Publius Ovidius Naso
Metamorphosen
Publius Ovidius Naso

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Aglauros

            Hochher schwang durch den Himmel Merkurius schwebende Flügel;
Auf die munychische Flur, und das Lieblingsland der Minerva
Schaut' er im Flug', und das Rebengehölz des geschmückten Lyzeums.
Und es geschah, daß heute, wie Sitte war, züchtige Jungfrauen
Auf schönlockigem Haupt in die festliche Burg der Minerva
Trugen die Heiligtümer in laubumwundenen Körben.
Dorther sahe sie kehren der fliegende Gott; und er steuert
Nicht mehr grade den Lauf, er kreist in der selbigen Krümmung.
Wie um das Fleisch des Altars ein raubbegieriger Weihe,
Scheu und verzagt, da gedrängt die Opferdiener umherstehn,
Rasch in die Runde sich dreht, und nicht sich weiter hinanwagt,
Sondern den Wunsch sehnsüchtig umfliegt mit geschwungenen Flügeln:
Also beuget den Lauf der behende Cyllnier ringsum
Über der attischen Burg, und wirbelt die selbigen Lüfte.

Wie mit hellerem Glanz vor den übrigen Sternen hervorscheint
Luzifer; wie noch heller, denn Luzifer, leuchtet der Vollmond:
So viel herrlicher ging vor allen erlesenen Jungfrauen
Herse, des festlichen Zugs und ihrer Gespielinnen Krone.
Jupiters Sohn erstaunte dem Reiz; und schwebend im Äther
Ward er entflammt, wie geschnellt aus balearischer Schleuder
Fliegt das gekugelte Blei, und erhitzt wird von der Bewegung,
Und nicht glühend zuvor, jetzt glutvoll zischt in den Wolken.
Sieh, er wendet die Fahrt, abwärts vom verlassenen Himmel.
Auch verstellt er sich nicht; der eigenen Bildung vertraut er.
Diese, wie sehr sie geziemt, erhöhet er dennoch mit Sorgfalt.
Glatt nun streicht er das Haar, und stellt, daß zierlich es hange,
Sich das Gewand, daß scheine der Bord und das goldene Stickwerk,
Daß ihm schlank in der Rechten der Stab sei, welcher den Schlummer
Lockt und verscheucht, daß glänze die Sohl' an sauberer Ferse.

Heimlich barg der Palast im Innersten drei der Gemächer,
Prangend mit Elfenbein und Schildpatt. Pandrosos wohnte
Rechts, und links Aglauros, es wohnt' in dem mittleren Herse.
Jene, die links anwohnte, bemerkt' des Merkurius Ankunft
Jetzo zuerst; und sie waget, den Gott, wie er heiße, zu fragen,
Und weswegen er komme. Worauf ihr der Enkel des Atlas
Und der Pleione sagt: Ich bin's, der die Worte des Vaters
Rings durch die Lüfte bestellt; mein Vater ist Jupiter selber.
Auch nicht Vorwand heuchel' ich dir. Nur sei du der Schwester
Treu, und meinem Geschlechte verschmäh' nicht Base zu heißen.
Herse gilt mein Besuch. Sei hold dem Liebenden, fleh' ich.

Doch ihn beschaut Aglauros mit jenen Augen, womit sie
Jüngst die verborgnen Geheimnisse sah der blonden Minerva.
Und sie verlangt, daß Gold von großem Gewicht ihr belohne
Solchen Dienst, und zwingt ihn indes aus dem Hause zu weichen.

Düster wandt' auf Aglauros den Blick die streitbare Göttin;
Und sie entzog dem Herzen so laut aufatmende Seufzer,
Daß die erhabene Brust, und über der Brust ihr die Ägis
Zitterte. Denn sie gedachte der Frevlerin, welche mit schnöder
Hand die Geheimniss' enthüllt', als einst des lemnischen Gottes
Mutterloses Geschlecht sie schauete gegen das Bündnis:
Und lieb sollte dem Gotte sie nun, lieb werden der Schwester?
Reich nun durch den Empfang des geizig geforderten Goldes?

Stracks, wo die Scheelsucht wohnt im finsteren Wust der Verwesung,
Eilet sie hin. Ihr Haus ist im untersten Tale des Orkus
Tief versteckt, unbesonnt, und nie vom Winde gelüftet,
Traurig und öd', und voll untätigen Frostes erstarrend,
Stets der Flamme beraubt, und stets von Dunkel umnachtet.

Als hierher sie gekommen, des Kriegs graundrohende Männin,
Steht vor dem Hause sie still (nicht ziemt es ihr, unter das Obdach
Einzugehn), und klopft mit der spitzigen Lanz' an die Pfosten.
Jetzt, wie die schütternde Pforte sich öffnete, sieht sie die Scheelsucht
Zehren am Natternfleische, der Kost des tückischen Herzens;
Von der gesehenen kehrt sie hinweg die Augen. Doch jene
Hebt sich faul von der Erd', und läßt die Leiber der Schlangen
Angenaget zurück, und schleppt schwerfällig den Fußtritt.
Als sie die Göttin erblickte, so schön von Gestalt und von Rüstung,
Seufzte sie tief, und verzog bei dem peinlichen Ächzen das Antlitz.
Blässe wohnt im Gesicht, und Magerkeit rings an den Gliedern.
Seitwärts schielet der Blick; gelb stehn voll Rostes die Zähne;
Grün ist von Galle die Brust, und von Gift umflossen die Zunge.
Niemals lacht sie, wo nicht gesehener Schmerz sie gekitzelt.
Nie auch genießt sie des Schlafs, von wachsamen Sorgen ermuntert,
Sondern sie schaut unlustig, und abgehagert vom Anschaun,
Menschenglück; und nagend an anderen, nagt sie zugleich sich,
Und wird Strafe sich selbst. Wie sehr ihr auch jene verhaßt war,
Dennoch redete so Tritonia flüchtige Worte:

Triff mit deiner Verwesung von Cekrops Töchtern mir eine,
(Solches ist not!) Aglauros genannt! Nicht mehreres redend,
Floh sie, und trieb die Erde zurück mit gestemmter Lanze.

Jene den Blick seitwärts auf die fliehende Göttin gedrehet,
Murmelte leise für sich; denn daß es gelang der Minerva,
Ärgerte sie. Und sie faßte den Stab, den Dornengewinde
Ganz umher einhüllt'; und bedeckt von düsteren Wolken,
Wo sie den Gang hinwendet, zermalmt sie blühende Felder,
Sengt sie verschrumpfendes Kraut, und verletzt die obersten Wipfel.
Rings mit verpestendem Hauch die Völker, die Städt' und die Häuser
Schändet sie; bis sie nunmehr die Burg der Tritonia schauet,
Prangend mit sinnigem Geist, Wohlfahrt und festlichem Frieden;
Und kaum hält sie die Tränen, da nichts zu betränen sich darbeut.

Gleich, wie sie dort ins Gemach der cekropischen Tochter hineinging,
Tut sie, was Pallas gebot, und berührt mit schwärzlichen Händen
Jener die Brust, und füllt mit stachlichten Dornen das Herz ihr;
Haucht dann hinein des Verderbs Abschaum, und durch die Gebeine
Strömet sie, schwärzer wie Pech, und tief in die Lungen, den Geifer.
Daß auch des Grams Ursachen nicht fernere Räume durchirren;
Stellt sie die Schwester Gestalt, und die selige Liebe der Schwester,
Ihr vor den Blick, und den Gott in wunderherrlicher Bildung;
Alles vergrößert sie noch: bis aufgereizet, Aglauros
Am stillnagenden Schmerz erkrankt, und ängstlich die Nächte,
Ängstlich die Tage verseufzt, und in langsam schmachtendem Elend
Hinschmilzt, so wie das Eis, von flüchtiger Sonne verwundet.
Und sie entbrennt nicht anders vom Wohl der glücklichen Herse,
Als wenn Glut in die Kräuter des Dorngefildes gelegt wird,
Welche nicht hell aufflammen, doch sanft verglimmen im Qualme.
Oftmal wünscht sie den Tod, um nichts desgleichen zu sehen;
Oft will sie's wie Verbrechen dem eifernden Vater erzählen.

Endlich, um abzuweisen den kommenden Gott aus der Wohnung,
Saß sie vorn auf der Schwell'; und wie sehr er schmeichelt' und flehte,
Und in dem freundlichsten Ton liebkosete: Endige! rief sie;
Nimmer scheid' ich von hier, bevor ich hinweg dich getrieben!
Wohl, der Vertrag soll gelten! so sprach der cyllenische Herold;
Und er entschloß mit dem Stabe die gemeißelte Pforte. Doch jene
Mühet sich aufzustehn; und es stockt ein jedes Gelenk ihr,
Welches der Sitzende beugt, unbewegt in lastender Trägheit.
Zwar sie ringet mit Macht, gerade den Rumpf zu erheben;
Aber den Knien erstarret der Bug, und über die Nägel
Gleitet der Frost; es erblassen, geleert von Blute, die Adern.
Und wie der Krebs ringsher, das unausheilbare Übel,
Kreucht, und beschädigten Teilen die unverletzten hinzufügt:
Also kam allmählich zur Brust der tödliche Winter,
Welcher die Lebensweg' und den hauchendem Atem dir einschloß.
Nicht versuchte sie irgendein Wort, noch, wenn sie versuchte,
Fände die Stimme noch Bahn; um den Hals schon herrschte der Felsen,
Steif war Mund und Gesicht, und blutlos saß sie, ein Bildnis.
Auch nicht weiß war der Stein; sie behielt die Schwärze des Geistes.


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