Publius Ovidius Naso
Metamorphosen
Publius Ovidius Naso

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Der Taucher

            Einst am kiesigen Strande beschäftiget, Fische zu fangen,
Sah ein bejahreter Greis wehklagende Halcyonen
Über die Flut hinschweben; und billigte sehr die zum Ende
Treu erhaltene Lieb' und Zärtlichkeit. Aber sein Nachbar,
Oder derselbe vielleicht: auch dieser da, sprach er, o Gastfreund,
Den du ins streifenden Fluge mit schmächtigen Beinen des Meer durch-
Flattern siehst (und er zeigte den langgehalseten Taucher),
Stammt aus Königesblut; und begehrst du die Folge der Abkunft
Vom uralten Geschlecht, so zählet er unter den Ahnherrn
Ilos, Assarakos auch und Jupiters Raub, Ganymedes,
Auch den grauen Beherrscher Laomedon und der mit Troja
Hinsank, Priamos auch. Von Hektor war er ein Bruder;
Und wenn nicht das Geschick ihn verwandelte früh in der Jugend,
O wer weiß, ob minder genannt er würde, denn Hektor,
Wenn gleich jenen gebar die erhabene Tochter des Dymas;
Und den Äsakos heimlich gebar am schattigen Ida
Alexirhoë, Tochter der zweigehörnten Granikos.

Äsakos haßte die Städt'; und entfernt vom Schimmer des Hofes
Liebt' er einsame Berg' und unehrsüchtige Felder;
Nie auch ging er zum Rate der Ilier, oder nur selten.
Doch nicht bäurisch und wild, noch unempfänglich der Liebe
War ihm das Herz. Einst jene, die oft er verfolgt in den Wäldern,
Schaut' er (Hesperie hieß sie) am heimischen Borde des Cebren,
Als die zerstreueten Haare sie trocknete gegen die Sonne.
Doch die gesehene Nymph' entflüchtete, wie vor dem falben
Wolf die erschrockene Hindin, und weit vom verlassenen Teiche
Unter dem stoßenden Habicht die Ent': ihr folgte der Troer
Ungestüm, der die Schnelle vor Angst schnell drängte vor Sehnsucht.

Sieh, in dem Kraute versteckt, die krummgezähnete Natter
Ritzt der Entfliehenden Fuß und hauchet ihr Gift in die Wunde.
Schnell ist gehemmt mit dem Leben die Flucht. Er umfaßt die Entseelte
Sinnlos: Ach! so ruft er, mich reut, mich reut die Verfolgung!
Doch nicht fürchtet' ich das; nicht galt so teuer der Sieg mir!
Beid' ermordeten wir dich Elende: Wund' hat die Schlange,
Ich Ursache verliehn! Ich wär' unholder denn jene,
Wenn nicht gleich mein Tod dir Linderung böte des Todes!

Sprach's, und vom Fels, den unten die brausende Woge zernaget,
Sprang er hinab in die Flut. Da nahm die Erbarmerin Tethys
Sanft den Fallenden auf; und dem Schwimmenden hüllte sie Federn
Über den Leib und entzog den Genuß des ersehneten Todes.
Aber der Liebende zürnt, mit Gewalt zum Leben genötigt,
Daß mißgönnt sei der Seele der Wunsch, aus der elenden Wohnung
Auszugehn: und empor mit neugeflügelten Schultern
Fliegt er und senkt von neuem den Leib auf die wallende Fläche.
Fittiche leichten den Fall: doch der wütende Äsakos stürzet
Über das Haupt in die Tief, und den Tod unablässig versucht er.
Magerkeit gab ihm die Lieb'; und langgeschenkelte Beine
Bleiben ihm, lang auch der Hals; lang raget das Haupt von dem Busen.
Meerflut liebt er, und heißt, weil er oft abtauchet, ein Taucher.


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