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Der Denker des Krieges

Die Mittelmächte standen in der Sonne des Erfolges. Hindenburg war ein Volksheld, Falkenhayn hoch in seines Kaisers Gunst. Mackensen war ein Heros. Aber Conrad von Hötzendorf stand im Zwielicht. Der Oberkommandant der österreichisch-ungarischen Heere war der Erzherzog Friedrich. Aber er war es nur dem Namen nach. Erzherzog Friedrich war da für den Glanz des Hauses Habsburg. Denn man lebte und starb in einem monarchischen Staat. In die Gestaltung der Ereignisse griff er nie ein, machte nie den Versuch dazu. Er hatte in dieser Rücksicht etwas von des alten Wilhelm ruhiger, zurückhaltender Art, die lieber die Berufenen gewähren ließ. Im übrigen hatte der Erzherzog seinen Hofstaat, hatte seinen Generaladjutanten, seinen Flügeladjutanten. Alle, die zu Friedrichs Hof gehörten, durften mit keinem Gegenstand der Operationsabteilung vertraut gemacht werden, bevor der Chef des Generalstabes die ausdrückliche Genehmigung dazu erteilt hatte. Der Oberkommandant in Wahrheit war Conrad von Hötzendorf.

Nichts Wichtiges geschah ohne ihn. Ohne Conrad kam, ohne Conrad ging kein General. Conrad hatte gegenüber allen, gegenüber den Ministern, gegenüber den Generalen jene Courtoisie, die an ihm ein alt-österreichisches Erbteil war, jene kameradschaftlich-selbstverständliche Ritterlichkeit, und jene Aufrichtigkeit vor allem, die er an den deutschen Generalen bisweilen schmerzlich vermißte. Aber doch entschied für ihn in allen Fragen stets die Sache, das Verdienst, das Verschulden allein. Er ließ nach Przemyslani sofort den voreiligen Brudermann mit seinem schuldigen Stabschef verabschieden. Aber das Bild des Generals von Köveß blieb ihm unverwirrt, an dessen Tüchtigkeit er festhielt und den er nicht darum verantwortlich machen wollte, weil Brudermann ihn in das Unheil mitgerissen hatte. Dem ungemein begabten Erzherzog Joseph Ferdinand ließ er mit seiner Zustimmung ein Kommando auftragen, eben wegen seiner Fähigkeiten, obgleich er ein Erzherzog war; dann gab er ihm eine Armee, als er sein Korps seit längerer Zeit tadellos geführt hatte. Aber weil Josef Ferdinand ein Erzherzog war, wollte Conrad kritisch bleiben, und ließ sich nach der Durchbruchsschlacht von Mackensen über die Haltung des Prinzen berichten. Unbedingt müsse er wissen, wie der Erzherzog sich führe. Und Mackensen, der ganz offen, ganz ehrlich reden sollte, erklärte, durchaus zufrieden zu sein. Der Erzherzog mache sich wirklich sehr gut … Auch General Seeckt, der Stabschef des Marschalls, war gleicher Meinung. Als General Auffenberg nach Rawaruska den Abschied bekommen sollte, sah Conrad für eine Entlassung keinen zwingenden Grund. Erzherzog Friedrich hatte Anstoß genommen an der bedrückten Stimmung in Auffenbergs Armee. »Auffenberg hat bei Komarow seine Sache gut gemacht. Daß er nach einem Rückzug nicht heiter ist,« entgegnete Conrad, »begreife ich. Heiter bin ich auch nicht. Ich bitte, davon abzusehen.« Der Freiherr hatte den General von Auffenberg, den er als Unterführer hervorragend nannte, schon einmal gegen den Sturz gehalten, als Auffenberg noch Kriegsminister war. Kaiser Franz Joseph hatte den festen Entschluß gezeigt, sich von dem General zu trennen. Aber Conrad hatte die Auffassung vertreten, daß der Kaiser seinen eigenen Kriegsminister »nicht plantieren« könne. Jetzt hielt Conrad den aus persönlichen Gründen mißliebigen General sachlich gegen den Erzherzog, und wurde schließlich ungeduldig. Einen General fortzuschicken, gebe es nur einen Anlaß: wenn er das Vertrauen seiner Armee und des Armeeoberkommandanten verloren hätte. Aber der Erzherzog verbürgte sich für beides. Nicht nur er selbst, seine eigene Armee, von deren Besuch er eben kam, hätte kein Zutrauen mehr zu Ritter von Auffenberg. Jetzt war die Angelegenheit freilich anders. Ein General, dem die Truppe, dem der Armeeoberkommandant nicht mehr vertraute, tat auf alle Fälle besser daran, zu gehen, als daß er bliebe.

Vertrauen war für Freiherrn von Conrad überhaupt die Vorbedingung jedes menschlichen Wirkens. Vertrauen bewilligte er von vornherein jedem. Der große Pessimist, der trüb die Linien des Erdganzen verfolgte, der Denker, der mitten zwischen den Hochburgen des Katholizismus und der Glaubensstrenge, in der alles rund um ihn lebte, als ein Freigeist zu wandeln wagte, war ein Kind von Mensch zu Mensch. Für Fähigkeiten hatte er ein untrügliches, scharfes Unterscheidungsgefühl. Aber Unanständigkeit oder Anständigkeit, die für ihn selbst das Grundgesetz alles Tuns war, erkannte er, wenn es um seine eigenen, um seine persönlichen Interessen ging, nicht immer klar. Wer den gleichen Rock trug, wie er, dem durfte er ohne Hemmung trauen. Er zeigte solche Anschauung bei mancherlei Anlässen mit Betonung gegenüber Einzelnen. Es war Erzieherabsicht dabei. Nie wollte er der Staatsanwalt sein, der von vornherein mit Verbrechern spricht: stets wollte er lieber verstehen und verteidigen. Erst wer sein Vertrauen erschüttert, wer es verloren hatte, war erledigt. Es war dann so schlimm wie Hochverrat. Hochverrat aber konnte er nicht jedem mißtrauisch zumuten. Mißtrauen machte er sich erst zur Pflicht, wenn es ums Reichswohl, um Ziele und Güter ging, die andere ihm anvertraut hatten. Dann prüfte er, dann siebte er zehnmal. Seinen engsten Mitarbeiter, den Chef seiner Operationsabteilung, General Metzger, hatte er in Laufbahn und Haltung durch Jahre beobachtet. Er sah in ihm den fähigsten und rechtschaffensten Offizier der Armee. Rücksichtslos setzte er ihn an die wichtigste Stelle, die er zu vergeben hatte. Er erzog ihn dabei mit aller erkennbaren Tendenz: der begabte General sollte ihn selbst ersetzen, wenn er stürbe, wenn er verabschiedet würde, womit er kühl rechnete. Daß er seinen eigenen Fortgang überhaupt erwog, daß er in allen Dingen, die ihn selbst und den Ruhm seines Namens betrafen, kaltblütig und gleichgültig bleiben und nicht einmal darauf achten wollte, ob man eines Tages gegen ihn Intrigen spann oder nicht, daß er selbst sich uninteressant genug vorkam, oder sich einredete, zu uninteressant für eine Zielscheibe anderer zu sein: all das ergab nun doch einen Fehler in Conrads Struktur. Denn hier geriet der Feldherr in Widerspruch mit sich selbst.

Neben aller Bescheidenheit, die ehrlich war, wohnte ein Selbstbewußtsein in Freiherrn von Conrad, das mehr als Ahnungen hatte, wer er wirklich war. Er wußte sehr genau, daß in Wahrheit er geleistet hatte, was unter anderen Flaggen fuhr. Er wußte sehr genau, daß keiner in diesem Krieg ihn ersetzen konnte, schon weil in seiner Hand das Hebelwerk der Wehrmacht durch viele Jahre vereinigt gewesen war. Und in achtzehn Kriegsmonaten hatte er dann für die Sache der Verbündeten mehr getan als irgendeiner, hatte so viel getan, wie ein einzelner überhaupt nur vermochte. Seine Heere hätte er bis jetzt wie biegsamen Stahl gehalten. Als Rußlands Massen immer mächtiger anbrausten, hatte er den Landsturm der Monarchie, obzwar jeder Sachverständige bezweifelte, daß solch ein Experiment gelingen könnte, in den Krieg geworfen. Der Landsturm hatte erfüllt, was Conrad sich praktisch von ihm versprochen hatte. Im Frieden war er dem Generalstab ein Lehrmeister der Strenge gewesen. Jetzt verlangte er von dem jüngsten Generalstabsoffizier die gleiche eiserne Arbeit, die er sich selber auferlegte. Sie wurde sichtbar noch im scheinbar Kleinen. Nicht er allein zeichnete sich täglich mit winzigen, haardünnen Strichen, mit nahezu unsichtbaren Zahlen und mit Buchstaben, zu denen bloß er keine Lupe brauchte, die Situation an allen Fronten in sein Taschenbuch. An allen Fronten, bei allen Kommandostellen surrte die Arbeit, spielten die Drähte, zirkelten die Kartenzeichner Tag und Nacht. Der starrste Stellungskrieg hatte noch immer unaufhörliche Bewegung, denn geringste Verschiebungen änderten täglich mit Ausbuchtung und Korrektur die Linien aller Felder. Im Hauptquartier lag täglich ein neuer großer Kartenspiegel, der alles belichtete und täglich neu geschliffen wurde. Die Nerven seines Abschnittes mußten offen liegen vor jedem Generalstabsoffizier, die Nerven des Ganzen bloßgelegt vor Conrad von Hötzendorf. Er sondierte den Körper des Gegners, er tastete ihn ab. Sein Gefühl fand mit untrüglicher Sicherheit am Gegner jede Schwäche.

Als Feldherr war er vorsichtig, zugleich war er kühn. Er war peinlich, zum Ärgern pedantisch in der Feststellung jeder Einzelheit, aber die Technik der Operation übte er als Virtuose von berauschender Spielkraft, die Operationen baute er wie Phantasien. Sie suchten das Gewaltige. Räume bedeuteten nichts für Conrads Willen. Bewegung und Kraft, die Nerven waren alles. Galizien aufgeben, große Armeen an zwei, drei Schnüren, die er im Hauptquartier zog, über weite Provinzen zu holen, die hunderttausendköpfigen Körper unmittelbar darauf wieder vorzubringen, war oft der Entschluß eines Augenblicks, einer einzigen Sekunde gewesen, aus der er allein das Gesetz der Lage rechtzeitig hatte ticken hören. Keiner eigenen Offensive hatte er bisher andere Grenzen gestattet, als die seiner eigenen Vernunft. Beim Vormarsch nach Rußland hatte er die Heere über die unendlichen Gebiete gelenkt, als marschierten die Truppen über Exerzierplätze. Aus Serbien, das kaum am Boden lag, flog seine Phantasie, die über alle Arbeit des Augenblicks hinweg schon Zukunftsmöglichkeiten prüfen und beherrschen wollte, quer über den Balkan, über Berge und durch Wildnis, die er schon zwingen wollte, an das Ägäische Meer. Er sprach aus, wobei anderen der Atem stockte. Er blieb hart und kalt, wenn anderen die Nerven bebten. Als die russische Not auf das höchste stieg, fiel unter Auffenbergs Reitern bei Rawaruska der junge Herbert von Conrad. Er verbiß den Schmerz des Vaters, der ihn nur in den Nächten schütteln durfte, es schien, als horchte er auch jetzt nur nach russischen Bewegungen.

Zwischen allen Schlachtfeldern trieb er Psychologie. Nie vergaß er über einer militärischen Operation, über der Freude an ihrem Gelingen den jeweils ausgedachten Zweck. Dann hielt er die Phantasie durch Nüchternheit am Zügel. Tief nach Wolhynien ließ er die Heere marschieren, weil er dort Wirtschaftsgebiete, Hilfsquellen einrichten wollte. Die gleichen Truppen hielt er mit einem Ruck an, als er die Truppen ermüdet schätzte. Technisches war ihm überhaupt ein Spiel. In der ersten Lemberger Schlacht hatte er einen Erzherzog in erster Rochade von der fernsten Südecke des Landes nach der äußersten Nordecke herumgeworfen, unmittelbar hinter der Feuerlinie mit der Bahn, daß dem Rochierenden Hören und Sehen verging. Die Truppen nach Schlesien hatte er in größter Schnelligkeit mit nachtwandlerischer Selbstverständlichkeit dirigiert. Das Hin und Her der Karpathenschlacht lenkte er und hielt er aus, als wären die Berge nicht da oder als wären die Berge wirklich unübersteigbar und als wäre er selbst der Herr unabsehbarer russischer Millionenheere. In Polen und Westgalizien hatte er gezeigt, daß er ein Schlachtenbaumeister war, der die Architektonik ganzer Schlachtenstaffeln über die Flächen von Königreichen als Rhythmus und Kunstwerk gliederte. Er sah Dinge, die neben ihm niemand sah. Er sah Fehler schon aus erstem Ansatz: das Mißglücken der Hindenburgschen Operation an der Weichsel hatte er vorausgesagt, hatte er dann verwischen geholfen. In Serbien hatte er dreingesprochen. Unmittelbar darauf bestätigte die Flucht der Serben die Richtigkeit des Einspruchs.

Noch ehe er den Grundplan für Tarnow und Gorlice entworfen hatte, überragte er seine Umgebung, seine Nachbarschaft himmelhoch. Schlimm stand es um die Sache der Verbündeten, wenn er einmal ging. In der Öffentlichkeit Österreich-Ungarns aber verschwand der Name Conrad von Hötzendorffs jetzt beinahe völlig vor dem Glanz der Deutschen. Wenn er einmal ging, dann rissen vielleicht die Deutschen alle militärische und politische Führung an sich: der Ausblick machte nach allen Erfahrungen das Ende zweifelhaft. Vielleicht hätte er sich trotz seiner Abhängigkeit in bezug auf Truppen auch gegen die deutschen Generale zu eigenem Ruhme durchsetzen können. Er hätte unter Umständen nur auf den Tisch schlagen brauchen. Vielleicht hätte er darin nur ein wenig von der minder zurückhaltenden Art anderer für die eigene Haltung übernehmen müssen. Aber Freiherr von Conrad schlug auf den Tisch, gleichgültig, wer daran saß, nur um solcher Dinge willen, die er als sachlich erkannt hatte, nur um der Fehler willen, die die anderen begingen, niemals für seine eigene Person. Glanz war Eitelkeit. Ein Brief an einen seiner Freunde enthält die Stelle: »Habe mich nie nach Stellungen gedrängt und nie nach Titeln, Würden und Auszeichnungen gehastet – ebensowenig nach kriegerischem Ruhm –, denn was wäre das für ein Ehrgeiz, dessen Befriedigung an Blut und Leben von Hunderttausenden geknüpft ist; bei meinen Anschauungen über das Menschendasein habe ich den Krieg nur als bedauerliche Katastrophe in der Entwicklung des Völkerlebens betrachtet, in der jeder einzelne seiner Generation gegenüber die Verpflichtung hat, sein Bestes für das Gemeinwohl zu leisten. Was wäre auch ein solcher Ruhm in den Augen eines Menschen, der über die große Frage des Weltdaseins, über Werden und Vergehen in unermeßlichen Zeiten und unermeßlichen Räumen – Anschauungen hat wie ich.« Vom Glanz wollte Conrad nichts wissen. Er lehnte ihn aber nicht nur philosophisch ab, weil er die Eitelkeit ablehnte. Er tat es dann doch auch wieder aus politischer Erwägung. Ihm war es recht, daß der Erzherzog, wenn auch niemand ihn überschätzte, wenigstens als eine Art Ablenkung da war. Wenn Conrad auch endlich an der Sonne gestanden hätte, die er scheinen machte, die ihn aber nur so unsicher bestrahlte: die Österreicher und die Ungarn selbst hätten ihn aus der Sonne gezerrt. Bisher hatte die Monarchie noch jeden in den Staub getreten, der über die Monarchie und ihren Durchschnitt sich zu erheben wagte. So schien es für Conrad nur eines zu geben: neben beherrschendem Geist die unpersönliche Macht, die aus dem Dunkel lenkte, die mit dem Geist allein die große Sache der Verbündeten fördern konnte. Die Macht konnte Conrad vielleicht behalten, wenn er sich zu vollem Ruhm erhob, wenn niemand ihn anzurühren wagte. Conrad konnte die Macht vielleicht auch dann behalten, wenn er die eigene Person ganz ausschaltete, wenn er für die eigene Person fast leichtsinnig war durch das Zutrauen zu jedermann, wenn er die Gleichgültigkeit des persönlichen Schicksals dokumentierte, wenn niemand sagen durfte, daß er je für sich etwas tat. Aber wer sich selbst ganz ausschaltete, konnte leicht von anderen ausgeschaltet werden. Conrad erwog auch dies. Er erkannte, obgleich er bescheiden war, etwas vom Zwange, dem Volke Heroen zu geben. Aber er fand die Mitte nicht. Vielleicht gab es darin auch keine: die Macht unpersönlich zu üben, ohne ihren Träger als Heros aufzugeben. Zu den Widersprüchen in Freiherrn von Conrad traten jetzt österreichisch-ungarische Überlieferungen und Verhältnisse. Er dachte an Karl von Aspern, an Tegethoff, an den verdunkelten Prinzen Eugen … an Wallenstein sogar … Er kannte die Geschichte der Monarchie. Hier stand er in tiefster tragischer Verstrickung. Unter dem Sonnenhimmel der Erfolge: einsam im Zwielicht.

Einsam war er unter den deutschen Generalen, die ihre Verschuldungsgefühle unter dröhnender Haltung deckten. Einsam war er in der Monarchie, darin sein Name den verflatternden Klang einer Hoffnung von einst hatte. Einsam war er bei Hofe, dahin er selten und nie als Hofgeneral ging. Er hielt sich an die Macht, durch die er den Geist zu Taten prägte. In Einsamkeit arbeitete er für alle. Die Macht war nur dem Wissenden klar. Aber auch die Wissenden murrten. Vielleicht war Conrad ein Genie. Aber so hoch stand in Österreich-Ungarn kein Genie, daß kaum der Kaiser mehr einen Einspruch wagen durfte. Sie murrten nicht laut: denn der anonyme Erfolg war mit Freiherrn von Conrad. Noch wagte sich keiner hervor. Aber daß seine Volkstümlichkeit nicht zu groß war, bedeutete doch keinen Ersatz dafür, daß man so manches nicht mehr tun durfte, das sonst so einfach, so unbedenklich gewesen war in der Monarchie. Überall stieß man auf diesen Freiherrn von Conrad, den keiner recht kannte, den keiner nannte. Selbst die Minister hatten still zu sein. Das Oberkommando regierte. Nein: das Oberkommando diktierte …

In Wien aber wanderte, damals neu aufgefrischt, eine Anekdote durch alle Zirkel und Staatskanzleien. Den Freiherrn von Conrad hatte Franz Ferdinand einmal unmittelbar nach zornigem Zusammenstoß vor der Chotoviner Kirche auf eine Wagenfahrt mitgenommen. Eine Stunde lang sprach keiner. Dann begann der Erzherzog plötzlich von seinem Schloß Konopischt zu erzählen. Ja, der Park wäre herrlich. Conrad schwieg. Ja, und die Jagd wäre unvergleichlich. Conrad schwieg. Jetzt warf der Erzherzog einen wütenden Blick herüber: »Und wissen Sie, wer dort auch gewohnt hat? Der Wallenstein!« Franz Ferdinand fuhr mit so langsamer Betonung fort, daß es den Freiherrn komisch traf: »Wie schade, daß dieser so begabte Mann auf solche Abwege geriet.« Der Freiherr hatte damals dem Erzherzog ins Gesicht gelacht. Was wollte Franz Ferdinand mit dem unmöglichen Vergleich – –

Die Minister schwätzten jetzt die Geschichte bei Hofe. Die Generale standen horchend und wartend da. Gegen Teschen wagte keiner noch zu murren. Noch wagte sich keiner hervor. Die Exzellenzen knickten, wenn der Freiherr kam. Sie spotteten, wenn er ging, mit halbem Ernst und Wiener Witz. Ein Stichwort wurde schnell geprägt. Der Conrad war der reine Wallenstein im Zwielicht.


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