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Drittes Kapitel.
Seemannsgeschichten

In seiner behaglichen Stube saß Kapitän Svanholt in einem alten Lehnstuhl am Fenster und sah hinaus gegen die See. Es war Aprilwetter, und eben wirbelten wieder die Flocken durcheinander und verhüllten den Ausblick, so daß er unmutig dichtere Wolken aus seiner langen Pfeife blies und endlich einen lauten Pfiff zwischen den Zähnen hervorstieß, auf welchen sogleich Frau Wencke in der Thür erschien, die nach der Küche führte.

»Willst du etwas, Jürgen?« fragte sie freundlich und besorgt und eilte an seine Seite.

Er streichelte ihre Hand, die auf der Seitenlehne seines Stuhles lag und erwiderte:

»Eigentlich hab' ich dich nur wieder einmal sehen wollen, Wencke, denn es ist höllisch langweilig. Ich wollt', ich könnte erst wieder hinaus aus der Kajütte nach dem Achterdeck – der Kapitän meinte damit seinen kleinen Vorgarten – und könnte wenigstens durch mein Glas auf das Wasser sehen. 's ist ein Elend mit einem Krüppel von Seemann!«

»Laß gut sein – wird all wieder besser werden und ist's ja auch schon worden; komm, laß uns einen Gang durch die Stube machen!«

»Na, meinethalben nimm mich altes Wrack ins Schlepptau!« entgegnete er, indem er nach einem zur Seite seines Sitzes lehnenden Stock mit seiner Linken faßte. Gestützt von seinem Weibe erhob er sich und bewegte sich langsam und schwerfällig durch den kleinen Raum.

»Das schlingert ganz gewaltig, und wenn ich nicht 'nen so guten Lotsen hätt', käm' ich all auf den Sand!« polterte er; sie aber, die ihn fest und sorgsam umfaßt hielt, sprach:

»Bewahre, Jürgen, das geht schon viel besser, und du sollst sehen, wenn erst der Sommer kommt, wird's wieder ganz gut!«

»Zu Schiffe komm' ich nicht mehr!« sagte er wehmütig – »'s war zu arg in jener Nacht, und wär' auch vielleicht besser, ich läg' in des Herrgotts Keller!«

»Rede nicht so lästerlich, Jürgen – ich danke Gott, daß er dich mir erhalten hat!«

Sie gingen einigemal durch die Stube, und das Weib redete freundlich und herzlich, dann führte sie ihn zu seinem Sitze zurück:

»Für diesmal ist's genug! – Sieh, nun kommt auch die liebe Sonne wieder, und du kannst wieder nach der See schauen!«

»Schön Dank! – Aber nun könntest du mir zur Belohnung für die beschwerliche Fahrt ein Gläschen steifen Grog brauen!« –

»Ja, Jürgen, aber der Doktor sagt, du sollst nicht viel Grog trinken!«

»Ach, was so 'n Pflasterschmierer viel nennt; ich weiß, was der seebefahrene Mensch in dem Artikel vertragen kann, und ein Gläschen ist so gut wie gar nichts! Also, Mutterchen, brau' eins! – Und noch etwas! Kommt denn heut' nicht der Jung', der Klaus, daß er mir wieder etwas vorliest?«

»Ja doch, ja – aber es ist erst Glock' zwei, da kann er noch nicht da sein!«

»Der Jung' ist mir ein rechter Trost – und das wird ein Seemann, sag' ich dir, Mutterchen – ich wollt', der Himmel hätt' uns selber so 'n Kerlchen geschenkt!«

Svanholt stieß wieder seine kräftigsten Rauchwolken von sich und schaute hinaus gegen die See, über der es anfing klarer zu werden. Dann kam das dampfende Lieblingsgetränk und lockte in das Gesicht des Mannes ein gutmütiges Behagen.

»Jetzt, wenn der Jung' noch da wär', könnt ich alleweil zufrieden sein!« sprach er schmunzelnd, und in demselben Augenblicke pochte es an der Thür. Frau Wencke öffnete, und Klaus trat ein.

»Sieh, da bist du ja!« lachte der Kapitän – »gerade wie der Wolf, wenn er gerufen wird. Na, setz dich her, mein Jung', und, Mutting, lang' das Geschichtenbuch herunter!«

»Na, laß doch Klausen erst ein wenig verschnaufen, er hat ja noch keinen rechten Atem!«

»Auch wahr! Magst du vielleicht einen Grog? – Ach, Mutting, bring' doch für Klausen auch einen Grog! Was ein Seemann ist und werden will, der muß seinen Grog haben!«

Klaus lehnte dankend ab, aber in einer so wenig entschiedenen Weise, daß sich Frau Wencke nicht abhalten ließ, zumal sie wußte, daß ihr junger Gast den Trank nicht verschmähte; freilich hätte der Kapitän das Gebräu nicht kosten dürfen – er hätte es als Getränk für einen Säugling »estimiert«.

Soweit war nun alles in Ordnung, und Klaus that, was er in der letzten Zeit jeden Tag zu seinem eignen Vergnügen gethan hatte, er las dem Kapitän Seemannsgeschichten vor, und es war schwer zu entscheiden, ob der Leser oder der Hörer mehr von denselben begeistert war. Die Bibliothek des Kapitäns war nicht groß und gewählt – er selber kannte die Geschichten alle schon lange, aber er hörte sie stets gern von neuem, und Klaus las mit Verständnis und war ganz bei der Sache. Er schlug sein Buch auf und begann:

»Von Stralsund und wie es mit Ketten am Himmel hing.«

»Das ist ein schön' Stück, mein Jung'! Das lies mal! Der alte Peter – das war dir ein Kerl, der hat – – aber lies mal!«

Svanholt sog an seiner Pfeife, und der Knabe las im alten Chronikenstil:

»Das war im Jahre Christi 1628 und zu Anfang des Winters. Da gab es eine harte Zeit für Pommern und Mecklenburg, denn der Kaiser hatte die rechtmäßigen Herzöge verjagt und den Wallensteiner, so sie den ›Friedländer‹ nannten, zum Herzog von Mecklenburg gesetzt.«

»Sieh, das war vom Kaiser nicht schön!« unterbrach der Kapitän den Leser, dieser aber fuhr fort:

»Da ging es erschrecklich zu im Lande, und war kein Haus und Hof, kein Tier und Mensch sicher vor den kaiserlichen Soldaten. Sie brannten und mordeten und peinigten und mißhandelten, um dem armen Volke die letzten versteckten Notgroschen abzupressen, und der Grimm und die Wut desselben wuchsen von Tag zu Tage.«

Svanholt sog kräftiger an seiner Pfeife, als wollte er seinem eignen Ingrimm Luft machen, und dazu knurrte er:

»Das waren ja verdammte Kerls!«

»Damals sollte Stralsund, was die Hauptstadt war von Pommern-Wolgast, eine Wallensteinsche Besatzung aufnehmen, aber die Bürger weigerten sich dessen und trutzten auf ihre Mauern und auf die See und hofften auf die Hilfe der Hansa, so aber die gute Stadt schmählich im Stiche ließ. Da kam der Friedländer mit seinen Scharen und legte sich von der Landseite vor Stralsund und schwur, daß er sie einnehmen wolle, und wenn sie mit Ketten am Himmel hängen sollte.«

»Das war ja ein ekliger Däskopf!« rief der Kapitän wieder dazwischen, Klaus aber fuhr unbeirrt und eifrig fort:

»Aber die Stadt hatte einen starken Bundesgenossen, gegen den der Wallensteiner nicht ankonnte, das war das Meer, das durch den Gellen (Strelasund) sie von Norden durch Osten bis nach Süden deckte und auf dem die Fischersleute von Rügen Lebensmittel, und schwedische und dänische Schiffe Kriegsmaterial brachten. Auf der Ostsee aber schwamm keine Friedländische Nußschale, und wenn der Wallenstein auch Admiral hieß, so war er doch keiner. So er aber Stralsund beikommen wollte, mußte er eine Flotte schaffen, und im Hafen von Wismar unter dem Schutz des ›Walfisch‹ (eines Hafenbollwerks) fing er an zu rüsten. Dieweilen aber vergingen der Sommer und der Herbst, und es kam der November mit seinen Winden und Stürmen, ehe die erste Kogge segelfertig war und auslaufen konnte. Damals aber wohnte an der Olde Vehre ein Fischer, geheißen Peter Schüddekopp – –«

»Jetzt kommt das – nu wird die Sache hübsch – pass' auf, Klaus; ich sage dir, Jung', der alte Peter – –«

Aber Klaus hörte den Einwurf seines Zuhörers nicht und sah auch nicht sein verschmitzt vergnügtes Gesicht; er war selbst erregt genug und las nun hastiger weiter:

»– – der saß eines stürmischen Abends mit den Nachbarn am Herde bei einem heißen Trunk« – – »das muß heißen: steifen Grog!« bemerkte Svanholt, – »als einer eintrat im durchnäßten Hansup und das Wort rief: ›Nu kommen sie vom Wasser her!‹ ›Wer?‹ schrieen die Männer, und der andre that erzählen, wie er nordaufwärts an der Südspitze von Hiddens-Oe Netze gelegt – und dabei gesehen, wie von Darser-Ort eine hohe schwarze Kogge herangefahren sei gegen Stralsund, und wie diese kein Däne und kein Schwede sein konnte. ›Das ist 'n Wallensteiner!‹ schrie der alte Peter und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß das heiße Getränk darüber wegschüttete. ›Und soll er 'rankommen an Stralsund? Haben wir nicht Mark in den Knochen? Raus, Jungens – wir fangen ihn ab! Meine Snigge läuft gut – wer hält mit?‹ Und da ist keiner zurückgeblieben und keiner hat weiter ein Wort gesprochen. Und sie sind mit Äxten und Spitzhauen an den Strand gekommen, und männiglich brachte seine Freunde mit, und auf den Booten ging es hinüber durch die Nacht nach der Heringssnigge, die sich wie ein schwarzer Schatten auf dem Gellen schaukelte. Am Fallreep und am Backbord enterten die braven Männer auf, am Gangspill flog das Ankertau in die Höh', die Segel nahmen den Wind auf, und das Schiff fuhr pfeilgeschwind gegen Nordwesten. Die Snigge arbeitete sich in freies Fahrwasser und ging durch die breite Bucht unter Hiddens-Oe. Der Mond ging auf, und der Wind war erwacht und peitschte den weißen Schaum gegen das Schifflein. Endlich rief der Mann im Vordermastkorb: ›Ik seh' em luv up!‹ und wie alles ausschaute und das Mondlicht heller über das Wasser lief, sahen sie die hochmastige dunkle Kogge unter Halbsegel treibend.«

»Jetzt pass' auf, Jung'! Das waren man bloß Landratten auf der Kogge und hatten keinen Lotsen an Bord – jetzt wird das!« unterbrach der Kapitän.

»Jetzt setzte die alte Snigge alle Segel bei und flog heran. Der alte Peter saß am Steuer, und wie sie hart bei dem fremden Schiffe waren, riß er das Steuer luv um, und mit einem Schlage lag die Snigge leewärts an der Kogge, und in den Bord derselben schlugen die eisernen Enterhaken. Da wurde es lebendig auf dem Wallensteiner, und das Kriegsvolk stürmte mit langen Spießen heran, um die Breitseite zu verteidigen; doch die Fischersleute enterten rundum auf und kletterten wie die Katzen in ihren dicken Hansuppen. Und als sie erst einmal an Deck waren, da arbeiteten sie mit Äxten und Kolben, so daß die langen Spieße all nicht nützen konnten und zerbrachen wie Rohr. Nun flohen die Kriegsleute unterwärts, und die noch unten waren, drängten herauf, aber alt' Peter und noch ein andrer standen am Ausgang der Treppenstufen, und wenn ein Kopf von unten heraufkam, so schlugen sie abwechselnd mit ihren Äxten nieder und verrammten den Ausweg mit den Leichen der Erschlagenen und schrieen dazu vor lauter Lust und Mut.

Das war alles so schnell gegangen, wie man die Hand umdreht. Oben lagen zwei Dutzend tote Soldaten mit zerschmetterten Schädeln, und unten im Schiffsraum steckten wohl zehnmal mehr in ohnmächtiger Wut und zusammengedrängt wie die Heringe in der Tonne. Die Fischer aber schleiften zwei schwere Jollen herbei und warfen sie vor den Ausgang der Treppe, und der alte Peter von Olde Vehr lachte dazu und rief: ›Das ist 'n fester Riegel – nu sollt ihr uns nicht auskommen!‹ Jetzt setzten sie alle Segel bei auf der Kogge, nahmen die Snigge ins Schlepptau und drehten das Steuer nach der Heimat. Und wie am andern Morgen die Türme von Stralsund aus dem Nebel stiegen, da lief die Kogge an der Uferbrücke der Stadt an, und alt' Peter stand am Bug, und wie seine weißen Haare im Winde flatterten, schrie er laut, daß es alle hörten, die sich am Ufer sammelten: ›Hier bringen wir euch das Admiralsschiff des Friedländers – das Eingeweide könnt' ihr selber ausnehmen!‹

»Der Wallensteiner aber brachte kein zweit' Schiff auf, und so war's, daß Stralsund doch mit Ketten am Himmel hing und er abziehen mußte.«

Der Kapitän paffte vergnügt seine mächtigen Rauchwolken und rief wieder mit schmunzelndem Behagen:

»Ja, der alt' Peter – das war 'n höllisch fixer Kerl! Das macht, weil er auf dem Wasser zu Hause war. Das Seewasser gibt Kraft und Kourage – da kann eine Landratte nicht gegen an. Werd' du auch man ein Seemann, mein Jung'!«

»Das will ich auch, Herr Kapitän!« rief Klaus begeistert und sah dem gelähmten Manne frisch und steif ins Gesicht. Der aber sprach, indem er lustig nickte:

»Sieh, das gefällt mir von dir, Klaus, und wenn ich dir irgendwie verhelfen kann in dieser Sache, so komm' du man zu mir. Du hast das Zeug zu 'nem tüchtigen Kerl, wie wir Ostfriesen allzusammen. Sieh, der alt' Peter war ein Pommer, die sind auch nicht schlecht, aber die Friesen haben ebensolche Geschichten. – Mutting, bring noch 'nen steifen Grog, auch für Klausen – – was, du willst nicht mehr und willst 'n Seemann werden? Na, das wird alles noch. Ja, was ich von den Ostfriesen sagen wollte! Da war dir der Keno Widuking – das ist all lange her, zur Zeit als noch der Upstalboom unter den drei alten Eichen bei Aurich war, wo die freien Friesen ihren Landtag hielten; damals hat der deutsche König Rudolf von Habsburg dem Grafen Reinhold von Geldern die Herrschaft über Ostfriesland geben wollen. Der rückte auch mit seinen Knechten an, wie der Wallensteiner in der Nacht, um meuchlerisch über die Friesen herzufallen, aber Keno Widuking, der lahm war und nicht gehen konnte, merkte zufällig, daß sie kamen, und weil er nicht anders warnen konnte, steckte er sein eigen Häuschen in Brand. Das loderte durch die Nacht, und die Friesen wußten genug. Da stachen sie die Deiche durch, und die Fluten des Meeres brausten herein ins Land, und mit den Fluten kamen die Fischer in ihren Booten und schlugen mit Ruder und Äxten die Knechte des Grafen, und sind viele von diesen ertrunken. Ja, das Meer und die Ostfriesen, die gehören 'mal zusammen und lassen einander nicht im Stich', wenn's gilt. Halt' du zum Meer, mein Jung'!«

Der Nachmittag war indes vergangen, und Klaus ging, nachdem er versprochen, bald wiederzukommen. Er eilte hinab an den Strand, wo allgemach die Flut herankam, und mit derselben die Boote der Fischer, aber der Knabe, der sich zwischen die Dünen kauerte, um seine Brüder zu erwarten und ihnen beim Bergen ihrer Jagdbeute behilflich zu sein, träumte mit offenen Augen von dem alten Peter und von Keno Widuking.

Am Strande entwickelte sich bald ein lebendiges Treiben; Weiber und Kinder kamen und halfen die Netze leeren und die Fische ausweiden, und die schwerfälligen Naturen waren nach einem leidlich glücklichen Fange fast gesprächig und heiter. Nur Knut, der außer einem zweiten Genossen mit zu dem Boote Wilms gehörte, that verdrossen und fast unwirsch seine Arbeit und hätte Klaus am liebsten fortgewiesen. Dabei arbeitete er selbst für zwei, so daß die Brüder Ordinger fast am raschesten ihre Thätigkeit am Strande beendigt hatten, und nun die beiden älteren, beladen mit schweren Kiepen, durch die Dünen nach Hause schritten, wo dank der umsichtigen alten Nachbarin, die freilich auch ihren Vorteil davon hatte, das Feuer schon unter dem berußten Kessel sang.

Klaus aber hatte sich nach dem Leuchtturm gewendet, wo er ebenfalls wie zu Hause war. Der alte Thomas Kögge war eine ernste, aber grundgute Natur, der seiner Pflicht mit größter Treue und Umsicht oblag, aber doch auch kein größeres Vergnügen und keine angenehmere Erholung kannte, als bei einem Napfe Grog von seinen früheren Seefahrten zu erzählen, wobei es ihm freilich passierte, daß er Wahrheit und Dichtung durcheinander mengte und manchen alten Matrosenaberglauben mit vollem Ernst und als bare gute Münze ausgab. Und solche Geschichten, in denen es auch ein wenig »gruselte«, hörte Klaus für sein Leben gern. Darum hielt er große Stücke auf Thomas Kögge und wußte sich auch bei seinem Sohne Jürgen durch manche kleine Gefälligkeit in Gunst zu setzen. Besonders gern stieg er hinauf in die Laterne und war dabei, wenn der mächtige Brenner entzündet wurde, und wenn das Licht wie ein breites glänzendes Band hinausfloß und über die glitzernden Wellen hinrieselte.

Das Vergnügen an diesem Schauspiel zog ihn auch heute nach dem Leuchtturm. In der Stube neben der Küche saßen der Leuchttürmer und sein Sohn bei dem einfachen Abendbrot. Als der Knabe grüßend eintrat, nickten sie ihm zu, und Thomas sagte:

»Setz' dich her!«

Das war eine ehrliche Einladung, sich an dem Essen zu beteiligen, und Klaus ließ sich nicht weiter nötigen. Während der Mahlzeit ging es schweigend zu, nur ab und zu kam eine kurze Frage und fand eine ebenso kurze Antwort. Dann nahm der Alte einen Schluck Dünnbier, wischte sich mit dem Rücken der braunen Hand den Mund ab und sagte:

»So – gesegn' es Gott!«

Die zwei andern wiederholten das Wort und standen auf; Thomas aber sah nach der Uhr und nach dem Fenster hinaus auf die See, die ihre langen, graublauen Wellen langsam heranspülte. Dann steckte er seine Pfeife in Brand und sprach wieder:

»Es wird Zeit sein, magst du mit, Klaus?«

Ob er mit wollte? – In dieser Absicht war er ja gekommen, um wieder einmal mit hinaufzuklettern über die enge Treppe nach dem großen segensvollen Lichte, und es war ihm lieb, daß Thomas selbst die erste Wache hatte. Der Alte nahm eine Laterne und Feuerzeug, vergaß auch seinen Tabaksbeutel nicht, und so schritt er voraus, gefolgt von den beiden andern. Es war eine beträchtliche Anzahl Stufen zu steigen, ehe man bis an das Wärterstübchen kam, und von da führte eine kleine schmale Eisenleiter in die Laterne selbst. Hier blinkte es fast unheimlich von dem Hohlspiegel und den Linsen, die alle so blank und sauber waren, und den Knaben faßte stets aufs neue eine Art von Scheu, wenn er in den wundersamen lichtspendenden Raum hineinlugte. Der Alte hatte die dunklen Vorhänge, welche tagsüber die Glaswände bedecken, weggezogen, und noch einmal den Brenner untersucht, bei welchem mehrere Dochte und Dillen röhrenförmig ineinander steckten, die mittels eines Pumpwerkes stets so mit Öl überschwemmt waren, daß ein großer Teil immer wieder unverbrannt in einen Behälter abfloß.

Nun blitzte es grell auf, eine Fülle von Licht flutete durch das enge, gläserne Gemach und mit trunkenem Blicke folgte Klaus der blendenden Flut, die sich hinabergoß und weit hinaus in die See leuchtete. Wenige Minuten darauf war er mit den beiden Männern im Wärterstübchen, wo der Alte sich in einem Lehnstuhl niederließ und sich nun behaglich dem Genuß seiner Pfeife widmete, während Jürgen müßig auf einer schmalen Holzbank saß und Klaus zu dem engen Fensterchen hinausschaute auf die leicht bewegte See. Nach einer kleinen Weile sagte Thomas:

»Ja, das Licht ist ein Segen für den Seemann, und ich denk's noch immer, wie wir uns freuten, wenn wir so einen guten bekannten Leuchtturm vor Gesicht hatten. 's ist mir aber doch niemals so lieb gewesen, als wie wir das letzte Mal heimkamen aus Bahia und die große Leuchte in Kuxhaven begrüßten, denn wir hätten nicht gedacht, daß wir sie wiedersehen würden. Kinder, ja, das war eine Fahrt mit allen Schrecken, die der Seemann kennt, aber schön war sie doch!«

Und nun war Vater Thomas im Zuge, und der Knabe saß schon auf dem Bänkchen neben Jürgen und rührte sich nicht, sondern lauschte mit angehaltenem Atem auf das, was nun kam, von dem furchtbaren Sturm, den Thomas vorausgesagt hatte, denn er hatte alle bösen Zeichen gesehen. Er erzählte:

»Wie ich die Nachtwache hatte, so um Mitternacht, sah ich verloren unter das Bugspriet, wo ich etwas Dunkles und Bewegliches bemerkte, und wie ich dem Dinge näher kam, ward mir's selber unbehaglich zwischen den Rippen; 's war der Klabautermann leibhaftig: Einen dicken Fischkopf mit glotzigen, grünen Augen hatte er zwischen den Schultern, das Haar stand struppig um die niedrige Stirn, und wie er jetzt den Rachen aufriß und seine Fischgrätenzähne fletschte, sah er aus, als hätt' er Blut getrunken. ›Na, das bedeutet nichts Gutes‹, hab' ich in meinem Sinn so gedacht, und in allen Gliedern lag mir's wie Blei, denn die Nacht war schwül und gewitterdunstig. Und wie ich jetzt hinaufsah nach dem Himmel und nach dem Hauptmast, da flimmert's auf seiner Spitze wie ein blaues, tanzendes Licht, und es kommt herunter, rutscht an den Raaen hin und zuckt über die Wanten und kommt immer näher, daß mir ein Schauer durch alle Glieder lief. Vor drei Tagen war der Tielemann ertrunken – hei, denke ich mir, der kommt wieder und will uns warnen, denn so'n Licht ist immer die Seele von einem toten Kameraden, und wenn es heruntersteigt vom Maste, ist es ein bös' Ding. Wie's bis zu mir kam, daß ich hätt' mit der Hand danach greifen mögen – fft – weg war's. Und jetzt fiel mir's auch noch ein: Wir hatten einen Topgast, der Kerl spuckte immer gegen den Wind, und – gegen den Wind spucken, Kinder, das ist 'ne gefährliche Sache. Und so ist es auch gekommen, wie's kommen mußte. Der Steuermannsmaat hat mich zwar ausgelacht, wie ich am Morgen ihm all das erzähle, aber ich denke mir: ›Du wirst schon dran glauben‹, und heidi, am Abend war der Sturm da, und was für'n Sturm!«

Und jetzt wurde der Alte erst rührig und lebendig, und wenn Klaus die Geschichte und ihren Ausgang kannte, er hörte immer wieder mit Staunen und Begeisterung von der Kaltblütigkeit und Zähigkeit, mit der man den Elementen getrotzt und ihnen zuletzt noch das nackte Leben abgerungen hatte.

Während sich der Knabe hier vergnügte und seine Phantasien an den alten Seemannsgeschichten entflammte, saßen Wilm und Knut daheim bei dem lodernden Feuer. Letzterer zimmerte an einem Holzstuhl, dessen Lehne bedenklich aus den Fugen ging, und ersterer nahm an seinem Ölpaktje eine notwendige Reparatur vor. Lange Zeit waren sie schweigsam, und man hörte nur den Pendelschlag der alten Uhr und das Knistern auf dem Herde. Endlich sprach Knut:

»Das ist zu arg mit dem Jungen – wo er wieder steckt?«

»Wo wird er sein? – Bei dem Kapitän oder bei Thomas Kögge!« erwiderte Wilm ruhig.

»Das paßt mir beides nicht – der Umgang ist nicht gut für Klaus; sie setzen ihm dumme Geschichten in den Kopf, und das muß ein Ende haben. Laß uns vernünftig reden!«

»Sprich!«

»Also – es wird Zeit, daß der Junge ein Gewerbe lernt, das ist und bleibt meine Meinung, und daß er fortkommt in eine Stadt, nach Emden, Norden, Aurich und zu einem tüchtigen Meister, so wie ich wollte, daß es mit mir geworden wäre. Er soll hier nicht verkümmern und verelenden!«

»Na, das ist die alte Geschichte, Knut! Hier ist noch keiner verkümmert!«

»Ich bin hier verkümmert!« rief der andre, bereits zornig aufwallend – »mich habt ihr gezwungen, hier zu bleiben und jeden Tag mit hinauszufahren bei gutem und schlechtem Wetter und daheim Kartoffeln mit trockenem Fisch zu essen, obwohl ich keine Lust hatte zu der ganzen Fischerei – und der Junge soll's besser haben – er soll fort –«

»Das soll er ja auch!«

»Ja, aber nicht als Schiffsjunge und Matrose, wobei er ein alter Krüppel werden kann, wenn er nicht in jungen Jahren schon ersäuft. Was ist's jetzt mit Svanholt, der's wenigstens zu 'nem Kapitän bei einem Kohlenkutter gebracht hat –«

»Ich sage dir, Knut, des Jungen Wille bleibt die Hauptsache!«

»Der Junge weiß noch nicht, was er will; er hat sein Lebtag nichts gesehen als diese Dünen und das Meer und hält Kartoffeln für einen Leckerbissen –«

»Ich auch, und wohl ihm, wenn er genügsam bleibt!«

»Ihr seid alle zusammen Dickköpfe –«

»Aber gesund und ehrlich, und das verlernt sich leicht in der Welt. Der Junge soll fahren, wenn er alt genug ist, damit er etwas sieht und das Meer kennen lernt, und dann soll er entweder, wenn er Lust hat, Seemann bleiben, oder wenn ihm das Heimweh kommt, nach unsrer kleinen Insel, hier wohnen, seine Kartoffeln und Rüben bauen und auf der See ernten, wie sein Vater und Großvater – –«

»Und ertrinken wie sein Vater und Großvater!« rief Knut mit zornigem Hohn. »Nein, nein, nein – sage ich, und wenn der Junge nicht will, muß er zu seinem Glücke gezwungen werden!«

»Wie willst du das machen?«

»Das weiß ich heute noch nicht, aber darauf verlaß dich, mit meinem Willen wird der Klaus kein Seemann und Heringsfischer!«

»Er ist ein Friese und schlägt nicht aus der Art!«

»Dann bin ich wohl aus der Art geschlagen, weil ich schwarze Haare auf dem Kopfe und den Sinn auf etwas Besseres gerichtet habe!«

»Erhitze dich nicht, Knut!«

Aber die ernste Ruhe des Älteren entflammte nur noch mehr den Ingrimm des Jüngeren; er schrie:

»Ich weiß, daß ihr mich alle zusammen nicht für voll anseht, du und die ganze strohköpfige Gesellschaft auf der Insel, aber ich mache mir den Henker aus euch allen und trotze euch allen, und den Jungen werd' ich dir abtrotzen, und wenn's mit Gewalt wär'! Wenn er mir nochmals zu Svanholt geht oder zu Thomas Kögge, dann will ich ihn heimholen, daß er das Wiederhingehen vergessen soll!«

Wilm legte sein Ölpaktje zur Seite, auch ihn verließ ein wenig seine kühle Ruhe.

»Oho, dafür bin ich auch noch da!« sagte er – »und vom Kapitän und Leuchtturmwärter lernt er nichts Schlimmes!«

»Dann schlag ich dir zuvor den Schädel ein!« schrie der Ergrimmte und griff nach der Axt, die an dem Herde lehnte. Wilm war aufgesprungen und stand in seiner ganzen Wucht, breitschulterig und fest vor seinem Bruder:

»Schlag zu!«

»Schlag zu!«

Die Hand des andern zitterte am Stiel der Axt, in demselben Augenblicke öffnete sich die Thür, und mit fröhlichem Gruße trat Klaus ein. Verdutzt sah er die beiden Brüder und das aufflammende Auge Knuts. Dieser aber warf jetzt mit voller Kraft die Handwaffe gegen den Boden, daß es splitterte, und wandte sich grußlos ab. Hinter ihm schlug die Thür zu, und mit dem Worte: »Er muß zu seinem Glücke gezwungen werden!« ging er hinein in die Nacht. Wilm aber setzte sich ruhig wieder hin, und gleichmütigen Tones fragte er den Knaben, wo er gewesen, und diesem ging der Mund über von dem, was er heute gehört. Noch in seinen Traum hinein kamen die Gestalten des alten Peter und Keno Widuking und der Klabautermann mit seinem blutigen Rachen.

Es vergingen einige Tage, ohne daß Knut die gewohnten Besuche Klausens bei Svanholt oder im Leuchtturm verhindert hätte; er that, als wisse er davon nichts, aber er war finsterer und schweigsamer und sprach mit Wilm nur das Allernotwendigste.

An einem Abend war der Knabe wieder bei Thomas Kögge. Der Tag war für die Jahreszeit seltsam schwül gewesen, und über der See brauten dunkle Wetterwolken. Die Wellen kamen so graugrün und schläfrig, und der alte Leuchttürmer wollte in der Nacht zuvor einen Mondregenbogen gesehen haben – das bedeutete Sturm. Und gegen Abend kam auch das Gewitter. Die Blitze zuckten um den Turm, und der Donner rollte furchtbar, dazu brauste und brüllte das Meer – es war ein großartig wildes Schauspiel, aber Thomas Kögge mußte den Knaben wiederholt ermahnen, nach Hause zu gehen, ehe dieser sich von dem gewaltigen Bilde, das er noch niemals vom Fenster des Wärterstübchens aus gesehen hatte, trennen konnte.

Nun ging er hastig durch Regen und Wind – – aber mit einmal kam durch das Brausen der Wogen ein Ton, wie ein dumpfer Knall vom Meere herüber: das wär ein Schuß – ein Schiff in Not! Der Knabe kam in heftige Erregung und eilte in der Richtung nach dem Stationshause der Rettungsgesellschaft. Schon erklang von dort her die Sturmglocke, und noch ehe Klaus ganz heran kam, stieg schon das erste Weißfeuer, eine Signalrakete, die dem bedrängten Fahrzeuge verkündete, daß man seinen Notruf vernommen habe und zur Hilfe bereit sei. Es war das erste Mal, daß sich im Ernst die neue Einrichtung bewähren sollte, und die Mannschaft war vorschriftsmäßig zur Stelle: zehn Mann, darunter Knut und der Vormann. Von der See her ward ein Feuerzeichen sichtbar, und man wußte nun die Richtung, wohin man sich zu wenden hatte: das Schiff mußte beinahe an derselben Stelle in Not geraten sein, wo Svanholt gescheitert war.

In kurzer Frist war alles in Ordnung, der Bootswagen rollte nach dem Strande, und bald darauf glitt das Boot selbst mit seiner mit Korkjacken versehenen Bemannung über die Helling hinab in die Wellen, und die Ruder schlugen ein. Auch die Ankerrakete bewährte sich schon bei dem ersten Schusse trefflich, und das kleine Fahrzeug arbeitete sich kräftig an der Ankerleine fort gegen die Brandung.

Um Klaus hatte sich niemand gekümmert, aber ihm schlug das Herz hoch, als er die Rettungsmannschaft so rasch und entschlossen ausziehen sah, und einen Augenblick drängte es ihn, Wilm zu bitten, ihn mitzunehmen. Aber er wußte, das war thöricht und vergeblich – doch heimwärts konnte er nicht, er hätte keine Ruhe gefunden und nicht schlafen können, wenn er seine Brüder in Sturm und Gefahr wußte. Beim Stationshause und am Strande hatten sich Leute angesammelt, diesmal mit besonderem Interesse, weil die neue Einrichtung sich zuerst bewähren sollte, aber sie mußten vor Wind und Regen Schutz suchen in der Station, zumal die Dunkelheit der Nacht das Schiff und das Boot einhüllte.

Klaus lief nach dem Leuchtturm zurück und kletterte hinauf nach dem Wächterstübchen. Hier traf er Jürgen, der die erste Wache hatte und dem es bei dem Sturme, der mit schweren Schlägen den Turm traf, lieb war, noch eine Menschenseele bei sich zu haben. Die beiden traten an das kleine Fenster, das nach der See hinausging, deren hochgehende weiße Wogenkämme unheimlich schön durch das Dunkel leuchteten, und ein langandauernder blauer Blitz zeigte sogar das kleine Rettungsboot, hochgehoben von einem schweren Wellenberge. Die zwei sprachen kein Wort zusammen, aber sie folgten beide im Geiste dem Fahrzeuge, das im Dienste der Menschenliebe kämpfte.

Schwere, bange Stunden vergingen. Das Gewitter war vorüber, der Himmel klärte sich, und der Mond trat aus den zerfetzten Wolken und goß sein mildes Licht über die noch immer schwer bewegten Fluten. Da kam es wie ein dunkler Streifen über die weißen Wellenhäupter, immer näher – es war kein Zweifel, das war das Boot!

Da gab es für den Knaben kein Halten mehr – er eilte in Hast die engen Treppen des Turmes hinab nach dem Strande. Hier standen Männer und selbst Weiber und harrten auf die Ankunft des Fahrzeugs, das jetzt sicher und schnell die Wogen durchfurchte. Und nicht lange mehr, da fuhr es unter dem lauten begrüßenden Zuruf der Harrenden auf den Strand. Es barg außer seiner vollzähligen Bemannung sechs Gerettete, die ganze Besatzung des gestrandeten Schiffs, den Kapitän, den Steuermann und vier Matrosen.

Das Boot wurde mittels einer Winde aufgeholt und auf den Karren gebracht, und ehe es noch die Station wieder erreicht hatte, war auch für das Unterkommen der Schiffbrüchigen gesorgt und für den heißen, dampfenden Grog, der Retter und Gerettete erquickte. Jetzt erst schlich sich Klaus beiseite und eilte heimwärts, um vor seinen Brüdern zu Bette zu kommen.

Aber Thomas Kögge, der Leuchttürmer, erhielt einen nächtlichen Gast, seinen leibhaftigen Bruder, den er viele Jahre nicht gesehen und den das gestrandete Schiff just hier an das Gestade warf. Er war der Steuermann desselben, und eine ganze Anzahl Fischer gaben ihm das Geleit, nachdem man erst erfahren, daß er Karl Kögge wäre. Das war ein Wiedersehen der beiden alten Knaben, und Thomas geriet, als er die nasse Teerjacke an seine Brust zog, in eine Rührung, wie er sie lange nicht gekannt: ihm war aus der Sturmnacht eine unerwartete Freude geboren worden.


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