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Elftes Kapitel

Ein Morgen, blau wie das Meer, leuchtete in den Hof hinab. Karl saß in seinem Sessel am Fenster, frühstückte und zählte dabei sein Geld. Es blieb nicht mehr viel übrig. Für zwei, drei Tage konnte es noch reichen, gerade genug für einen Ausflug nach Versailles, einen Abend im Theater.

Mit einer kühlen Besinnung sah Karl auf die letzten Tage zurück. Fast ungläubig erinnerte er sich des Vergangenen, wie einer, der nach Fieberschauern und wüsten Träumen eines Morgens wieder mit ruhigem Puls und normaler Temperatur erwacht. Es stand fest, daß Fraconnard, Scappini und sie alle, mit denen diese letzten Tage ihn zusammengeführt hatten, ihn nicht wiedersehen würden. Sie würden ihn rasch vergessen und sich sagen, daß jener deutsche Student da die Sache ja sehr rasch satt bekommen habe; vielleicht, daß er die gewissenlose Gaunerei ihrer »Fremdenlegion« durchschaute, die einfach zum Lachen wäre, wenn sie nicht dazu führte, eine Herde armer Teufel um das letzte zu betrügen, was sie noch hatten, um ihr nacktes Leben. Karl mußte bewundern, wie es der Polizei gelang, diese Flut in festen Dämmen zu halten. Was war in dieser ganzen revolutionären Maschinerie noch übrig von dem reinen Gedanken des Sozialismus? Wenn die Unruhe der Menschen den Aufgang einer neuen Sonne ankündigte: Fraconnard brachte diese Sonne nicht.

Karl sah durch den dünnen zartgrünen Wipfel des Baumes vor seinem Fenster zu dem tiefblauen Himmel hinauf, der über die Welt hinleuchtete wie lauter Güte und Geduld. Mit einer stillen Wonne lehnte er sich zurück, um mit seinen Augen alles zu umfassen, was durch die Enge des Hofes auf ihn niederglänzte. Und er summte behaglich vor sich hin bei dem Gedanken, daß er in ein paar Tagen wieder in seiner altmodischen Studentenkammer hinter den Büchern sitzen werde. Bald war der Tag des Examens nahe, ein Augenblick, seit Jahren ersehnt. Dies einfache Ziel trat wieder in den Vordergrund nach diesen letzten Tagen des Zweifels und der Bestürzung. Schlichte Arbeit mußte ihn über das Formlose und Gärende hinausführen. Gott selber hatte ihn bei der Hand genommen, um ihm zu zeigen, was es mit Fraconnard auf sich hatte; hatte ihn einen tiefen Blick tun lassen in die brodelnde Retorte der Weltstadt, in der der Teufel am Werk war, die große Friedensabsicht zu vereiteln. Strahlen des Bösen gingen von Fraconnard aus. Sein starker und kühner Geist trug nur dazu bei, den Jammer zu vertiefen. Niemals konnte die neue Menschlichkeit, die alle ersehnen, durch Haß und Hinterlist und durch das Getrampel der Massen errungen werden.

Karl stand auf, um den sonnigen Tag irgendwo draußen im Grünen zu verbringen. Mit dem heiteren Bewußtsein seiner Freiheit verließ er das Haus.

 

Es war gegen zehn Uhr. Die Seine, der liebe Fluß, strahlte; mit rauschend ans Ufer schlagenden Schleppwellen flogen auf ihr die Dampfboote aneinander vorüber und schlüpften munter durch die Brückenbogen.

Die Buchhändler am Kai waren dabei, ihre an das Steingeländer geketteten Kasten aufzuschließen. Karl trat an ihre Auslagen, blätterte in den alten Scharteken herum, kaufte für ein paar Sous ein abgerissenes Bändchen Couplets aus den Jahren um 1860, wischte an den Hosen den Staub von seinen Fingern und schlenderte über den Fußsteig des Pont des Arts zum andern Ufer hinüber.

Drüben am Zeitungsstand kaufte er Zeitungen und ein Päckchen Zigaretten und stopfte sich damit die Taschen voll. Dann erkundigte er sich nach der nächsten Dampfbahn nach Versailles. Als man ihm sagte, daß sie in ein paar Minuten kommen werde, setzte er sich auf eine Bank unter den herbstlichen Kastanien und nahm eine der zusammengefalteten Zeitungen auseinander. Es war L'Humanité. Sie brüllte ihm mit ungefügen Riesenleitern ein Merci Paris! entgegen. Und dieser gedruckte Schrei war der Anfang eines Hymnus auf die Gewerkvereine, auf den bewundernswerten Verband der Erdarbeiter, auf die Vereine, auf die Masse, die gestern durch ihre großartige Kundgebung die Straße erobert hatte. Ein paar Photographien umherstehender Polizisten zeigten spöttisch »das überflüssige und lächerliche Aufgebot der Polizei«.

Der Dampfbahnzug kam. Karl stieg zu den Verdeckplätzen hinauf. Während er nun mit frierenden Händen in der Luft des Oktobermorgens die Zeitungen entfaltete, streiften die Wipfel der Bäume seinen Hut.

Das große Geschwätz über die gestrigen Kundgebungen hatte begonnen. Jedes der Blätter berichtete etwas anderes. »Die imposante und unvergeßliche Kundgebung der Hunderttausend« war in den Vorstellungen der andern eine bedeutungslose Ansammlung von einigen zehn- bis zwölftausend Schreiern, die dank den umsichtigen Maßregeln der Regierung die Absicht nicht erreicht habe, das friedliche Paris zu terrorisieren.

Eines der Blätter berichtete sogar über den kleinen Vorfall am Seinekai. Die Darstellung lautete:

Ein Priester, der demonstrativ seinen schwarzen Rock in der Nähe des Konkordienplatzes spazieren trug, wurde von einigen Passanten verhöhnt. Mehrere Bürger, die von der Kundgebung nach Hause gingen, warfen ihnen ihr Betragen vor. Es folgte ein Wortwechsel, man drängte den Priester auf die Straße. Zwei Individuen spielten sich als seine Retter auf, einer gab Revolverschüsse ab, um die Polizei herbeizurufen. Sofort rannten von allen Seiten Geheimagenten und Polizisten herzu. Ein Auflauf entstand, und eine ganze Schar von Schutzleuten begab sich an die Arbeit.

Der Priester wie auch der Mann mit dem Revolver machten sich natürlich unterdessen aus dem Staube. Verhaftet wurden Comte, Ambours, Perier, Sassey, Bissonet. Während man die Verhafteten abführte, begannen die Polizisten mit einer empörenden Roheit den Tuileriengarten zu säubern, in den sich die Menschen geflüchtet hatten. Es gab eine Anzahl Verwundete.

Die Dampfbahn fuhr gerade jetzt am Seinekai, am Schauplatz der gestrigen kleinen Szene, vorüber. Der Tuileriengarten lag da mit weit offenen Toren in seiner kühlen morgenfrischen Herrlichkeit. Diese mit klebriger Schwärze bedruckten Blätter, die er in den Händen hielt, kamen Karl auf einmal vor wie die ordinären hohlen Stimmen der glotzenden Hanswurstfiguren, die man bei Karnevalszügen in der Stadt umherfährt, oder wie aufgeblasene Bediente, die aus den Häusern ihrer Herren heraus über die Straße miteinander zanken.

Karl schlug die Blätter zusammen und ließ sie von seinem hohen Sitz auf dem fauchenden und qualmenden Dampfbahnwagen in einem weiten Bogen auf den Seinekai hinunterfliegen. Dann steckte er die Hände in die Taschen und machte ein vergnügtes Gesicht. Seine einzige Nachbarin da oben, eine alte Frau mit einem Gemüsekorb, vielleicht eine Köchin aus der Vorstadt, betrachtete ihn verwundert. Er fing ein Gespräch mit ihr an:

»Wo speist man am besten in Versailles?«

»Das weiß ich nicht, mein Herr«, sagte sie mit einer geschäftsmäßigen Höflichkeit.

»Sind Sie nicht aus Versailles?«

»Ich bin noch nie in Versailles gewesen. Ich wohne in Sèvres.«

Karl sah sich die Frau an, ob sie sich etwa über ihn lustig mache. Aber sie zog eine trockene und langweilige Miene.

»Dann müssen Sie aber nächstens einmal hinfahren«, sagte er gutgelaunt. »Sehen Sie, Madame, ich komme aus dem Auslande und werde nicht früher wieder nach Hause fahren, als bis ich Versailles gesehen habe.«

Damit streckte er seine Beine auf die rappelnde Eisenstange des Geländers, zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch recht fest und dünn vor sich hin, so daß ihn der Wind zart ausbreitete.

Die Köchin rückte ein Stückchen von ihm weg. Wahrhaftig, in Sèvres stieg sie ab.

Er war nun ganz allein auf dem Verdeck und fuhr so mit ausgestreckten Gliedern durch die herbstlichen Alleen, deren Äste seine Füße streiften. Die Dampfbahn rumpelte gemütlich über die Landstraße und durch die alten Dörfer. Eine angenehme Landschaft ging nebenher mit Hügeln, Wäldern und Weiden in zarten blauen und rosa Tönen. Städtchen mit einförmigen, weißgetünchten Mauern, altmodischen Häusern und kleinbürgerlichen Gärten unterbrachen die Reise. Das Gittertor bei den Festungswerken vor Paris und den Geleisen der Gürtelbahn, die die Stadtgrenze bezeichneten, waren nicht weniger erstaunlich als die genaue Wiederholung dieses Gitters mit dem Häuschen des Oktroibeamten am Eingang der großen Allee von Versailles.

Kein Mensch war vor dem Schlosse. Auf einem Plakat stand zu lesen, daß das Museum Montags nicht geöffnet sei. Das erklärte, warum er auf der Dampfbahn fast der einzige Passagier gewesen war.

 

Karl ging gleich in den Park, der sich mit Himmel und Wäldern herbstlich und sonnenbeglänzt in seiner Schönheit auftat wie eine erhabene Musik.

Staunend schritt er über die riesige Terrasse, die dem Globus wie eine einzige riesige Stufe aufgesetzt erschien, mit der breiten Front des Schlosses im Hintergrund. Land und Wälder dehnten sich zu ihren Füßen in unermeßlicher Weite; die sorgfältig geschnittenen Fenster der Buchsbaumhecke gaben dem Auge einen Ausblick in ihre von Lichtungen oder von schnurgeraden Alleen gespaltene Wipfelfülle. Eine einzige Wolke leuchtete wie ein Segel in blauer See. Spätblühende Rosenbüsche, Heliotrop, von betauten Rasenflächen umgeben, funkelten in der Sonne. Die Palmen zitterten wie in die Erde gestoßene Lanzen; die dunklen Laubkugeln der Oleanderbäume und der Orangenbüsche glänzten in regelmäßigen Abständen am Rand der Beete. In kreisrunden strahlenden Weihern funkelte das Wasser. Das Gewimmel der Karpfen beschattete den durch das Wasser hindurch besonnten Boden; zuweilen blitzte einer der Fische schnalzend an die Oberfläche empor und schlug silberne Kreise. Alte, in Büschen verborgene Brunnenbecken lagen bedeckt mit dem Goldbrokat der herbstlichen Blätter; Libellen spielten um die Zweige, die sich wie Jagdreisig über die bronzenen Eber legten. Die große Freitreppe, breit und schattenlos wie eine Wüste, führte von der Terrasse abwärts, bis zu ihrer halben Höhe von den bunten und zerrissenen Wipfeln der herbstlichen Wälder umbrandet. Hier ging er hinunter. Die Mauer der Terrasse warf ihren scharfen Schatten auf den mit welkem Laub bestreuten Sand.

Karl verlor sich in das vom Gezwitscher der Vögel erfüllte Gehölz. Seine Schritte raschelten im welken Laube, ein leichter Wind erfaßte es und trieb es zögernd weiter. Er trat in ein von alten Bäumen umstandenes Rondell hinaus; eine steinerne Bacchantengruppe erhob sich in der Mitte aus einem mit feurigbraunem Wasser gefüllten Becken. Hier wollte er sich auf eine der Bänke niedersetzen. Aber in dieser Einsamkeit waren ihm andere Menschen zuvorgekommen: zwei Liebende, schweigend und schwarz gekleidet, hielten sich auf einem der unter Büschen verborgenen Sitze umschlungen. Mit Mönchsgefühlen ging Karl vorüber und folgte einem grasbewachsenen Waldweg, der, von verwilderten, miteinander verflochtenen Büschen eingefaßt, zu einer der großen Alleen führte. Diese Allee nahm ihn auf wie ein Dom. Ihre knorrigen Baumriesen beugten sich in der Höhe zueinander; kaum ein Sonnenstrahl fiel auf den hohen Rasen in ihrer Mitte. Sie entließ ihn wie durch ein mächtiges Tor auf die große freie Wiesenfläche, aus der das Wasserbecken mit der Apollogruppe blinkte.

Drüben begann der Wald von neuem. In der Mitte glänzte der Kanal mit seiner runden Bucht. Karl ging gemächlich durch die heiße Sonne zu dem andern Wald hinüber und folgte dann dem Ufer dieser schnurgeraden Wasserfläche. Unter den alten Eichen und Kastanien hier hörte er nichts als sein leises Hintreten in das Gras und seinen Atem, der den warmen Duft der besonnten Gräser einzog. Einmal brach unmittelbar hinter ihm auf dem weichen Boden der fast lautlose Galopp eines Reiters hervor; es war ein Offizier auf einem prachtvollen Rappen, der im Nu wieder zwischen den Stämmen des Waldes verschwand.

Karl genoß das Alleinsein in einer glücklichen Dämonie. Er ging schwankend, mit sich selber redend wie ein Trunkener, von nichts erfüllt als von der inneren Stimme. Zuweilen lehnte er an einem der breiten rauhen Bäume oder warf sich in das Gras. Oder er stand still, von seinen Gedanken wie von einer Fußangel festgehalten, und schrieb mit fliegenden Zügen in sein Notizbuch Worte, die ihm zu Leitsätzen seines Lebens werden sollten:

»Gott gehorchen, allein mit der Liebe ...

Einen Orden gründen von Männern, die den Armen wie den Reichen den Abfall vom Gelde predigen ... Die weltlichen Frommen aller Länder aneinanderschließen.

Unabhängig von Menschen und Parteien in anständiger Armut leben.

Bis zu dem Tage, an dem es keine Unterdrückten mehr geben wird und der Mensch in der großen Einheit aller sich als Gast der Erde fühlt, deren unglücklicher Herr und Sklave er vordem war, bis zu diesem Tage sind Kirche und freie Schule, die Gewalt der Fürsten, der Parlamente und der Masse auf der Straße nur die Zeichen, in denen das allen eingepflanzte Verlangen nach dem höchsten Gut sich äußert.

Auf der Erde ein einziges seelisches Reich – das ist es, das wird kommen.«

Karl verspürte zu seinen Gedanken das bejahende Schweigen der Geschichte in diesem Park, der, einst von dem erpreßten Opfer eines Volkes gebaut, heute wieder diesem Volke gehörte und eigentlich allen Völkern der Erde; der einst zur Verherrlichung eines einzigen Menschen bestimmt worden war und heute alle verherrlichte in seiner großen strengen Schönheit. Auch für ihn, den sich selbst überlassenen Wanderer, war er geschaffen, wie jene Marmorgöttin, die im Louvre stand.

Er trat aus dem Wald in die von Mittagshelle und Sonnenglut erfüllte Lichtung hinaus. Ein Bedürfnis nach Mitteilung, der Wunsch, freundlich mit einem Menschen zu reden, regte sich in ihm nach diesen Stunden der Hirngespinste. Karl sah, wie der Park sich allmählich von Besuchern belebte. Auf der Terrasse oben erschienen sie, tropften langsam die Treppen herab, umwandelten die Beete.

Der Anblick dieser Gruppen von Menschen, die beschaulich von Boskett zu Boskett wandelten, gab ihm die selbstvergessene Stimmung des Spaziergängers wieder; er ging auf die große Wiese zurück, wo bis jetzt noch wenige Menschen waren. Dort, wo ein Fußpfad das ungemähte Gras in kaum sichtbarer Diagonale durchzog, setzte er sich auf einen der Feldstühle. Er hielt das Notizbuch auf seinen Knien und schrieb:

Liebe Berta!

Das Glück dieses stillen, sonnigen Oktobertages, den ich im Park von Versailles verbringe, wäre mit dir vollkommen gewesen. Wie über alle Vorstellungen schön ist dieser Park, wie weit und unbegrenzt, mit seinen grünen Mauern von Buchs und den lichten Spalieren zwerghafter Buchen, seinen schlanken, efeubekleideten Waldbäumen und den herbstlich gefärbten Wipfelwällen der Alleen! Sie wiegen sich in derselben milden Mittagsluft, die oben über den zartblauen Himmel die dünnen weißen, leichtgezüngelten Wolken ausbreitet. Dein Auge wäre selig in diesen goldenen Alleen, deren Straße ein weicher Rasen ist, an diesen kaum gekräuselten Weihern, die, von der Terrasse gesehen, wie silberne Brände sind, an diesen weiten, doch regelmäßig eingefügten Rasenflächen und an dieser Unerschöpflichkeit der Durchblicke in einen unbegrenzten Himmel. Es sind gerade so viele spazierengehende Menschen da, als nötig sind für den einzelnen, daß er nicht vor seinem Alleinsein in dieser unerhört schönen Weiträumigkeit erschrecke. Ich sitze auf einem der Feldstühle, die wie zufällig dastehen, mitten auf einer ungemähten Wiese, und blicke von hier gerade in die breite, herbstlich gescheckte Hauptallee, über einen Weiher mit Tritonen zu der beherrschenden Horizontale des Schlosses und der Terrasse hinauf, und wenn ich mich umdrehe, zieht ein langer, von Waldrändern eingefaßter Kanal den Blick ins freie Land. Fern kauern Angler am Kanal, winzige Figürchen; in der Bucht liegen ein paar Dutzend Bootchen, und über dem kleinen Pavillon am Ufer wehen Flaggen. Von weitem her kommt das melodische Flöten einer Lokomotive.

Ich bin sehr froh, in diesem Lande zu sein und so Schönes und zugleich Kunstvolles zu sehen. Ein kleiner Soldat mit roten Epauletten wandelt jetzt mit den Händen auf dem Rücken am Rand des Tritonenweihers vorüber. Es ist ein echter Faulenzertag. Die Sonne wärmt mir den Rücken. Es lebe die Sonne und die Erde und dieser Park der Größe und der Stille. Ich gebe alle Prärien Amerikas für den Park von Versailles.

Ich bin gewandert, stundenlang, bis zum Trianon und zurück. Erst jetzt am Nachmittag kommen mehr Menschen in den Park. Wie apart z. B. sind Damen in Trauer zwischen dunkelgrünen Buchsbaumkegeln. Übrigens sind Dutzende von Malern umher zerstreut, die Alleen, die Beete, die Weiher in der Nachmittagssonne lassen den verfl. Geschöpfen keine Ruhe. Auf der großen Treppe sah ich vorhin einen alten Herrn vor einer Staffelei. Er gleicht im Rücken einem Geheimrat aus unsrer alten Universitätsstadt. Er macht ein ganz helles Bild auf einer gelben Leinwand, die schon von selbst wie ein Stück Sonnenschein auf Sand ist; nun steht er auf und beschattet mit der Hand das Auge. Bei dieser Gelegenheit werfe ich einen Blick auf sein Gesicht. Keine schlechte Enttäuschung! Er schielt und hat eine eingedrückte Nase.

Damen gehen hier auf den Parkwegen spazieren, an alten grün gewordenen Statuetten vorüber. Es sind einige wahrhaft vornehme und schöne dabei, aus Paris meinetwegen, aber hier sieht man erst, auf den Wiesen, welchen entzückenden Gang sie haben.

Man muß aus dreihundert Schritt Entfernung sehen, wie sie über den Rasen gehen, leichtfüßig wie Antilopen. Auch gefiel mir sehr eine tonkinesische Kinderwärterin mit ihrem braunroten, birnenähnlichen Gesicht. Sie saß in der Sonne und sagte gerade zu dem spielenden Kleinen: » c'est joli!«

Karl betrachtete plötzlich ganz verstört die beschriebenen Seiten. Seine Knie zitterten. Was sollte dieser Brief an eine Tote? Was wollte sie noch von ihm in ihrem Grabe? Er stand hastig auf und steckte das Notizbuch, das er sonst in der Brusttasche trug, in die Manteltasche. Dort, wo gewöhnlich alte Trambahnbillets sich herumtrieben, stießen seine Finger an ein Blatt Papier. Mechanisch zog er es heraus, um es fortzuwerfen. Aber was bedeutete dieser Zettel? Es war ein Fetzen braunen Packpapiers, mit Bleistift beschrieben von einer fremden, ungeübten oder verstellten Hand. Aufs höchste verwundert las Karl die folgenden Zeilen:

»Herr Flemann! Achdung
Ich weis das der Schabini aufpast Achdung

1 freindt«

Was sollte dieser Zettel? Wie kam er in seine Tasche? Wer hatte ihn geschrieben und ihn ihm zugesteckt? Gestern, beim Umzug vielleicht mußte es geschehen sein; möglicherweise schon am Samstag.

Karl ließ jeden einzelnen der Männer aus der Mexiko Bar in seinen Gedanken vorüberziehen. Konnte es Bratengeier gewesen sein? Diese Hand traute er dem ehemaligen Schreiber nicht zu. Auch dem alten Hunold war die Warnung nicht gut zuzumuten. Sie konnte von Schinkiewitz stammen. Je mehr Karl über diese Vermutung nachdachte, desto mehr gewann sie an Wahrscheinlichkeit. Wollte ihm der Bucklige einen Streich spielen? Dann brauchte er doch diesen Weg nicht einzuschlagen. Die Warnung mußte einen ernsteren Grund haben. Seine Abneigung gegen Scappini gab ihr nicht unrecht. Der erste Blick, mit dem Karl und Scappini in Fraconnards Hause sich begegneten, war ein feindseliger gewesen. Gut, daß seine Rolle in diesem Kreise schon jetzt ganz zu Ende war! Doch was war denn bei ihm aufzupassen? Welcher wirkliche Verdacht konnte sich gegen ihn richten? In einer plötzlichen Unruhe, die ihn ergriff, dämmerte Karl irgendein Zusammenhang zwischen diesem Zettel und der Begegnung mit dem Unbekannten gestern abend. Merkwürdig rasch war die Situation zu einer fragwürdigen geworden. Welch ein Glück, daß er schon jetzt jenen unsicheren Kreis verlassen hatte, wo politische Agitatoren, Verbrecher, Lumpen und Spitzel ihre Pfade kreuzten.

Langsam schritt Karl dem Ausgang des Parkes zu. Noch einmal, wie er von der Terrasse aus den unendlichen Himmel und die Wälder zu seinen Füßen mit einem Abschiedsblick umfaßte, stieg in ihm der Gedankenstrom der vergangenen stillen Stunden empor, wie ein unterirdischer Fluß emportaucht. Nicht von Rache galt es in der Welt zu sprechen, sondern von einer neuen Stufe.

 

Auf dem mächtigen Platz vor dem Gitter des Schloßhofes übten die Soldaten. Karl sah im Vorübergehen zu, wie die Rotten unter dem Befehl der Unteroffiziere sich in Reihen niederwarfen, aufsprangen, zurückrannten. Andere machten Zielübungen oder trabten im Kreise umher. Dazwischen krähten Hornsignale. Es waren lauter Einzelübungen, die den Platz mit einem wimmelnden weißen Leben füllten. Spaziergänger, Frauen, Kinder zogen einen schwarzen Strich hindurch. Karl ging in ihrer Mitte. In seiner Anwesenheit lag ein Wissen, daß es Kräfte in der Welt gab, die imstande waren, die unsichtbaren Schienen, die die Soldaten in Reih und Glied Füße und Arme heben ließen, zu lockern, ein Faß voll Säure, das diesen festen nach Kasernenluft riechenden Zusammenhalt der uniformierten Arbeiter und Bauernburschen zersetzte, eine Säure, erfunden von Fraconnard. Man glaubte da und dort in den gleichmütigen und etwas belustigten Gesichtern der Spaziergänger und in den mürrischen und gelangweilten Gesichtern mancher Soldaten schon die ersten Tropfen dieser Säure zu entdecken.

 

Karl bestieg die Dampfbahn, um nach Paris zurückzufahren.

Während der Fahrt wurde es dunkel.

Je mehr der ratternde, wackelnde, keuchende Wagenzug sich der Stadt verschmolz – all den Lichtern und dem Lärm mit dem finstern, schattenhaften Schweigen dazwischen –, desto tiefer erfüllte den einsam Dahinfahrenden, der fröstelnd wieder auf dem Verdeck saß, das Weh des Heimatlosen. Er haftete weder an dieser Stadt noch an irgendeinem Ort der Welt, und doch kämpfte er für mehr als nur für sein eigenes frierendes Selbst. Im Abenddunkel, das die Erde überschwemmte, fuhr er jetzt wieder zu den Millionen lebender Seelen hinein, die sich mit ihren unzähligen Lichtern wie mit Schwertern und Lanzen gegen die hereinbrechenden Schatten der Nacht wehrten. Er selber hier oben unter dem eisernen Schirm des rappelnden Wagens, von Lichtern und Schatten umspielt, würde sich von selbst wieder in die Straßen hinabwerfen, um immer weiterzuwandern, sobald der Zug die Endstation erreicht. Diese Stadt, die unter dem trüben Wolkenhimmel kochend, dunstend, glitzernd auf die Erde hingestrichen war wie eine Schütte dickflüssigen Asphalts – was kümmerte es sie, daß er lebte? Und doch schien es, als habe sie ihn gesehen vom ersten Augenblick seines Kommens an, als habe sie ihn aus dem Hinterhalt mehr wie einmal wie mit einem Scheinwerfer beleuchtet. Die nächtlichen Gestirne kamen und gingen über ihr und hinterließen die Runen ihres stummen Waltens in den Seelen. Unverständliche Folgen seiner kurzen Berührung mit dieser Stadt: ein Blick unvergeßlichen Hohnes; ein Brief an die tote Freundin; eine Warnung, von fremder Hand für ihn auf einen Fetzen Papier geschrieben ...

Er dachte an eine Nacht, die er auf seiner großen Reise am Rand der Syrischen Wüste verbracht hatte, in einem Beduinendorf, das über den halb verschütteten Gewölben einer Stadt des Altertums erbaut war. In der Dunkelheit war er zwischen den ärmlichen Lehmhütten umhergegangen und plötzlich in eine dieser schwarzen Höhlen hinabgestürzt, aus der ihn die Menschen erst am Morgen retteten. In jener Nacht hatte er nachgedacht über sein Los, ein Pilger zu sein und irgendwo ein unbekanntes Grab zu finden: ein Pilger auf den Schiffen, im Trubel amerikanischer Städte, in den Karawanenherbergen der lavabraunen Täler des Taurus. Verabredungen und Warnungen unerreichbar werden, weiterwandern, nur weiter, den Erdball umschnüren mit heimatlosen Schritten und seine Seele retten: das war es, was er mußte. Stark und voller Ahnungen erfaßte ihn, als er wieder in die Straßen von Paris hineinfuhr, der Wunsch, nur weilerzufahren, zum anderen Ende der Stadt hinaus über das schlafende Land, in die stille sichere Ferne, seine geringe Habe ruhig im Stich zu lassen.

Aber er kehrte noch einmal in das Hotel zurück.

 

Karl begab sich zuerst in das Bureau der Madame Pinasse, um mitzuteilen, daß er morgen mit dem ersten Zuge abreisen werde.

Madame war eine üppige Dame von rosigem Teint und jugendlicher Liebenswürdigkeit.

»Sehr wohl, Monsieur. Apropos, als Sie fort waren, ist ein Mann dagewesen, der zu Ihnen wollte.«

Karl hob verwundert den Kopf. Er fragte, ob der Mann seinen Namen genannt habe. Madame wußte es nicht; der Mann hatte mit dem Hausburschen an der Tür gesprochen.

Karl bat, ihm den Fahrplan aufs Zimmer zu schicken, und erwartete oben voll Ungeduld den Hausburschen. Der Bursche beschrieb den Besucher als einen blonden, schmalen Mann, nicht gut gekleidet, schlechtes Französisch.

Es konnte nur Bratengeier gewesen sein.

Was wollte der von ihm?

»Der Mann ist zweimal dagewesen, mein Herr«, sagte der Hausbursche. »Das erstemal etwa um vier Uhr nachmittags, das letztemal vor einer halben Stunde. Er hat etwas gesagt, aber ich habe ihn nicht verstanden. Als er vorhin nach Ihnen fragte, war er in Eile, er wollte gleich die Treppe hinauf. Er schien gar nicht zu begreifen, daß Sie noch nicht zu Hause wären.«

Karl gab dem Burschen ein Trinkgeld. »Wecken Sie mich morgen früh um sieben, ich reise ab.«

Karl war unschlüssig, ob er noch einmal ausgehen sollte. Es schien ihm besser, den Abend im Hotel zu verbringen und abzuwarten, ob sich Bratengeier noch einmal melden würde. Er ließ sich zum Abendessen ansagen und fand sich um halb acht im Speisezimmer ein.

Ein halbes Dutzend Pensionäre war da. Madame präsidierte. Ihr Mann, ein Maler, saß zu ihrer Rechten. Zu ihrer Linken der Schwager, ein Geschäftsreisender, wohlgenährt, zu Anekdoten und Späßen aufgelegt. Dann folgte Mademoiselle Sprügi, eine junge schweizerische Volontärin, die neben Madame das Hauswesen verwaltete. Eine zierliche Gestalt mit etwas schnippischem Gesicht, blaßblond. Es war ihr Singen, das zuweilen das Dunkel der Zimmer am Abend wie mit Heimweh und zärtlichem Stirnstreicheln füllte. Neben ihr saß ein großgewachsener und kräftiger Mensch aus Johannesburg, der sich ein paar Wochen zu seinem Vergnügen in Paris aufhielt. Dann noch einige junge Leute, ein Italiener und zwei Dänen, die als Kaufleute oder Bankbeamten in Paris in Stellung waren.

Madame, würdevoll in Schwarz gekleidet, mit einem Jettkollier auf ihrem Busen, das an Glanz mit ihren schönen, schwarzen Augen wetteiferte, beherrschte den Tisch durch ihre imponierende Figur und durch ihre Altstimme, die etwas Burschikoses, den Appetit Anregendes hatte. Karl saß anfangs einsilbig zwischen diesen munteren Leuten, die sich die Schüsseln mit Höflichkeiten und witzigen Bemerkungen zureichten. Das Essen war gut. Man sprach von Malerei. Madame, die von Karl nicht viel mehr wußte, als daß er den ganzen Tag fort war, fragte ihn aufs Geratewohl nach seinen Eindrücken im Louvre. Karl antwortete mit einer Bemerkung über ein Bild des Panini, eines alten Italieners, das in der großen Galerie hing und ihm durch die Art, wie da das riesige rot ausgeschlagene Innere eines Theaters bei einer königlichen Galavorstellung wiedergegeben war, Eindruck gemacht hatte. Auch machte es ihm ein kleines spitzes Vergnügen, über den rattenhaften Eifer kleiner Maler, die die Werke der Galerie kopierten, über ihre bucklige Haltung, ihre zusammengekniffenen Augen, über die Werkstatt-Atmosphäre von frischer Farbe und Firniß, die sie in den feierlichen Räumen verbreiteten, ein Wort zu sagen. Monsieur Pinasse, der selber rote, etwas entzündete Augen hatte, verteidigte diese Maler. Von anderen Bemerkungen unterbrochen, glitt das Thema beiseite und verfing sich an einem anderen Ende der Tafel in Fragen der Politik. Es fiel Karl ein, daß er morgen abreisen wolle und noch gar nicht einmal von Berta gesprochen hatte, die doch die Ursache war, daß er an diesem Tische saß. Vielleicht daß man sich ihrer noch erinnerte.

Und er fragte Madame, ob sie sich des Fräuleins Berta Küppers erinnere, einer Bildhauerin, die vor einem Jahre in diesem Hause gewohnt habe.

»Aber gewiß,« sagte Madame, »wir vergessen unsere Freunde nicht so rasch. Sie wohnte mehrere Monate bei uns. Geht es ihr gut? Hat sie Erfolg?«

Karl machte ihr die Mitteilung von ihrem Tode.

»Armes Fräulein. Armes Herz!« Ein tiefes Bedauern dämpfte die Stimme der Frau zu einem Mollakkord. »Sie war eine so gute Person. Ich glaube, sie war etwas leidend, die Ärmste. Sie hatte keine starke Gesundheit, und sie war so brav und tüchtig.«

Vor der ganzen Tafelrunde erzählte sie dann, unter welchen Anstrengungen Berta stundenlang in den Hallen modellierte, wie sie sich regelmäßig wie ein Arbeiter des Morgens in ihr Atelier begab und mit der Dunkelheit zurückkehrte. Dazwischen habe sie vor Erschöpfung ihr Zimmer oft tagelang nicht verlassen können.

Als der Tisch abgeräumt war, blieb man der Sitte des Hauses gemäß noch eine Weile bei einer Zigarette zusammen. Der junge Bur erzählte. In einigen Städten der afrikanischen Union veranstaltete man gegenwärtig Aeroplanflüge. Diese modernen Städte müsse man sehen, Städte, die man in Europa kaum dem Namen nach kenne! Seit der Einigung nehme jetzt Südafrika einen Aufschwung wie ein zweites Kalifornien. Ein bedeutendes Staatswesen sei da im Entstehen, dank dem Kapitalismus, der sich in den Eisenbahnen und Feldbahnen, den Grubenunternehmungen, den Börsen von Johannesburg und Kimberley, den berühmten elektrischen Kraftstationen, der im großen durchgeführten Berieselung immer mehr in den Vordergrund dränge. Der junge Bur sprach von den Farmen seiner Heimat im Manicaland, einem der gesegneten Länder im sonnigen Süden, wo Bach neben Bach sprudelt, wo die Ackerkrume viele Fuß tief liegt, wo der Boden alles hervorbringt.

Karl hörte schweigend zu. Warum war er nicht dort geboren? – Als dann eine der Damen das Wort ergriff und anfing, von der Politik der Engländer zu reden, sagte er »Gute Nacht« und begab sich auf sein Zimmer.

 

Karl schloß die Tür, zündete die Kerze an und ging ein paarmal auf und ab, die Hände auf dem Rücken. Dann begann er mechanisch, wie er es oft getan hatte, seine Sachen zusammenzulegen und sie in die Handtasche zu stecken. Er stellte sie auf den Tisch neben die Kerze. Auf dem Boden der kleinen Ledertasche lagen Bertas Briefe. Er nahm das Bündel heraus und legte es vor sich hin, daß die kleine tiefgoldene Flamme die harten, verschieden großen Blätter mit den eckigen, fast pedantisch festen Schriftzügen klar beschien. Er las sie nicht; nur die Überschriften fielen ihm ins Auge: Liebster Karl, Mein Lieber, Mein liebster Freund. Er stützte die Arme auf den Tisch und nahm den Kopf zwischen die Hände. Die Kerze warf einen riesigen Schatten an die Wand, den leeren schwarzen Schatten, der sich kaum bewegte, wie er stumm den Kopf schüttelte und aufblickend sich fremd in diesen verwohnten Wänden umsah, die vor ihm die Einsamkeit, die Selbstgespräche vieler unbekannter Menschen behorcht und sich von ihrem Schatten verdüstert haben mochten. Vielleicht hatte sie, deren Briefe hier vor ihm lagen, tot wie ausgerissene Schmetterlingsflügel, diese Zeilen an diesem Tisch geschrieben.

Er stand auf, blies die Kerze aus und tastete sich zum Bett. Stumm warf er sich davor auf die Knie und legte den Kopf auf die kühlen Kissen. Dann hob er langsam sein Gesicht in das ewige Dunkel und streckte die Arme empor, beschwörend, schluchzend, bis es endlich aus seinem Auge wie schmelzendes Erz über seine Züge rann.

In senkrechte Furchen brannte es über sein Gesicht. Auf den Knien aufgerichtet und die Arme mit festverfaßten Händen vor sich auf dem Bette ruhend, flüsterte er klagend:

»Herr, Gott und Geist der Dinge, du siehst die verborgenen Gedanken. Hast mich geführt bis zu diesem Augenblick. Wenn ich lache, denke ich an dich, traurig denke ich an dich; laß es mich nie vergessen. Dank für das Leben, das du schenkst, für dein unablässiges Wunder, für die dunkle Stimme. Du hast in diesen Tagen wieder zu mir gesprochen. Laß nicht alle leiden wie mich. Doch nimm Dank, Dank in tiefer Demut. Laß mich erkennen, wie ich dir dienen soll, das neue Wort für die Menschen laß mich finden. Noch kann ich keinem helfen, ich bin zu schwach. Ich bitte dich für die Menschen, die du mir gezeigt hast. Du kennst Fraconnard, du durchschaust Scappini; gib, daß Gutes geschehe statt Böses. Du kennst den Unglücklichen, der mir einen Blick des Todes zugeworfen hat. Führe mich fort von hier. Meine Trauer um Berta lege ich hin vor dich; nimm das Schreckliche dieser Trauer von mir. Vielleicht, daß sie einst deine Kraft aus mir spürte; du allein weißt auch, was sie gedacht hat und mir nicht mehr sagen konnte in der Stunde ihres Todes. Sie wollte das Große, das Große, das ich will; mich laß es erreichen, Geist der Geister! Dank für dein dunkles Wirken. Dein Reich komme. Nun laß mich ruhig schlafen und führe mich morgen nach Hause. Anbetung, Anbetung in Ewigkeit.«

Er erhob sich im Dunkeln, lächelnd. Die Furchen auf seinen Backen brannten trocken. Er ging an das Waschbecken und kühlte sein Gesicht, dann zündete er die Kerze an und kleidete sich aus, aufatmend und beruhigt. Als er nackt war, begann er sich von Kopf zu Füßen zu waschen, wie jeden Abend. Dann trocknete er sich ab, zog das Nachthemd über den Kopf und trug die Kerze auf den Nachttisch. Das aufgedeckte Bett lag vor ihm wie Gottes Barmherzigkeit. Er gähnte es behaglich an, als sperre er den Mund weit auf vor einem sättigenden Bissen.

Er blies die Flamme aus und legte sich zu Bett, seine Glieder gerade ausstreckend, die Hände auf der Decke, und schlief ein.


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