Publius Ovidius Naso
Metamorphosen
Publius Ovidius Naso

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Io

            Einen hämonischen Hain, dem ringsher starret ein Bergwald,
Nennt man tempische Tale: wodurch Peneos, vom untern
Pindus hervorgestürzt, mit schaumigen Wogen einherrollt,
Und in gewaltigem Fall von flüchtigen Dämpfen umwallte
Wolken zusammenzieht, und hoch mit Bespritzung die Wälder
Übertaut, mit Getöse nicht bloß das Nähere müdend.
Hier ist Wohnung und Sitz, hier stehn die Gemächer dem großen
Stromgott: hausend allhier in der felsgewölbeten Grotte,
Gab er den Wogen Gesetz, und dem Nymphengeschlecht in den Wogen.

Dorthin kamen zuerst die versammelten Ströme des Landes,
Zweifelnd, ob Trost sie dem Vater, ob Glückwunsch, brächten um Daphne:
Dort Spercheos in Pappeln, und dort der Stürmer Enipeus,
Greisend Apidanos auch, und sanft Amphrysos und Äas;
Bald auch andere Ströme, die, wo sie das wilde Gelust trug,
Niederlenken ins Meer die der Windungen müden Gewässer.

Inachus fehlet allein. Denn tief in der Grotte verborgen,
Mehrt er mit Tränen die Flut: voll Schmerz, als eine Verlorne,
Klaget er Io, die Tochter. Er weiß nicht, ob sie noch lebe,
Ob bei den Manen sie sei. Doch sie, die er nirgendwo findet,
Scheint ihm nirgend zu sein; und er hegt nur düstere Ahnung.

Jupiter schaute jüngst, wie zurück vom Strome des Vaters
Io ging, und: o Mädchen, die, Jupiters würdig, ich weiß nicht,
Welchen Gemahl beseligen wird, komm, sprach er, zum Schatten
Jenes erhabenen Hains (und er wies den Schatten des Haines),
Während der Glut, die Sol von der Mittagshöhe daherstrahlt.
Wenn du zagest allein in die Lager zu gehn des Gewildes;
Sicher geleitet ein Gott dich tief ins geheimere Dunkel:
Und kein niedriger Gott; nein, der den Zepter des Himmels
Hält in gewaltiger Hand, der schlängelnde Strahlen entsendet.
Fliehe mich nicht! Denn sie floh. Schon Lernas grasige Weiden
Ließ sie zurück, und die Felder des baumbepflanzten Lyrkeos,
Siehe, da hüllte der Gott in umzogene Nacht die Gefilde
Weit umher, und hemmte die Flucht, und beschämte die Jungfrau.

Grad indessen herab auf die Gegenden schauete Juno.
Voll Verwunderung nun, wie aus flüchtigem Nebel gedrängt sei
Dunkele Nacht in der Helle des Tages, erkennet sie deutlich,
Daß kein Fluß das Gedünst, kein sumpfiges Land es gesendet.
Und, wo ihr Ehegenoß sich beschäftige, spähet sie ringsum,
Weil sie die Schliche verstand des oft ertappten Gemahles.
Als sie nirgend im Himmel ihn schauete: Trügt mich nicht alles,
Sprach sie, so werd' ich gekränkt! und im Schwung aus der Höhe des Äthers
Fuhr sie zur Erde hinab, und ein Wort verscheuchte den Nebel.
Ahnend der Gattin Besuch, verwandelte Jupiter plötzlich
Zur hellschimmernden Starke die inachidische Jungfrau.
Auch als Kuh ist jene noch schön. Saturnia lobet,
Ungern zwar, die Gestalt, und fragt, unkundig zum Anschein,
Wessen sie sei, und woher, und zu welcherlei Trift sie gehöre?
Aus der Erde gezeugt! lügt Jupiter, daß die Erkundung
Endige. Schenke sie mir! antwortet Saturnia schmeichelnd.
Was zu tun? Die Geliebte hinwegzuschenken, wie grausam!
Nicht zu verleihn, wie verdächtig! Ihn drängt zuratende Scham hier,
Dort abratende Liebe. Die Scham zwar wiche der Liebe:
Doch würd' ein leichtes Geschenk der Genossin des Stamms und des Lagers,
Eine Kuh, ihr versagt; nicht Kuh dann möchte sie scheinen.

Juno empfing die schöne Verführerin; dennoch entschwand nicht
Ganz ihr die Furcht; sie besorgte von Jupiter heimliche Tücke:
Bis sie Arestors Sohne die Hut vertraute, dem Argos.
Rings war das Haupt dem Argos mit hundert Augen erleuchtet,
Deren zween umeinander die wechselnde Ruhe genossen;
Wachsam spähten indes die übrigen, haltend die Obhut.
Wie er auch immer sich stellt', er schauete immer auf Io;
Und vor den Augen erschien, auch selbst dem Gewendeten, Io.
Weiden läßt er sie tags; doch sinkt die Sonne vom Himmel,
Schließt er sie ein, und fügt unwürdige Band' um den Nacken.
Sprossen des Erdbeerbaums und bittere Kräuter genießt sie;
Statt der schwellenden Lager, ein oft nicht grasiger Boden,
Dient der Armen zur Ruh'; und sie trinkt aus schlammigen Bächen.
Wann sie flehend die Händ' emporzustrecken zum Argos
Trachtete, hatte sie nicht emporzustreckende Hände;
Und wann Klagen ihr Mund anstimmete, scholl ein Gebrüll auf;
Und sie erschrak dem Getön, vor dem eigenen Laute sich fürchtend.

Jetzo kam sie zum Ufer, wo oft zu spielen sie pflegte,
Zum inachischen Ufer: sobald in der Flut sie die neuen
Hörner gesehn, da erschrak sie, und zuckte bestürzt vor sich selber.
Keine Najad' erkennt, nicht Inachus selber erkennt sie;
Dennoch folgt dem Vater sie nach, und folget den Schwestern,
Läßt sich auch gern anfühlen, und kommt den bewundernden näher.
Inachus reicht ihr gerupfetes Gras, der altende Stromgott;
Jene leckt ihn am Knöchel, und küßt die Hände des Vaters.
Kaum auch hält sie die Trän', und wenn die Worte nur folgten,
Ach, so flehte sie Hilf', und meldete Namen und Schicksal.
Aber ein sprechender Zug, den der Fuß im Staube gezeichnet,
Gab die traurige Kunde des umgewandelten Leibes.

Weh mir Armen, o weh! ruft Inachus; und an den Hörnern
Hangend der seufzenden Kuh, ihr den schneeigen Nacken umschlingend:
Weh mir! erneut er den Ruf. Bist du's, die in allen Gefilden,
Trautes Kind, ich gesucht? O du Nichtgefundene warst mir
Weniger Gram, denn entdeckt! Du schweigst, und versagest die Antwort
Unserem Wort; nur Seufzer, gepreßt aus der Tiefe des Herzens,
Gibst du, und, was du vermagst, dem Redenden brummst du entgegen!
Ich Unwissender sorgte für Hochzeitkammer und Brautkien,
Hoffend von dir den Eidam zuerst, dann blühende Enkel!
Jetzt von der Herd' ist ein Mann, von der Herd' ein Geschlecht dir beschieden?
Auch nicht endigen darf ich durch Tod mein Leiden; zum Unheil
Bin ich unsterblicher Gott! die verschlossene Pforte des Todes
Dehnt von Ewigkeit uns zu Ewigkeit dauernden Jammer!

So wehklaget der Greis; da entfernt ihn der funkelnde Argos,
Reißt von dem Vater sein Kind, und hinweg in entlegene Weiden
Schleppt er sie. Selber sodann abwärts auf ragendem Berghaupt
Wählt er den Ort, wo er sitzend die Gegenden alle durchspähet.

Jupiter, der nicht länger die Qual der phoronischen Jungfrau
Duldete, rief nun den Sohn, den ihm die helle Plejade
Einst gebar, und befahl, durch Mord zu vertilgen den Argos.
Ohne Verzug ist die Fers' ihm gefittichet, und in der Rechten
Sein schlafbringender Stab, und der schirmende Hut um die Haare.
Als er solches vollbracht, sprang Jupiters Sohn von des Vaters
Burg zu der Erde hinab. Dort legt' er den schirmenden Hut ab,
Auch die Flügel entfernt' er, und trug nur den Stab in den Händen.
Hiermit treibt er als Hirt durch wildernde Fluren die Ziegen,
Die er im Kommen geraubt, und bläst die geordneten Halme.

Zauberisch klang das neue Getön dem Junonischen Hüter:
Wer du auch seist, rief Argos, du könntest mit mir auf dem Felsen
Wohl ein weniges ruhn; denn üppiger wächst für die Herde
Nirgend das Gras; und den Hirten erfreut, wie du siehst, die Umschattung.

Neben ihm saß der atlantische Gott; durch mancherlei Reden
Hielt er den gehenden Tag; und die wohlvereinigten Rohre
Blasend, versucht er in Schlaf die bewachenden Augen zu tönen.
Jener sträubt sich indes dem sanfteinwiegenden Schlummer,
Und, wenn schon in Betäubung ein Teil der Augen dahinsank,
Wacht doch der andere Teil. Auch fraget er, denn die Syringe
War erst neulich entdeckt, auf welcherlei Art sie entdeckt sei.

Drauf erzählte der Gott: In Arkadiens kalten Gebirgen
War die berühmteste einst der nonakrischen Hamadryaden
Eine Najad' an Gestalt; die anderen nannten sie Syrinx.
Oft vereitelte sie nachstellender Satyre Hoffnung,
Und was sonst für Götter im schattigen Wald und im Fruchtfeld
Wohnen. Sie dienete treu der ortygischen Göttin mit Jagdlust
Und jungfräulichem Sinn. Auch geschürzt nach der Weise Dianas,
Täuschte sie leicht, und gölte sogar für Latonia, wenn nicht
Diese von Horn ein Geschoß, nicht jen' ein goldenes trüge.
So auch täuschte sie noch. Als einst vom Lykäus sie heimging,
Schauet sie Pan, und das Haupt mit stachlichter Fichte gegürtet,
Redet er. – Überig war, die geredeten Worte zu melden;
Und wie verachtend die Nymph' unwegsame Wüsten hindurchfloh,
Bis zum ruhigen Strom des sandigen Ladon sie endlich
Flüchtete, und, als dort ihr den Lauf abschnitten die Wasser,
Um Verwandelung bat die lauteren Schwesternajaden;
Und wie Pan, da er eben gehascht nun glaubte die Syrinx,
Statt der blühenden Nymphe das Rohr umarmte des Sumpfes;
Und, weil seufzend er stand, wie die wallenden Wind' in dem Rohre
Leises Geflüster erregt, der lispelnden Klage nicht ungleich;
Dann wie der Gott im Entzücken der neuerfundenen Tonkunst:
Diese Vereinigung soll mit dir mir bleiben! gesaget,
Und wie so, durch bindendes Wachs abstufende Rohre,
Wohl aneinander gereiht, des Mägdeleins Namen behielten.
Solches zu melden bereit, sah schon der Cyllenier sämtlich
Hingesunken die Augen, und tief umschattet von Schlummer.
Plötzlich hemmt er die Stimm', und kräftiger jene Betäubung,
Sanft mit zaubrischem Stabe die schmachtenden Augen berührend.
Rasch den Nickenden haut er mit sichelförmigem Säbel,
Dort wo dem Hals angrenzet das Haupt; und den Blutenden stürzt er
Nieder vom Fels, und rötet die zackige Klippe hinunter.

Argos, du ruhst, und das Licht, das so vielfach leuchtend dir strahlte,
Ward gelöscht; und zugleich die hundert Augen umhüllt Nacht.
Aber sie nimmt, und verschont dem Lieblingsvogel die Federn,
Juno, den Schweif anfüllend mit farbiger Steine Gefunkel.

Schleunig entbrannt' ihr das Herz, und sie eilte den Zorn zu vollenden.
Schweben vor Augen und Geist die Schreckengestalt der Erinnys
Hieß sie dem Mädchen von Argos, und drängt ihr Stacheln des Wahnsinns
Tief in die Brust, und scheuchte sie wild durch die Lande der Welt hin.
Du warst übrig zuletzt dem unendlichen Leiden, o Nilus.
Als sie auch diesen berührt', und matt an dem Borde des Ufers
Sank, die Kniee gebeugt, und, rückwärts hebend den Nacken,
Was allein sie vermochte, das Antlitz streckte zum Himmel,
Und mit Geseufz und Tränen und dumpf aufbrummender Wehmut
Jupiters Härt' anklagt', und ein End' erflehte des Jammers;
Jetzo seiner Gemahlin den Hals mit den Armen umschlingend,
Bittet er, daß sie die Strafe doch endige: Und für die Zukunft,
Saget er, zähme die Furcht: nie wird Ursache des Schmerzes
Jene dir sein; dies höre die Flut des stygischen Sumpfes!

Völlig gesühnt ist die Göttin; da kehrt in die vorige Bildung
Io, und wird, was sie war. Es entfliehn von dem Leibe die Zotten;
Mählich verwächst das Gehörn; dem Auge wird enger die Rundung;
Menschlicher zieht sich der Rachen; verjüngt blühn Schultern und Hände;
Und es zerspaltet die Klau' in fünf auslaufende Zehen.
Nichts von der Kuh ist übrig an ihr, die weiße Gestalt nur.
O wie vergnügt die Nymphe mit zwei aufstrebenden Füßen
Jetzo sich hebt, doch zu reden noch zagt, daß Rindergebrüll nicht
Schalle: vor Furcht abbrechend das Wort, und wieder versuchend!
Hoch nun prangt sie als Göttin im Volk leintragender Männer.


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