Blumen gelb und die Steine glanzlos.«

Ein Mozart-Enthusiast versenkt sich ahnungsvoll in den »Don Juan«. Er spielt ihn still hingegeben auf seinem Stübchen und genießt da inbrünstiger als in der »Komödie«. Musik hat ihn, so sagt er, erst empfinden gelehrt oder vielmehr schlummernde Gefühle geweckt. Ja, es steigert sich bis zum schmerzlich süßen Reiz, so daß er sagt: »Es ist wahr, was Jean Paul meint, die Musik legt sich um unser Herz wie die Löwenzunge, welche so lange kitzelnd und juckend auf der Hand liegt, bis Blut fließt. Sie macht mich weich wie ein Kind, alle vergessenen Wunden bluten aufs neue.«

 

III.

In der Ausdruckswelt, in den Bildern und Gestalten der Briefe spiegeln sich alle charakteristischen Züge seines dichterischen Darstellens. Die Grotesken und Capriccios sind darin. Sie spuken schon in den Possen-Variationen der Jugendjahre über die »orthodoxen Hosen« des wunderlichen Onkel-Originals, des »dicken Sir«, und anzumerken ist dabei, daß hier der Name Lindhorst erscheint, es ist, wie Hippel kommentiert, der Name eines oft verspotteten Jugendfreundes, und sehr viel später erst brachte ihn Hoffmann im »Goldenen Topf« zu so höchsten Geisterehren.

Aus der Warschauer Zeit gibt's dann ein Concerto dramatico mit den voix de la rue, katholischem Glockengeläut, Kunstreiter-Janitscharenmusik und Schweinegequiek. Und aus den letzten Zeiten, von »des Vetters Eckfenster« aus aufgenommen, ein schnörkelhaftes von zeichnerischen Randeinfällen begleitetes Phantasiestück über den Brand des Schauspielhauses: Fünftausend Perücken flogen aus den Flammen, über sie als feuriges Meteor, die königliche Seehandlung bedräuend, Unzelmanns Perücke aus dem Dorfbarbier mit einem langen Zopf. Besagtes Ungetüm schießt ein couragöser Gardejäger auf der Taubenstraße durch einen wohlgezielten Büchsenschuß nieder. Zum Tode getroffen, zischend und brausend sinkt es in den P.-P.-Winkel des Schonertschen Weinhauses. Hierauf stiegen sofort die Staatspapiere.

Das Behagliche, Spießbürgerliche, Zipfelmützige, das Hoffmann als Folie zum Ekstatischen, Dämonischen, mit einer ironischen Liebe hegte, wird hier gestrichelt, das Genrebild der Knopfmacherleute auf der Reise nach Glogau, in kleinmeisterlicher Chodowiecki-Handschrift: Die kleine Familie um die mächtige Kaffeekanne und den Hauskater mit hohem Rücken knurrend an der Rahmschüssel. Und sich selbst zeichnet er, wie er mit Mütze und Pantoffeln und der Pfeife im Mund auf Dresden mit seinen Kuppeln und Türmen blickt, und darüber hinaus ragen die fernen Felsen des Erzgebirges. Und dabei fällt einem das Dresdener Atelierbild des alten Caspar Friedrich ein mit dem großen Fenster und dem Maler in weichem breitkragigen Rock, an Hoffmann erinnernd mit dem kauzigen Sonderlingsgesicht.

Aber auch die Nachtstücke und das Grauen fehlen nicht. Er beobachtet, wie sein Oheim »sich fürchterlich mit dem Tode balgt«, mit eingefallenen Backen, offenem Munde, Brechen der Augen, dumpfem Röcheln. Und auch die tote Mutter sieht er von »gräßlichen Verzuckungen verstellt«.

Und wie in der Dichtung eint sich mit dem Grellen, Wildverzerrten dann wieder lind gelöste süße Wehmut. Die sanfte Musik von Klarinetten und Hörnern auf dem Schloßturm umzaubert ihn in der Silvesternacht, und träumend sieht er, wie »silberne Engel das neue Jahr einem Sterne gleich am blauen Himmel vorbeitragen«.

* * *

Mancherlei Menschen gehen durch den Spiegel dieser Briefe …

Hoffmanns Verhältnis zur Mitwelt war immer in dem Sinne ein egoistisches, als er die leiden mochte, die seine ihm selbst lieben Saiten seines Herzens entbanden, die ihn klingen machten und ihn steigerten. Danach beurteilte er seine Gemeinschaften, und danach gab er in den Streckenberichten seiner Tagebücher die Verdikte über seine Abende, ob sie »hundsspöttisch verpfuscht oder fabelhaft exotisch jovialisierend« gewesen wären.

Mit seinem beweglichen Geist, immer zu Teufeleien geneigt, war er nie eigentlich menschenscheu, er konnte, auch wenn er im Grunde dabei einsam blieb, aus Lust am Maskenspiel »altklug bei den Alten, religiös bei den Religiösen, galant bei den Damen sein«. Rabiat wurde er nur, wenn er ganz resonanzlos unter die Stumpfsinnigen verschlagen ward. Dann konnte er freilich schimpfen, wie nur noch sein jüngster Herausgeber, unser lieber Hans v. Müller gegen die Widersacher. Da geht es los gegen die »gänsedummen Bocksprünge des gemeinen nachäffenden Pöbels«, gegen die Perückenstocknarrennester; und sein Gefühl unter Fremden ist stets das Hamletsche: »Ihr könnt mich wohl verstimmen, aber nicht auf mir spielen.«

Problematische schicksalgezeichnete Menschen aber locken ihn sogleich, wie jener dämonische Maler Molinari, der aus den Elixieren des Teufels entsprungen zu sein scheint »schön gebaut wie ein Apollo«, mit dem Kopf des Fiesco voll schwarzer krauser Haare und der boshaften Schadenfreude in den Augen.

Zacharias Werner, der sonderbare Heilige, taucht hier in seiner Scheckigkeit auf, der gesprenkelte Charakter mit der Teufelspfote und seiner bekehrungslüsternen Salbung.

Beethovens Stimme sagt den Verehrenden Dankesworte. Im Hintergrund sieht man Chamisso mit Siebenmeilenstiefeln zum Nordpol schreiten, zunächst aber auf einem schwankenden Schifflein, »wo die Menschen ganz stille, ganz stille lagen und auch nicht tranken«, alles von sich geben, und »dann getröstet dem eigenmächtigen Tanz seiner Stiefel« zuschauen.

Den Charmeurton des Fürsten Pückler hört man. Dieser Graziöseste der Briefschreiber dankt für die Übersendung des Zinnober-Buches, und er revanchiert sich mit anmutigstem Einfall durch ein Blatt Callots; nach Muskau will er Hoffmann mitnehmen, und er fügt inzwischen der sinnvollen Gabe die Worte hinzu: »Um meiner bis dahin zu gedenken, schicke ich dem neuen Callot ein kleines Bild des Alten, sonderbar genug an vielartiger Gestalt, sich in Nebel und Duft phantastisch verlierend. Die Rückseite gibt auch eine Federprobe Callots, und die naiven alten Worte gelten wieder für den Empfänger.«

Pückler hat später freilich, als er in Sachen der Meister-Floh-Satire zugunsten Hoffmanns bei seinem Schwiegervater, dem Staatskanzler v. Hardenberg intervenieren sollte, sich ablehnend zurückgehalten. Er steckte selbst in mancherlei Schwierigkeiten, brauchte Hardenberg selbst viel zu nötig in seinen eigenen Angelegenheiten, um sich in dieser Demagogenaffäre den Mund zu verbrennen.

Das kann ihm unser Hans v. Müller nicht verzeihen, er will zur Strafe dafür den »skrupellosen Dandy« in seiner »ganzen Hohlheit und nichtigen Eitelkeit« entlarven. Er zieht gegen ihn mit ehrlicher biedermännlicher Entrüstung los. Seine Gewissenhaftigkeit zwingt ihn aber, sich vorerst gründlich mit seiner bête noire zu beschäftigen. Und dabei passiert ihm das Drollige, daß er sich von den unwiderstehlichen Briefen und manchen Lebenskapiteln des Gehaßten fesseln und einspinnen läßt. Jedenfalls widmet er ein »langes Intermezzo« ihm und seinem merkwürdigen Verhältnisse zu der Adoptivstieftochter, der geheimnisvollen Helmine. Pückler sagte sehr spannend selbst darüber: »Sie war ein sechzehnjähriges Mädchen und ich zweiunddreißig Jahre alt, als diese Bekanntschaft begann. Sie dauerte fünfzehn Jahre lang, und in der Mitte dieser Zeit mußte sich das Mädchen verheiraten, unsere Kameradschaft blieb aber dieselbe. Mehr kann ich über diese Verbindung nicht schreiben, denn es ruht mehr als ein wichtiges Geheimnis darüber.« Müllers spürender Scharfsinn hat dahinein manches Licht gebracht, und die Pücklerfreunde können nun – large, wie sie sind – dem advocatus diaboli freundlichen Dank erstatten.

Zwei geniale Elementargeister erscheinen zum Schluß.

Brentano mit einem dunkelleuchtenden Brief, der aber nie abgesandt wurde, und der, wenn sein Inhalt auch wohl mündlich dem Adressaten mitgeteilt wurde, in eigener Form Hoffmann nicht vertraut wurde. »Ich habe eine Menge solche begonnene Empfindungsprozessionen, die auf halbem Wege erstarrt unter meinen Papieren liegen«, sagt Brentano. In einem noch seltsameren Schein geht er dadurch uns auf. »Ihr Wesen hat mich lebendig gerührt«, heißt es hier. Tiefes Lebensgrauen und der Ekel des bankerotten Künstlers schütteln Brentano. Er möchte die Lichter ausputzen, »seinen Schatten nicht zu sehen, die Spiegel verhängen, das Spiegelbild nicht zu erblicken«. Und nun sieht er, gepackt und angstvoll zugleich, wie Hoffmann »als ein glücklicher Erdenmann wagt, den Tabaksrauch und sich selbst an ein Eisfenster des Lebens anzugestirnen« und unerschrocken sein Spiegelbild zu sehen und zu zeigen.

Vor den Gauklern warnt er: »die witzigen gaukelnden sogen Humoristen treten immer in die Literatur ein vor der Hungersnot. Es ist das Henkersmahl, der letzte Schmaus des verlorenen Sohnes.« Und er selbst, dem die »Worte nicht als rechtmäßige Bewohner, sondern als Mäuse, Raubtiere, Diebe, Buhler, Flüchtende und dergleichen mit seinen Empfindungen aus dem Munde laufen«, empfiehlt sich müde und welk in Jesu Hände.

Nur in Reflex zieht vorbei der andere, Hoffmanns letzter Freund, Devrient. Auch Brentano lernte ihn kennen, bewunderte das Außerordentliche an ihm, und daß in seinem Wesen nichts vom Komödianten sei, nur klagte er, daß er dem Trunk »inkurabel ergeben«.

Hoffmann und Devrient brauchten sich nicht viel zu schreiben, sie sahen und sprachen sich wohl täglich. Doch ein Lendemainbillett, morgens um 11 Uhr, da die »katzenjammerschwangeren Morgennebel sich verzogen«, liegt hier vor, handschriftlich in den allerzierlichsten Federzeichnungszügen und mit einer Vignette der pokulierenden zwei beiden.

Hoffmann bittet den Freund, da sie »seit zweitausenddreihundertundfünfundsechzig Jahren kein gescheites Wort unter vier Augen geredet«, zu sich zum Frühstück auf Pücklerschen Salat (ob Hans v. Müller wohl da mitgegessen hätte?) und Portwein.

Und zwischen den Zeilen dieses Billetts fühlt man die ganzen Nächte bei Lutter und Wegener und die Tage an des Vetters Eckfenster.


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