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Siebentes Kapitel.
Schlimme Kunde

Die erfolgreiche Thätigkeit der Rettungsstation blieb nicht ohne Anerkennung. Durch die in kurzen Zeiträumen wiederholten gefahrvollen, aber glücklichen Thaten der Mannschaft waren so viele Menschenleben gerettet, daß die Aufmerksamkeit des Vorstandes der »Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger« ganz besonders auf die kleine arme Insel hingelenkt wurde, und daß man beschloß, den Mut der braven Fischer durch höhere Prämien und besondere Auszeichnungen zu belohnen.

Es war darum ein Festtag für die ganze Insel, als an einem Sonntagmorgen im März einige Beamte der Gesellschaft und eine Anzahl Freunde derselben eintrafen. Freundlich war das Stationshaus geschmückt, die Wagen waren vor demselben aufgefahren, alle Geräte auf das sorgfältigste geordnet, und die Mannschaft stand in Reih' und Glied, stolz auf ihren gefährlichen und doch so großen, erhabenen Beruf. Es war ein Gottesdienst im Freien. Ein kleiner Altar war improvisiert, die Gemeinde stand ringsum, und der alte weißhaarige Pastor waltete unter Gottes freiem Himmel seines Amtes.

Der Tag war schön und für die Jahreszeit seltsam mild; weiß glänzten die Dünen im Sonnenschein, in grünlichem Schimmer, nur leicht bewegt, als ob der Odem Gottes über sie hingehe, lag die See, und in diesem gewaltigen, ewigen Tempel stand das kleine andächtige Menschenhäuflein, und aus den rauhen Fischerkehlen klang es ergreifend, das Lied des Wittenberger Gottesmannes: »Ein' feste Burg ist unser Gott!«

Einen solchen Gottesdienst hatten die fremden Herren noch nicht miterlebt, und keiner war unter ihnen, dem es nicht an die Seele gegriffen hätte, als der greise Priester so schlicht und herzlich, kurz aber eindringlich über das Wort des Herrn sprach: »Von nun an sollt ihr Menschen fangen!«

Auch der Kapitän Svanholt fehlte nicht, und hinter seinem Rollstuhl standen Frau Wencke und Grete Ordinger, und er sang mit, und wenn die Töne auch alle falsch aus seiner ungeschulten Kehle kamen, so daß er beinahe den ganzen Choral umgeworfen hätte, es nahm keiner ihm das übel. Er gehörte auch heute vor allem hierher, als lebendiger Beweis für die Kraft und Größe aufopfernder Menschenliebe – und Grete nicht minder.

Und nach dem Gottesdienste selbst nahm von erhöhter Stelle aus der Vertreter der Gesellschaft das Wort: »In tiefer Ergriffenheit suche ich beinahe vergebens nach einem passenden Ausdruck für das, was ich empfinde und was ich an dieser Stelle zu sagen habe. Im Angesichte des ewigen Meeres, des Schauplatzes eurer Thätigkeit, will ich euch danken, nicht im Namen der ›Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger‹ allein, sondern im Namen der Menschheit. Edler Stolz darf deine Herzen erfüllen, du kleine Schar, die du Kraft und Leben in den Dienst der Menschenliebe gestellt hast, und deren schönster Lohn das Bewußtsein deiner Thaten bleiben muß; aber auch die Anerkennung des deutschen Volkes ist dir gewiß. Schon regt es sich überall, wo deutsche Herzen schlagen; Bezirksvereine entstehen vielfach auch im Binnenlande, und reichlicher fließen die Scherflein zu dem großen Werke, an dem wir arbeiten. Im Jahre 1865 gehörten unsrer Gesellschaft 3874 Personen an, die eine Jahressteuer von 14 179 Mark leisteten, und nun nach 10 Jahren zählt unser Kreis 26 000 Mitglieder und verfügt über nahezu 95 000 Mark Jahresbeiträge. Hundertundzwanzig Stationen stehen die deutschen Küsten entlang wie treue Posten auf gefährlicher Wacht, und immer enger und dichter hoffen wir den Gürtel schließen zu können, auf daß wir noch mehr Menschenleben dem Ozean abringen, als es bisher geschehen konnte. Oder ist es nicht ein erhebendes Bewußtsein, daß seit dem Bestande der Gesellschaft rund 1000 Personen dem gewissen Tode entrissen worden sind? Und ihr habt an solchem Verdienste euren vollgemessenen Teil. Wir alle wissen es, ganz Deutschland weiß es, daß es nicht der karge Lohn und der kleine Ehrensold ist, der euch veranlaßt, mit kaltem Blute euer Leben in die Schanze zu schlagen, sondern daß ihr Herzen in der Brust tragt, die voll reicher Menschenliebe sind, und daß ihr mit schlichter, treuer Hingebung eine freiwillig übernommene Pflicht erfüllt, deren ganze Größe euer einfacher Sinn nicht einmal voll beurteilt. Ihr seid es, welche geben, und nicht wir, und beinahe beschämend erscheint es, wenn ich euch, ihr braven Männer, im Namen der Gesellschaft belohnen soll, was überhaupt nicht belohnt werden kann; denn ihr thut mehr, als der Millionär, der von seinem Überflusse gibt. So nehmt das Geringe, das wir bieten, und Gott segne es; er segne euch und unser gemeinsames Werk!«

»Amen!« sagte eine rauhe, tiefe Stimme. Es wär der Kapitän, der sich mit dem Rücken der Hand über die Augen fuhr, und dann in seiner Ergriffenheit die Hände der beiden Frauen drückte. Der Redner aber rief jeden von der Mannschaft einzeln vor, überreichte ihm ein Geldgeschenk in blankem Golde; Wilm, Keno Pinhagen und Knut aber erhielten außerdem noch je eine Medaille, die auf der Vorderseite das Kreuz mit der Umschrift: »Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger« und auf der Rückseite, von einem Eichenkranz umschlungen, die Worte trug: »In dankbarer Anerkennung.«

Zum erstenmal seit langer Zeit flog über Knuts Gesicht ein freundlicher Schein; die Auszeichnung ehrte und freute ihn, und sie erhob ihn über seine Genossen, so daß er mit dem Gefühle des Stolzes das Kästchen mit der Medaille in seiner Hand wog.

Der Gesang der Gemeinde stimmte jetzt aufs neue ein: »Nun danket alle Gott!« und jetzt erst trat der greise Priester wieder zum Altare und hob seine Hände auf zum Himmel und breitete sie aus zum Segen über die geneigten Häupter. Heller schien die Sonne in diesem Augenblicke aufzuleuchten; ruhiger war es, als hielte selbst das Meer, das ewig wogende, den Atem an, und man hörte nur das feierlich getragene Wort:

»Der Herr segne und behüte dich! der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig! der Herr hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden!«

Damit war die Feier zu Ende, und nur der Mittag vereinte die Teilnehmer noch zu einem schlichten Mahle. – –

Der Frühling kam wieder und brachte auch der kleinen Insel, was er eben dem armen Erdenfleckchen bringen konnte. Grete hatte den kleinen Garten vor dem Hause wohlgepflegt, daß er wie ein Schmuckkästchen war und von den andern Gärten vorteilhaft abstach, und zwischen Nutzpflanzen erhoben hier zuerst die bunten Blüten ihre Häupter. Das erste Sträußchen aber steckte das junge Weib in ein bemaltes Glas und trug es hinüber in die Stube Knuts und setzte es auf seinen Tisch, wie immer bemüht, den Groll aus seiner Seele zu verbannen. Als er damals die Medaille erhalten hatte, war sie voll Herzlichkeit zu ihm hingetreten und hatte ihm mit aufrichtiger Freude die Hand gereicht, aber er hatte sich schroff abgewendet und für ihr Entgegenkommen kein Wort gehabt.

Und doch ließ das junge Weib nicht nach, an seiner Seele zu rütteln, auch wenn er ihrem Herzen weh that. Mit einem gewissen Bangen sah sie ihm diesmal entgegen, ob er wohl auch den freundlichen Blumengruß verschmähen würde. Am Abend ging sie wie die andern Fischerfrauen nach dem Strande, als die Männer vom Fischfang heimkehrten, begrüßte herzlich ihren Mann und that nun mit Geschick und Eifer alle jene Arbeiten, welche mit dem Bergen des Fanges zusammenhingen. Niemand hätte sagen können, daß sie nicht ein Kind der Insel und nicht unter friesischen Fischern aufgewachsen wäre. Dann schritt sie neben dem mit seiner Ausbeute beladenen Wilm her, fröhlich plaudernd wie ein sorgloses Kind, während Knut schon finster und ohne Gruß an ihnen vorübergeeilt war.

Als sie an die Schwelle ihres Hauses kamen, lagen die Scherben eines zerbrochenen Glases vor der Thür und dazwischen der kleine freundliche Blumenstrauß. Aus Gretes Augen brachen die heißen Thränen bei diesem Anblick, und unter Weinen hob sie die bunten Blüten auf. Wilm ahnte sogleich, was geschehen war; tröstend faßte er ihre Hand und sagte:

»Laß dich's nicht zu sehr kränken! Es wird schon anders werden, denn im Herzen ist er nicht böse. Er zwingt sich zum Zorn, aber zuletzt wird er's doch verwinden. Wenn nur erst Klaus zurückkäme – das wär' das Beste!«

Und diesen Wunsch hatte Wilm schon manchmal laut und leise gehegt. Von Klaus war im Herbst noch ein Schreiben eingetroffen aus Portsmouth auf Dominica in den Antillen. Der »Orion« war von Bahia nach Britisch-Guayana gesegelt und hatte von da aus fortwährend mit widrigen Winden zu thun gehabt, so daß das Schiff, als es Dominica anlief, gezwungen war, einer nicht unbeträchtlichen Havarie wegen hier einige Wochen vor Anker zu liegen. Klaus schilderte in sehr lebendiger Weise Portsmouth mit seiner reichen Vegetation, mit seinen Palmenhainen und Rizinuswäldern, mit den großblätterigen Pisangen, unter deren Laub die kleinen Negerhütten fast verschwinden, mit den grünen stachlichten Agaven und den farbenprächtigen Hibiskus – eine eigentümliche, fremd-seltsame Welt; aber trotz all der Herrlichkeiten hatte den friesischen Fischerjungen doch eine Sehnsucht erfaßt nach seiner armen, stillen Heimat, und das war, was Knut an seinem Briefe am meisten gefiel.

Die Brüder redeten nicht weiter von der Sache, aber jeder machte sich so seine Gedanken, und jeder meinte im stillen, daß nun der »Orion« wohl auf der Heimreise begriffen sein müsse und daß Klaus nun jeden Tag eintreffen könne.

Aber eine Woche nach der andern verging, ohne daß sich dies Hoffen erfüllte oder daß eine Nachricht von dem Ersehnten gekommen wäre. Da war eines Nachmittags Grete bei Svanholt gewesen. Sie fand den Kapitän aufgeregt und finster und fragte verwundert, was ihm sei; auch Frau Wencke war still und ernst.

»Was hilft's, Mutting? – Erfahren müssen sie's doch!« sagte endlich der Kapitän und reichte Greten ein Zeitungsblatt, indem er mit dem Finger auf eine Stelle hinwies. Die Zeitung hatte er von einem der wenigen Badegäste erhalten, die sich wieder auf der Insel zusammenfanden und von denen einer dem Kapitän so einen Ausblick gönnte auf das, was in der Welt geschah. Sonst hatte dieser immer mit Behagen und Vergnügen gelesen und hatte sich, während er von Unheil und Verbrechen las, immer wieder gefreut, daß er so ruhig und friedlich auf seiner kleinen Scholle wohnen könne; aber diesmal hatte es ihm einen Ruck gegeben bis in seine gelähmten Beine hinein, als er las – und die Schiffsnachrichten suchte er stets zuerst: »Das Bremer Schiff ›Orion‹, Kapitän Sorgenfrei, ist auf der Rückfahrt von den Antillen, mutmaßlich unter dem 10.° n. Br., gesunken und mit der ganzen Bemannung untergegangen. Schiff und Ladung waren versichert.«

Das waren die Worte, welche auch Grete jetzt las, und sie erschrak, so daß die Farbe aus ihren frischen Wangen wich und sie sich an den Rollstuhl anklammern mußte.

»Na, ist das nicht 'n Unglück, Grete? – Und was wird Wilm dazu sagen?« fragte der Kapitän. »Der arme Klaus, und ich habe gedacht, er könnte noch mal Admiral werden – und Karl Kögge – so 'n Steuermann, so 'n fixer, tüchtiger Kerl! Na, 's ist freilich ein braver Seemannstod, und sie schlafen gut in unsres Herrgotts Keller; aber so jung und so blutjung!«

Und Svanholt ließ den Kopf sinken; Frau Wencke weinte leise vor sich hin, und eine tiefe Stille herrschte in dem Raume, so daß man das Summen der Fliegen vernahm.

»Weiß es Thomas Kögge?« fragte Grete leise.

»Nichts weiß er; wer soll's ihm sagen? – Wencke hat nicht den Mut; ich kann nicht hingehen – und erfahren muß er's doch. Geh mal nach dem Leuchtturm, Kind, und sag', er möchte doch bei mir vorkommen; ich will's ihm schon beibringen, und Thomas ist selber 'n alter Seebär, der auf so was immer gefaßt sein muß – aber Wilm und Knut, Wilm und Knut!«

»Wilm will ich's sagen!« sprach wieder Grete ruhig, aber fest; »er wird sehr traurig sein, doch er wird's tragen – aber Knut! Er wird wüten in seinem Schmerze, und das bleibt für Wilm das Schlimmste, wenn er es ihm mitteilen muß, und ein andrer darf's nicht thun!«

»Hast recht, Grete! Na, in Gottes Namen, wir müssen alle zusammen tragen, das läßt sich nicht ändern. Jetzt geh nach dem Leuchtturm, Kind, und dann fang's gut bei Wilm an!«

Und Grete machte sich mit schwerem Herzen auf den Weg zu dem Leuchttürmer, der sie ahnungslos mit fröhlichem Scherzwort empfing, und dann schritt sie langsam durch die Dünen nach Hause, um die Rückkehr Wilms abzuwarten. Und als sie am Abend mit ihrem Manne nach gewohnter Weise vom Strande heraufging, sagte sie leise:

»Wilm, es ist eine Nachricht von Klaus da!«

Ein freudiges Aufleuchten ging über sein Gesicht; aber da er sich Grete zuwandte, bemerkte er den tiefen Ernst auf ihren Zügen und erschrak:

»Es ist doch nichts Schlimmes mit dem Jungen? Sag's rund und offen – ich bin ein Mann!«

»Nun denn, in Gottes Namen – Klaus kommt nicht wieder!«

Der kraftvolle Fischer entfärbte sich, und seine Lippen bebten:

»Er kommt nicht wieder?«

»Er liegt in Gottes Keller; der Kapitän hat's gelesen in einem Zeitungsblatt!«

»Ich muß zu dem Kapitän!«

Und ohne weiteres wandte er sich nach dem Hause Svanholts. Im Flur legte er seine Last ab und trat mit Grete ein. Nach kurzem, ernstem Gruße sagte er:

»Laßt mich lesen – das von Klaus!«

Schweigend reichte ihm der Kapitän die Zeitung, langsam und mit dem Zeigefinger den Worten folgend, las der junge Fischer, und da er an dem gedruckten Bericht in seiner schlichten, ehrlichen Weise nicht zu zweifeln vermochte, sank er schwer auf einem Stuhle nieder, beugte den Kopf tief und legte das Gesicht in die beiden Hände. Niemand redete ein Wort, und alle ehrten den stummen Schmerz des Bruders um seinen Liebling, Grete aber war zu ihm getreten, hatte den Arm um seinen Nacken geschlungen und legte ihre Wange an sein Haar.

Endlich sagte der Kapitän:

»Tröst' dich Gott, Wilm, und sprich wie Thomas Kögge: Was hilft all das Klagen? – Er schläft in Frieden im blauen Seemannsgrab, und bei der Auferstehung sehen wir uns wieder!«

»Aber Klaus war noch so jung und so lebensfroh!«

»Ja, ja, all recht – aber was kannst du gegen unsern Herrgott, Wilm?«

»Nichts, Kapitän. Und so mag's gut sein. Komm, Grete, laß uns heimgeh'n!«

Er erhob sich, reichte Svanholt und Frau Wencke die Hand, welche herzlich gedrückt wurde, und ging.

Der Kapitän aber sprach hinter ihm drein:

»Mutting, der Wilm ist ein ganzer Mann, und ich wollte, Knut möcht' es ebenso tragen!«

Knut war indes ebenfalls vom Strande nach Hause gegangen. Weiber standen vor den Thüren und sahen ihn, da er grüßte, mit seltsam mitleidigen Blicken an, so daß es ihm auffiel. Sie wußten offenbar, was geschehen war, denn das Gerücht, das vom Leuchtturm ausging, lief schnell, aber sie hatten nicht den Mut, mit ihm darüber zu reden. An seiner Thür traf er einen alten Fischer; der nickte trübe mit dem Kopfe und sprach: »'s ist schlimm, schlimm, Knut!«

Dieser blieb stehen und fragte befremdet: »Was ist schlimm, Harms?«

»Ja, du weißt das wohl noch gar nicht? Karl Kögge, der Steuermann, ist ertrunken!«

»Wann und wo?«

»Ja, draußen auf dem großen Wasser, und sein Schiff ist untergegangen.«

Knut schrie auf, zornig und schmerzlich zugleich, und packte den alten Mann wild an der Brust.

»Das kann nicht sein, Harms – sprich, daß es eine Lüge ist – denn dann ist mein Klaus mit ertrunken!«

Der alte Fischer suchte sich des Ungestümen zu erwehren: »Laß mich los, Knut – ich kann doch nichts dafür. Ich hab's von Thomas Kögge erfahren, und der muß es doch wissen!«

Knut ließ seine Hände sinken, schlug sie jäh vor das Gesicht, dann wandte er sich ab und eilte hinein in das Haus. Er suchte Wilm, er schrie nach ihm heiser und aufgeregt, aber niemand gab ihm Antwort. In der Küche hing alles so geordnet und blank, daß es ihn fast höhnisch anzulachen schien, und in seiner Wut begann er da und dort etwas herabzureißen und schmetterte es gegen den Boden.

Dann schien er sich einigermaßen zu besinnen, er taumelte, einem Trunkenen gleich, hinaus, ging hinüber in seine einsame Stube, und hier warf er sich auf sein Lager und schluchzte leidenschaftlich laut. So fand ihn Wilm, der, mit Grete heimkehrend, den Greuel der Verwüstung sah und keinen Augenblick im unklaren war über das, was sich hier zugetragen.

Er blieb an der Thür stehen, warf einen Blick voll Schmerz und Mitleid auf den Bruder und sagte, so mild er nur mit seiner rauhen Stimme konnte:

»Knut, sei ein Mann!«

Jetzt fuhr der andre auf von seinem Lager; sein Gesicht war fahl, verzerrt, und mit glühenden, finsteren Augen schaute er nach Wilm; dumpf sprach er:

»Da ist's nun gekommen, wie ich sagte – du hast ihn umgebracht!«

»Rede nicht thöricht, Knut! Es ist Gottes Wille!«

Er war ihm näher getreten und hatte ihm beruhigend die Rechte auf die Schulter gelegt, aber Knut stieß rauh die Hand fort und rief:

»Rühr' mich nicht an, oder es gibt ein Unglück! – Da seid ihr nun mit eurer wohlfeilen Ausrede: der Herrgott hat's gewollt! – Nein, du hast's gewollt, und von dir verlange ich ihn wieder, heute und am jüngsten Tage!«

»Ich hab' ihn so lieb gehabt wie du und habe ehrlich sein Bestes gewollt. Laß uns über seinem Tode Frieden machen, Knut, laß ihn versöhnend zwischen uns treten, damit sich seine Seele im Jenseits erfreue!«

»Nein, denn von heute an hasse ich dich – du Brudermörder!«

»Nicht das Wort, Knut – um Gotteswillen nicht, sonst gebe ich dir's zurück. Wer war's, der ihn, den unreifen Jungen, nach Emden brachte in Verhältnisse, die er nicht ertragen konnte, so daß er davon lief in die Welt und auf das erste beste Schiff, das er fand? Ich hätt' ihn in solchem Alter nicht ziehen lassen und nicht, ohne das Fahrzeug genau zu kennen, mit dem er ausfuhr – und er wäre nicht so weit gegangen. Sieh, so könnt' ich sagen und sprechen: du trägst die Schuld!«

Knut fuhr wieder wild auf:

»Nein, nein – nicht ich! Karl Kögge war's, der den unerfahrenen Jungen mit sich nahm, der ihm den Kopf erfüllt hat mit dummem Seemannszeug, und bei Thomas und Jürgen im Leuchtturm ist's fertiggemacht worden, was du angefangen hast. Aber ich will es ihnen in die Ohren schreien, daß sie ihnen gellen sollen – ich will –«

Erregt eilte er hinaus, während Wilm ihm besorgt und ernst nachschaute. Er wandte seine Schritte nach dem Leuchtturm; was er daselbst wollte, war ihm zwar nicht klar, aber seiner Erregung, seinem Zorn mußte er Luft machen. Die wenigen Leute, welche ihn bemerkten, wie er so mit hastigen Schritten, entblößten Hauptes dahinrannte, blickten verwundert hinterdrein, aber sie machten sich keine besonderen Gedanken darüber; das liegt nicht in der ruhigen Art jener Leute.

Unmittelbar vor dem Leuchtturm traf Knut auf Jürgen Kögge, der ihn zwar einigermaßen überrascht anschaute, aber in der Meinung, daß jener sich Gewißheit über die Katastrophe holen wollte, sagte:

»Ja, Knut, wir müssen uns trösten – das hilft jetzt all nicht mehr!«

Knut aber schrie:

»Ich will keinen Trost, ich will meinen lieben Jungen, meinen Klaus, wieder, und von euch will ich ihn haben!«

»Du bist wohl nicht klug, Knut! Was soll das heißen?«

»Das soll heißen, daß ihr ihn in den Tod getrieben habt, dein Vater und Karl Kögge mit ihren Seemannsgeschichten, den erlogenen, die dem Jungen den Kopf verdreht haben!«

»Das ist ja dummes Zeug, Knut!«

»Das ist die Wahrheit, und so ist's gewesen! Und deinem Alten schlag' ich den Schädel dafür ein!«

»Oho, da müßt' ich auch dabei sein!« sagte ruhig Jürgen und stellte sich breitbeinig vor den Eingang zum Turme.

»Das kannst du, wenn du so besondere Lust dazu hast!« schrie Knut und erfaßte in seiner Aufregung den andern mit beiden Händen. Jürgen war kein Schwächling. Er rüttelte sich und hatte mit einem starken Ruck seinen Gegner abgeschüttelt, das aber erregte den Zornigen noch mehr. Wild und wütend warf er sich auf den andern, und im nächsten Augenblicke waren die beiden im heftigen Ringen; auch Jürgen begann das ruhige Blut zu verlassen, zumal das Ungestüm Knuts seine ganze Kraft zur Abwehr herausforderte. Brust an Brust lagen die beiden, und ihre Arme waren von den gegnerischen Fäusten wie mit eisernen Klammern umwunden – es war ein Schieben und Drängen, und anfangs schien es, als ob Jürgen seinen Gegner zurückzwinge.

Da bäumte sich dieser noch einmal mit voller Wut auf und warf sich mit der ganzen Wucht seines Körpers gegen den andern, der nun zurückgedrängt wurde. Dabei strauchelte Jürgen über einen im Wege liegenden Gegenstand, verlor den Halt und stürzte rückwärts nieder, seinen Gegner über sich herreißend. Knut aber gedachte seinen Sieg zu nützen, da merkte er, wie Jürgens Gesicht fahl wurde, wie dessen Augen sich schlossen, und die bisher fest umklammernden Arme losließen. Jetzt packte ihn selbst mit einem Male ein kalter Graus, und in demselben Augenblicke hörte er auch den Aufschrei einer Frauenstimme: Frau Wencke stand an dem Eingang zum Turme mit erbleichten Wangen und gefalteten Händen:

»Was hast du gethan, Knut?«

Dieser stand noch immer wie erstarrt, während das Weib bei dem Niedergestürzten kniete und ihm das Haupt aufhob; ihre Hände waren blutig, und bei diesem Anblick schrie auch Knut auf:

»Gott, das hab' ich nicht gewollt – ich habe ihn nicht umbringen wollen!«

Frau Wencke hatte bereits ihre Fassung wiedererlangt; sie sagte:

»So schlimm wird's nicht sein! Jetzt fasse mit an – hier kann er nicht liegen bleiben – laß uns ihn hineintragen!«

Dem jungen Fischer zitterten die Hände, als er Jürgen angriff, und stumm trugen sie ihn in die Stube und legten ihn auf das Lager. Während Frau Wencke nun eiligst Wasser und Essig herbeischaffte, sank Knut vor dem Bette auf die Kniee, und in seinen Zügen malten sich Angst und Verzweiflung, während er an dem Bewußtlosen rüttelte und immer wieder in bittendem Tone sprach:

»Wach' auf, Jürgen – wach' auf!«

Jetzt kam auch der alte Leuchttürmer, der bei seiner Laterne gewesen war und sie gereinigt hatte.

»Was ist denn geschehen?« rief er verwundert und entsetzt, aber ehe noch Knut antworten konnte, sagte Frau Wenckes milde, ruhige Stimme:

»Sie haben gerungen – wohl im Scherz – und Jürgen ist über einer Harke ausgeglitten und hingeschlagen; er traf mit dem Kopfe an einen Eckstein!«

Knut aber schrie: »Nein, nein – o, nicht im Scherz, sondern ich war zornig wegen Klaus – aber das hab' ich nicht gewollt!«

»Laß gut sein, Knut, das wird all wieder, er hat 'nen festen Kopf, wie wir Kögges alle, nicht wahr, Wencke?« sagte der alte Mann und war an seinen bleichen Sohn herangetreten; aus dem Herzen des Übelthäters aber war jede Spur von Haß und Groll gegen Thomas gewichen, und dem Weibe, das so mild ihn entschuldigte, hätte er die Hände küssen mögen in Dankbarkeit und Verehrung. Frau Wencke wusch dem Bewußtlosen das Gesicht, und Knut rüttelte und bewegte ihn, aber es währte lange, ehe Jürgen die Augen aufthat, und nun starrte er fremd und irr umher und schien niemand zu erkennen. Er fragte, ob der Sturm noch daure, dann klagte er, daß er vom Leuchtturm herabgestürzt sei und daß ihn sein Kopf schmerze. Er faßte nach der Binde, welche Wencke um die ziemlich tiefe Wunde gelegt, und wollte sie herabzerren, so daß sie ihm die Hände halten mußten, und jetzt erst malte sich Besorgnis auch auf den Gesichtern des Türmers und seiner Tochter.

Als aber Knut das aus ihren Mienen las, faßte ihn neues Entsetzen, und er rief:

»Ich fahre hinüber und hole den Doktor!«

»Es wird schon anders werden!« tröstete Frau Wencke, aber er stürzte ohne Gruß hinaus und eilte nach dem Strande. Hier löste er ein Boot, ohne auf die Fragen zu antworten, welche von einzelnen Nachbarn, die noch hier beschäftigt waren, an ihn gerichtet wurden, stellte das Segel und fuhr hinaus. Der Abend war klar, die See ruhig, so daß eine Gefahr nicht vorhanden, und mit dem Aufgebot seiner ganzen Kraft ruderte er fort.

Tief in der Nacht kam er mit dem Doktor an. Thomas Kögge mußte auf seinem Posten in dem Wärterstübchen sein, bei dem Kranken aber, der noch immer irre redete, wachte Frau Wencke und legte ihm kalte Umschläge auf die heiße Stirn. Dr. Bender untersuchte und machte dann ein ernstes Gesicht:

»Die Sache ist gar nicht leicht; er ist zu schwer aufgeschlagen mit dem Kopfe und hat eine Gehirnerschütterung davongetragen, deren Folgen noch abzuwarten sind; vor allem ist Ruhe notwendig!«

»Aber er wird nicht sterben?« fragte Knut in höchster Angst.

»Das befürchte ich zunächst nicht!« sagte der Arzt und gab nun seine näheren Weisungen. Dann erklärte er, die Nacht auf der Insel zubringen und am Morgen noch einmal nach dem Kranken sehen zu wollen. Knut stellte ihm sein einfaches Lager zur Verfügung, brachte ihn nach seinem Hause, dann aber kehrte er zum Leuchtturm zurück, bat Frau Wencke, ihm die Nachtwache zu überlassen, versprach auch, Thomas auf seinem Posten bei der Laterne abzulösen, und da das Weib von seiner Gewissenhaftigkeit überzeugt sein durfte, ließ sie ihn mit Jürgen allein, denn sie wußte, daß sie selbst noch manche Nacht würde am Lager des Bruders wachen müssen.

Da saß nun Knut und sah auf das gerötete Gesicht Jürgens, der sich unruhig auf seinem Lager hin und her warf und hastige, verworrene Worte redete, und er machte sich über seinen Jähzorn die bittersten Vorwürfe. Der Schmerz, den er über den Tod seines Bruders empfand, war dem Gefühle einer heißen Reue gewichen, und er machte in diesen Stunden furchtbarer Selbstqual die besten Vorsätze. Dazwischen betete er so innig, wie niemals wohl in seinem Leben, daß der Himmel Jürgen wiedergenesen lassen möge, und mit Eifer und Sorgfalt wechselte er die feuchten, kalten Umschläge auf der Stirn des Kranken.

Die Magd des Leuchttürmers kam, um ihn aufmerksam zu machen, daß Thomas auf seinem Posten abgelöst werden müsse, und während sie selbst bei Jürgen zurückblieb, stieg Knut die Leiter hinauf nach der Laterne und erbot sich hier, die Wache zu übernehmen, damit der alte Mann ausruhen könne. Er selbst fand hier oben auch keine Rast, und in dem kleinen Raum des Wärterstübchens lief er auf und ab, und seine Gedanken weilten immer bei Jürgen. Dann trat er wieder an das kleine Fenster und blickte hinaus nach der See und dachte dabei an Klaus, der in diesem endlos weiten Grabe ruhte, aber sein Zorn und Schmerz war zur Wehmut geworden, und er wünschte, er läge an der Seite seines jüngsten Bruders.

Gegen Morgen kam Thomas schwerfällig wieder heraufgestiegen, und Knut fragte nach Jürgen.

»Ist noch beim alten! Er schwatzt dummes Zeug und weiß von nichts!«

Aber der Leuchttürmer hatte auch jetzt kein Wort des Vorwurfs, und das traf Knut härter, als wenn er zornig gewesen wäre und ihn bitter gescholten hätte.

Schweigend senkte er den Kopf, der Alte aber stieg in die Laterne, löschte das segensvolle Licht aus und zog die dunklen Vorhänge ringsum zu, damit die Blendung vermieden werde. Dann gingen beide Männer hinab nach der Stube, wo der Kranke lag mit seinem heißen Gesicht.

Auch der Arzt kam ziemlich zeitig; er vermochte auch jetzt nichts Bestimmtes zu sagen über den Verlauf der Krankheit, aber sein ernstes Gesicht machte Knut bange.

»Ihr müßt zunächst einen andern Gehilfen haben, Thomas!« sagte der Doktor, aber ehe der Alte noch erwidern konnte, rief Knut: »Das übernehme ich, solange Jürgen nicht kann. Laßt mich, Vater Thomas, das wird mich ruhiger machen, und ich will so gewissenhaft sein, daß Ihr nicht über mich klagen sollt; auch könnt Ihr für Jürgen keinen treueren Pfleger finden. Tag und Nacht will ich unermüdlich sein, nur um einen kleinen Teil meiner Schuld zu büßen!«

Der Doktor sah den jungen Fischer, der sonst so wild und ungebärdig war, beinahe mit Rührung an und sprach:

»Nehmt seinen Vorschlag an, Thomas – und wenn's Euch recht ist, will ich selbst den Bericht an Eure Vorgesetzten machen!«

Der Alte war einverstanden, und bald darauf brachte Knut den Arzt in seiner Jolle wieder hinüber aufs Land. Als er wieder nach dem Leuchtturm zurückkehrte, traf er Frau Wencke. Er ergriff ihre Hand und sagte:

»O laßt Euch danken dafür, daß Ihr meine That beschönigt habt; o, Ihr wißt wohl, daß wir nicht im Scherz gerungen, und Ihr konntet ebenso sagen, daß ich ihn gewaltsam hingeworfen, und sie konnten mich daraufhin festnehmen und einsperren, und das hätt' ich nicht ertragen!«

»Was könnte das wohl nützen?« sagte milde die Frau – »deine Reue ist das Beste und du nimmst wohl die Lehre an, daß Unbesonnenheit und Jähzorn von Übel sind. Und überdies, Knut – ich bin in deiner Schuld und werde es nimmer vergessen, daß du es warst, der in der furchtbaren Nacht, da Svanholts Schiff unterging, zuerst die Männer zu der kühnen Fahrt ermutigte, und daß damals dein Vater als Opfer für meinen Mann blieb. – Jürgen wird schon wieder werden!«

Aber das letzte Wort schien sich nicht so bald bewahrheiten zu wollen, denn es vergingen Wochen, ehe sich der Zustand des Kranken zur Besserung wandte, doch während dieser ganzen Frist hatte Knut mit unermüdlichem Eifer und geradezu rührender Sorgfalt jenen gepflegt und dabei Thomas in seinem Berufe unterstützt. Mit seinem Bruder und Grete traf er fast niemals zusammen; er hatte Wilm seinerzeit mit kurzen Worten mitgeteilt, daß er auf seinen Anteil am Fischfange vorläufig verzichte und in dem Leuchtturme bleiben und wohnen werde, bis Jürgen wiederhergestellt sein werde.

Endlich war es soweit, daß dieser zum erstenmal wieder in das Freie konnte; der vordem so starke, junge Mensch war matt wie ein Schatten, und Knut trug ihn mehr, als er ihn stützte, als sie ihn herausführten und auf die Bank vor der Thür setzten im hellen Sonnenschein. Jürgen hatte, wie es schien, die Klarheit seines Geistes wiedererhalten, doch wußte er seltsamerweise nichts von der Ursache seiner Erkrankung, und jede Erinnerung an seinen Streit mit Knut schien herausgewischt aus seinem Gedächtnis, und das war es, was diesen ganz besonders glücklich machte. Der Genesende redete völlig vernünftig über dies und das, nur manchmal zuckte es wie ein irrer Strahl durch seine blauen Augen, welche in solchen Momenten einen stieren Glanz zeigten. Das fiel niemand auf, als Frau Wencke, die mit dem Blick des Weibes hier schärfer sah und noch heimliche Befürchtungen hegte.

Indes die Kräfte Jürgens nahmen sichtlich zu; gestützt auf Knut ging er an den Strand hinab und legte sich dort in den warmen Sand und freute sich, wenn die Boote ausfuhren oder heimkehrten – Knut aber that, was er ihm an den Augen absehen konnte, so daß der Kapitän Svanholt eines Tages, als die beiden an seinem Häuschen vorübergingen, während er sich oben »an Achterdeck« befand, zu seinem Weibe sagte:

»Wie zwei Brüder! Ich wollte, Knut wäre erst mit Wilm so, und wünschte beinahe, er hätte dem ein Loch in den Kopf geschlagen!«

»Aber, wer wird denn so reden, Svanholt?«

»Je, Mutting, das ist eben geredet, ich mein's nicht übel, aber es wär' mir 'ne Herzensfreude, wenn die zwei Brüder 'mal zusammenstimmten.«

»Laß nur Grete sorgen! Die wird das all fertig bringen!«

»Das glaub' ich selber! Ihr Weibsleute habt hier besseren Schick. Aber, Mutting, findst du nicht, daß heute eine sehr trockene Brise weht?«

»Eigentlich nicht, Jürgen – aber ich weiß wohl, was du willst!«

»Na, das ist just nicht geheimnisvoll, und hier auf Achterdeck schmeckt der Grog am allerbesten!«

Er brannte sich wieder seine Pfeife an, und Frau Wencke besorgte ihm sein Lieblingsgetränk.

Als Jürgen Kögge zum erstenmal wieder allein nach der Laterne hinaufsteigen konnte, hatte Knut einen frohen Tag, und wie er darauf nach seiner Wohnung ging, in welche er lange nicht gekommen war, pfiff er fröhlich vor sich hin. Selbst der Gedanke, nun wieder mit Wilm und Grete zusammenzutreffen, verbitterte ihm das innere Behagen nicht, doch ging er, wie er sich angewöhnt hatte, auf der Hinterseite um seines Vaters Haus herum und betrat dasselbe durch den Eingang, den er sich hatte durchbrechen lassen, nachdem er den Holzriegel, der von außen die Thür schloß, zurückgeschoben hatte. Einen andern Verschluß brauchte er hier nicht, wo niemand sein Haus versperrte und wo seit Menschenaltern keinem auch nur die geringste Kleinigkeit abhanden gekommen war.

Als er in seine Stube trat, sah er sich verwundert um, und einen Augenblick war es ihm, als sei er irrtümlich in eine andre Wohnung geraten. Das war alles so blitzblank, so zierlich angeordnet; auf dem Tische und dem Bette lag je eine hübsche hellblumige Decke, eben solche Vorhänge hingen an den Fenstern, und auf den Brettern der letzteren standen Blumen mit freundlichen Blüten – das war ja fast noch schöner als drüben im Piesel. Knut geriet diesmal nicht in zornige Erregung, sondern ihn erfaßte es beinahe wie eine stille Wehmut. Er sank auf einen Stuhl an dem Tische, legte die Arme auf die Platte und stützte lange den Kopf in beide Hände.

Aber ein Wort des Dankes für seinen Bruder und seine Schwägerin vermochte er nicht über die Lippen zu bringen, wenngleich er von jenem Tage an ruhig ihre Grüße erwiderte; auch jedem Versuche einer Annäherung ihrerseits wich er hartnäckig aus, aber Grete sagte zu ihrem Manne:

»Er ist doch anders geworden, und sein Herz ist weicher. Gib acht, wir gewinnen ihn auch noch ganz!«


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