Publius Ovidius Naso
Metamorphosen
Publius Ovidius Naso

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Picus

            Als dem Ulysses nunmehr die titanische Zauberin Circe
Wieder aus grunzenden Säu'n klugredende Männer gebildet;
Weilt' er ein Jahr im Palaste der Herrscherin. Viele der Wunder
Sahn sie, und höreten viel', er selbst und die wackeren Freunde.
Dies auch erzählt' im Vertraun dem Makareus eine Genossin
Jener vier, die geschäftig der Zauberin Dienste besorgten.
Denn da der Ithaker Fürst allein mit der Circe verweilte,
Zeigete jene dem Freund ein Bild aus schneeigem Marmor:
Jugendlich war es geschnitzt und führte den Specht auf der Scheitel,
Stehend in einer Kapell' und rings umhänget mit Kränzen.
Wer er sei und warum man in dieser Kapell' ihn verehre,
Auch warum ihm der Vogel gesellt sei? forschet der Fremdling.
Höre denn, sagt sie, mein Wort; und lern', o Fremdling, auch hieraus
Meiner Gebieterin Macht; du vernimm, was ich rede, mit Sorgfalt.

Picus, erzeugt von Saturnus, war einst der ausonischen Lande
Waltender Fürst und hegte der kriegrischen Rosse Geschlechter.
Seine Gestalt war, wie du sie schaust; o betrachte des Mannes
Anmut selbst und bewundr' im gekünstelten Bilde das wahre.
Gleich der Gestalt war der Mut; und noch nicht konnte der Jüngling
Viermal heilige Kämpf' anschaun in der graijschen Elis.
Schmachtend sahn die Dryaden, die latische Berge bewohnen,
Alle sein holdes Gesicht; ihn sahn die Mächte der Quellen,
Alle Najaden mit Lust, die Albula und der Numicus,
Oder der Anio nährt und der bald ausströmende Almo,
Auch der narische Strudel und Pharpharus, lieblich umschattet;
Auch die im Waldreich hausen der szythischen Göttin Diana,
Und in benachbarten Seen. Doch die übrigen alle verachtend,
Liebt' er die einzige Nymphe, die einst auf Palatiums Hügel,
Sagt man, Venilia brachte dem doppelhauptigen Janus.
Diese, nachdem sie zur Reife gelangt des bräutlichen Alters,
Ward vor den Werbenden allen verliehn dem Laurentier Picus:
Selten zwar an Gestalt, doch seltner an Kunst des Gesanges.
Canens hieß sie daher, die Singerin: Felsen und Wälder
Folgten dem Hall und gesänftigtes Wild; langschlängelnde Ströme
Hemmten den Lauf, und im Fluge verweileten streifende Vögel.

Während mit weiblichem Laute sie maß die begeisterten Lieder,
Wandelte Picus hinaus in die laurentinischen Äcker,
Eingeborene Eber zu fahn. Er beschwerte den Rücken
Einem feurigen Roß und trug zween Spieß' in der Linken
Und sein Purpurgewand war mit goldener Spange geheftet.

Auch die Tochter des Sol durchging die selbige Waldung,
Um sich neue Gewächs' auf den fruchtbaren Höhen zu sammeln,
Fern der circäischen Flur, die den Namen der Herrscherin führet.
Jetzo, sobald sie, gedeckt von Gebüsch, anschaute den Jüngling,
Staunete sie; es entsanken dem Schoß die gesammelten Kräuter,
Und ihr schien es wie Flamme durch Mark und Gebeine zu lodern.
Als von der stürmischen Glut ihr zuerst die Besinnung gekehrt war,
Wollte sie gleich ihm bekennen die Sehnsucht; aber den Zugang
Wehrte das eilende Roß und umher der Trabanten Gewimmel.
Doch nicht sollst du entfliehn, und flöhst du gerafft vom Orkane;
Wenn ich mich selbst recht kenn', und nicht mir völlig dahinschwand
Meiner Kräuter Gewalt, und fehlschlägt meine Beschwörung!
Sprach sie und bildete schnell ein Truggebilde des Ebers,
Körperlos, das vorüber des Königes Augen zu laufen
Schien und hineinzugehn in des Walds vielstämmiges Dickicht,
Wo das verwachsne Gesträuch nicht Bahn dem Rosse gewährte.
Ohne Verzug, unkundig verfolgt den Schatten des Fanges
Picus und schwinget sich rasch von dem dampfenden Rücken des Rosses,
Und durchirret zu Fuß das Gebüsch nach der eitelen Hoffnung.

Doch sie erhebt ein Flehn und bannt mit zaubernden Worten,
Seltsame Mächt' anrufend mit seltsamer Töne Gemurmel,
Welches ihr oft das Gesicht des blinkenden Mondes beflecket,
Oder des Vaters Haupt in Regenschauer verhüllet.
Jetzt auch trübt sich in Nacht vom gemurmelten Banne der Himmel,
Und das Gefild' haucht Nebel empor; blind schwärmt die Begleitung
Kreuzende Pfade hindurch und des Königes Wache verliert sich.
Nutzend den Ort und die Zeit: Bei den glänzenden Augen, womit du,
Sprach sie, die meinigen singst; bei dieser Gestalt, o du Schönster!
Die dir zu huldigen zwingt mich Unsterbliche! lindre des Herzens
Flamme mir; nimm zum Schwäher den allumschauenden Sol an!
Und nicht grausam verachte die Hand der titanischen Circe!

Jene sprach's; doch trotzig sie selbst und die Bitte verdrängend:
Wer du auch seist, nicht deiner bin ich! ein' andere, ruft er,
Hält mich, und soll mich halten ein langes Leben, das fleh' ich!
Nie durch frevele Lust sei gekränkt das heilige Bündnis,
Weil das Geschick mir vergönnt die vom Janus entsprossene Canens!

Oft erneuet ihr Flehn die Titanin umsonst, und beginnt nun:
Nicht ungestraft sei dir solches; du kehrst nicht wieder zur Canens!
Was die Gekränkte vermag, was die Liebende und was ein Weib, das
Lern' aus der Tat! Doch gekränkt und liebend und Weib ist Circe!

Zweimal zum Niedergang dreht jene sich, zweimal zum Aufgang;
Dreimal rühret ihr Stab, mit drei Bannworten, den Jüngling.
Jener entflieht; doch er wundert sich selbst, daß er hurtiger jetzo
Laufe, wie sonst; und bemerkt um den ganzen Leib das Gefieder.
Sich so geschwind, als Vogel, das Volk der latinischen Wälder
Mehren zu sehn, unwillig, durchbohrt er mit hackendem Schnabel
Wildernde Stämm', und verwundet im Zorn die erhabenen Äste.
Gleich dem Purpurgewand erglühn die gepurpurten Flügel!
Wo die Spange zuvor das Gewand mit Golde geheftet,
Wächst nun Flaum, und den Nacken umläuft ein goldener Halsring.
Nichts mehr bleibt von Picus dem pickenden Specht, denn der Name.
Seine Genossen indes, da sie lang umsonst durch die Felder
Picus mit häufigem Rufe gespäht und nirgend gefunden,
Treffen die Zauberin jetzt; denn sie hatte die Luft nun verdünnet
Und den umhüllenden Nebel durch Wind und Sonne geöffnet.
Jeder bestürmt mit gerechter Beschuldigung, fordert den König
Wieder und drohet Gewalt und erhebt feindselige Waffen.
Circe sprengt ihr grauses Gemisch und die Säfte des Giftes;
Und mit der Nacht die Götter der Nacht aus der Höll' und dem Chaos
Ruft sie, und Hekate her mit magischem Jammergeheule.
Plötzlich entsprangen dem Ort, o Wundererscheinungen! Wälder:
Und laut stöhnte die Erd', in der Näh' erblaßten die Bäume;
Rings auch troffen die Kräuter gesprengt mit blutigen Tropfen;
Und es erhub das Gestein, so schien's, dumpfbrüllende Laute,
Und ein Gebell, wie der Hund'; es wühleten schwärzliche Nattern
Durch das Gefild' und es schwebte von luftigen Schemen der Toten.
Starr vor dem Scheusal staunen die Jünglinge; doch der Erstaunten
Wunderndes Antlitz berührt sie mit giftiger Rute des Zaubers.
Nach der Berührung umfliegt vielartigen Wildes Erscheinung
Allen die Männergestalt; kein einziger blieb unverwandelt.

Schon war Phöbus im Westen genaht dem tartessischen Ufer;
Und es erharrte daheim mit Herz und Augen vergebens
Canens ihrem Gemahl. Das Volk und die Diener durchlaufen
Wälder umher und Gebüsch', und tragen begegnende Fackeln.
Nicht ist der Nymphe genug, daß sie wein', und die Haare sich raufe,
Und sich zerschlage die Brust: zwar tut sie alles; doch plötzlich
Stürzt sie hervor, und durchirrt sinnlos die lateinischen Äcker.
Sechsmal schaute die Nacht, und sechsmal kehrend der Sonne
Leuchtendes Angesicht, wie, der Kost und des Schlafes entbehrend,
Jene durch Täler und Höh'n, wo der Zufall führte, daherging.
Endlich sah die Arme, vom Gram und Wege gemattet,
Tiberis, als sie den Leib hinstreckt' am kühlenden Ufer.
Dort mit Geseufz und Tränen den eigenen Jammer besingend,
Tönte sie wehmutsvoll sanftklagende Worte: wie manchmal
Trauergesäng' anstimmet der Schwan vor dem nahenden Tode.
Aber zuletzt vor Kummer im innersten Marke zerschmolzen,
Schwand sie dahin, allmählich in wehende Lüfte veratmend.
Dennoch zeichnet die Sage den Ort; denn es nannten ihn Canens
Nach dem Namen der Nymphe mit Fug die Camönen der Vorzeit.


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