Publius Ovidius Naso
Metamorphosen
Publius Ovidius Naso

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Der Rabe und die Krähe

            Vormals weißer wie Schnee mit silberhellem Gefieder
Blinkte der Rab', und trotzte den ganz ungemakelten Tauben;
Nicht die wachsame Gans, die Roms Kapitole zur Hut war,
Schimmerte heller denn er, noch der rudernde Schwan im Gewässer.
Ihm war die Zunge Verderb; durch Schuld der geschwätzigen Zunge
Ward das lichte Gefieder in dunkeles plötzlich verwandelt.

Schöner war, wie Koronis, die Larissäerin, keine
Aller hämonischen Frau'n. Dir wenigstens, Phöbus, gefiel sie,
Weil noch züchtig sie war, und noch unbeachtet. Doch endlich
Merkte den Flattersinn der apollonische Vogel;
Und zu entdecken die Schuld, ein unerbittlicher Melder,
Lenkt' er zu seinem Beherrscher den Flug. Mit geschwungenem Fittich
Folgt ihm die plaudernde Kräh', um alles genau zu erforschen.
Als sie des Wegs Ursache gehört: Nicht frommet der Weg dir,
Sagte sie, welchen du eilst; o gedenk' an meine Verkündung!
Schau , was ich war, und was jetzo ich bin; dann forsche, woher das?
Und du erkennst, daß Treue mir schadete. Einst in der Vorzeit
Hatte der Erde Geschlecht, den Erichthonius, Pallas
In der geflochtenen Kist' aus attischem Reisig verschlossen.
Drei jungfräulichen Töchtern des zweigestalteten Cekrops
Gab sie darauf den Beding, daß nicht ihr Geheimnis sie sähen.
Ich, im luftigen Laube der dichten Ulme verborgen,
Späh' ihr Tun. Zwo schützen das Unvertraute redlich,
Pandrosos samt der Herse; doch Furchtsame schilt sie Aglauros;
Und sie entschürzt mit der Hand die schließenden Knoten, und drinnen
Sehn sie ein Kind, und zugleich den langgeringelten Drachen,
Schnell, was geschehn, verkünd' ich der Herrscherin. Dessen zum Danke
Werd' ich, vordem ihr Liebling, verdrängt aus dem Schutz der Minerva,
Selbst von dem Vogel der Nacht. Mein Schicksal kann dem Geflügel
Warnung sein, daß keiner Gefahr mit der Stimme sich schaffe.
Nicht freiwillig vielleicht, und ungebeten um solches,
Wählte sie mich? Geh hin, und erkunde dich selber bei Pallas!
Wie voll Zornes sie ist, auch die zornige wird es nicht leugnen!
Denn mich hat ein Berühmter im phokischen Lande, Koroneus
(Kundiges red' ich) gezeugt; und ich glänzt' als Königestochter;
Auch (verachte mich nicht) bewarben sich mächtige Freier.
Unglück war die Gestalt. Denn indem an den sandigen Ufern
Ich mit langsamem Schritt lustwandelte, wie ich gewohnt bin,
Sah mich der Herrscher des Meers, und erglühete; und da er bittend
Lange die Zeiten umsonst mit schmeichelnden Worten verschwendet,
Übt er Gewalt, und verfolgt: ich entflieh, und verlasse des Ufers
Dichten Saum, ohnmächtig im mulmigen Sande mich müdend.
Götter ruf' ich und Menschen um Schutz; doch erreichte die Stimme
Keines Sterblichen Ohr: für die Jungfrau sorgte die Jungfrau,
Welche mir Rettung verlieh. Ich erhob die Arme zum Himmel;
Und an den Armen entlang erdunkelte leichtes Geflügel.
Werfen wollt' ich zurück das Gewand von der Schulter; doch Feder
War das Gewand; und hatt' in die Haut tief Wurzel getrieben.
Schmerzvoll regt' ich die Händ', um die nackenden Brüste zu schlagen;
Aber ich sah nicht Hände, noch nackende Brüste mir übrig.
Zwar ich lief; doch hemmte nicht Sand mir die Füße, wie vormals;
Nein, ich schwebt' an dem Boden daher, in die Luft dann gehoben
Flog ich, und ward der Minerva zur unbescholtnen Gesellin.
Aber was frommet mir das, wenn Nyktimene, welche zum Vogel
Gräßliche Schuld umschuf, Nachfolgerin unserer Ehr' ist?
Hast du vielleicht die Geschichte, die weit durch Lesbos ertönet,
Nie mit den Ohren gehört? wie Nyktimene frech des Erzeugers
Lager entweiht? Auch als Vogel gequält von dem Greuel der Blutschuld,
Flieht sie den strafenden Blick lichtscheu, und verbirgt in dem Dunkel
Ihre Schmach; und alle verbannen sie rings aus dem Äther.

Also plauderte sie. Dir selbst, antwortet' der Rabe,
Lohne die Warnung mit Schimpf: ich verachte die nichtige Deutung.
Schnell den begonnenen Weg vollbringt er, und sagt dem Apollo,
Daß er gesehn, wie Koronis geküßt ein hämonischer Jüngling.

Aber dem Liebenden sank bei der Schuld Anzeige der Lorbeer;
Und die erhabene Miene zugleich, und die Laut' und die Farbe
Schwanden ihm. Dann, wie der Zorn im gärenden Herzen emporschwoll,
Rafft er die heilige Wehr! und den krummgehörneten Bogen
Spannt er; und, ach! den Busen, der oft an dem seinigen ruhte,
Diesen durchbohrte der Gott mit unvermeidlicher Spitze.
Und die Getroffene seufzt', und indem sie den Stahl aus der Wunde
Zog, umströmte das Blut die schneeigen Glieder mit Purpur.
Und sie begann: Gern mocht' ich den Fehl dir büßen, o Phöbus,
Aber gebären zuvor; nun sterben wir zwei in der einen!
Dies nur; und sie verströmte zugleich mit dem Blute das Leben;
Und der entseelete Leib erstarrt' in der Kälte des Todes.

Ach, den Liebenden reut zu spät die grausame Strafe;
Und sich selbst, daß er hörte, daß so er entloderte, haßt er;
Haßt auch den Vogel zugleich, der ihn das Vergehn zu erfahren
Zwang, und des Schmerzes Beginn; auch die Senn', und den Bogen, die Hand auch
Haßt er, und haßt, mit der Hand, die so blind ausliegenden Pfeile.
Zärtlich umarmt er und pflegt die gesunkene, strebet das Schicksal
Noch durch Rat zu besiegen, und übt nichts fruchtende Heilkunst.

Aber da alles umsonst er versucht, und gesehen die Scheiter
Aufgehäuft, und geordnet zum Totenbrande den Leichnam;
Jetzt ein banges Geseufz (denn es ziemt nicht himmlischer Antlitz,
Feucht von Tränen zu sein), aus dem innersten Herzen geatmet,
Seufzet er: anders nicht, als wenn vor den Augen der Mutter
Ihrem noch saugenden Kalbe der rechts vom Ohre geschwungne
Hammer mit tönendem Schlag die gehöhlete Schläfe zerschmettert.
Doch wie die Brust er beströmte mit unwillkommenen Düften,
Und in die Arme sie schloß, unpflichtige Pflichten vollendend,
Duldete Phöbus es nicht, daß zugleich sein Sam' in die Asche
Stäubete; sondern hervor aus der Flamm' und dem Schoße der Mutter
Riß er den Sohn, und trug ihn zur Kluft des gedoppelten Chiron.
Doch ihn, welcher den Lohn der nicht falschredenden Zunge
Hoffte, den Raben enthob er der Schar weißfiedrichter Vögel.


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