Johann Heinrich Pestalozzi
Wie Gertrud ihre Kinder lehrt
Johann Heinrich Pestalozzi

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Lieber Freund! Es ist allgemein bekannt, die Natur verkennt die vielseitigen und künstlichen Zusammensetzungen der vollendeten Sprachkunst in der ersten Epoche der Völkerbildung zur Sprache ganz und gar, und das Kind versteht diese Zusammensetzungen so wenig als der Barbar; es gelangt wie dieser nur allmählich durch dauernde Übung in einfachen Zusammensetzungen zur Kraft, die verwickelten zu begreifen; daher gehen meine Sprachübungen vom Anfange an einen Weg, der mit Beseitigung alles Wissens und aller Erkenntnis, die nur durch die vollendete Sprachkunst erzielt werden kann, die Elemente der Sprache selber erforscht und dem Kinde die Vorzüge der gebildeten Sprache in eben der Stufenfolge eigen macht, in der die Natur das Menschengeschlecht zu denselben emporhub.

Lieber Freund! Werden mich die Menschen auch hierin mißkennen? – Werden auch hierin wenige sein, die mit mir wünschen, daß es mir gelinge, daß dem rasenden Zutrauen auf Worte, die sowohl durch die Natur der Gegenstände als durch die Kunst ihrer Ausbildung und Zusammensetzung das Gepräge ihrer Unverständlichkeit für das kindliche Alter in sich selbst tragen und hinwieder durch eine von aller Anschauung entblößte innere Leerheit auf die Verödung des menschlichen Geistes hinwirken und ihn zum Glauben an leeren Schall und eitle Töne hinlenken, Damm und Ziel gesetzt und Schall und Töne durch den Sprachunterricht selber wieder gewichtlos gemacht und der Anschauung darin wieder der überwiegende Einfluß gegeben werde, welcher ihr gebührt und wodurch die Sprache allein wieder zum wahren Fundament der Geistesbildung und aller aus ihr hervorgehenden Realkenntnisse und ebenso aus ihr hervorgehenden Urteilskraft angesehen werden kann.

Ja, Freund, ich weiß es, es werden lange, lange ihrer wenige sein, die Traum und Ton und Schall als unbedingt verwerfliche Fundamente der menschlichen Geistesbildung anerkennen und nicht mißverstehen werden. Die Ursachen davon sind so vielseitig und so tiefgreifend; der Reiz zu unserm Maulwaschen hängt zu sehr mit der Ehre unseres so geheißenen guten Tons und seiner Ansprüche an die allgemeine Vielwisserei unserer Zeit, noch mehr aber mit den Fundamenten des Broterwerbs von Tausenden und Tausenden aus unsrer Mitte zusammen, als daß es nicht lange, lange gehen müßte, ehe unsere Zeitmenschen Wahrheiten, die so sehr ihren sinnlichen Verhärtungen entgegenstellen, mit Lieb' auf ihren Schoß nehmen werden. – Doch ich gehe meinen Weg und sage denn noch: jede Wissenschaftslehre, die durch Menschen diktiert, expliziert, analisiert wird, welche nicht übereinstimmend mit den Gesetzen der Natur reden und denken gelernt haben; und so wieder, jede Wissenschaftslehre, deren Definitionen den Kindern wie ein Deus ex machina in die Seele gezaubert oder vielmehr wie durch Theatersouffleurs in die Ohren geblasen werden müssen, wird, insoweit sie diesen Gang geht, notwendig zu einer elenden Komödianten-Bildungs-Manier versinken. Da, wo die Grundkräfte des menschlichen Geistes schlafend gelassen und auf die schlafenden Kräfte Worte gepfropft werden, da bildet man Träumer, die um so unnatürlicher und flatterhafter träumen, als die Worte groß und an spruchsvoll waren, die auf ihr elendes, gähnendes Wesen aufgepfropft worden sind. Solche Zöglinge träumen dann auch von allem andern in der Welt lieber als davon, daß sie selber träumen und schlafen; aber die Wachenden um sie her fühlen alle ihre Anmaßungen, und die Sehendsten von ihnen achten sie bestimmt und im ganzen Umfang des Wortes für Nachtwandler.

Der Gang der Natur in der Entwicklung unsers Geschlechtes ist unwandelbar. – Es gibt und kann in dieser Rücksicht nicht zwei gute Unterrichtsmethoden geben – es ist nur eine gut –, und diese ist diejenige, die vollkommen auf den ewigen Gesetzen der Natur beruhet; aber schlechte gibt es unendlich viele, und die Schlechtheit einer jeden derselben steigt in dem Maße, als sie von den Gesetzen der Natur abweicht, und mindert sich in dem Grade, als sie sich der Befolgung dieser Gesetze nähert. Ich weiß wohl, daß die einzige gute weder in meinen noch in den Händen irgendeines Menschen ist und daß wir alle dieser einzigen guten uns nur nähern können. Das Ziel ihrer Vollkommenheit, ihrer Vollendung muß aber das Ziel aller derer sein, die den menschlichen Unterricht auf Wahrheit gründen und durch ihn die Menschennatur zu befriedigen und ihr in ihren wesentlichen Ansprüchen ein Genüge zu leisten suchen; und in diesem Gesichtspunkte ist es, daß ich es ausspreche, ich jage dieser Unterrichtsweise mit allen Kräften, die in meiner Hand sind, nach und habe in Rücksicht auf die Beurteilung meines Tuns sowie in Rücksicht auf die Beurteilung des Tuns aller derer, die nach eben diesem Ziele streben, die einzige Regel: an ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Menschenkraft, Muttersinn und Mutterwitz als Folgen einer jeden Unterrichtsweise sind mir die einzigen Gewährleister des Grades ihres innern Wertes, jede Methode aber, die dem Lehrlinge das Gepräge allgemein erstickter Naturkräfte und den Mangel an Menschensinn und Mutterwitz auf seine Stirne brennt, die ist von mir, was sie auch immer sonst für Vorzüge haben mag, verurteilt. Ich bin es zwar nicht in Abrede, daß auch eine solche Methode gute Schneider, Schuhmacher, Kaufleute und Soldaten hervorbringen könne, aber das bin ich in Abrede, daß sie einen Schneider oder einen Kaufmann hervorbringen könne, der im hohen Sinne des Wortes ein Mensch ist. Möchten die Menschen doch einmal fest ins Auge fassen, daß das Ziel alles Unterrichts ewig nichts anders ist und nichts anders sein kann als die durch die harmonische Ausbildung der Kräfte und Anlagen der Menschennatur entwickelte und ins Leben geförderte Menschlichkeit selber. Möchten sie doch bei jedem Schritt ihrer Bildungs- und Unterrichtsmittel sich immer fragen: führt es denn wirklich zu diesem Ziel?

Ich will den Gesichtspunkt des Einflusses, den deutliche Begriffe auf die wesentliche Entfaltung der Menschlichkeit haben, noch einmal ins Aug fassen. Deutliche Begriffe sind dem Kinde nur diejenigen, zu deren Klarheit ihm seine Erfahrung nichts mehr beizutragen vermag. Dieser Grundsatz entscheidet erstlich über die Stufenfolgen der zu entwickelnden Kräfte und Fertigkeiten, durch welche die allmähliche Anbahnung der Klarheit aller Begriffe erzielt werden muß; zweitens über die Stufenfolge der Gegenstände, nach welcher die Übungen in den Definitionen mit den Kindern angefangen und darin fortgeschritten werden muß, und endlich über den Zeitpunkt, in welchen Definitionen jeder Art für das Kind wirkliche Wahrheiten enthalten können.

Offenbar muß die Klarheit der Begriffe durch den Unterricht bei dem Kinde bearbeitet werden, ehe man ihm die Fähigkeit voraussetzen kann, das Resultat derselben, den deutlichen Begriff, oder vielmehr die wörtliche Darlegung desselben zu verstehen.

Der Weg zu deutlichen Begriffen beruht auf einer ihrem Verstande angemessenen Anordnung des Klarmachens aller Gegenstände, deren Deutlichkeit man bezweckt. Diese Anordnung aber beruhet hinwieder auf der Vereinigung aller Kunstmittel, durch welche die Kinder dahin gebracht werden, sich über die Beschaffenheit aller Dinge und vorzüglich über Maß, Zahl und Form eines jeden Gegenstandes bestimmt auszudrücken. Auf diesem Wege und auf keinem andern kann das Kind zu einer das Wesen eines Gegenstandes in seinem ganzen Umfange umfassenden Erkenntnis desselben und dadurch zur Fähigkeit hingeführt werden, ihn zu definieren, d. i. das Wesen desselben in seinem ganzen Umfang mit der höchsten Bestimmtheit und Kürze wörtlich darzulegen. Alle Definitionen, d. i. alle solche bestimmte, wörtliche Darlegungen des Wesens irgendeines Gegenstandes enthalten indessen für das Kind nur insoweit wesentliche Wahrheiten, als sich dasselbe des sinnlichen Hintergrunds des Wesens dieser Gegenstände mit großer, lebendiger Klarheit bewußt ist. Wo ihm die bestimmteste Klarheit in der Anschauung eines ihm definierten sinnlichen Gegenstandes mangelt, da lernt es bloß mit Worten aus der Tasche spielen, sich selbst täuschen und blindlings an Töne glauben, deren Klang ihm keinen Begriff beibringen oder einen andern Gedanken veranlassen wird, als daß es eben einen Laut von sich gegeben habe.

Hinc illae lacrimae!

Schwämme wachsen beim Regenwetter schnell aus jedem Misthaufen; und auf die gleiche Weise erzeugen anschauungslose Definitionen ebenso schnell eine schwammige Weisheit, die aber am Sonnenlicht sehr schnell sterben und den heitern Himmel als das Gift ihres Daseins anerkennen muß. Das grundlose Wortgepränge einer solchen fundamentlosen Weisheit erzeugt Menschen, die sich in allen Fächern am Ziel glauben, weil ihr Leben ein mühseliges Geschwätz von diesem Ziel ist, aber sie bringen es nie dahin, darnach zu laufen, weil es durch ihr Leben niemals in ihrer Anschauung jenen anziehenden Reiz hatte, der wesentlich notwendig ist, irgendeine menschliche Anstrengung zu erzeugen. Unser Zeitalter ist voll solcher Menschen, und es liegt an einer Weisheit krank, die uns zum Ziele des Wissens wie Krüppel auf die Rennbahn pro forma hinträgt, ohne daß sie dieses Ziel jemals zu ihrem Ziele machen könnte, ehe ihre Füße kuriert worden sind. Den Definitionen geht wesentlich die Kraft der Beschreibungen voraus. Was mir ganz klar ist, das kann ich um deswillen noch nicht definieren, wohl aber beschreiben, d. i. ich kann von ihm bestimmt sagen, wie es beschaffen ist, aber nicht, was es ist: ich kenne bloß den Gegenstand, das Individuum, seine Gattung und seine Art kann ich ihm aber noch nicht anweisen. Was mir aber nicht ganz klar ist, von dem kann ich nicht bestimmt sagen, wie es beschaffen ist, geschweige was es ist; ich kann es nicht einmal beschreiben, geschweige daß ich es definieren könnte. Wenn mir nun ein Dritter die Worte in den Mund legt, wodurch ein anderer, dem die Sache klar war, dieselbe Leuten von seinem Schlage deutlich macht, so ist sie um deswillen mir noch nicht deutlich, sondern sie ist und bleibt insoweit die deutliche Sache des andern und nicht die meinige, als die Worte dieses andern das für mich nicht sein können, was sie für ihn sind: der bestimmte Ausdruck der vollendeten Klarheit seines Begriffes.

Der Zweck, den Menschen mit psychologischer Kunst und nach den Gesetzen des physischen Mechanismus zu deutlichen Begriffen und ihrem letzten Mittel, zu Definitionen zu führen, ruft einer diesem letzten Mittel wesentlich vorausgehenden Kettenfolge aller Darstellungen der physischen Welt, die von der Anschauung einzelner Gegenstände zu ihrer Benennung, von ihrer Benennung zur Bestimmung ihrer Eigenschaften, das ist zur Kraft ihrer Beschreibung, und von der Kraft, sie zu beschreiben, zur Kraft, sie zu verdeutlichen oder zu definieren, allmählich fortschreitet. Weisheit in der Führung zur Anschauung ist also offenbar der Anfangspunkt, auf welchen diese Kettenfolge der Mittel, zu deutlichen Begriffen zu gelangen, gebaut werden muß, und es ist offenbar, daß das letzte Ausreifen des Ziels alles Unterrichtes, die Deutlichkeit eines jeden Begriffes, ebenso wesentlich von der vollendeten Kraft seines ersten Entkeimens abhängt.

Wo im weiten Kreis der allwirkenden Natur irgendein Gegenstand in seinem Keime unvollkommen gebildet ist, da hat sie ihre Kraft, ihn durch reifende Vollendung zur Vollkommenheit zu bringen, verloren. Alles, was nicht in seinem Keime vollendet ist, das wird in seinem Wachstum, d. i. in der äußern Entwicklung seiner Teile verkrüppelt; dieses ist in den Produkten deines Geistes so wahr als in den Produkten deines Gartenbeetes; es ist in dem Resultate jedes einzelnen Anschauungsbegriffes so wahr als in dem bestimmten Zustande eines ausgewachsenen Krauthaupts.

Das vorzügliche Mittel, Verwirrung, Lücken und Oberflächlichkeit in der menschlichen Bildung zu verhüten, beruhet also hauptsächlich in der Sorgfalt, die Anfangseindrücke der wesentlichsten Gegenstände unserer Erkenntnis dem Kinde bei ihrer ersten Anschauung so bestimmt, so richtig und so umfassend vor die Sinne zu bringen als immer möglich. Schon bei der Wiege des unmündigen Kindes muß man anfangen, die Führung unseres Geschlechtes der blinden, spielenden Natur aus den Händen zu reißen und sie in die Hand der bessern Kraft zu legen, die uns die Erfahrung von Jahrtausenden über das Wesen ihrer ewigen Gesetze abstrahieren gelehrt hat.

Du mußt die Gesetze der Natur von ihrem Gange, das ist von ihren einzelnen Wirkungen und von den Darstellungen dieser Wirkungen wesentlich sondern; in Rücksicht auf ihre Gesetze ist sie ewige Wahrheit und für uns ewige Richtschnur aller Wahrheit, aber in Rücksicht auf die Modifikationen, inner welchen die Anwendungen ihrer Gesetze auf jedes Individuum und auf jeden Individualfall stattfinden, ist ihre sich selbst überlassene Wahrheit unserem Geschlecht nicht genugtuend und befriedigend. Die positive Wahrheit der Lage und der Umstände eines jeweiligen Individuums und Individualfalls spricht vermög gleicher, ewiger Gesetze eben das Recht der Notwendigkeit an wie die allgemeinen Gesetze der Menschennatur selber; folglich muß der Anspruch der Notwendigkeit beiderseitiger Gesetze unter sich in Übereinstimmung gebracht werden, wenn sie befriedigend auf das Menschengeschlecht wirken sollen. Die Sorge für die Vereinigung ist für unser Geschlecht wesentlich. Das Zufällige ist durch sein Dasein und in seinen Folgen so notwendig als das Ewige und Unveränderliche selber, aber das Zufällige muß in seinem Dasein und in der Notwendigkeit seiner Folgen durch die Freiheit des menschlichen Willens mit dem Ewigen und Unveränderlichen der Menschennatur und ihrer Ansprüche in Übereinstimmung gebracht werden.

Die sinnliche Natur, von der die Notwendigkeitsgesetze des Daseins und der Folgen des Zufälligen ausgehen, scheint nur dem Ganzen geheiligt und ist an sich unbesorgt für das Individuum und den Individualfall, den sie äußerlich auf ihn einwirkend bestimmt. Sie ist von dieser Seite eigentlich blind, und als blind ist nicht sie es, die mit der sehenden, geistigen und sittlichen Natur des Menschen in Harmonie kommt oder in Harmonie zu kommen sucht und in Harmonie kommen kann; im Gegenteil, es ist nur die geistige und sittliche Natur selber, die sich mit der sinnlichen in Harmonie zu bringen imstande und dieses zu tun vermögend und verpflichtet ist. Die Gesetze unserer Sinnlichkeit müssen desnahen, vermöge der wesentlichen Ansprüche unserer Natur selber, den Gesetzen unseres sittlichen und geistigen Lebens untergeordnet werden. Ohne diese Unterordnung ist es unmöglich, daß die Sinnlichkeit unsrer Natur jemals wahrhaft auf die wirkliche Erzeugung des letzten Resultats unsrer Ausbildung, auf die Erzeugung der Menschlichkeit, hinwirken könne. Der Mensch wird nur durch sein geistiges und inneres Leben selber Mensch, er wird nur dadurch selbständig, frei und befriedigt. Die sinnliche Natur führt ihn nicht so weit und nicht dahin; sie ist in ihrem Wesen blind; ihre Wege sind Wege der Finsternis und des Todes; die Bildung und Leitung unsers Geschlechtes muß desnahen der blinden, sinnlichen Natur und dem Einfluß ihrer Finsternis und ihres Todes aus den Händen gerissen und in die Hände unsers sittlichen und geistigen, innern Wesens und seines göttlichen, ewigen, innern Lichts und seiner göttlichen, ewigen, innern Wahrheit gelegt werden.

Alles, alles, was du immer der äußern, blinden Natur sorglos überlässest, das geht zugrunde. Das ist in der leblosen, sinnlichen Natur wahr wie in der belebten. Wo du die Erde sorglos der Natur überlässest, da trägt sie Unkraut und Disteln, und wo du ihr die Bildung deines Geschlechtes überlässest, da führt sie dasselbe weiter nicht als – in den Wirrwarr einer Anschauung, die weder für deine noch für die Fassungskraft deines Kindes so geordnet ist, wie ihr es für den ersten Unterricht bedürfet. Um das Kind auf die zuverlässigste Art zur richtigen und vollendeten Kenntnis eines Baums oder einer Pflanze hinzuführen, ist es bei weitem nicht die beste Art, daß du dasselbe ohne weitere Sorgfalt in den Wald oder auf die Wiese hinausgehen lässest, wo Bäume und Pflanzen aller Art durcheinander wachsen. Weder Bäume noch Kräuter kommen hier auf eine Weise vor seine Augen, die geschickt ist, das Wesen einer jeden Gattung derselben anschaulich zu machen und durch den ersten Eindruck des Gegenstandes zur allgemeinen Kenntnis des Faches vorzubereiten. Um dein Kind auf dem kürzesten Wege zum Ziele des Unterrichts, zu deutlichen Begriffen, zu führen, mußt du ihm mit großer Sorgfalt in jedem Erkenntnisfache zuerst solche Gegenstände vor Augen stellen, welche die wesentlichsten Kennzeichen des Faches, zu welchen dieser Gegenstand gehört, sichtbar und ausgezeichnet an sich tragen und dadurch besonders geschickt sind, das Wesen desselben im Unterschiede seiner wandelbaren Beschaffenheit in die Augen fallen zu machen; versäumst du aber dieses, so bringst du das Kind beim ersten Anblick des Gegenstandes leicht dahin, die wandelbare Beschaffenheit desselben als wesentlich anzusehen und sich auf diese Weise in der Kenntnis der Wahrheit wenigstens zu verspäten und den kürzesten Weg, in einem jeden Fache von dunkeln Anschauungen zu deutlichen Begriffen zu gelangen, zu verfehlen.

Ist aber dieser Irrtum in deiner Unterrichtsweise vermieden und sind die Reihenfolgen, nach welchen alle Gegenstände dem Kinde in allen Fächern deines Unterrichts zur Anschauung gebracht worden, von den ersten Anfangspunkten an also geordnet, daß der Eindruck von dem Wesen eines jeden Gegenstandes sich schon bei den ersten Anschauungen desselben über den Eindruck seiner Beschaffenheit zu erheben anfängt, so lernt das Kind schon von diesem ersten Eindruck an das Wandelbare des Gegenstandes dem Wesen desselben unterzuordnen und wandelt unwidersprechlich auf der sichern Bahn, auf welcher sich mit jedem Tage seine Kraft entwickelt, alle zufälligen Beschaffenheiten der Gegenstände mit hoher Einfachheit an das tiefe Bewußtsein ihres Wesens und ihrer innern Wahrheit anzuketten und so in der ganzen Natur als in seinem offenen Buche zu lesen. Gleichwie nun ein sich selbst überlassenes Kind verstandlos in die Welt hineinguckt und durch die Verirrung einzelner, blindlings aufgefundener Erkenntnisbruchstücke täglich von Irrtum zu Irrtum herabsinkt, so steigt hingegen ein Kind, welches von der Wiege an jenen Weg geführt wurde, täglich von Wahrheit zu Wahrheit. Alles, was ist, oder wenigstens der ganze Erfahrungskreis, in dem es lebt, kettet sich mit Reinheit und Umfassung seiner innern Kraft aneinander, und es hat insoweit keinen Irrtum im Hintergrunde seiner Ansichten. Die ersten Ursachen der Täuschung sind beides, in der Natur seiner Ansichten und in ihm selber, gehoben. Es ist in seinem Innern keine Neigung zu irgendeinem Irrtum künstlich und schulgerecht organisiert worden, und das nihil admirari, das jetzt bald nur als die Anmaßung des verkrüppelten Alters zum Vorschein kommt, wird durch diese Führung das Los der Unschuld und der Jugend; die Erreichung des letzten Zieles des Unterrichts, deutliche Begriffe – führen uns diese nun zu der Behauptung, daß wir nichts, oder zu der, daß wir alles kennen, das gilt gleich viel – wird nun, wenn das Kind einmal dahin gelangt ist und es Menschenanlagen hat, notwendig. Um dieses hohe Ziel zu erreichen, um die Mittel zu organisieren und sicherzustellen und vorzüglich um die ersten Anschauungseindrücke der sinnlichen Gegenstände mit der Umfassung und Bestimmtheit zu geben, welche wesentlich erfordert wird, um auf ihr Fundament lückenlose, Irrtum allgemein verhütende und die Wahrheit allgemein begründende Reihenfolgen unsrer Erkenntnismittel zu bauen, habe ich vorzüglich im Buche der Mütter die umfassendsten Erfordernisse dieses Zieles fest ins Auge genommen, und, Freund, es ist mir gelungen, ich bin dahin gekommen, das sinnliche Erkenntnisvermögen meiner Natur durch dieses Buch soweit zu stärken, daß ich zum voraus sehe, daß Kinder, die nach ihm geführt werden, das Buch allgemein wegwerfen und in der Natur und in allem, was sie umgibt, eine bessere Wegweisung zu meinem Ziel finden werden als diejenige, die ich ihnen gegeben.

Freund! Das Buch ist noch nicht da, und ich sehe schon sein Wiederverschwinden durch seine Wirkung!Anmerkung zur neuen Herausgabe. Die träumerische Darstellung dieses Buchs der Mütter, das nie da war, dessen Verfertigung ich in diesem Augenblicke so leicht glaubte und dessen Nichterscheinung in den Irrtümern der Ansicht, in denen ich mich selbst verträumte, zu suchen ist, ruft eines vielseitig nähern Aufschlusses des bestimmten Zustandes meiner selbst in Rücksicht auf den damaligen Grad der Wahrheit meiner diesfälligen kühnen Ahnungen und der grellen Lücken, die der unreife Zustand derselben in meine diesfällige Urteile hineinbrachte. Es ist jetzt 20 Jahre seit diesen Äußerungen, und kaum fange ich gegenwärtig an, mir selbst über die hier geäußerten Ansichten deutliche Rechenschaft geben zu können. Ich muß mich fragen: wie sind diese zwanzig Jahre in Rücksicht auf diese Ahnungen in mir selber verflossen? und freue mich, am Ende derselben sagen zu können: so sehr sie meinem Streben nach der Reifung meiner diesfälligen Ahnung entgegenzuwirken schienen, so weit haben sie diese Reifung nach dem Maße, in dem sie mir nach meiner Individualität erreichbar war, befördert. Sie haben sie aber auch, insofern sie den beschränkten Kräften meiner Individualität unerreichbar waren, so weit still gestellt, daß ich meine Hand diesfalls nicht mehr wie ein Kind auf dem Schoß der Amme nach dem Mond ausstrecken um ihn vom Himmel herab zu erhaschen.

P.


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