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Alfons Paquet

Seine Entwicklung und sein Werk
von Hanns Martin Elster

Überschaut man heute des fünfundvierzigjährigen Rheinfranken Entwicklung und Werk, das sich bisher nur in großen Zeitungen und Zeitschriften die Teilnahme des Volkes erworben hat, mit den Büchern aber nur zu jenen happy few, die um der Bücher Seligkeit wissen, gedrungen ist, so ist man zu dem Ausspruch versucht, daß solch Schicksal und solche Schicksalserfüllung spezifisch deutsch ist. Paquet kommt aus einer ganz unliterarischen Welt: »ehrsame, kleinbürgerliche Geschäftsleute, hinter denen noch ein Handwerk steht«, sind nach seinem Worte die Eltern; von Büchern und Schriftstellern wird hier im engen häuslichen Bezirk kaum die Rede gewesen sein. Und doch war es keine materialistische Welt, keine Welt ohne Mittelpunkt, sondern Seele regierte in ihr, denn die Eltern gehörten einer »kleinen christlichen Glaubensgemeinschaft« an. So lehrten sie denn den Sohn »in der Welt zu sein, aber nicht von der Welt zu sein«. Und dies Erbe ist echt deutsch, ist jenes alte, ewige Deutschtum der Innerlichkeit, das sich noch sehr an die Welt verlieren, sich aber nie in der Welt verlieren kann. Dies Erbe legte auch den Dichterkeim in Paquets Blut und Seele, ward der Anfang, Trieb und die Bestimmung seiner Entwicklung.

Wäre dies Erbe, das durch die Mutter die »Lebenswärme« des Gemütes, des Herzens, »die Wurzel alles Dichterischen« erhielt, nicht gewesen, so hätte der junge Paquet sich leicht in der äußeren Welt verlieren können. Seine Sinnennatur neigte ja nur zu sehr dazu, nimmermüde die Schönheit und Vielfalt der Welt in sich einzutrinken. Sein Vater bestimmte den Fünfzehnjährigen, den er aus der Schule nahm, außerdem zum äußerlichsten Beruf der Welt, zum Kaufmann, der einmal zum Fabrikanten werden sollte. Der Kaufmann erobert sich die Erde durch den Verkehr und in den Städten. Und Alfons Paquet war ein Mensch des Verkehrs und der Städte. Schon als Junge. Die Geburtsstadt Wiesbaden, wo er am 26. Januar 1881 das Leben begann, enthüllte ihm in der romantischen Badeform die Weite der Erde durch all die hier zusammenströmenden Fremden, wie auch das Besondere der Städte im geschäftigen Treiben der Hochsaison, von den »glänzenden Tagen, wenn der Kaiser im goldenen Kürassierhelm die Burgstraße hinauf zum Schlosse ritt«, bis zur Stille der ewigen Einsamkeit des in der Masse tausendfach vereinzelten Stadtbewohners. Er hatte ja das Blut von Stadteltern in den Adern: vom Vater her aus Bäcker-, Kupferschmiede-, Schulmeister-, Gerber-, Advokaten- und Soldatenberufen in kleinen und großen Städten des Niederrheins und Flanderns in germanisch-keltischer Zusammensetzung, frei über die Deutschland-Frankreich trennende, ihm nie fühlbare Grenze hinweg, von der Mutter aus den Rats- und Zunftmitgliedern, Bürgermeistern, Dichtern, Theologen, Erfindern, Handwerkern und Pietisten der alten freien Reichsstadt Heilbronn am Neckar. So ward er von den Ahnen her ein Stadtfranke, der »vom Rhein und von der anderen Seite des Rheines« her getrieben wurde, zu bekennen, daß er einzelne Städte zu seinen Göttern wählte, in Peking und Athen glücklich war, das Heute mit all seiner Schönheit, Größe, Krisis und Dunkelheit allein in den Städten ganz spürt und erlebt, in den Städten das ganze Wagnis des Lebens und die ganze Tragik des Unmöglichen erfährt: »Mir sind Städte bleibender, wichtiger als Staaten. Ich selbst komme mir manchmal vor wie eine Stadt.«

Diese 1925 formulierte Erkenntnis wuchs dem Jungen zu, der 1896, zur Überwindung der »bedenklichen Neigung zu den Büchern«, zum Onkel in die Lehre geschickt wurde und nun im Tuchgeschäft an der Oxfordstreet das Weltleben sich umbrausen spürte wie in keiner Stadt dieser Erde. London war ja nicht wie New York nur kaum hundertjährige Gegenwart, war Jahrhunderte rückwärts gleichsam eine ewige Stadt und war mehr als das: war Hafen, Zusammenfluß der Welt mit seiner Meerverbindung. Londons Dockhöfe, Parks, Museen, Geschichte und Straßengegenwart, Hydepark und Osten wurden ihm Ausdruck des menschlichen Lebens überhaupt. Indes der Vater glaubte, daß der Sohn langsam zum Konfektionär sich bildete, lief der, voll unerkannten Drängens und Sehnens, zum Phrenologen in einem dunkeln Lädchen und ließ sich weissagen, daß er »zu einem Künstler der Sprache, vielleicht zu einem Volksredner geboren« sei. Dies Wort brachte Licht in sein dunkles Innere: er begriff nun, warum jede freie Minute den Dichtungen Byrons, den Romanen Dumas gehörte, und warum er nicht genug vom Leben in den Marktstraßen, den Versammlungsorten von Whitechapel, den Hafengegenden, nicht genug vom Wissen, in der Guildhallbibliothek über alte Jahrgänge der »Deutschen Rundschau« gebeugt, an sich raffen konnte. Nein, Kaufmann zu werden war nicht die Berufung dieses Knaben. Das erkannten die Eltern auch, als er zu Weihnachten heimkam. Freilich, sie wollten ihn noch einmal in die Welt des bürgerlichen Geschäftes drängen: zwei Jahre Lehr- und Gesellenzeit bei einem Handschuhmacher in Wiesbaden wurden ihm noch aufgezwungen und dazu eine einjährige Volontärszeit – o komischer Kontrast – in einem Herrenmodegeschäft zu Mainz. – Aber all diese quälenden Jahre konnten ihn nicht von den Reclamheften wegreißen, nicht von der Freundschaft mit einem alten Vagabunden, der selbst ein Stück heimatloser Dichter war, vor allem auch nicht von der beginnenden eigenen Produktion. Erzählungen, Dramenbruchstücke, Aufsätze, Gedichte entstanden. Ein Gedicht auf Gutenberg ward sogar in der Festnummer des Mainzer Anzeigers gedruckt und brachte ihm freien Zutritt zu allen Gutenbergfestlichkeiten der Stadt. Ja, schließlich erhielt der fleißige Shakespeare-, Emerson- und Schopenhauerleser – diese Mischung der Lektüre für den Jüngling bezeichnet sein Wesen schon klar – bei den Kölner Blumenspielen die Heckenrose in Gold, die er in Gürzenich selbst in Empfang nahm und seiner Mutter schenkte.

Die Lösung vom falsch bestimmten Beruf ward freilich erst in Berlin, wie bei so vielen Dichtern Deutschlands, gefunden. Als Kontorist einer Großhandlung in der Kronenstraße zog er in die Reichshauptstadt ein – als ein von Carl Busse entdeckter Lyriker, dessen erste » Lieder und Gesänge« von dem Literarhistoriker in der G. Groteschen Verlagsbuchhandlung zu Berlin 1902 herausgegeben wurden, und als Lokalredakteur der Mühlhäuser Zeitung in Thüringen verließ er nach einigen schweren Monaten Spreeathen. Er »war ohne jede Erfahrung, aber gelehrig und bei der Sache«; nun ging es schnell voran. Denn ein in Köln unterdessen erschienenes Bändchen Erzählungen brachte ihm Wilhelm Schäfers Interesse: der »Rheinland«-Herausgeber holte ihn in seine Redaktion. Ein halbes Jahr später übernahm er dann die Leitung des Tageblattes, das die Ausstellung in Düsseldorf herausgab; er konnte sich hier Geld genug erübrigen, um nach einer Wanderung am Niederrhein und durch Holland das Studium der Nationalökonomie in Heidelberg zu beginnen. Kein herkömmlicher Student, der an den Vorlesungen, am vorgeschriebenen Studiengang, an den Examina klebt, sondern von Anfang an ein Eigner. Schon nach dem ersten Semester trieb es ihn mit dem Rest seiner Ersparnisse, ganzen achthundert Mark, wieder hinaus: nach Sibirien. Ohne ein Wort russisch zu können, schlug er sich bis zur ostchinesischen Eisenbahn, bis an die Küste des Stillen Ozeans unter mancherlei Abenteuern durch und schrieb als einer der ersten über die großen Kontinentüberquerungsbahnen und weckte die erste Aufmerksamkeit großer Zeitungen. Das Studium ward dann in Heidelberg fortgesetzt: wieder nur für ein halbes Jahr. New York, die Vereinigten Staaten lockten: der Zweiundzwanzigjährige ging entschlossen über den großen Teich, fuhr nach Saint Louis, »durchstreifte die Staaten bis nach Denver, schrieb für die Mississippiblätter und sammelte ein paar Kisten voll Bücher für die sozialen Institute Wilhelm Mertons in Frankfurt«. Der Herbst 1904 sah ihn dann als Schüler Lujo Brentanos in München. Sammlung war hier möglich; das Wandererlebnis »Amerika« drängte zum Ausdruck; der Gedichtband » Auf Erden« entstand, den Eugen Diederichs in Jena 1906 herausbrachte, und durch den Paquet mit einem Schlage in der literarischen Welt ein Name ward. Zum Literatendasein als Dichter war Paquet aber nicht geschaffen: die Welt umarmen blieb lebendigste Sehnsucht. Diesmal war es die Türkei, die ihn rief, er reiste auf der anatolischen Bahn, ritt über den Taurus und strebte nach Jerusalem, »der mystischen Stadt, dem Gegen-London« – ohne freilich hinzugelangen, denn das Fieber packte ihn in Syrien und zwang ihn in die Heimat zurück, wo er bei der Mutter gesundete. Zwei Jahre Jena schlossen sich an: es galt, das Studium abzuschließen; mit einer langwierigen, aber wertvollen neuartigen Dissertation »Das Ausstellungsproblem in der Volkswirtschaft« (Verlag Gustav Fischer in Jena). Aus den Erfahrungen, die Paquet bei den Ausstellungen in Düsseldorf 1902, St. Louis 1904 und Lüttich 1905 gemacht hatte, erwuchs eine dem Mann der Praxis bisher sehr fehlende theoretische Durchdringung des Gesamtgegenstandes, eine »Systematik des Ausstellungswesens«, die heute die Grundlage für jeden auf diesem Gebiete volkswirtschaftlich und geschäftlich Arbeitenden ist. Denn Paquet klärte nicht nur den Ausstellungsbegriff und die Ausstellungsformen vom Gesichtspunkte der Güterverteilung, sondern entwickelte auch »die Bedeutung namentlich des höheren Ausstellungswesens für die Wirtschaftsfaktoren Industrie und Landwirtschaft« auf historischer und deutscher Grundlage, erweiterte die Beleuchtung durch einen Blick auf die internationalen Allgemeinausstellungen und deren Rückwirkung auf eine gegebene Volkswirtschaft, untersuchte diese Akkumulationen von Waren nach Produktivität und Rentabilität und prüfte die »Ausstellungsmüdigkeit«, die Unlauterkeit im Ausstellungswesen mit Hilfe der psychologischen Methode zum Zweck der Rationalisierung des Ausstellungswesens, die folgerecht zum Schluß auf die Darstellung der Aufgaben der Ausstellungspolitik hinleitete. Der Erfolg dieser entsagungs- und trotzdem für den werdenden Dichter reizvollen Wissenschaftsarbeit zeigte sich dem eben zum Doktor der philosophischen Fakultät Promovierten sofort in Angeboten für eine wissenschaftliche Laufbahn. Aber die Natur dieses Dichter-Volkswirtschaftlers ließ sich nicht in den engen Bezirk der Universität zwängen: die Welt rief ihn wieder.

Er nahm lieber einen kleinen Vorschuß der Frankfurter Zeitung und ein Stipendium der Geographischen Gesellschaft zu Jena und fuhr sofort nach der »Klausur« der Universitätsjahre gen Sibirien: »Bei Nacht, in tiefem Schnee und in bitterster Kälte feierte ich mein Wiedersehen mit Tomsk«, schrieb der Dichter 1920 in einer »Skizze zu einem Selbstbildnis«, dem wir hier die Entwicklungslinien nachzeichnen. »Nach einigen Monaten in Tomsk reiste er, als ›die Steppe zu blühen begann‹, den Strom hinauf, mietete Knechte und Pferde und stieg über das Altaigebirge. Ich war Odysseus in den Sandwüsten der Mongolei, in schneebedeckten Bergen, ein Fremdling unter den Mongolen, dem ritterlichsten und armseligsten der Völker, und warf eine ungeheure Last von mir. Unter diesen Menschen lebte ich auf der Stufe eines früheren Jahrtausends, in diesen Wildnissen lernte ich kennen, was Freiheit ist. Seht doch den einzelnen, den aus allem Stillstand entlassenen Eremiten, den Entdecker auf eigene Faust, mit der Handvoll Leute, die er um sich hat, sibirische Fuhrleute und mongolische Reiter. Er kennt von diesen wettergebräunten Burschen nicht einen, er ist auf ihre Erfahrungen, auf ihre Ausdauer, ihre Geduld, ihre Scheu vor dem Unmöglichen angewiesen. Seht den beharrlichen, schweigsamen, von derben Flüchen und heimlichem Geflüster durchwürzten Kampf der kleinen Karawane mit dem Sand, mit den Kristallmassen des Gebirges, mit reißenden kleinen Flüssen, mit den Gummiflächen der Sümpfe, mit dem Wetter, das morgens Frost und mittags Rotglut ist. Ihr Führer, losgelöst von der geistigen Masse, der er entstammt, schwebt in der Luft. Als ein armer Späher und Pilger überschaut er die Landschaften, auf denen sonst das kühl merkende Auge nicht ruht. Der Fremdling verläßt die Landschaft auf Nimmerwiedersehen. Doch ein Faden zieht sich hinter ihm her durch das Labyrinth des Unerforschten, der das Gesehene nun in das Netz des Gekannten einmal für immer verknüpft. Der Himmel zeigt Häuserwolken, Strichwolken, dünnen oder dicken Schnee, Feuchthitze, klare Spiegelungen. Die Erde stäubt das trockene Mehl des Löß, schlingt Strudel von Sand, setzt Kiesel unter den ewig bewegten Fuß. Der Bruder Mensch dort draußen übt seine Energien in Widerspenstigkeiten, in groben und feinen Lügen, im gastlichen Schenken, im heiteren Diebstahl, in plumpen oder blitzenden Drohungen. So charakterisiert er sich selbst, und der Eindringling hilft ihm dazu. Kein Wunder, daß zuweilen sehr dünn die Luft ist.« –

Diese Monate formten den besonderen Menschen Paquet, den wir heute aus seinem Werke kennen und lieben. Diese Monate lösten den Dichter in ihm los von der Bindung an die Wissenschaft. Diese Monate brachten ihn zu der schöpferischen Selbständigkeit, die mehr ist als alle Wissenschaft, als alle Naturforschung, als alle Materialbearbeitung. Diese Monate lehrten ihn – was ein Jahrzehnt später viele erst im und durch den Weltkrieg erfuhren – ins Innere des Herzens der Erde und der Menschen schauen, lehrten ihn hinter dem Sichtbaren das Unsichtbare, hinter dem Licht das Dunkel und im Mystischen das Ewigklare sehen, stellten ihn in die gesunde Mitte zwischen Geist und Natur und gaben ihm dazu die große Form des klaren Ausdrucks aller Ekstatik des Inneren, aller Gestaltung des Wirklichen. Als Paquet von dieser langen Fahrt, die ihren Miederschlag in einer Schrift über »Südsibirien und die Mordwest-Mongolei« (1909) und in den Aufsätzen »Asiatische Reibungen« (1910) fand, heimkehrte, war die deutsche Literatur um einen Dichter von einer Eigenart reicher, wie wir ihn bisher noch nicht gesehen hatten. Um einen Dichter, der die Welt mit den Augen empfing und mit der Seele neu gestaltete, der reiste, um zu sehen, der sehend aber zu einem Schauenden wurde, weil das Sichtbare ihm immer das Unsichtbare umschließt und dieses in jenem letztlich sich immer offenbart. Was zehn und fünfzehn Jahre später, was heute Allgemeingut der Dichtung geworden ist: in allem Wirklichen stets das Geistige, das Göttliche zu erfassen und zu gestalten, Paquet brachte diese Wandlung damals als einer der ersten an den Tag und empfing damals, als seine Gedichte » Held Namenlos«, die dichterische Frucht dieser Fernewanderungen, 1910 und 1911 erschienen, die volle, begeisterte Zustimmung aller Einsichtigen, die das Typische im Individuellen dieser Persönlichkeit erkannten.

Paquet ließ sich damals in der schönen Gartenstadt Hellerau bei Dresden nieder. Allerdings ohne hier festzuwurzeln. Er schrieb sich den inneren Erlebnisreichtum, die Gesichte, die Erkenntnisse von der Seele: in der ersten erzählenden Prosa, in weiteren Reisebüchern. Aber noch hielt ihn Deutschland nicht fest. Wieder und wieder ging er hinaus, zum dritten Male nach China, abermals nach Palästina: er, der Mensch des Westens, suchte die Seele des Ostens im geheimnisvollsten Menschenreich der Erde, im ewig abenteuerlichen Vorderasien, im Orient, ja er suchte darüber hinaus Antwort auf die Frage nach dem europäischen Schicksal, das er klar heraufziehen spürte. Der ausbrechende Krieg traf ihn daheim, stellte ihn in den Dienst der Kriegsgefangenenlager des Orients und der großen deutschen Publizistik. Wenn er auch noch 1915 »dem Kaisergedanken« in einer Schrift nachspürte, der Osten brachte ihm schnell die Erkenntnis von dem Schicksal Europas. Kaum öffneten sich die Grenzen, wandte er sich dem kommunistischen Rußland zu, bereiste es als einer der ersten Deutschen nach dem Kriege (1919), beschrieb es in faszinierenden Berichten und untersuchte den »Geist der russischen Revolution«. Immer mit der kühlen Blickweite dessen, der im deutschen Schicksal wurzelt, der uns deswegen auch in Schriften wie »Der Rhein als Schicksal von 1920«, »Die Botschaft des Rheins« (1922), wie »Der Rhein, eine Reise« (1923) klar unseren Weg der Mitte zwischen »Rom oder Moskau« – wie eine andere Essaysammlung von 1923 hieß – vorzeichnete und deutete. Ein Besuch Griechenlands klärte vollends seine Sicht in die Welt: die »Delphische Wanderung« gab freudestrahlendes Zeugnis in Liebe und Ironie »von einer mit kostbaren Zeichen beschriebenen, in neuen Gärungen Farbe wechselnden Welt«. Inzwischen hatte sein eigenes Dasein aber Haus und Heimat gefunden: der Rheinfranke kehrte heim in die Landschaft der Kindheit, zwar nicht nach Wiesbaden, sondern, seiner Städterveranlagung entsprechend, nach Frankfurt a. M. Hier hatte er in der Tochter des religiösen und Landschaftsmalers Wilhelm Steinhausen, dessen Lebenserinnerungen er später auch herausgab, die Gefährtin seiner Tage und die Mutter seiner Kinder gefunden: eine Hüterin seines Hauses, wenn es ihn von Zeit zu Zeit wieder hinauszieht in die Welt, um die Erde mit den Augen erobernd, mit den Sinnen genießend, mit dem Hirn erfassend neue Gestaltungen seiner inneren Sehnsucht zu suchen.

Denn diese Gestaltungen seiner Innenerlebnisse in Verbindung mit seinem Welt- und Menschenerfahren sind doch die letzte Erfüllung seines Wesens. Alfons Paquet mag als Publizist, als volkswirtschaftlicher Geograph, als Soziologe, Politiker und Journalist noch so Bedeutendes leisten – und seine Leistungen sind hier stets bedeutend –, sein Letztes und Höchstes gibt er doch stets nur dort, wo er seine dichterischen Kräfte, Phantasie und Intuition voll einzusetzen hat. Das macht sich schon bei seinen Reisebüchern, deren jedes, wie er selbst sagt, in einer andern Tonart geschrieben ist, bemerkbar: unter diesen Bänden ist der erste » Li oder im neuen Osten« (Rütten & Loening, Verlag, Frankfurt a. M. 1912) für mich der schönste, weil er über die wundervoll tiefgreifende Entdeckung Chinas »in seiner Typenverwandtschaft zu unserer abendländischen Welt, in seinem Anlauf zum Schicksal von heute« doch die Eroberung des geistigen Menschen Chinas in fast dichterischer Weise bringt, so daß dies Buch wie eine Dichtung ein Erlebnis und nicht mehr ein Erkenntniswerk ist. Der Publizist Paquet bleibt dabei trotzdem eine überragende und eigene Erscheinung unter der Fülle deutscher Essayisten und Zeitungsschreiber, eine vorbildliche Erscheinung, weil er über den Parteien stehend nur der Sache des ganzen deutschen Volkes und dessen Zusammenhang mit allen Völkern dient, weil er unbekümmert, freizügig, voll der Ruhe des Betrachters, voll gesammelter Besonnenheit »die Raumbeziehungen der Völker und der kleinsten Menschengruppen in jeder Faser fühlbar« besitzt, und weil er das Leben auf eine so heitere und wahrhaftige Weise bei ehrlichster Kenntnis und Ahnung aller Dunkelheiten bejaht, wie nur die kraftvollsten und gesundesten Persönlichkeiten unserer gegenwärtigen Generation. Wer aber über den Tag hinaus Paquets ewiges Element zu erleben, sich zu einer Liebe des Herzens zu erobern wünscht, der muß zu dem Lyriker, dem Epiker, dem Dramatiker gehen, der muß hier erfahren, wie es Paquet »ein großes Glück« bedeutet, »einen strengen Dienst, eine unermeßliche Freiheit«, »in der Sprache zu leben«, weil dieses Leben in der Sprache für ihn ein Vordringen hinter alle Dinge ist, ein Leben im Wesenhaften, »im Mysterium der Wahrheit«, in der »Wandlung und Hinwendung zu einem Höheren«, in der letzten Musikalität, die zugleich die Religiosität ist.

Bei solcher Veranlagung mußte Paquet notwendigerweise den ersten Ausdruck seines innersten Kernes als Lyriker finden. In keiner Weise aber herkömmlich. Schon die » Lieder und Gesänge« von 1902 ließen aufhorchen, obwohl der eigene Ton heute im Nachhinein sichtbarer erklingt als den damals Horchenden. Aber Carl Busse, der Entdecker, sah doch sofort die »Genie-Anlagen«, den Umfang der Begabung und deren Besonderheit in ihrer »gelassenen Ruhe und Sachlichkeit, der jede Pose fernsteht«. Heute staunen wir vor der Vielfalt und Reinheit dieses Jünglingsringens, das nur der inneren Stimme gehorcht. Das Zeit- und Reisebuch in fünf Passionen » Auf Erden« von 1906 enthüllte in Form und Gehalt sofort ein eigenes Gesicht: freie Rhythmen, durchmischt mit wenig Prosa, legten mit ekstatischem Schwung und doch in klarster Bekenntniskühle die Berichte hin über den Weg aus dem Neckartal rheinabwärts durch die Heimatstadt, die fremde Stadt auf das Überseeschiff gen Amerika und zurück zum Taunus, zur Einkehr in Heimat, Natur, Gott. Diese mit rauschender Sprachkunst gesungenen Berichte brachten nur eine Augen-, eine Sinnenkunst, die mehr war als nur dieses. Wohl senkten sich des Dichters Augen auf alles Seiende: und zwar gegenwärtig Seiende, heute Seiende vom Menschengewühl in den Weltstädten bis zu den Einsamkeiten der verlassenen Kranken, von den Fabriken, Schiffen, Bahnen, Maschinen, von all den Erscheinungen moderner Technik und modernen Verkehrs bis zu den Leiden unserer sozialen Zustände in den Arbeitervierteln, Hospitälern, in der Missionsarbeit – aber dies »Stück Weltphysiognomik« blieb doch nicht, wie der Naturalismus, an der materiellen Einzelschilderung hängen, sondern der Erscheinungen Fülle und Flucht ist nur Ausdruck und Mittel, um zum mystischen, seelischen Kern, zum Ewigen durchzudringen. Paquet geht – lange vor dem Erscheinen der Kriegserweckung, der Expressionisten – hier schon durch die Wut und den Wust der modernen technischen Welt mit dem Ruf: O Mensch, o Ewigkeit, als ein Apostel des Reiches der Güte, der Liebe, als ein Mönch der Seele und als ein Rufer des Geistes, als ein Bekenner Gottes. Hier war nicht das eigene Ich das Entscheidende, sondern das typisch Menschliche dieses Ichs, das seine Eindrücke bildhaft, mit Leuchtkraft, voll Glut und Tiefe, farbig und musikdurchtönt stimmungsvoll hinmalte: bald deutsche Landschaften voll zarter Konturen, bald die Innenwelt der deutschen Dome, dann wieder eigenartige Träume und letzte Sehnsüchte, schlicht, einfach und groß, voll Gefühlsekstatik und Wortüberfluß und doch ohne jede Rhetorik, echt in jeder Zeile. Neun Gedichte vollendeten 1912 diese Art im Band » Held Namenlos«: in reifster Vollendung ward hier das Welterleben des nun dreißigjährigen Wanderers durch die Colorado Springs, durch China, durch die Heimkehr nach Deutschland, die Himmels- und Wolkenfahrt, mit gotischer Gebärde nordwärts gerichtet. Das Motto zeigt die Wegweisung der Lyrik Paquets selbst:

Neun Gedichte,
Die neun in fünf geteilt, zu einem
Erhebt sie Gottes Wachstum aus Gemeinem:
Aus irdischem Grund alltäglichen Beginnes
Zum Bau der Säulen, zur Musik des Sinnes.
Träume, die dem Erlebnis Sieger blieben,
Sohnschaft, in aller Helden Herz geschrieben,
Ein Dom, ein aufwärts brückenreich Gemäuer,
Ein Raum der Seele in des Himmels Feuer.

Solche, dem Wesenhaften dienstbare Lyrik nimmt natürlich nicht jeden Anlaß zur Stimmerhebung. Paquets Lyrik ist darum immer sparsam. Seit 1912 erschienen nur noch – von einigen Veröffentlichungen in Zeitschriften abgesehen – die » Drei Balladen« (1922, Drei-Masken-Verlag, München), die den Lyriker auf neuen Wegen zeigen. Er entwickelt sich immer stärker vom subjektiven Welterleben fort: zum objektiven Weltgestalten hin, eben von der Lyrik zur Ballade. Der Wunsch ist, die heutige soziale Welt in ihrer Prosa und Poesie gleich stark zu erfassen. Paquet geht hier die Wege des Amerikaners Walt Whitman, den er zwar nach einer mündlichen Äußerung bei der Niederschrift der an Whitman schon erinnernden Gesänge »Auf Erden« noch nicht gekannt hatte, nun aber doch mit schöpferischer Kraft fortbildete. Die »Chikago-Ballade« will mit langen Aufzählungen das soziologische Bild der Arbeiterstadt geben, die zugleich ein Bild und Beweis der Ausbeutung ist; Paquet unterliegt hier bei der Schilderung eines mißlingenden Proletarier-Aufruhrs aus der Frühzeit der sozialistischen Bewegung unwillkürlich marxistischen Anschauungen. Die »Ballade von George Fox« hat dagegen wieder stärkeres inneres Feuer: hier hat Fox' Lehre, der die Gemeinschaft mit dem Satz »Das Samenkorn Christi überall« aufs intensivste nach Quäkerart, praktisch, unpantheistisch, nach einem Wort Lissauers als moderner, angelsächsischer Franziskus verkündigte, in Paquet Leidenschaft erweckt, den Kollektivismus gegenüber der Vereinzelung zu preisen, ohne allerdings innerlich völlig zu überzeugen. Man spürt auch aus dieser Ballade den Zwiespalt der Epoche, die zwischen Osten und Westen, Kollektivismus und Individualismus ringt. Uns Deutschen ruft Paquet darum in der dritten Ballade »die Botschaft des Rheines« zu: hier faßt er des Stroms Landschaft und Leben zur Sinndeutung unsres Seins mit schöner Klarheit zusammen. Man wird wie früher an Whitman hier an Verharren erinnert: ein von der Erscheinung der Gegenwartswelt Hingerissener ist Verkünder, Lobsänger und Deuter dieser unserer Erde und Zeit zugleich.

Dieser Eindruck wird von dem Epiker noch verbreitert und vertieft. Der Entwicklungsweg des Dichters zeigt immer stärker eine Loslösung vom hymnischen Bekenntnis: wie schon der Lyriker zur Ballade gekommen ist, so wird auch die Epik immer mehr die selbstverständliche Ausdrucksform dieser in ihrer dichterischen Tiefe und soziologischen Stoffergebenheit nur episch zu erfassenden Natur. Darum hat uns Paquet meinem Gefühl nach auch als Epiker sein Bestes gegeben, und wir haben von ihm hier noch seine bleibenden Leistungen zu werten. Gleich sein erster Roman » Kamerad Fleming« von 1911 zeigt den großen Wurf des geborenen Erzählers. Hier ist sofort die Atmosphäre einer Riesenstadt eingefangen: wer sah je Paris so wahr und so klar, so einheitlich und so durchdringend? Nicht das Genießer-Paris, sondern das Gegenwarts-Paris, in dem »Masse Mensch« lebt? Und wer packte unsere Zeit sofort so entschlossen an der Gurgel: die Ferrer-Kundgebungen der sozialistischen Arbeiter vor der spanischen Botschaft – eine der imposantesten Demonstrationen vor dem Kriege, die damals die Welt in Unruhe setzten – werden Schicksal eines jungen Deutschen, der sich ihnen hingibt, ohne die Distanz zu ihnen zu verlieren, und der in ihnen untergeht! Hier wird das Schicksal des einzelnen mit dem der Masse verflochten und beide gleichzeitig gegeneinander distanziert. Denn über den Weg und Willen der Masse erhebt sich doch, echt deutsch, Wesen und Lebenssinn des einzelnen, des Menschen. Man sieht: hier ist Paquet in seinem Element nach Form und Gehalt; er kann bei gepflegtester künstlerischer Energie alles in einem erfassen und Wesen, Sinn des Sozialen im Religiösen geben. So vermitteln denn auch die köstlichen » Erzählungen an Bord« (1914) Welt und Menschentum und Leben gleich groß und gültig: ein deutscher Gelehrter in der Einöde der Mongolei von seinem russischen Begleiter verlassen – diese Situation ergibt Klärung des Daseins aus der Mitte, ergibt das echt Paquetsche Querschnitterleben, und zwar gestaltet. Immer geht dieser Epiker darauf aus, Endgültigkeiten zu erschürfen, dem ewigen Geheimnis des Schicksals oder Zufalls nachzuspüren: mag es sich nun um die Vorgänge in einer Versammlung einer Sekte handeln oder um den Zusammenbruch eines theologischen Gedankengebäudes, um die unerhörte Einsamkeit des Reisenden auf den Meeren, den Steppen, in den Häfen und Zügen oder um die unbeirrbare Sachlichkeit des Lebensablaufs. Dieser Epiker verliert sich in keine Romantik: er sieht der Notwendigkeit ins Auge und anerkennt sie, indem er sie zu erkennen, zu gestalten sucht. Darin ist er neu und einzigartig innerhalb der heutigen deutschen Epik. Zugleich aber auch dadurch, daß er seinem Stil auch die kristallene Klarheit dieser letzten Wahrhaftigkeit gibt: überall führt er mitten in das Wesen der Dinge und Erscheinungen herein. Dieser Epiker besitzt das Leben wie das Menschentum vom Kern aus, besitzt es, indem er es bejaht. Darum konnte ihm der große Weltumsturz, den der Weltkrieg brachte, weder eine Überraschung noch ein innerer Umsturz sein: er sah die Notwendigkeit dieses Geschehens ja schon seit Jahren, und er sah sie auch von jeher sub specie aeternitatis. Der aus dem Geschehen herauswachsende Roman » Die Prophezeiungen« von 1922 suchte darum in zwingender Berichtform vor allem die Magie des Geschehens durch die Gestaltung der erweckten Volkskräfte, gesammelt in zwei typischen Figuren, dem Matrosen Granka Umnitsch, der in die Wälder geht und in der Stadt sein Werk, sich, sein Volk verliert, und der Aristokratin Rune Lewenklau, die das große Abenteuer sucht, zu erfassen. Aus der Umwälzung rettet hier der Lebenliebende die große Bestimmung der Brüderlichkeit: ihm baut sich die Welt aus Blut, Trümmern und Wüstheit doch neu auf. Gott lebt, und Gott ist der ewig Zeugende, ewig Schaffende, ewig Positive. Wer sich in Paquets Berichtsform ganz hineingefunden hat, fühlt diesem Roman die Größe nach, mit der der Dichter das Weltgeschehen übersah. Demgegenüber ist sein letztes episches Kunstwerk – ein Kleinod seines Könnens – » Lusikas Stimme« (Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart) wieder ganz dem individuellen Schicksal zugewandt; doch muß man recht hinsehen: dies individuelle Schicksal hat nichts zu tun mit jener Psychologie einer Schnitzlervereinzelung, eines Heinrich-Mann-Egozentralismus, sondern es ist typisch und bedeutsam für unsere ganze Generation: aus dem Aufruhr der Ereignisse findet sich hier ein Aufgewühlter, ohne eine Entscheidung zwischen Geist und Sinnen zu treffen, in sein Ich, in die Schlichtheit und Gebundenheit seines Alltagsdaseins zurück. Hier kündet Paquets Handwerkerblut den Deutschen die Wahrheit und Aufgabe der Jetztzeit, der Zukunft: der Weg nach den Stürmen in die Stille, aber nicht die Stille des Mönchtums, des Nichtstuns, sondern der Tat, des Arbeiters, des Schaffenden. Dies Erleben wird so edel dichterisch tief, blutwarm und künstlerisch rein gestaltet, daß man den ruhigen Strom Paquetscher Epik mit besonderer Genugtuung sich verbreiten und vertiefen sieht.

So geht ja auch Paquets dramatische Entwicklung mit organischer Selbstverständlichkeit, ohne künstlichen Theaterehrgeiz vor sich; immer aus tieferem Anlaß und Erleben. Zuerst aus der Verarbeitung der chinesischen Weltanschauung das dramatische Versgedicht in drei Aufzügen » Limo, der große beständige Diener« (1913), das Thema vom Opfer in der Welt Chinas, musikalisch durchtönt, abwandelnd. Dann der dramatische Roman » Fahnen« (1922) mit dem gleichen Thema wie die Chikago-Ballade: den Chikagoer Streik in seinem menschlichen Leiden für die Kämpfer und Führer voll ehrlicher Teilnahme darstellend. Und schließlich nach dem heiteren Puppenspiel » Markolph oder König Salomo und der Bauer« (1924) die Dramatisierung des Romans »Prophezeiungen« unter dem Titel » Sturmflut« (1925), gleichsam bei den Proben, auf der Szene entstanden und durch die Verbindung mit dem Film ganz neue Regiemöglichkeiten eröffnend; hier gelang es Paquet, das Granka-Umnitsch-Schicksal zu einem Persönlichkeitserleben zu gestalten und zugleich die Zeitatmosphäre großer Umwälzung dramatische Kraft werden zu lassen. Sein wesenhaftes Drama hat Paquet bisher noch nicht gegeben, aber gerade die »Sturmflut« zeigt ihn doch auf der Suche nach eigener Form, so daß er bei Erleben des richtigen Stoffes uns zweifellos auch hier ähnlich geglückte Werke wie in seiner Epik schenken wird. Der Dramatiker wiederholt heute vorerst noch die Züge seiner Gesamterscheinung.

Diese Gesamterscheinung, zu deren Leistung man auch noch manche Übersetzer- und Herausgeberarbeit wie Ku-Hung-Mings Buch »Chinas Verteidigung gegen europäische Ideen« (1911), wie das Jahrbuch des Deutschen Werkbundes von 1912, wie die Berichte aus den Kriegsgefangenenlagern (1916) und vom Gildensozialismus (1921), wie die »Aufzeichnungen des Quäkers I. Woolman« und das berühmte Werk Kirischewskis »Rußlands Kritik an Europa« (1923) zählen muß, hebt sich heute als eine geistig-seelische Persönlichkeitseinheit aus der zeitgenössischen Literatur und Politik heraus. Wie seine gesammelten Reden und Aufsätze zur deutschen Gegenwart » Die neuen Ringe« (1924) auch jedem Fernerstehenden beweisen können, lebt dieser Dichter und Schriftsteller als Mensch und Schaffender aus der Mitte unserer Zeit heraus, im vollen Bewußtsein der Verantwortung gegenüber der Zukunft und Vergangenheit. Aus der Vergangenheit entnimmt er die Querschnitterkenntnis des Bleibenden, ohne sich zum Historiker zu machen. In der Gegenwart aber wirkt er für die Zukunft: handelnd, schreibend, schaffend ist er immer ein Strebender, ein Hoffender. Er faßt sein Dichtertum nicht als ein ästhetisches Spiel auf: ihm sind Kunst und Leben, Geist und Wirklichkeit eins. Der Dichter ist für ihn der Apostel des Geistes in der Welt der Materie, der Denker, der Priester, der Gotteszeuge und der Ewigkeitsträger. Seine besondere Eigenart ist es, bei aller Hingabe an das Seelische und Unendliche, an das Göttliche und Wesentliche nie das Wirkliche aufzugeben, sich etwa ganz vergeistigen, Mönch zu werden. Er bleibt mit Leidenschaft, ja mit liebender Besessenheit ganz in der Welt, ohne darum von der Welt zu sein. Er wünscht die Einheit von Innerlichkeit und Welt zu finden. Auf diesem Weg ist er berufener Führer aller Suchenden, die die Erde lieben und Gott anbeten. »Weder die Idee der Kunst, der Gestaltung um der Schönheit willen, noch die Idee der Ethik, nämlich das Leben nach sittlichen Prinzipien zu gestalten, noch auch die Idee der Technik, die die Idee der Naturerkenntnis ist, haben einen Vorrang voreinander. Das gemeinsame Gesetz in allem zu begreifen und diesem gemeinsamen Gesetz zu dienen, dies auch ist Religion. Sie ist Anwendung von Glauben durch das Wissen. Aus ihr stießen die Gesetze für das Reich«, für das dritte Reich, das Geist und Erde, Diesseits und Jenseits vereint.

Alfons Paquet ist heute fünfundvierzig Jahre alt. Er steht auf der Lebenshöhe mitten im fruchtbarsten Schaffen. Sein Werk ist das Erlebnis und Ergebnis der Gegenwart. Möge die Gegenwart sein Werk in jeder Weise bejahen, damit es dadurch gefördert und der Dichter instand gesetzt werde, die ihm von Natur bestimmte Aufgabe zum Segen aller völlig zu bewältigen. –


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