Johann Heinrich Pestalozzi
Wie Gertrud ihre Kinder lehrt
Johann Heinrich Pestalozzi

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Indessen ging ich meinen Weg, und Krüsi stärkte sich an meiner Seite immer mehr.

Die Hauptgesichtspunkte, in denen er schnell zur Überzeugung gelangte, die aber gar nicht als gereifte Erziehungswahrheiten, sondern nur als Anfangsansichten sich immer mehr und immer bestimmter entfaltender Erziehungsgrundsätze entwickelten, sind vorzüglich diese:

  1. daß durch eine bis zur Unvergeßlichkeit eingeprägte gutgereihte Nomenklatur ein allgemeines Fundament zu allen Arten von Kenntnissen gelegt werden könne, an dessen Faden Kinder und Schulmeister sich beide miteinander soviel als durch sich selbst allmählich, aber sichern Schrittes in allen Fächern des Wissens zu deutlichen Begriffen emporheben können;
  2. daß durch die Übung in Linien, Winkeln und Bogen, die ich damals zu betreiben anfing, eine Festigkeit in der Anschauung aller Dinge erzeugt und eine Kunstkraft in die Hand der Kinder gelegt werde, deren Folgen entscheidend dahin wirken müssen, ihnen alles, was in den Kreis ihrer Anschauungserfahrungen hineinfällt, klar und allmählich deutlich zu machen;
  3. daß die Übung, die Anfänge des Rechnens mit den Kindern durch reale Gegenstände oder wenigstens durch sie repräsentierende Punkte zu betreiben, die Fundamente der Rechenkunst in ihrem ganzen Umfange zuverlässig gründen und ihre weitern Fortschritte vor Irrtum und Verwirrung sichern müsse;
  4. die von den Kindern auswendig gelernten Beschreibungen von Gehen, Stehen, Liegen, Sitzen usw. zeigten ihm den Zusammenhang der Anfangsgrundsätze mit dem Ziel, das ich durch sie zu bezwecken suche, mit der allmählichen Verdeutlichung aller Begriffe. Er fühlte bald, daß, indem man die Kinder Gegenstände, die ihnen so klar sind, daß die Erfahrungen zu ihrer weiteren Klarmachung nichts mehr beitragen kann, also beschreiben mache, sie dadurch teils von den Anmaßungen, irgend etwas, das sie nicht kennen, beschreiben zu wollen, abgelenkt werden, teils aber auch dasjenige zu beschreiben, was sie wirklich kennen, eine Kraft erhalten müssen, die sie in den Stand setzt, dieses im ganzen Kreise ihrer Anschauungskenntnisse mit Einheit, Bestimmtheit, Kürze und Umfassung zu tun.
  5. Einige Worte, die ich einmal über den Einfluß meiner Methode gegen die Vorurteile äußerte, machten auf ihn sehr großen Eindruck. Ich sagte nämlich, Wahrheit, die aus Anschauung entquelle, mache das mühselige Reden und die vielseitigen Umtriebe überflüssig, die gegen Irrtum und Vorurteile ungefähr das wirken, was das Glockengeläute gegen die Gefahr des Gewitters, und weil eine solche Wahrheit bei dem Menschen eine Kraft erzeuge, welche das Eindringen der Vorurteile und des Irrtums in seine Seele vielseitig selber versperre und dieselben da, wo sie durch das ewige Maulbrauchen unsers Geschlechts ihnen doch zu Ohren kommen, in ihnen so isoliert lasse, daß sie bei ihnen gar nicht die gleichen Wirkungen haben können als bei den Alltagsmenschen unserer Zeit, denen Wahrheit und Irrtum, beides gleich ohne Anschauung mit bloßen Zauberworten, wie durch eine Laterna magica in ihre Einbildungskraft geworfen wird.
    Diese Äußerung brachte ihn zu der bestimmten Überzeugung, daß es möglich sei, durch das stille Schweigen meiner Methode gegen Irrtum und Vorurteile vielleicht mehr zu vermögen, als man bis jetzt durch das unermeßliche Reden, das man sich dagegen erlaubt oder vielmehr hat zuschulden kommen lassen, nicht vermochte.
  6. Vorzüglich entwickelte das Pflanzensammeln, das wir letzten Sommer betrieben, sowie die Unterredungen, welche dasselbe veranlaßte, in ihm die Überzeugung, daß der ganze Kreis von Erkenntnissen, der durch unsre Sinne erzeugt wird, von der Aufmerksamkeit auf die Natur und von dem Fleiße im Sammeln und Festhalten alles dessen, was sie zu unsrer Erkenntnis bringt, herrühre.

Alle diese Ansichten, verbunden mit dem ihm immer klarer gewordenen Bedürfnis, alle Unterrichtsmittel und Unterrichtsgegenstände unter sich in Harmonie zu bringen, brachten ihn zur Überzeugung von der Möglichkeit der Begründung einer Unterrichtsweise, in welcher die Fundamente alles Wissens und alles Könnens also vereinigt liegen, daß ein Schulmeister eigentlich nur die Methode ihres Gebrauchs lernen dürfe, um sich selbst und die Kinder am Faden derselben zu allen Zwecken zu erheben, die durch den Unterricht erzielt werden sollen; daß folglich bei dieser Manier nicht Gelehrsamkeit, sondern nur gesunder Menschenverstand und Übung in der Methode erfordert werde, um sowohl bei den Kindern solide Fundamente aller Kenntnisse zu legen als auch Eltern und Schullehrer durch die bloße Mitübung in diesen Erkenntnismitteln zu einer ihnen genugtuenden innern Selbsttätigkeit zu erheben.

Er war, wie gesagt, sechs Jahre Dorfschulmeister unter einer sehr großen Anzahl von Kindern von allen Altern; aber er hatte die Kräfte der Kinder bei aller Mühe, die er sich gab, nie so sich entwickeln und nie zu der Festigkeit, Sicherheit, Umfassung und Freiheit gelangen sehen, wozu sie sich hier erhoben.

Er forschte den Ursachen nach, und es fielen ihm deren mehrere auf.

Er sah erstlich: daß der Grundsatz, beim Leichtesten anzufangen und dieses, ehe man weitergeht, zur Vollkommenheit zu bringen, dann durch stufenweise Fortschritte immer nur etwas Weniges zu dem schon vollkommen Gelernten hinzuzusetzen, in den ersten Augenblicken des Lernens bei den Kindern ein Selbstgefühl und ein Bewußtsein von Kräften zwar nicht eigentlich hervorbringe, aber dieses hohe Zeugnis ihrer ungeschwächten Naturkraft doch bei ihnen lebendig erhalte.

Man gebraucht, sagt er, bei dieser Methode die Kinder nur zu leiten, aber niemals zu treiben. Vorher mußte er bei jeder Sache, die er sie lehren sollte, immer sagen: denkt doch nach; besinnt ihr euch nicht?

Es konnte nicht anders sein. Wenn er z. E. beim Rechnen fragte: Wievielmal ist sieben in dreiundsechszig enthalten?, so hatte das Kind keinen versinnlichten Hintergrund der Antwort und mußte dieselbe erst mit Mühe durchs Nachdenken herausfinden; jetzt nach der Methode stehen neunmal sieben Gegenstände vor seinen Augen, und es hat sie als neun nebeneinanderstehende Sieben zählen gelernt; folglich hat es über diese Frage nichts mehr zu denken, es weiß es aus dem, was es schon gelernt hat, bestimmt, was man es jetzt, obgleich zum erstenmal, fragt, daß nämlich sieben in dreiundsechzig neunmal enthalten ist. So ist es in allen Fächern der Methode.

Wenn er z. B. sie vorher gewöhnen sollte, die Hauptwörter mit großen Buchstaben anzufangen, vergaßen sie die Regel, wonach sie sich richten sollten, immer wieder; da er aber jetzt einige Blätter unsere methodischen Diktionariums als bloße Leseübung mit ihnen betrieb, so fielen sie von selbst darauf, diese Reihenfolgen mit den ihnen bekannten Hauptwörtern aus sich selbst alphabetisch fortzusetzen, welcher Versuch ein vollständiges Bewußtsein des Unterschieds dieser Wortgattung vor allen andern voraussetzt. Es ist vollkommen richtig, die Methode ist für das Kind in jedem Punkt unvollendet, wo es noch auf irgendeine Weise des Antreibens zum Nachdenken bedarf; sie ist in jedem Punkt unvollendet, wo irgendeine bestimmte Übung nicht wie von selbst und ohne Anstrengung aus dem herausfällt, was das Kind schon weiß.

Er bemerkte ferner, daß die Wörter und Bilder, die ich den Kindern beim Lesenlehren einzeln vorlegte, auf eine ganz andere Weise auf die Seele derselben wirkten als die zusammengesetzten Phrasen, die ihnen der gewöhnliche Unterricht auftischt. Und indem er diese Phrasen jetzo selbst näher ins Auge faßte, fand er dieselben von einer Beschaffenheit, daß die Kinder kein Anschauungsgefühl von der Natur ihrer einzelnen Worte haben konnten und in ihren Zusammensetzungen nicht einfache, ihnen bekannte Bestandteile, sondern ein Gewirr unverständlicher Verbindungen ungekannter Gegenstände erblicken, mit denen man sie gegen ihre Natur, über ihre Kräfte und durch vielseitige Täuschung dahin lenkt, sich in Gedankenreihen hineinzuarbeiten, die ihnen nicht nur in ihrem Wesen ganz fremd sind, sondern auch in einer Kunstsprache vorgetragen werden, deren Anfänge zu erlernen sie nur nicht einmal versucht haben. Krüsi sah, daß ich diesen Mischmasch unsers Schulwissens verwerfe und meinen Kindern, wie die Natur den Wilden, immer nur ein Bild vor die Augen lege und dann für dieses Bild ein Wort suche. Er sah, daß diese Einfachheit der Darstellung bei ihnen keine Urteile und keine Schlüsse erzeuge, indem ihnen hierdurch nichts als Lehrsatz oder in irgendeiner Art von Verbindung weder mit Wahrheit noch mit Irrtum vorgetragen, sondern alles bloß als Stoff zum Anschauen und als ein Hintergrund künftiger Urteile und Schlüsse und als ein Leitfaden, an dessen Spur sie sich dann selber durch Ankettung ihrer frühern und künftigen Erfahrung weiterbringen sollen, in sie hineingelegt werde.

Da er im Geiste der Methode das allgemeine Zurückdrängen aller Erkenntnismittel auf die ersten Anfangspunkte eines jeden Erkenntnisfaches und das allmähliche Anketten immer nur eines kleinen Zusatzes zu den Anfangspunkten eines jeden Faches, das denn aber ein lückenloses Fortschreiten zu immer weitergehenden, neuen Zusätzen zur Folge hat, erkannte und immer tiefer einsah, wurde er mit jedem Tage fähiger, im Geiste dieser Grundsätze neben mir zu arbeiten, und half mir bald ein Syllabierbuch und eine Rechnungsform zustande bringen, worin diese Grundsätze wesentlich befolgt sind.

Er wünschte in den ersten Tagen seiner Verbindung mit mir, nach Basel zu gehen, um Toblern, an den er innig anhänglich war, Fischers Tod und von seiner jetzigen Lage zu erzählen. Ich ergriff diese Gelegenheit, ihm zu sagen, daß ich zu meinen schriftstellerischen Arbeiten unumgänglich Hilfe nötig hätte und daß ich mich sehr freuen würde, wenn es möglich wäre, mich mit Toblern zu verbinden, den ich durch seinen Briefwechsel mit Fischern schon kannte. Ich sagte ihm zugleich, daß ich zu meinen Zwecken ebenso dringend einen Mann bedürfe, der zeichnen und singen könnte. Er kam nach Basel, sprach mit Toblern; dieser entschloß sich beinahe im ersten Augenblicke, meinen Wünschen zu entsprechen, und kam nach einigen Wochen nach Burgdorf; und da ihm Krüsi erzählte, daß ich auch einen Zeichner bedürfe, fiel ihm Buß ein, der den Antrag ebenso schnell annahm. Beide sind jetzt acht Monate hier, und ich glaube, es interessiere dich, die Ansicht ihrer Erfahrungen über diesen Gegenstand mit Bestimmtheit zu lesen. Tobler war in einem angesehenen Hause Basels fünf Jahre Hauslehrer. Seine Ansicht über den Zustand meines Unternehmens ist in Verbindung mit der Ansicht seiner eigenen diesfälligen Laufbahn nach seinem eigenen Zeugnisse folgende:

»Bei einer sechsjährigen Anstrengung fand ich den Erfolg meines Unterrichts den Erwartungen, die ich mir davon gemacht hatte, nicht entsprechend. Die intensiven Kräfte der Kinder stiegen nicht nach dem Verhältnis meiner Anstrengung und selbst nicht, wie sie nach dem Grade ihrer wirklichen Kenntnisse hätten steigen sollen. Auch die einzelnen Kenntnisse, die ich ihnen beibrachte, schienen mir nicht den innern Zusammenhang und die feste, dauernde Einwohnung zu erhalten, die sie wesentlich bedurften.

Ich benutzte die besten Unterrichtsschriften unserer Zeit. Doch diese waren teils aus Wörtern zusammengesetzt, von denen die Kinder sehr wenige verstanden, teils so sehr mit Begriffen angefüllt, die ihren Erfahrungskreis überstiegen, und so heterogen mit der ihrem Alter eigenen Anschauungsweise aller Dinge, daß es unermeßliche Zeit und Muße forderte, das Unverständliche darin zu erklären. Dieses Erklären aber selbst war eine lästige Mühe, bei der für ihre wirkliche, innere Entwicklung nicht mehr herauskam, als wenn man hie und da einen einzelnen Lichtstrahl in ein dunkles Zimmer oder in den Schatten eines dichten, undurchdringlichen Nebels hineinbringen kann. Dieses war umso mehr der Fall, da viele dieser Bücher mit ihren Bildern und Vorstellungen bis in die tiefsten Tiefen der menschlichen Erkenntnisse hinabstiegen oder sich über die Wolken und wohl gar bis in den Himmel der ewigen Herrlichkeit erhoben, ehe sie den Kindern erlaubten, ihren Fuß auf dem lieben Boden abzusetzen, auf welchem die Menschen doch notwendig erst stehen müssen, wenn sie das Gehen vor dem Fliegen lernen und ihnen zu irgendeiner Erhebung Flügel wachsen sollen.

Das dunkle Gefühl von allem diesem brachte mich frühe schon zu Versuchen, meine jüngern Zöglinge mit Anschauungsvorstellungen zu unterhalten, die größern aber durch Sokratisieren zu deutlichen Begriffen zu erheben. Das erstere bewirkte, daß die Kleinen sich verschiedene Kenntnisse eigen machten, die sonst Kinder in diesem Alter nicht besitzen. Ich wollte diese Art zu unterrichten mit den Lehrformen, die ich in den besten Büchern fand, vereinigen; allein alle Bücher, die ich dafür gebrauchen wollte, waren auf eine Art geschrieben, die das schon voraussetzte, was den Kindern erst noch gegeben werden mußte: die Sprache. Daher hatte denn auch mein Sokratisieren mit den ältern Zöglingen die sichtbare Folge, welche alle Worterklärungen haben und haben müssen, die teils nicht auf einen Hintergrund von Sachkenntnissen, teils in einer Sprache gegeben werden, von deren einzelnen Teilen die Kinder keine klaren Vorstellungen besitzen: – was sie heute begriffen, das verlor sich nach einigen Tagen auf eine mir unbegreifliche Weise aus ihren Seelen, und je mehr ich mir Mühe gab, ihnen alles deutlich zu machen, desto mehr schienen sie ihre Selbstkraft zu verlieren, es aus dem Dunkel, in das es die Natur versetzt hat, selbst hervorzusuchen.

So fühlte ich im Ganzen meiner Stellung und meiner Zwecke unübersteigliche Hindernisse meines Ganges, und meine Unterredungen mit Schullehrern und Erziehern im Kreise um mich her verstärkten noch mehr meine Überzeugung, daß sie ungeachtet der ungeheuern Erziehungsbibliotheken, welche unser Zeitalter aufweist, mit mir das nämliche fühlen und bei den Bemühungen mit ihren Zöglingen täglich in ähnliche Verlegenheiten geraten. Ich fühlte, daß diese Schwierigkeiten doppelt und zehnfach schwer auch auf den niedern Schullehrern lasten müßten, wenn nicht eine elende Handwerkspfuscherei sie für dieses Gefühl ganz unfähig mache. Ich lebte in warmen, obwohl noch dunkeln Gefühlen von diesen Lücken, die ich im Ganzen des Erziehungswesens sah, und suchte aus allen Kräften Mittel, sie auszufüllen; und nahm mir jetzo vor, teils aus Erfahrungen, teils aus Erziehungsschriften alle Vorteile und Mittel zu sammeln, durch welche es möglich wäre, den mir aufstoßenden Erziehungsschwierigkeiten in allen Altern des Kindes vorzubeugen. Doch fühlte ich bald. daß mein Leben nicht hinreichen dürfte, zu diesem Ziele zu gelangen. Ich hatte indessen schon ganze Bücher zu diesem Zwecke zusammengeschrieben, als mich Fischer in mehrern Briefen auf Pestalozzis Methode aufmerksam machte und zu der Ahnung brachte, er möchte vielleicht ohne meine Mittel zu dem Ziele gelangen, das ich suche; – ich dachte, mein systematisch wissenschaftlicher Gang erzeuge vielleicht die Schwierigkeiten selbst, die ihm nicht im Wege stehen, und ebenso die Kunst unsers Zeitalters bringe die Lücken durch sich selbst hervor, die er nicht auszufüllen bedürfe, weil er diese Kunst nicht kenne und nicht gebrauche. Viele seiner Mittel, wie z. B. das Zeichnen auf Schiefertafeln und anderes, schienen mir so einfach, daß ich nicht begreifen konnte, warum ich nicht schon längst selbst darauf verfallen sei. Es fiel mir auf, daß hier benutzt werde, was schon immer vor der Nase lag. Vorzüglich zog mich der Grundsatz an seine Methode: die Mütter wieder zu dem zu bilden, wozu sie von der Natur so auffallend bestimmt sind, weil ich in meinen eignen Versuchen gerade von diesem Grundsatze ausging.

Diese Ansichten wurden durch Krüsis Ankunft in Basel bestärkt, welcher die Pestalozzische Manier des Buchstabier-, Lesen- und Rechnenlehrens im Mädcheninstitute daselbst praktisch vorzeigte. Pfarrer Fäsch und von Brunn, die den Unterricht und einen Teil der Leitung dieses Instituts nach der ersten Spur von Pestalozzis Methode, die wir aber noch nicht ganz kannten, organisiert hatten, sahen sogleich den starken Eindruck, den das Zusammenlesen und Buchstabieren und der dabei angebrachte Takt auf die Kinder machte, und die wenigen Materialien, die Krüsi zum Rechnen und Schreiben nach dieser Manier mitbrachte, sowie einige Beispiele von einem Wörterbuche, welches Pestalozzi zum ersten Lesebuch für Kinder bestimmt hatte, zeigten uns, daß dieser Methode tiefe, psychologische Fundamente zum Grunde liegen. Alles dieses brachte mich schnell zu dem Entschlusse, Pestalozzis Wunsch, mich mit ihm zu vereinigen, zu entsprechen.

Ich kam nach Burgdorf und fand beim ersten Anblick dieses angehenden Unternehmens meine Erwartungen erfüllt. Die so auffallend und allgemein sich äußernde Kraft seiner Kinder sowie die Einfachheit und Vielseitigkeit der Entwicklungsmittel, durch welche diese Kraft erzeugt war, setzten mich in Erstaunen. Sein gänzliches Keine-Notiz-Nehmen von aller eigentlichen bisherigen Schulkunst, die Einfachheit der Bilder, die er einprägte, die scharfe Sonderung des Innern seiner Unterrichtsmittel in Teile, die in ungleichen Zeiten und durch progressive Mittel erlernt werden mußten, seine Wegwerfung von allem Verwickelten und Verwirrten, seine wortleere Einwirkung bloß auf das Intensive aller Kräfte, sein Festhalten des Wortes, warum es in jedem Augenblicke zu tun war, und vorzüglich die Gewalt, mit der mir einige seiner Unterrichtsmittel wie eine neue Schöpfung aus den Elementen der Kunst und der Menschennatur wie von sich selbst hervorzuquellen schienen – alles dieses spannte meine Aufmerksamkeit auf das höchste.

Es schien mir zwar einiges in seinen Versuchen wirklich unpsychologisch, wie z. B. das Vorsagen schwerer, verwirrter Sätze, deren erster Eindruck dem Kinde ganz dunkel sein mußte. Allein da ich auf der einen Seite sah, mit welcher Kraft er die allmähliche Verdeutlichung der Begriffe bereitete, und er mir auf der andern Seite hierüber antwortete, daß die Natur selbst alle Arten von Anschauungen zuerst in verwirrter Dunkelheit vorlege, sie aber doch hernach zwar allmählich, aber sicher zur Klarheit bringe, so fand ich auch dagegen nichts mehr zu sagen; und zwar umso weniger, da ich sah, daß er dem einzelnen seiner Unternehmungen keinen Wert gab, sondern vieles davon nur zum Wegwerfen probierte. Er suchte mit vielen dergleichen bloß Erhöhung der innern Kraft bei den Kindern und Aufschluß über die Fundamente und Grundsätze, wodurch der Gebrauch dieser einzelnen Mittel veranlaßt ward. Ich ließ mich daher gar nicht irre machen, wenn mir schon einige seiner Mittel noch in der schwankenden Schwäche isolierter Anfangsversuche in die Augen fielen; um so weniger, da ich mich bald überzeugte, daß das progressive Steigen derselben in ihrer Natur selbst lag. Wirklich sah ich dieses im Rechnen, Zeichnen sowie in den Fundamentalmitteln seiner Sprachführung.

Jetzt wurde mir mit jedem Tage deutlicher, daß seine einzelnen Mittel durch den Zusammenhang des Ganzen auf alle, vorzüglich aber auf die Empfänglichkeit der Kinder für alle hinwirken, und so sah ich dieselben durch tägliche Ausübung, selbst ehe sie als Grundsatz ausgesprochen wurden, zu einer Reife gedeihen, die das Ziel, welches er suchte, notwendig hervorbringen mußten. Er ruht bei seinen Versuchen und Proben in keinem dieser Mittel, bis er es beinahe für physische Unmöglichkeit hält, ihr Wesen mehr zu vereinfachen und ihre Fundamente tiefer zu gründen. Dieses Steigen zur Vereinfachung des Ganzen und zur Vollendung des einzelnen verstärkte in mir das Gefühl, welches ich vorher schon dunkel hatte: daß alle Mittel, welche durch eine komplizierte Kunstsprache die Entwicklung des menschlichen Geistes zu erzielen suchen, das Hindernis ihres Erfolgs in sich selbst tragen und daß alle Erziehungs- und Entwicklungsmittel auf die äußerste Einfachheit sowohl ihres innern Wesens als auf eine mit derselben harmonierende, psychologische Organisation der Sprachlehre zurückgedrängt werden müssen, wenn wir der Natur in ihrer Selbsttätigkeit, die sie in der Entwicklung unsers Geschlechts zeigt, wirklich nachhelfen wollen. So wurde mir allmählich klar, was er mit seiner Sonderung der Sprachlehre wollte; warum er das Rechnen auf das unauslöschliche und umfassende Bewußtsein des Grundsatzes zurückdrängte: daß alles Rechnen nichts anders ist als die Verkürzung des einfachen Zählens; und die Zahlen wieder nichts anders als die Verkürzung des ermüdenden Ausdrucks: eins und eins und wieder eins etc. macht soundsoviel; und ebenso, warum er alle Kunstkraft und selbst die Kraft der festen Vergegenwärtigung aller sinnlichen Gegenstände auf die frühe Entwicklung der Fähigkeit, Linien, Winkel, Vierecke und Bogen zu zeichnen, bauete.

Es war nicht anders möglich, die Überzeugung von den Vorteilen der Sache mußte sich täglich stärken, da ich die Wirkung, welche die allgemein geweckte und nach diesen Grundsätzen geübte Kraft im Messen, Rechnen, Schreiben und Zeichnen hervorbrachte, täglich sah. Ich erhob mich mit jedem Tage mehr zu der Überzeugung, daß es wirklich möglich sei, zu dem Ziele zu gelangen, von dem ich oben schon sagte, wie sehr es mein eigenes Tun belebt habe, nämlich: die Mütter wieder zu dem zu bilden, wozu sie von der Natur so auffallend bestimmt sind, und daß dadurch selbst die unterste Stufe des gewöhnlichen Schulunterrichts auf die Folgen des genossenen mütterlichen Unterrichts gebaut werden könnte. Ich sah ein allgemeines, psychologisches Mittel angebahnt, durch welches ein jeder Hausvater und jede Hausmutter, die in sich selbst Antrieb finden, in den Stand gesetzt werden können, ihre Kinder selbst zu unterrichten, und dadurch die erträumte Notwendigkeit, die Schullehrer durch kostspielige Seminarien und Schulbibliotheken in einem langen Zeitraume zu bilden, wegfallen.

Mit einem Worte, ich bin durch den Eindruck des Ganzen und durch die ununterbrochene Gleichheit meiner Erfahrungen dahin gekommen, den Glauben wieder in mir herzustellen, den ich im Anfange meiner pädagogischen Laufbahn mit so vieler Wärme in mir selbst nährte, aber im Fortgange derselben unter der Last ihrer Zeitkunst und ihrer Zeithilfsmittel beinahe verlor – den Glauben an die Möglichkeit einer Veredlung des Menschengeschlechts«.


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