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Frau Wencke kam eben in dem Leuchtturme an, als einige Männer über die Treppe herabeilten und nach Werkzeugen riefen, um oben die Thür zum Wächterstübchen aufzubrechen. Die alte Magd lief angstvoll und ratlos hin und her und suchte, ohne recht zu wissen, was sie eigentlich finden wollte, dabei schrie und jammerte sie, als ob der Turm und die ganze Welt mit ihm untergehen sollte.
Als man die Frau des Kapitäns sah, riefen die Männer aufatmend ihr zu:
»Kommt schnell – schnell – auf Euch hört er!«
Dann eilten sie, die Frau voran, wieder die steilen, sich immer verengenden Treppen hinan, und je höher sie kamen, desto deutlicher und unheimlicher vernahmen sie das Schreien des Tobsüchtigen und das dumpfe Dröhnen und Poltern der zertrümmerten Möbel.
»Frau Wencke kommt!« riefen die Leute im Turm, und man drängte sich an die Wand, um sie hindurchzulassen, und alles wurde still. Hastig atmend stand sie nun an der Thür, und man hörte jetzt nur das wilde Fauchen des Sturmes, denn selbst Jürgen schien die beruhigende Nähe der Schwester zu ahnen und wurde stiller.
Mit sanfter Stimme rief sie seinen Namen, zwei-, dreimal, dann kam von drinnen ein dumpfes Brummen, unverständliche, fast tierische Laute.
»Lieber Jürgen, laße mich hinein zu dir – ich will dich ablösen, deine Wache ist um!«
Wieder vernahm man jenes grollende Murren, und die Leute auf den engen Treppen hielten den Atem an.
»Laß mich ein, guter Jürgen, ich möchte mit dir sprechen!« bat Frau Wencke wieder.
Da klang es vernehmlich, aber seltsam heiser von innen: »Bist du allein?«
Die Frau sah einen Augenblick sich nach den andern um, zweifelnd und besorgt, diese aber nickten eifrig, und so erwiderte sie: »Ja, Jürgen!«
»Du lügst!« schrie es wieder von drinnen. »Lüge nicht!« Das Weib erschrak über den wilden, zornigen Ton, sie war sich überdies klar darüber, daß der Unselige mit gespanntem Ohr auf das geringste Geräusch von draußen lausche, darum entgegnete sie:
»Der Vater ist noch hier, er will die Wache übernehmen! Laß uns hinein, guter Jürgen, und komme herab, geh schlafen!«
»Schlafen, schlafen!« murrte es drinnen. Dann hörte man, wie eine Hand an der Thür tastete, und gleich darauf öffnete sich dieselbe ganz wenig, und durch den schmalen Spalt schaute ein glühendes, irres Auge. Das überflog blitzschnell den Raum da draußen, es sah Gesicht an Gesicht, und mit einem grellen, zornigen Auflachen wollte Jürgen die Thür wieder zureißen. Aber Thomas hatte bereits den Fuß dazwischen gestemmt. Andre eilten herbei, und aufs neue lehnten sich die Männer mit der vollen Wucht ihrer Körper gegen den Eingang. Aber die Raserei, die wilde Angst verlieh dem Tobsüchtigen Riesenkräfte, und er stemmte sich dem Andrang allein entgegen, während wieder das grauenhafte Gelächter des Wahnsinns aus seinem Munde brach.
Das Ringen konnte nicht lange währen. Mit einem wilden Aufschrei sprang Jürgen von der Thür zurück, diese brach herein, und bei dem plötzlichen Nachgeben stürzten die Männer, welche sich mit ganzer Gewalt dagegen gelehnt hatten, übereinander und lagen im Knäuel zwischen den zerschmetterten Resten des Tisches und der Stühle, während durch das zerschlagene Fenster ein Windstoß hereindrang, welcher die Laterne, die Frau Wencke in die Hand genommen hatte, verlöschte.
Tiefe Dunkelheit war ringsum, während welcher sich die Männer herauszuarbeiten suchten aus den Trümmern, und das entsetzliche Lachen fürchterlicher als vorher an ihr Ohr drang. Nur Thomas erkannte, trotzdem er von dem Falle beinahe bewußtlos war und andre über ihn hingestürzt waren, doch die furchtbare Gefahr, welche nun drohte. Er hörte, wie sein Sohn die kleine Treppe nach der Laterne hinaneilte.
»Haltet ihn auf! Macht Licht!« schrie er aus Leibeskräften, indem er sich bemühte, sich emporzuraffen. Rücksichtslos niedertretend, was ihm im Wege lag und stand, brach er sich Bahn nach dem kleinen Treppenaufgang, aber noch ehe er sich bis dahin durchgearbeitet, erscholl ein lautes Klingen und Klirren, ein Schmettern wie von gläsernen Scherben, und dazu ein teuflisches Hohngelächter, das den harten, festen Männern durch Mark und Bein drang.
»Er zerschlägt die Laterne!« schrieen sie auf – und zwischen das entsetzliche Lärmen von oben dröhnte ein dumpfer Schlag wie der Fall eines schweren Körpers.
Da zuckte das Licht auf in den zitternden Händen Frau Wenckes und der Schein derselben beleuchtete die grauenvolle Trümmerstätte und fiel auf das todfahle Gesicht des alten Thomas Kögge, der bewußtlos zusammengebrochen war an der kleinen Treppe, welche in die Leuchtturmlaterne führte und noch immer dröhnte das Schmettern und Klirren, und die Männer riefen:
»Wir müssen hinauf – er muß unschädlich werden!«
Die mutigsten von ihnen drängten hastig voran, aber den beiden, welche zuerst in den verglasten Raum traten, von welchem aus sonst das freundliche Licht, der Leitstern des Schiffers, hinausglänzte über die nächtliche See, erstarrte beinahe das Blut vor Graus und Entsetzen. Die große Lampe war in tausend Trümmer zerschlagen, und auf den Scherben sprang der Tobende umher und hieb mit einem Stuhlbeine, das er wild in der Hand schwang, noch immer gegen die Trümmer. Jetzt tauchte auch das Licht auf an dem Eingang und ließ den Greuel noch mehr in seiner ganzen entsetzensvollen Deutlichkeit erkennen. Man sah nun auch das Gesicht Jürgens mit den hervorquellenden Augen und dem schaumbedeckten Munde, und geschüttelt von Grauen standen die Leute eine Sekunde wie erstarrt. Dann aber rief es:
»Halt ein! – halt ein!«
Einen einzigen Blick warf der Rasende herum, er sah die Gesichter, das Blinken des Lichtes, und mit einem grauenhaften, markerschütternden Lachen bäumte er sich plötzlich hoch auf, dann senkte er den Kopf wie der wütende Stier, der sich gegen den Feind wirft, und ehe noch jemand Zeit fand, ihn zu ergreifen, rannte er mit dem Schädel gegen den metallenen silberpolierten Hohlspiegel, daß es dröhnte und krachte, wie wenn eine Glocke springt, das Blut spritzte an der leuchtenden Fläche empor, der Unselige aber brach, wie von einem Blitze getroffen, zwischen den Scherben und Splittern der Lampe zusammen.
Jetzt erst griffen die Hände der bisher von Entsetzen Gelähmten zu, und sie schleiften den Leib des blutigen Mannes heraus aus dem engen Raume herab nach dem Wärterstübchen, wo der noch bewußtlose Thomas lag, und Frau Wencke hielt, halb besinnungslos noch immer die Lampe in den heftig zitternden Händen.
Einige beschäftigten sich mit dem alten Manne; sie rieben ihn und flößten ihm Rum ein, welchen sie in einer Ecke des Zimmers gefunden hatten, und unter ihren Bemühungen öffnete er endlich die Augen und sah starr und verwundert umher, wie einer, der eben vom Tode erwacht. Erst allmählich kam ihm die Erinnerung an das Furchtbare, und als er jetzt seine Tochter bei sich knieen sah, fragte er:
»Brennt die Laterne?«
Frau Wencke senkte stumm das blasse Gesicht, und mit einem heftigen Rucke hob der alte Mann den Oberkörper.
»Wo ist Jürgen?«
»Er ist bewußtlos!« sagte das Weib leise, und ein andrer fügte bei:
»Er hat die Laterne zerschlagen!«
Stöhnend sank Thomas zurück, denn ihm war die letzte Kunde fürchterlicher als die erste. Frau Wencke aber wandte sich jetzt zu ihrem Bruder und leuchtete ihm in das furchtbar entstellte, blutüberronnene Gesicht. Ein Blick darauf sagte ihr alles – ein Fischer deckte eine Jacke über den zerschmetterten Kopf des toten Mannes. O es war eine fürchterliche Nacht!
»Was ist's mit Jürgen?« fragte der alte Mann nun wieder, und das Weib sank mit überströmenden Augen aufs neue an seine Seite hin:
»Er hat's überstanden, Vater!«
Thomas war ein eisenfester Mann; er atmete einmal schwer und tief, dann sagte er:
»Gott sei seiner armen Seele gnädig!«
Und mit äußerster Kraftanstrengung erhob er sich und trat zu dem Toten hin. Er zog die Hülle von seinem Haupte, aber von einem Schauer überrieselt, ließ er sie wieder fallen und sprach mit zitternder Stimme:
»Männer, laßt uns ein Vaterunser beten!«
Und während der Wind um den finsteren Turm heulte und das dumpfe Rollen der Wogen dazwischen dröhnte, beteten die Männer mit rauhen Kehlen für den Unseligen, der ein so grauenhaftes Ende gefunden hatte.
Dann stieg Thomas langsam die vielen Treppen hinab nach seiner Wohnstube; dort fiel er schwer in seinen Sessel und sagte:
»Laßt mich allein, Nachbarn – das weitere mach' ich schon mit meinem Herrgott aus – und in der Laterne gibt's heute nichts zu thun. Morgen aber mach' ich die Anzeige. Geht! Und Wencke, geh du auch und sieh nach Svanholt!«
Sie gaben ihm alle schweigend die Hand, denn Reden in solcher Stunde liegt nicht in ihrer Art, aber im Handdruck wissen sie ihren Trost zu sagen, nur Wencke strich ihm über die rauhen Wangen, wie sie es wohl als Kind gethan haben mochte, und sagte:
»Tröst' dich Gott, Vater! – Ich gehe jetzt zu Grete Ordinger, die vielleicht auch schon in die Ewigkeit gegangen ist!«
Er nickte leise mit gefalteten Händen, und sie ging hinaus und eilte durch Sturm und Nacht zu der Kranken. Es war, als läge auf der Seele dieses Weibes heute eine Welt von Jammer und Weh, und sie wußte kaum, wohin sie zuerst sich wenden sollte. Daheim lag ihr gelähmter Mann, allein in dieser fürchterlichen Nacht, nur mit der alten ängstlichen Magd – im Turme drüben lag der tote Bruder, und in dem Hause, aus dem sie jetzt von ferne den müden Lichtschimmer blinken sah, siechte eine geliebte Pflegetochter vielleicht dem Ende entgegen.
Sie beschleunigte ihre Schritte und trat rasch atmend, aber auf den Zehen schreitend, in die Stube ein. Ein Lämpchen warf einen matten Schein durch den kleinen Raum, und der Blick der Frau fiel sogleich auf das Lager der Kranken. Die alte Nachbarin saß an demselben auf einem Stuhle mit gefalteten Händen und schlief, Grete aber sah mit einem müden Lächeln um die trockenen Lippen ihr entgegen.
»Wie geht es?« fragte Frau Wencke.
»O mir ist wohler – ich habe geschlafen! Gib mir zu trinken – und am liebsten möchte ich essen!« sagte die Kranke; in die Seele Wenckes aber fiel in dieser Nacht der erste Strahl eines freundlichen, tröstlichen Lichtes.
»Ob Wilm bald kommt?«
»Ich hoffe es; der Sturm hat schon nachgelassen, sie haben keine allzuharte Fahrt!«
»Gott sei Dank!«
Und wieder flog ein müdes Lächeln um den Mund Gretes, welche gierig jetzt den Labetrunk nahm, den ihr die andre reichte.
Jetzt erst erwachte auch die Nachbarin und fuhr in ihrem Stuhle empor; sie meinte, sie müßte eben erst ein wenig eingenickt sein.
»Geht nach Hause, Marlene, ich bleibe bei Grete, bis Wilm kommt«, sagte Frau Wencke, und die alte Frau war offenbar erfreut über die Aufforderung; sie erhob sich ungesäumt von ihrem Sitze und wankte mit einem kurzen Gruße hinaus, indes das Weib des Kapitäns ihren Sitz einnahm. – –
Während all dieser Ereignisse saß Svanholt daheim in seinem Lehnstuhl in der denkbar übelsten Stimmung. Er hörte den Sturm brausen, die Brandung rollen, er wußte auch, daß die Männer mit dem Rettungsboote draußen waren, und war wie immer von Schmerz und Ingrimm erfüllt, daß er dabei so müßig daheimsitzen müsse. Dazu kam diesmal noch die Sorge um Grete, und er empfand erst jetzt, wie ihm das junge Weib wie eine leibliche Tochter ans Herz gewachsen war.
Die alte Magd brachte ihm ein Glas steifen Grog nach dem andern und ging dabei schweigend ab und zu. Das müßige Sitzen, wobei er sich schon lange in eine fast undurchdringliche Rauchwolke gehüllt hatte, ward ihm immer unbehaglicher, und er ließ sich von der Alten ein Buch reichen. Es war dasselbe, aus welchem Klaus ihm ehedem vorgelesen hatte, und während er blätterte, dachte er lebhafter an den Jungen, der eigentlich auch jetzt heimkehren mußte. Das sollte eine Freude sein, wenn er käme, und ein Grog sollte da zusammengebraut werden, wie er auf der Insel noch niemals getrunken worden wäre.
Der Kapitän schnalzte schon bei dem Gedanken daran vor Behagen mit der Zunge – dann schoß es ihm plötzlich durch den Sinn: Wie, wenn der Junge draußen wäre auf dem gestrandeten Schiffe, und wenn ihn hart an der Heimatküste ein Unheil oder gar der Untergang erreichte? Svanholt wurde so unruhig, daß er es kaum auf seinem Sitze auszuhalten vermochte. Er pfiff nach seiner Weise scharf durch die Zähne, und als die alte Magd eilig hereinhumpelte, gebot er ihr, hinauszugehen und zu fragen, was die Leute von dem verunglückten Fahrzeug redeten und was sie von der Rettungsthätigkeit hofften.
Die Alte ging, und Svanholt blätterte wieder in seinem Buche. Da schlug er die Geschichte auf von Keno Widuking dem Friesen, die er einstens Klausen erzählt hatte, und er las, wie es seine Gewohnheit war, halblaut vor sich hin:
»Und es war Abend und dunkel allhin über dem Lande. Da saß Keno Widuking allein an dem Herde und legte ein Scheit in den Brand, denn es war allfort kalt gewesen die Tage und ihn fror, dieweil er nicht vermochte zu gehen. Er war aber lahm, denn er hatte in dem Streite mit den Gelderner Grafen einmal eine ganze Nacht in einem Sumpfe gestanden und hatte belauscht, was die von Geldern beraten hatten gegen das Völklein der Friesen. Da war er beinahe erstarrt, aber er kroch wie ein Hund auf den Füßen und Händen, gleichsam auf allen vieren, von dannen und warnte sein Volk vor den Anschlägen der Feinde. Und nun saß er in seinem Häuschen und war allein, denn sein Sohn war gegangen, um ein Weib zu freien und heimzuholen, damit der Alte gepflegt werde von einer jungen Schwieger und es ihm wohler gehe auf seine Tage.«
Als Svanholt in seiner langsamen und bedächtigen Weise bis hierher gelesen hatte, kam eiligst die Magd hereingestürzt und schnaufte:
»Herr Kapitän, es brennt kein Licht im Leuchtturm! Die Leute sind alle in Aufregung darüber, und das Rettungsboot ist hinaus und Keno Pinhagen ins Meer gesprungen, um zu dem Schiff hinüber zu schwimmen, und sie wollen die Leute mit den Raketen ans Land holen!«
»Tausendschockschwerewetter!« schrie Svanholt und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß der Grog aus dem Glase schütterte – »was faselst du denn zusammen, Rieke? – Da ist ja die Hälfte davon unmöglich. Auf dem Turm kein Licht? – Und Pinhagen hinüberschwimmen? Weshalb denn? – Wozu denn? – Na, daß ich auch wie ein Wrack daliegen muß! Und keinen vernünftigen Menschen zur Hand, mit dem man ein Wort reden könnte! Du alte, wurmstichige Fregatte, kannst ja nicht Backbord und Steuerbord unterscheiden! Hast du denn überhaupt selber nach dem Turm gesehen!«
»O Jesus – schreit nur nicht so, Herr Kapitän; freilich hab' ich, und es ist finster wie im Ägypterland beim König Pharao –«
»Na, Schockschwerewetter! Lotse mich doch mal hinaus an Deck – das muß ich mit eignen Augen sehen, eh' ich's glaube, denn du bist 'ne alte Blindschleiche! Faß an!«
Die Magd sprang hin und half ihrem Herrn auf die Beine, und so humpelte er an seinem Krückstocke hinaus durch die Hinterthür, und der Sturm brüllte ihm wie mit höhnischem Gelächter entgegen. Er sah hinüber nach dem Turm und nun überzeugte auch er sich von der Wahrheit der befremdlichen Thatsache. »Bei solcher Nacht kein Licht – das ist ja ein Verbrechen!« schrie er laut auf: »Führe mich wieder hinein, Rieke, und dann lauf, was du kannst, hinüber zu Thomas Kögge und frage, was da eigentlich los sei und sag's den andern, wen immer du triffst, sie sollten um Gotteswillen für Licht sorgen!«
Die Magd führte ihn wieder in die Stube, wo er in seinen Sessel zurücksank, das Weib aber eilte davon, denn der Auftrag ihres Herrn kam ihrer eignen Neugier ungemein entgegen. Svanholt aber hatte die Hände auf das Buch gelegt, und erst nach einer Weile liefen seine Augen wieder über die Zeilen, und er begann beinahe mechanisch weiterzulesen:
»Und es ging draußen der Wind, daß es in dem alten Hause stöhnte und krachte, aber das kümmerte Keno Widuking nicht; seine Gedanken weilten bei der Gefahr, die seinem Volke drohte, denn Keno Widuking wußte, daß der Geldener Graf wieder rüste zu blutiger Fehde. So lauschte er in den Abend hinaus auf den Wind, der um die Fenster sang, und auf die schreienden Möwen. So hatten die Vögel geschrieen damals, als er in dem Sumpfe steckte und die Feinde belauschte, und er gedachte jener Nacht. Und die Glut im Herde flackerte so rot, und der Schein lief an der Wänden hin, wie die Schatten Erschlagener. Da warf Keno noch ein Scheit in das Feuer, Kienholz, von dem das Harz troff, und es prasselte und lohte hell auf, als es den Brand fing. Jetzt aber klang es wie von Schritten auf dem Flur. Und die Thür ging auf, und ein junger Bursche kam herein. Er hatte fliegenden Atem, und seine Kleider waren bestäubt und bespritzt vom Kote bis auf den Rücken. Das war ein Enkelkind des Mannes und hieß auch Keno. Der rief: ›Großvater, verstecke dich – die Geldernschen kommen!‹ Da fuhr der gelähmte Friese auf: ›Wo sind sie?‹ – Der Knabe sprach hastig: ›Bei uns daheim sind sie eingebrochen und haben geplündert und gemißhandelt; der Vater ist todwund, aber er schickt mich, daß ich dich warne und die andern, die weiter hinaus wohnen, denn der Feind kann noch in der Nacht hier sein.‹ – Dann lief der Junge weiter hinaus über die Heide, wo die Möwen schrieen und der Wind sang. Keno Widukind aber zitterte am ganzen Leibe. Das war keine Furcht, denn solche kennt der Friese nicht – das war Ingrimm über den Feind und Schmerz, daß er so dasitzen mußte und nichts thun konnte. – Verstecken sollte er sich? – Wohin? – Wieder in den Sumpf, wie damals? – Pfui! Was hätte er diesmal sich und seinem Volke damit genützt? An seinem Leib und Leben lag nichts – wenn nur die andern gewarnt waren! Und der Mann sah wieder in die flackernde Glut und auf das lodernde Scheit. Da blitzte ein Gedanke durch seine Seele. Mit beiden Fäusten griff er zu, riß das brennende Holz aus der Glut des Herdes und schleppte sich langsam hinauf nach dem Boden des Hauses. Da lag altes Gerümpel in Menge, auch Stroh und Heu. Da hinein warf er den Brand, und wie er langsam auf Händen und Füßen wieder hinabkroch, prasselte es lustig hinter ihm, und wie er vor die Thür kam, züngelte es rot heraus zu dem Dache. Und das Haus stand hoch und sah hinaus in das Marschland, und seine Flamme ward gesehen viele Stunden weit. Die Friesen aber verstanden den Feuerschein und stachen ihre Dämme und Deiche durch und riefen die Meeresflut als ihren Bundesgenossen. Aber von Keno Widuking hat niemand mehr etwas – –«
Hier stürzte die alte Rieke wieder herein.
»Um Gott – Herr Kapitän – das Unglück – o du mein Heiland, das Unglück!«
»Na, werde mir nicht verrückt! – was ist denn los? – Schockschwerewetter, so rede doch!«
»Ich rede ja – um Gotteswillen – flucht nicht so! Die Sache ist fürchterlich, der Leuchtturm – –«
»Ist doch nicht eingestürzt? Das hätt' ich hören müssen!«
»Nein, nein – noch schlimmer!«
Jetzt fuhr Svanholt auf:
»Ich lasse dich an einer Raa aufhängen, Weibsbild, wenn du nicht kurz und rund dich ausdrückst!«
»O du mein Gott – Jürgen Kögge hat die große Laterne zerschlagen – er ist rasend geworden – und dann hat er sich den Schädel zerrannt an dem Spiegel – er ist tot.«
Dem Kapitän wich das Blut aus den Wangen, und indem er in den Stuhl zurücksank, entfiel ihm die Pfeife, und er schlug stöhnend die Hände vor das Gesicht. Das war allerdings entsetzlich und konnte in dieser Sturmnacht noch unsägliches Unheil herbeiführen, wenn Fahrzeuge auf hoher See hier das gewohnte Licht vermißten!
Indessen redete das Weib fort:
»Und dann haben sie mit der Rakete einen Mann herübergezogen von dem Schiffe, aber dann ging's nicht mehr. Die Boje wurde hinübergeschafft, aber sie kam nicht wieder herüber. Die Männer sagen, da müßte auch etwas passiert sein – wenn nur das Boot wenigstens hinüberkönne!«
Der Kapitän nahm die Hände vom Gesicht und blickte aufgeregt und stier vor sich hin; dazu stöhnte, er:
»Das ist ja fürchterlich, das ist ja entsetzlich!«
Dann machte er eine hastige Bewegung, als ob er sich erheben wolle, und rief der Magd zu:
»Rieke, laufe zu Ordinger und hole Frau Wencke – aber schnell, du alte verwetterte Fregatte! Schnell!«
Die Alte flog hinaus, denn bei dieser ereignisvollen Nacht allein hier im Hause zu hocken bei dem unwirschen Manne, das gefiel ihr ganz und gar nicht, und sie nahm sich auch Zeit, um Frau Wencke zu suchen.
Svanholt saß wieder allein, und durch seine aufgeregte Seele zogen wunderliche Erwägungen. Er dachte an die Nacht, da er selbst mit seinem Schiffe in höchster Not war und an den Opfermut des Strandvogts Ordinger und seiner Söhne. Damals blinkte durch Sturm und Finsternis das Licht des Leuchtturms und wies den Weg nach der Heimatküste – aber heute war das große helle Auge erloschen, schwere Nacht lag über See und Land, und die Retter, welche ihr Leben einsetzten für andre, suchten vergebens bei der Rückkehr den Leitstern und gerieten vielleicht in die Irre. Die aufgeregte Phantasie des einsamen Mannes malte sich die düstersten, unheimlichsten Bilder vor, und mehr als je verwünschte er seine unseligen Beine, welche ihn nicht tragen wollten, so daß er in solcher Nacht nicht mit seiner Kraft und Erfahrung helfend mit einzugreifen vermochte.
Und er saß so ganz allein, und jede Minute war wertvoll und konnte maßloses Unheil stiften. Wenn nur sein Weib käme oder wenigstens die alte Rieke wiederkehrte! Aber er harrte vergebens, er zählte die Sekunden, und die Erregung des sonst so ruhigen Mannes erreichte eine nie dagewesene Höhe. Er fuhr sich in die Haare, er rieb sich die Hände, er schrie laut auf – und dann fiel sein Blick wieder auf das Buch, das noch aufgeschlagen vor ihm lag, auf die Geschichte von Keno Widuking, dem Friesen, der sein eignes Haus angezündet hatte, um den Seinen ein Warnungssignal zu geben. Und er war auch ein gelähmter Mann gewesen, der allein saß und nichts weiter zu thun vermochte.
Das durchblitzte die Seele Svanholts wie ein heller Strahl. Was der alte Friese konnte, vermochte auch er; er war nicht schlechter als der Mann aus seinem Volke, von welchem die alte Chronik erzählte. Eine wahrhaft fanatische Begeisterung erfaßte den Kapitän, eine nach seiner Meinung große That zu thun, und jeder Funke einer ruhigen Überlegung erlosch in dem aufgeregten Manne. Mit glühenden Wangen und großen leuchtenden Augen erhob er sich an dem Tische, und die Erregung verlieh ihm eine wunderbare Kraft. Auf seinen Krückstock gestützt, stand er einen Augenblick und schaute suchend umher. Jetzt fand er, was er wünschte – die Büchse mit den Streichhölzern, und nachdem er durch das Zimmer gehumpelt war, erfaßte er dieselben, und nun ging er, keuchend vor Anstrengung, aber mit eiserner Willenskraft seinen Körper zwingend, nach der Treppe, welche nach dem Boden hinaufführte.
Er konnte nicht steigen, und so kroch er auf Händen und Füßen hinan mit einer Hast, daß ihm der Schweiß, den wohl auch die Angst austrieb, in dichten Tropfen auf der Stirn stand. Nun war er oben angelangt, er stieß die Thür auf, und gleich darauf raschelte es in dem Stroh, das sich hier befand. Er lehnte sich gegen die Wand und ritzte ein Streichholz an – hellauf flammte der Schein, und über das Gesicht Svanholts flog ein beinahe behagliches Lächeln: hier war genug des brennbaren Materials! Und das brennende Hölzchen flog hinein, und im Augenblicke loderte es auch schon breit und rotgoldig empor. Einen Augenblick stand noch der Kapitän und sah auf die fressende Flamme und sog den Rauch ein – dann kletterte er, wie er gekommen war, hinab und humpelte mühsam vor das Haus bis in den Vorgarten, wo er auf einer Bank niedersank. Seine Seele aber war freudig und gehoben – er kam sich selbst vor wie ein Held. Wenn das Haus brannte, mußte es wegen seiner hohen Lage weit gesehen werden. Die Fahrzeuge draußen, und vor allem das Rettungsboot entbehrten nicht mehr des führenden Lichtes. Mit aufgerichtetem Haupte starrte er empor nach dem Dache, indem er mit Ungeduld und Spannung auf den Augenblick wartete, da die Flamme dort oben herausschlagen würde. Nun glänzte es wie ein goldenes Zünglein, und selbst durch den noch immer starken Wind vernahm er ein Prasseln und Knacken – dann sprang es wie ein leuchtender Bogen mit einem Male über das Dach hinweg, und wie ein großer Vogel mit flatternden roten Flügeln schien es emporzuschweben. Ein Lächeln der Befriedigung trat auf die Lippen Svanholts, und er sprach halblaut:
»Was Keno Widuking kann, das kann ich auch!«
Da schrie es aber ganz nahe bei ihm auf:
»Um Gotteswillen, Jürgen, was ist das? – Das Haus brennt, und du bist hier?«
Und sein Weib stand neben ihm, angstvoll, aufgeregt und bleich.
»Laß brennen! Wenn der Leuchtturm versagt, müssen die draußen ein andres Licht haben – was Keno Widuking kann, das kann ich auch!«
Frau Wencke entsetzte sich, denn sie vermeinte nicht anders, als daß ihr Mann in dieser fürchterlichen Nacht den Verstand verloren habe; sie rief:
»Unseliger! Am Strande brennt ja ein hohes Feuer, das den Weg weist für das Rettungsboot«, und in ihrer Verzweiflung schrie sie aus voller Brust durch Nacht und Wind:
»Feuer! Feuer! helft!«
Jetzt schien Svanholt erst wie aus einem schlimmen Traume zu erwachen; selbst entsetzt starrte er hinauf zu der zuckenden Flamme, und es ward ihm klar, daß man am Strande wohl ein Feuer angezündet haben müsse. Er wollte sich aufraffen, als habe er die Absicht zu löschen, aber seine Kraft war zu Ende, er sank wieder auf seinen Sitz zurück. Doch durch die Dunkelheit kam es jetzt heran, in weiten Sprüngen – das waren die Männer vom Strande, die dort unten nicht mehr helfen konnten und welche die auflodernden Flammen bemerkt hatten.
Das war ein festes, mannhaftes Zusammengreifen, das waren kaltblütige und kühne Kräfte, die mit jedem Element trotzig rangen, mit Feuer wie mit Wasser, und als binnen kurzem auch die Spritze herbeikam und ihre Thätigkeit begann, da duckten sich die roten Flammenzungen und wurden immer kleiner, und zuletzt stieg nur noch grauer Qualm empor in den Nachthimmel, an welchem jetzt auch der Mond wieder heraustrat, der mit seinem milden ruhigen Lichte friedlich zu all den Greueln dieser Nacht leuchtete.