Publius Ovidius Naso
Metamorphosen
Publius Ovidius Naso

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Cëyx und Halcyone

            Cëyx, im Herzen geschreckt von graunweissagenden Wundern,
Wollt', um heilige Lose, der Sterblichen Trost, zu befragen,
Gehn zu dem klarischen Gott; denn den heiligen Tempel in Delphos
Hielt gesperrt mit dem Phlegyerschwarm der entweihende Phorbas.
Doch verkündet er dir, Halcyone, treuste Genossin,
Erst den gefaßten Entschluß. Und stracks in das innerste Leben
Drang ihr der schaudernde Frost; und gelbliche Blässe des Buxus
Deckt' ihr Gesicht; und Tränen entrolleten über die Wangen.
Dreimal begann sie zu reden, und dreimal band ihr die Zunge
Wehmut; und mit Geschluchz' abbrechend die zärtliche Klage:

Welche Verschuldung von mir hat, Trautester, sprach sie, das Herz dir
Abgewandt? wo bleibt nun die Sorge für mich, die zuvor war?
Sorglos kannst du nunmehr von Halcyone weit dich entfernen;
Lieb ist der längere Weg; und lieber ich selbst, je entfernter;
Landwärts geht die Reise vielleicht, und mich wird nur Betrübnis
Peinigen, nicht auch Furcht; und die Sorg' ist wenigstens angstlos!
Meerflut schreckt mir die Seel', und des Abgrunds trauriger Anblick!
Hab' ich doch jüngst am Gestade zertrümmerte Scheiter gesehen,
Und oft Namen gelesen auf Grabhöh'n ohne Gebeine!
Laß nicht falsches Vertraun dein kühnes Herz dir verleiten,
Daß du ein Eidam bist dem Äolus, welcher im Kerker
Zähmt die mutigen Wind', und das Meer nach Gefallen besänftigt;
Wann die entlassenen Wind' einmal sich bemächtigt des Meeres;
Nichts ist ihnen versagt, und unempfohlen das Erdreich
Ganz, und ganz das Gewässer; am Himmel auch schwingen sie Wolken,
Und in gewaltigen Stoß entschlagen sie rötliche Feuer.
Diese, je mehr ich sie kenn' (ich kenne sie; oft bei dem Vater
Sah ich als Kind sie im Hause), je mehr auch find' ich sie schrecklich!
Drum wenn deinen Entschluß kein Flehn und Bitten bewegen,
Teurer Gemahl, dir kann, und zu fest du beharrest im Wandern,
Nimm mich selber mit dir! Dann wogen wir doch in Gemeinschaft;
Dann bin ich, mitduldend, in Angst; dann tragen zugleich wir,
Was es auch sei; und zugleich durchfliegen wir weite Gewässer!

Durch dies tränende Wort der Äolerin fühlte bewegt sich
Ihr sternheller Gemahl; denn ihm glüht's nicht schwächer im Herzen.
Aber er will so wenig den Vorsatz brechen der Meerfahrt,
Als an seiner Gefahr der Halcyone lassen ein Anteil.
Viel antwortet er ihr, die bekümmerte Seele zu trösten.
Dennoch schafft er dem Tun nicht Billigung. Anderem Zuspruch
Füget er diesen hinzu, der allein die Liebende beuget:

Lang ist zwar ein jeder Verzug uns; aber ich schwöre
Bei des Erzeugers Glanz, wenn mich heimsendet das Schicksal,
Kehr' ich eher zurück, als zweimal der Mond sich gefüllet.

Als durch solches Erbieten der Rückkehr Hoffnung erregt war,
Heißt er die fichtene Barke sofort, von dem Stapel gezogen,
Tauchen in Flut, und drinnen befestigen ihre Gerätschaft.
Gleich bei des Schiffs Anblick, als ahne sie künftigen Jammer,
Schaudert Halcyone auf, und verströmt vordringende Tränen,
Schließt den Gemahl in die Arm', und kläglich, mit traurigem Antlitz
Saget sie: Lebe wohl! und sinkt ohnmächtig am Strande.

Aber die Jünglinge nun, da Cëyx Verweilungen suchet,
Ziehn in gedoppelten Reihn an die tapferen Brüste die Ruder;
Daß vom gemessenen Schlage das Meer schäumt. Jetzo erhebt sie
Feuchte Blick', und den stehenden dort auf der hintersten Wölbung,
Den mit erschütterter Hand ihr noch zuwinkenden Gatten,
Sieht sie zuerst, und erwidert den Wink. Als ferner und ferner
Wich das Gestad', und die Augen nicht mehr erkennen das Antlitz,
Folgt sie, so lange sie kann, mit dem Blick der entziehenden Barke.
Als auch diese nunmehr im trennenden Raume verschwindet,
Schauet sie doch die Segel, die flatterten oben am Mastbaum.
Wie auch die Segel entflohn, nun sucht sie das einsame Lager
Bang', und sinkt auf das Bett; er erneut der Halcyone Tränen
Lager und Ehegemach, und mahnt sie des fehlenden Mannes.

Jen' entglitten dem Hafen; es regt' ein Lüftchen die Seile:
Gegen den Bord nun füget die hängenden Ruder der Seemann,
Stellt die Rahen am Topp in die Quer', und breitet am Mastbaum
Ganz die Segel herab, und empfäht nachwehende Lüfte.
Weniger, oder gewiß nicht mehr denn die Hälfte des Meeres
Ward von dem Kiele gefurcht, und fern war beiderlei Ufer:
Als von geschwollenen Wogen die Meerflut gegen den Abend
Weiß ward, und mit Gewalt herschnob der stürzende Eurus.
Rasch mir heruntergesenkt von des Mastbaums Höhe die Rahen!
Ruft der Pilot; und das Segel mir ganz um die Stangen gewickelt!
Dieser gebeut; doch es wehrt das Gebot der begegnende Windstoß;
Und kein Wort läßt hören der brausende Hall der Gewässer.
Aber sie eilen von selbst, dort einzunehmen die Ruder,
Dort zu schirmen den Bord; hier raubt man dem Winde die Segel;
Hier wird geschöpft, und gegossen die Meerflut wieder in Meerflut;
Dort wird die Stange gerafft. Da gesetzlos solches getan wird,
Wächst noch rauher der Sturm, und ringsher toben die Winde
Trotzig mit Winden im Kampf, daß zerwühlt aufraset der Abgrund.
Selber verzagt der Ordner des Schiffs, und selber bekennt er,
Nicht, wie es stehe, zu wissen; noch was er befehl' und verbiete:
So schwer lastet das Übel, und trotzet der Kunst und Erfahrung.
Denn es erschallt vom Geschrei das Volk, vom Gerassel das Tauwerk,
Von anprallender Woge die Wog' und vom Donner der Äther.
Hoch erhebet den Schwall, und den Himmel sogar zu erreichen
Scheint das Meer, und zu rühren das dunkle Gewölk mit Bespritzung:
Bald, wenn es gelblichen Sand auffegt aus dem untersten Abgrund,
Ist es gefärbt wie der Sand; bald schwarz wie die stygische Woge.
Wieder senkt es sich dann und erschallt mit weißlichem Schaume.
Gleich so fliegt abwechselnd im Sturm das trachinische Fahrzeug
Bald nun emporgehoben, wie hoch von dem Gipfel des Berges,
Scheint es in Täler hinab und des Acherons Tiefen zu schauen:
Bald, wann es nieder sich senkt in der krumm herhangenden Brandung,
Scheint es vom untersten Strudel emporzuschauen gen Himmel.
Oftmal dröhnet der Bord von der schlagenden Flut mit Gekrach auf,
Und nicht schwächer erschallt's, als wenn ein eisernes Widder
Dumpf die zerfallende Feste bestürmt und ein schleuderndes Felsstück.
Und wie der wütende Löwe die Kraft vermehrend im Anlauf,
Gegen die Wehr mit der Brust und empfangende Spieße hinandringt:
Also, nachdem in den Winden die Flut sich beschleunigte, drang sie
Gegen die Wehren des Schiffs und stieg viel höher denn jene.
Und schon wackeln die Keil', und beraubt des deckenden Wachses
Gähnet die Spalt', und öffnet die Bahn todbringenden Wassern.
Sieh, auch ein prasselnder Regen entstürzt den gelöseten Wolken.
Wähnet man doch, daß ganz in das Meer absteige der Himmel,
Und in die himmlischen Höh'n mit dem Schwall aufsteige der Abgrund.
Naß sind die Segel vom Guß; und zugleich mit den himmlischen Wassern
Mischen sich Wasser des Meers; und ohne Gestirn ist der Äther.
Blinde Nacht wird gedrängt von des Sturms und dem eigenen Dunkel.
Dennoch zerstreun dies Dunkel mit zuckender Helle des Blitzes
Leuchtungen; und es entbrennen von Donnerglut die Gewässer.

Jetzo schwinget den Sprung in des Schiffraums hohle Verbindung
Türmende Flut. Wie ein Krieger, der weit vorragt aus der Menge,
Wann schon oft an den Wall der verteidigten Stadt er hinansprang,
Endlich die Hoffnung erlangt und entbrannt in Begierde des Ruhmes
Dennoch die Mauer gewinnt, er unter den Tausenden einer:
Also, da wildes Gewog' aufschlug um die Höhen des Bordes,
Hebt sich mit ungeheurer Gewalt die zehente Welle;
Und nicht stehet sie ab, das ermattete Schiff zu bekämpfen,
Ehe sie über den Wall des eroberten Schiffes hereinsteigt.
Noch versuchte des Meers ein Teil in die Barke zu stürmen;
Teils war es drinnen bereits: und nicht weniger zittern sie alle,
Alsdann zittert die Stadt, wann andere draußen die Mauer
Graben, und andere drinnen bereits einnahmen die Mauer.
Nichts schafft Kunst; und es sinket der Mut; und so viele der Wellen
Kommen, so viel' auch scheinen hereinzubrechen der Tode.

Dieser weint; der staunt wie erstarrt; der preiset sie glücklich,
Welche das Grab aufnimmt; der fleht mit Gelübden der Gottheit;
Streckend umsonst die Arme zum nicht gesehenen Himmel,
Ringt er um Schutz; der denkt an die Brüder daheim und den Vater,
Dieser an Weib und Kinder, und was ein jeder zurückließ.
Cëyx denkt an Halcyone nur; aus dem Munde des Cëyx
Tönt nur Halcyone auf; und wiewohl nach der Einzigen schmachtend,
Freut er sich ihrer Entfernung. Zum heimischen Ufer auch möcht' er
Umschaun und nach dem Hause zuletzt noch wenden das Antlitz;
Nicht, wo es sei, weiß jener: in so hochstrudelndem Aufruhr
Brauset das Meer; in das Dunkel der pechschwarz hängenden Wolken
Hüllet der Himmel sich ganz, und es herrscht das gedoppelte Nachtgraun.

Krachend zerbricht von dem Prall platzregnender Wirbel der Mastbaum,
Krachend das Steuer zugleich; und stolz auf die Beute sich hebend,
Schauet die Wog' als Siegerin her auf gewölbete Wogen.
Leichter nicht, wie wenn einer den aufgerütteten Athos
Schleuderte oder des Pindus Gebirg' in die offene Meerflut,
Platzt sie von oben herab; und zugleich durch Last und den Anstoß
Senkt sie zum Grunde das Schiff. Ein Teil der Männer versinket,
Unter den Strudel gezwängt, und erreicht, nicht wieder enttauchend,
Gleich sein Geschick. Ein anderer hält des verstümmelten Wrackes
Glieder umarmt. Selbst hält in der Hand, der den Zepter geführet,
Cëyx getrümmerte Scheiter des Rumpfs; und Schwäher und Vater
Rufet er, ach! umsonst. Doch zumeist in des Schwimmenden Munde
Ist Halcyone stets; Halcyone denkt er und nennt er.
Daß vor Halcyones Augen die Flut ihm spüle den Leichnam,
Wünscht er, und daß den Entseelten befreundete Hände bestatten.
Während er schwimmt, so oft ihm zu atmen vergönnt das Gewoge,
Ruft er Halcyone aus; es verhallt in der Flut das Gemurmel.
Schau, der düstere Bogen, der grade sich über den Fluten
Wölbte, zerplatzt und verschüttet sein Haupt im zerschelleten Wasser.
Eingehüllt in Dunkel erschien und ganz unerkennbar
Lucifer jene Nacht; und weil von Olympus zu weichen
Nicht er vermocht', umzog er mit finsteren Wolken das Antlitz.

Äolus' Tochter indes, noch ganz unkundig des Jammers,
Zählt die Nächte für sich und fleißiger schon die Gewande,
Die der Gemahl anleg', und die, wann jener gekommen,
Selber sie trag', und freut sich voraus der eitelen Heimkehr.
Alle die Oberen zwar verehrte sie immer mit Weihrauch;
Dennoch pflegte sie mehr der Juno Tempel zu feiern.
Für den Gemahl, ach! naht sie, der nicht mehr war, den Altären:
Daß er gesund ihr bleib', und darf heimkehre der Gatte,
Fleht sie, und daß er keine der Frau vorziehe. Doch jener
Wurde von so viel Wünschen allein nur dieser gewähret.

Nicht mehr duldet die Göttin das Flehn für einen Gestorbnen;
Und um trauernde Hände von ihrem Altar zu entfernen;
Iris, sagt sie, du treuste Verkünderin meines Befehles,
Eil' und besuche den Hof des schlummerbringenden Schlafes,
Daß er Träum' in Gestalt des abgeschiedenen Cëyx
Zur Halcyone sende, das wahre Geschick zu erzählen.

Juno sprach's; in Gewande von tausend Farben verhüllt sich
Iris, und zeichnend am Himmel den weitgewölbeten Bogen,
Eilet sie, nach dem Gebot, zu des Königes Felsenbehausung.

Nächst den Cimmeriern ist die lang eingehende Steinkluft
Tief in dem Berg, wo hauset der unbetriebsame Schlafgott.
Nimmer erreicht, aufgehend, am Mittag, oder sich senkend,
Phöbus mit Strahlen den Ort. Ein matt umdüsternder Nebel
Haucht vom Boden empor und Dämmerung zweifelnden Lichtes.
Kein wachhaltender Vogel mit purpurkammigem Antlitz
Kräht die Aurora herauf; auch stört durch Laute die Stille
Kein sorgfältiger Hund, noch die aufmerksamere Hofgans.
Weder Gewild, noch Vieh, noch von Luft geregete Zweige,
Geben Geräusch, noch Rede, von menschlichen Zungen gewechselt.
Stumm dort wohnet die Ruh'. Doch hervor am Fuße des Felsens
Rinnt ein lethäischer Bach, durch den mit leisem Gemurmel
Über die Kieselchen rauscht die sanft einschläfernde Welle.
Rings um die Pforte der Kluft sind wuchernde Blumen des Mohnes,
Und unzählbare Kräuter, woraus sich Milch zur Betäubung
Sammelt die Nacht und tauig die dumpfigen Lande besprenget.
Keine knarrende Tür' auf umgedreheter Angel
Ist in dem ganzen Haus, und keine Hut an der Schwelle.
Tief im Gemach ist ein Lager, erhöht auf des Ebenus Schwärze,
Dunsend von bräunlichem Flaum, und mit bräunlicher Hülle bedecket,
Wo sich der Gott ausdehnet, gelöst von Ermattung die Glieder.
Rings um jenen zerstreut in vielfach gaukelnder Bildung,
Liegen die luftigen Träume, so viel, als Ähren das Kornfeld,
Als Laub träget der Wald und gespületen Sand das Gestade.

Wie sie die Grotte betrat und die sperrenden Träume die Jungfrau
Weg mit den Händen gedrängt, da erhellte der Glanz des Gewandes
Schnell das heilige Haus; und der Gott, der in lastender Trägheit
Kaum die Augen erhob, und zurück und von neuem zurücksank,
Und mit nickendem Kinn die obere Brust sich berührte,
Schüttelt sich nun aus sich selber hervor und auf stützendem Arme
Fraget er, die er erkannt, warum sie komme. Doch Iris:

Schlaf, du Ruhe der Wesen, o Schlaf, huldreichster der Götter,
Friede dem Geist, der du Sorgen verbannst und ermüdete Herzen
Nach des Tages Geschäft einwiegst und erneuest zur Arbeit.
Laß doch Träume, die wahrer Gestalt Nachahmungen gaukeln,
Nach der herkulischen Trachin, gehüllt in des Königes Bildung,
Zur Halcyone gehn, und genau darstellen den Schiffbruch.
Das ist der Juno Gebot. – Da den Auftrag Iris vollendet,
Eilt sie hinweg; denn sie konnte nicht mehr ausdulden des Qualmes
Taumelkraft; und sobald sie den Schlaf auf die Füße geglitten
Schauete, geht sie zurück auf dem jüngst bewanderten Bogen.

Aber der Vater, im Schwarme von Tausenden, die er gezeuget,
Rufet hervor den Künstler und Ähnlicher aller Gestaltung,
Morpheus. Nicht ist einer gewitzigter, nach dem Gebote
Auszudrücken den Gang, die Gebärd' und die Weise des Redens;
Kleidungen fügt er hinzu und die üblichsten Worte von jedem.
Nur in Gestalt der Menschen erscheint er. Aber der andre
Wird zu Gewild, wird Vogel und wird langrollende Schlange.
Ikelos nennen ihn Götter, die Sterblichen alle Phobetor.
Noch ist dort ein Dritter von ganz verschiedenen Gaben,
Phantasos, welcher in Land, in Gestein, in Wasser, in Balken
Und was der Seel' entbehrt, mit glücklicher Leichtigkeit eingeht.
Diese zeigen ihr Antlitz den Königen und den Gebietern
Häufig bei Nacht, weil andre das Volk und die Bürger umschwärmen.
Doch sie geht der Alte vorbei, und aus allen Gebrüdern
Morpheus allein, zu vollenden das Wort der thaumantischen Iris,
Wählt er, der Schlaf. Dann wieder gelöst von sanfter Ermattung,
Legt er nieder das Haupt und birgt es im schwellenden Polster,

Jener entfliegt im Wehn der geräuschlos gleitenden Flügel
Durch die Nacht; und sogleich in mäßiger Weile gelangt er
Zur hämonischen Stadt; mit abgelegeten Schwingen
Nimmt er des Cëyx Gestalt, und unter geähnlichter Bildung,
Totenblaß, dem Entseeleten gleich, ohn' alle Gewande,
Steht er am Bette der armen Halcyone. Naß von der Welle
Scheinet der Bart und triefend das Haar des Gemahles zu rieseln.
Über das Lager geneigt und in Wehmut badend das Antlitz
Saget er: Kennst du den Cëyx annoch, elendeste Gattin?
Oder verwandelte Tod die Gestalt mir? Schaue; du kennst mich!
Wenigstens findest du doch für den Mann den Schatten des Mannes!
Nichts, ach! fruchteten mir, Halcyone, deine Gelübde!
Tot bin ich! Nicht schmeichle dir falsch mit meiner Erhaltung!
Auf dem Ägäischen Meer ergriff ein wolkiger Südwind
Unsere Bark' und warf sie in heftigem Sturm und zerbrach sie.
Meinen Mund, der umsonst den Namen Halcyone ausrief,
Füllte die salzige Flut. Nicht meldet dir das ein Verkünder
Wankenden Scheins, nicht hörst du die unstet flatternde Sage.
Ich Schiffbrüchiger selbst erzähle dir hier mein Verhängnis.
Auf denn, weihe mir Tränen und lege dir Trauergewand an;
Laß nicht unbeweint in des Tartarus Öde mich wandern!

Morpheus fügt zu den Worten den Laut, den für des Gemahles
Eigenen jene vernimmt; auch wirkliche Tränen zu weinen
Scheint er und gibt der Hände Bewegungen völlig wie Cëyx.
Tränend schluchzt Halcyone auf und strecket die Arme
Zitternd im Schlaf; und suchend den Mann, umschlinget sie Lüfte:
Bleib! wo eilest du hin? so rufet sie: laß uns zugleich gehn!
Aufgestört durch eigene Stimm' und des Mannes Erscheinung
Fährt sie empor und schauet zuerst ringsum, ob er da sei,
Welchen sie eben gesehn. Denn herbeigerufene Diener
Hatten ein Licht ihr gebracht. Nachdem sie nirgend ihn auffand,
Schlägt sie das Haupt mit der Hand und zerreißt an der Brust die Gewande,
Wütet auch gegen die Brust; und das Haar, nicht achtend zu lösen,
Rauft sie; der Pflegerin dann, die des Grams Ursache sie fraget:
Hin ist Halcyone, hin! antwortet sie: nieder mit ihrem
Cëyx sank sie zugleich! O hinweg mit der eitelen Tröstung!
Nein, er versank mit dem Schiff! Ich sah und erkannte sein Antlitz,
Und zu dem Scheidenden streckt' ich, ihn aufzuhalten, die Händ' aus!
Schatten war's; doch deutlich war selbst der Schatten und wahrhaft
Meines Gemahls! Zwar hatte, wofern du fragst, die Erscheinung
Nicht die gewöhnliche Mien' und das vormals glänzende Antlitz.
Abgebleicht und entblößt und noch mit triefendem Haupthaar
Sah ich Verlorne den Mann! Hier stand er in kläglichem Ansehn,
Hier auf der Stell'! – Und sie forschet, ob einige Spuren geblieben.
Dies, dies war's, was ich fürchtet' im ahnenden Geist und warum ich,
Daß er doch nicht, mich fliehend, dem Sturm nachfolget', ihm anlag!
Wenigstens wünscht' ich nunmehr, da du doch zum Sterben hinweggingst,
Daß du mich selber geführt! Vereint dir, Trauter, vereint dir,
Ging ich beglückt! Dann wäre doch nichts von den Tagen des Lebens
Ohne dich mehr verlebt, noch gesondert der Tod uns erschienen!
Fern jetzt leid' ich den Tod, fern treib' ich umher im Gewoge;
Denn du flutest, mein Ich, du mein edleres! Grausamer wär' ich
Selbst wie die Woge gesinnt, wenn hinfort ich das Leben zu fristen
Strebte, wenn nachzubleiben so großem Jammer ich ränge!
Aber ich will nicht ringen, noch dich, du Armer, verlassen!
Nein, dir sei ich doch jetzo Begleiterin! und in dem Grabmal
Soll, wenn nicht die Urne, gewiß uns vereinen der Buchstab;
Wenn nicht unser Gebein, soll Nam' und Name sich rühren!

Mehreres hemmet der Schmerz; zu jeglichem Worte gesellt sich
Schlag auf Schlag, und aus starrender Brust aufhebendes Seufzen.

Morgen war's; sie geht aus dem Haus an des Meeres Gestade
Traurig den Ort zu besuchen, woher sie dem Fahrenden nachsah.
Während sie dort verweilt' und: Ach! hier löst' er die Seile!
Hier am Gestad' empfing ich den Kuß des Scheidenden! sagte;
Während sie, was auch geschehn, mit dem Blick auffrischt', und ins Meer hin
Schaute, sieh, in der Ferne der flüssigen Wellen erscheint ihr
Etwas wie menschlicher Leib von Gestalt. Erst blieb, was es wäre,
Zweifelhaft ein wenig. Sobald es die Woge herantrug,
Und, obgleich noch entfernt, doch ein Leib zu sein es erhellte;
Wurde sie, ohn' ihn zu kennen, bewegt von dem Bilde des Schiffbruchs;
Und, als ob sie den Fremden beweinete: Wehe dir, rief sie,
Wer du auch seist, und daheim der Verwitweten! Näher geflutet
Kommt allmählich der Leib; und je mehr ihn jene betrachtet,
Schwinden je mehr und mehr die Gedanken ihr. Schon ihn getrieben
Gegen das nähere Land, und schon erkennbar dem Anblick,
Schaut sie; es war der Gemahl. Er ist's! ruft jene, zerreißend
Antlitz und Haar' und Gewande zugleich; und gegen den Cëyx
Zitternde Hände gestreckt: So kehrest du, trautester Gatte,
So zu mir, o du Armer, zurück? – Hart zwängt die Gewässer,
Künstlich geordnet, ein Damm, der den Zorn des kommenden Meeres
Bricht im Empfang und die Stürme zuvor abmattet den Wogen.
Hier sprang jene hinauf, und, o Kraft der Wunder! sie flog auf.
Schlagend die wehende Luft mit eben entsprossenen Flügeln,
Streifte sie über die Flut, ein bejammernswürdiger Vogel;
Und in dem Fluge zugleich, wie wehmutsvoll und beklagend,
Girrt ihr Mund ein helles Getön, mit dem Schnäbelchen klappernd.
Doch wie den Leib sie berührte, der stumm aufwallet' und blutlos,
Jetzt um die teuersten Glieder geschmiegt mit junger Beflüglung,
Gab sie umsonst, ach! kalt, mit hartem Schnabel, ihm Küsse.
Ob dies Cëyx gefühlt, ob das Haupt in der Wellen Bewegung
Er zu heben geschienen, bezweifelten alle. Doch jener
Hatt' es gefühlt. Und zuletzt, durch Gnade des Himmlischen, nehmen
Beide der Vögel Gestalt. Beherrscht von demselbigen Schicksal
Dauerte jetzo die Lieb', und nimmer getrennt auch den Vögeln
Blieb der ehliche Bund. Die Vermähleten werden Erzeuger;
Und in der winternden Zeit durch sieben geruhige Tage
Brütet Halcyone still im schwebenden Nest auf den Wassern.
Dann ist sicher die Fahrt; dann hemmt die Winde vom Ausgang
Äolus, schützend die Flut, und schafft Meerstille den Enkeln.


 << zurück weiter >>